Zusammenfassung:
Steht fest, dass ein Verkehrsunfall auch bei angepasster Geschwindigkeit passiert wäre, die Unfallfolgen jedoch wesentlich geringer gewesen wären, ist der Geschwindigkeitsverstoß unfallursächlich. Ist wiederum nicht mit angemessenem Aufwand aufklärbar, um wieviel die Folgen geringer gewesen wären, so kann aufgrund des Geschwindigkeitsverstoßes eine pauschale Haftungsquote angerechnet werden.
Oberlandesgericht Saarbrücken
Az: 4 U 150/13
Urteil vom 14.08.2014
Tenor
1. Die Erstberufung der Klägerin und die Zweitberufung der Beklagten werden zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 55%, die Beklagten als Gesamtschuldner 45%.
3. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin die Beklagten aufgrund eines Verkehrsunfalls, welcher sich am …2009 in M. ereignete, aus übergegangenem Recht ihres in Folge des Verkehrsunfalls verstorbenen Ehemanns (im Folgenden: der Geschädigte) auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Geschädigte war Fahrer und Halter eines Pkws der Marke BMW Z4 und war mit seinem Fahrzeug auf der Von-B.-L.-Straße in Richtung O. unterwegs. Vor ihm fuhr der Beklagte zu 1) als Fahrer und Halter eines bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Fahrzeugs der Marke Toyota RAF 4, welches zum fraglichen Zeitpunkt einen Anhänger zog. In der Absicht, auf der Straße zu wenden, um wieder in Richtung Ortsmitte zu fahren, lenkte der Beklagte zu 1) sein Gespann zunächst auf den rechten Gehweg, um sodann von dort aus in einem Zug zu wenden. Bei diesem Manöver fuhr der Geschädigte von hinten auf das im Wenden begriffene Gespann auf. Der Geschädigte erlitt einen Genickbruch und verstarb am …2009.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass der Beklagte zu 1) den Unfall allein schuldhaft verursacht habe. Er sei unaufmerksam gewesen, weil er das erkennbar herannahende Fahrzeug ihres verstorbenen Ehemannes übersehen habe. Dieser habe geglaubt, dass der Beklagte zu 1) wieder anfahre, um weiter in Richtung O. zu fahren. Der Geschädigte habe daher dessen Fahrzeug überholen wollen.
Die Klägerin hat folgende Schadenspositionen geltend gemacht: Für den auf der Grundlage des Wiederbeschaffungsaufwandes berechneten Fahrzeugschaden 14.000 EUR, Sachverständigenkosten in Höhe von 1.202,26 EUR, Abmeldekosten in Höhe von 65 EUR, Abschleppkosten in Höhe von 292,07 EUR, ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 EUR, Standgeld in Höhe von 261,80 EUR, Beerdigungskosten in Höhe von 5.992,32 EUR sowie eine allgemeine Unkostenpauschale in Höhe von 25 EUR. Hierauf haben die Beklagten einen Teilbetrag von 7.000 EUR bezahlt.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
1. an die Klägerin 15.768,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. die Klägerin von den vorprozessualen Gebührenansprüchen ihrer Rechtsanwälte in Höhe von 899,40 EUR freizustellen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben behauptet, der Beklagte zu 1) habe sein Fahrzeug am Fahrbahnrand angehalten und sich nach rechts und links hin vergewissert, dass er frei fahren könne. Zu diesem Zeitpunkt habe er das Fahrzeug des Geschädigten nicht gesehen. Zur Kollision sei es erst gekommen, nachdem er während des Wendevorgangs bereits über die mittlere Fahrspur mit dem Zugfahrzeug hinausgefahren sei. Der Ehemann der Klägerin sei mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren und nicht angeschnallt gewesen.
Das Landgericht hat die Beklagten hinsichtlich der Sachschäden auf der Grundlage einer Haftungsquote von einem Drittel zu zwei Dritteln zum Nachteil der Beklagten, hinsichtlich der Personenschäden auf hälftiger Haftungsgrundlage zur Zahlung von 7.023,25 EUR nebst anteiliger Freistellung von den Gebührenansprüchen verurteilt.
Hiergegen wenden sich die Parteien mit ihren Berufungen. Die Klägerin verfolgt ihr erstinstanzliches Klagebegehren im abgewiesenen Umfang weiter und vertritt die Auffassung, dass dem Beklagten zu 1) ein besonders grobes Verschulden vorzuwerfen sei, da er nicht nur gegen die Sorgfaltspflichten beim Wenden verstoßen habe, sondern zudem mit einem Anhänger gewendet habe. Demgegenüber sei dem Geschädigten eine Geschwindigkeitsüberschreitung nicht nachgewiesen worden. Auch eine falsche Reaktion könne dem Geschädigten nicht angelastet werden.
Die Klägerin beantragt,
1. unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 15.768,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.10.2010 zu zahlen;
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Klägerin von den Gebührenansprüchen ihres Prozessbevollmächtigten in Höhe von 899,40 EUR abzüglich bereits gezahlter 658,31 EUR freizustellen;
3. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagten beantragen,
1. die Klage unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 9. September 2013 – 12 O 282/10 – abzuweisen;
2. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagten vertreten die Auffassung, dass sich die Haftung des Geschädigten an der Entstehung des Sachschadens auf mindestens 60 %, an der Entstehung der Personenschäden auf mindestens 80 % belaufe. Denn der Geschwindigkeitsverstoß sei für den Unfall mitursächlich geworden. Das Landgericht habe die Aussage der Zeugin F. nicht hinreichend berücksichtigt.
Soweit der Sachverständige Konstellationen aufgezeigt habe, nach denen auch bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit von 50 km/h der Unfall nicht hätte vermieden werden können, seien diese Konstellationen nicht wahrscheinlich. Ein Ursachenzusammenhang zwischen der Fahrweise des Geschädigten und dem hiesigen Unfallereignis sei nicht von der Hand zu weisen. Der Wendevorgang wäre längst beendet gewesen, wenn der Geschädigte seinen Pkw nicht „wie bei der Formel 1“ beschleunigt hätte.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen. Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll (GA II Bl. 376 ff.) Bezug genommen.
II.
A.
Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg, da die angefochtene Entscheidung weder auf einem Rechtsfehler beruht noch die gem. § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine abweichende Entscheidung rechtfertigen (§ 513 ZPO).
Beide Rechtsmittel wenden sich ausschließlich gegen die Haftungsabwägung des Landgerichts.
1. Das Landgericht ist von zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen:
Gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG hängt im Verhältnis der beteiligten Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursacherbeiträge sind nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d. h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (BGH, Urt. v. 21.11.2006 – VI ZR 115/05, NJW 2007, 506; Urt. v. 27.6.2000 – VI ZR 126/99, NJW 2000, 3069; Hentschel/König/Dauer, 42. Aufl., § 17 StVG Rdnr. 5). Hierbei ist es im Regelfall ohne Belang, ob die Halter die unfallbeteiligten Fahrzeuge selbst gefahren haben, da die Verantwortungsbeiträge von Halter und Fahrer zu einer einheitlichen Haftungs- bzw. Zurechnungseinheit verschmelzen (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl., § 17 Rdnr. 5).
2. Mit zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht den Beklagten einen Sorgfaltsverstoß gem. § 9 Abs. 5 StVO vorgeworfen:
Der Wendende muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderungen hat der Beklagte zu 1) nicht gewahrt. Hierbei steht der Sorgfaltsverstoß schon aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme fest, ohne dass es darauf ankommt, den Anscheinsbeweis zu bemühen: Da sich der Unfall noch während des Wendemanövers ereignete, steht die objektive Gefährdung der Verkehrsteilnehmer durch das Wendemanöver fest. Auch in subjektiver Hinsicht kann sich der Beklagte zu 1) nicht entlasten: Nach den Feststellungen des Sachverständigen E. (S. 26 des Gutachtens; GA I Bl. 66) betrug die Sichtweite des Beklagten zu 1) ca. 190 m. Dennoch hat der Beklagte zu 1) in seiner Anhörung ausgesagt, dass er das Fahrzeug des Geschädigten „zu keinem Zeitpunkt“ gesehen habe. Dies belegt mit hinreichender Klarheit, dass er den herannahenden Verkehr weder vor dem Anfahren noch während des Wendevorgangs mit der gebotenen Sorgfalt beachtete.
3. Darüber hinaus ist für die Bestimmung der Haftungsquote von Relevanz, dass der Beklagte zu 1) auch die Sorgfaltsanforderungen des § 10 StVO nicht wahrte: Da der Beklagte zu 1) den Wendevorgang nicht von der Fahrbahn aus, sondern vom Fahrbahnrand einleitete (nach seiner Aussage stand das Gespann mit allen vier Rädern auf dem Gehweg; GA I Bl. 186 d. A.), waren die Vorgaben des § 10 StVO einzuhalten. Gemäß § 10 StVO hat sich derjenige, der vom Fahrbahnrand anfahren will, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Gegen diese Verkehrsvorschrift hat der Beklagte zu 1) nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nachweislich verstoßen: Der Unfall ereignete sich in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit einem Anfahrvorgang. Dies belegt, dass der Beklagte zu 1) dem Gebot, nur dann anzufahren, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, objektiv zuwider handelte. Auch in subjektiver Hinsicht ist der Fahrlässigkeitsvorwurf bewiesen: Ausschlaggebend ist, dass der Beklagte zu 1) den Geschädigten überhaupt nicht wahrgenommen haben will, obwohl das Fahrzeug bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt nicht zu übersehen gewesen wäre.
4. Soweit das Landgericht der Klägerin ein unfallursächliches Verschulden im Wege des Anscheinsbeweises zugerechnet hat, begegnen der Entscheidung durchgreifende Bedenken.
a) Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen streitet der Anscheinsbeweis dafür, dass ein auf ein vorausfahrendes Fahrzeug auffahrender Hintermann entweder zu schnell oder nicht aufmerksam fuhr (Nachweise bei Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 4 StVO Rdnr. 35 ff.). Dieser Anscheinsbeweis ist gleichermaßen anwendbar, wenn das vordere Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision zum Stehen kam oder – wie beim Wenden – sich queraxial zur Fahrbahn fortbewegte. Diese Rechtsgrundsätze beruhen auf der empirischen Erfahrungstatsache, dass ein Fahrer, der mit hinreichendem Sicherheitsabstand und Aufmerksamkeit fährt, auch bei unerwarteten Fahrmanövern eines vor ihm befindlichen Fahrzeugs, das er rechtzeitig wahrnehmen kann, Gefahr vermeidend reagiert.
b) Diese empirische Typizität ist nicht nachgewiesen, wenn sich ein Unfall im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Anfahrvorgang ereignet: Da der Verkehr an einem anhaltenden oder abgestellten Fahrzeug vorbeifahren darf, muss der Verkehr seine Geschwindigkeit nicht danach ausrichten, noch vor dem abgestellten Fahrzeug anhalten zu können. Vielmehr wird der fließende Verkehr den Sicherheitsabstand zwingend bis auf null verringern. Ereignet sich ein Unfall demnach im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Anfahrvorgang, ist – gewissermaßen mit umgekehrter Blickrichtung – regelmäßig der Schluss erlaubt, dass der Anfahrende seinerseits die ihm aus § 10 StVO obliegenden Sorgfaltsanforderungen missachtete (Senat MDR 2003, 506; OLG Köln, NJW-RR 2012, 540; OLG Celle NJW-RR 2003, 1536; Hentschel/König/Dauer, aaO, § 10 StVO Rdnr. 11).
5. Kann ein unfallursächliches Verschulden des Geschädigten nicht im Wege des Anscheinsbeweises festgestellt werden, so erlaubt das Ergebnis der Beweisaufnahme dennoch den Schluss, dass der Geschwindigkeitsverstoß des Geschädigten zumindest für den Umfang der entstandenen Schäden ursächlich geworden ist. Dies reicht aus, um den Geschwindigkeitsverstoß im Rahmen der Haftungsabwägung zu gewichten.
a) Allerdings hat sich das Landgericht frei von Rechtsfehlern außerstande gesehen, die volle richterliche Überzeugung zu gewinnen, dass das Unfallereignis als solches bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h vermieden worden wäre.
aa) Ein Geschwindigkeitsverstoß wird zum einen dann ursächlich für den Schadensfall, wenn der Unfall bei Einhaltung der zulässigen vermieden worden wäre (Senat, MDR 2005, 1287; BGH, Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 161/02, NJW 2003, 1929). Davon ist bezogen auf den Sachverhalt der vorliegenden Entscheidung dann auszugehen, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug noch hätte rechtzeitig abbremsen können, falls er zum Zeitpunkt der Reaktionsaufforderung mit 50 km/h gefahren wäre.
aaa) Diese hypothetische Fragestellung ist im Regelfall nicht im Wege des Zeugenbeweises zu klären: Ein Zeuge kann bestenfalls eine Aussage dazu machen, wie schnell ein Fahrzeug tatsächlich fuhr. Selbst wenn man zugunsten der Beklagen unterstellt, dass der Geschädigte zum Zeitpunkt der Reaktionsaufforderung mit 105 km/h (dem vom Sachverständigen Dr. P. P. ermittelten Maximalwert) fuhr, ist damit noch nicht zugleich nachgewiesen, dass der Unfall vermieden worden wäre, wenn der Geschädigte zum Zeitpunkt der Reaktionsaufforderung nur 50 km/h fuhr.
bbb) Die Frage nach der Vermeidbarkeit des Unfalls hat der Sachverständige auf S. 21 seines Gutachtens (Bl. 134 d. A.) beantwortet und ausgeführt, dass eine Vermeidbarkeit des Unfalls nicht sicher festgestellt werden könne.
Die auf derselben Seite des Gutachtens vorgetragene Feststellung, wonach „bei höheren Annäherungsgeschwindigkeiten (zum Beispiel auch 71-105 km/h) allerdings in jedem Fall von einer Vermeidbarkeit bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 50 km/h auszugehen sei“, hat einen anderen tatsächlichen Anknüpfungspunkt im Blick: Der Sachverständige wollte ersichtlich zum Ausdruck bringen, dass der Kläger eine längere Zeit benötigt hätte, um die Stelle zu erreichen, an der der Beklagte zu 1) zum Wenden angesetzt hatte.
Diese Betrachtung verfehlt den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt: Die zeitliche und räumliche Vermeidbarkeit ist zum Zeitpunkt des Eintritts der Gefahrenlage zu beurteilen und nicht danach, wie weit die Fahrzeuge voneinander entfernt gewesen wären, wenn der Unfallbeteiligte zu einem fiktiven früheren Zeitpunkt mit einer niedrigeren Geschwindigkeit gefahren wäre. Der Umstand, dass das Fahrzeug bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit erst später am Unfallort gewesen wäre, findet nur dann Beachtung, wenn die Vermeidbarkeit im zeitlichen Intervall zwischen dem Eintritt der kritischen Lage und dem Unfallereignis nachgewiesen ist (st. Rspr. BGH, Urt. v. 26.4.2005 – VI ZR 228/03, NJW 2005, 1940; Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 784 f.; Hentschel/König/Dauer, aaO, § 3 StVO Rdnr. 66; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 3 StVO Rdnr. 75).
bb) Ein Geschwindigkeitsverstoß kann zum anderen auch dann unfallursächlich werden, wenn der Schaden zwar nicht gänzlich vermieden, die Unfallfolgen bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit aber wesentlich geringer ausgefallen wären.
aaa) Es reicht demnach aus, wenn der Verkehrsverstoß auf der Ebene der haftungsausfüllenden Kausalität für die Höhe des entstandenen Schadens ursächlich geworden ist (Hentschel/König/Dauer, aaO, Einleitung Rdnr. 102). Davon ist bei der Verursachung von Personenschäden dann auszugehen, wenn es zu einer deutlichen Abmilderung des Unfallverlaufs und der dabei erlittenen Verletzungen gekommen wäre (BGH, NJW 2005, 1940; Urt. v. 18.11.2003 – VI ZR 31/02, NJW 2004, 187; KG, MDR 2006, 1377; vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2002 – VI ZR 180/01, VersR 2002, 911, 912; Urt. v. 10.10.2000 – VI ZR 268/99, VersR 2000, 1556, 1557; Urt. v. 27.6.2000 – VI ZR 126/99, NJW 2000, 3069).
bbb) Diese Erwägungen versagen der Erstberufung den Erfolg:
Das Landgericht hat nach Auswertung des Sachverständigengutachtens festgestellt, dass es bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit zu einer in ihrer Krafteinwirkung deutlich geminderten Berührung der Fahrzeuge gekommen wäre (Urt. S. 12). Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. P. erlauben darüber hinaus den Schluss, dass das Ausmaß der erlittenen Schäden bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit nachweislich deutlich geringer ausgefallen wäre:
Der Sachverständige Dr. P. hat auf Seite 22 seines Gutachtens (GA I Bl. 135) errechnet, dass bei einer unterstellten Geschwindigkeit des Geschädigten von 50 km/h die maximale Anprallgeschwindigkeit nur bei 17 km/h gelegen hätte. Dies hätte nur rund einem Drittel der geschätzten tatsächlichen Kollisionsgeschwindigkeit entsprochen. Es ist daher nicht erfahrungswidrig anzunehmen, dass sowohl der entstandene Sach- als auch der Personenschaden aufgrund der erheblich geringeren Kollisionsenergie wesentlich geringer ausgefallen wären. Damit ist die Kausalität des Geschwindigkeitsverstoßes nachgewiesen.
6. Bei der Gewichtung der Haftungsanteile ist es nicht sachwidrig, den Geschwindigkeitsverstoß unter Einbeziehung der Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs mit einem Drittel zum Nachteil zu gewichten. Bei der gegebenen Sachlage ist eine weitere Aufklärung, wie sich der Schadensfall bei hypothetischer Kollisionsgeschwindigkeit von 17 km/h exakt ereignet hätte, mit zumutbarem forensischem Aufwand nicht zu klären. Es erscheint daher sachgerecht, den Verursacherbeitrag durch Anrechnung einer Quote über alle Schadenspositionen zu pauschalieren (ebenso KG, MDR 2006, 810). Eine höhere Gewichtung ist nicht veranlasst, da die Beklagten wegen des Verstoßes gegen § 10 und § 9 Abs. 5 StVO die strengsten Sorgfaltsmaßstäbe zu wahren hatten (beide Fahrmanöver dürfen nur ausgeführt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist). Mithin war der Haftungsanteil der Beklagten deutlich stärker zu gewichten.
Soweit das Landgericht hinsichtlich der Personenschäden einen weiteren unfallursächlichen Verstoß gegen § 21a Abs. 1 StVO berücksichtigt hat, lässt dies keine Rechtsfehler erkennen.
7. Zur Schadensberechnung im Übrigen tragen die Beteiligten keine Einwendungen vor, weshalb auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen wird.
Zusammenfassend bleiben beide Rechtsmittel ohne Erfolg.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).