OLG Frankfurt
Az:
Urteil vom 30.10.2001
In dem Rechtsstreit hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. Oktober 2001 für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 08. Januar 2001 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 47.500.- DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 23.3.1998 zu zahlen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen; die Klage wird im übrigen abgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist mit 47.500.- DM beschwert.
Von der Darstellung- und Streitstandes wird gemäß § 543 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin hat bis auf einen Teil des geltend gemachten Zinsanspruchs auch Erfolg. Der Klägerin steht ein Anspruch auf bedingungsgemäße Entschädigung aus dem Unfallereignis vom 18.12.1997 gemäß § 398 BGB in Verbindung mit §§ 1, 49 VVG, in weiterer Verbindung mit §§ 12, 13 AKB gegen die Beklagte zu. Die Klägerin kann als Rechtsnachfolgerin des Versicherungsnehmers der Beklagten Zahlung in Höhe des unstreitigen Wiederbeschaffungswertes des bei dem Unfall total beschädigten versicherten Fahrzeuges beanspruchen (§ 13 Nr. 1 AKB).
Der Anspruch der Klägerin ist nicht nach § 404 BGB in Verbindung mit § 61 VVG ausgeschlossen, da von einer Leistungsfreiheit der Beklagten aufgrund eines unfallursächlichen grob fahrlässigen Verhaltens des Versicherungsnehmers bei der Unfallverursachung nicht ausgegangen werden kann. Der Senat kann es offen lassen, ob der in § 61 VVG enthaltene Risikoausschluss schon deshalb nicht eingreift, weil nicht eine willensgetragene Handlung des Versicherungsnehmers bei dem schließlich zum Totalschaden des versicherten Fahrzeuges führenden Verkehrsvorgang vorgelegen hatte. Ob der Versicherungsnehmer zu diesem Zeitpunkt eine Bewusstseinsstörung oder eine Bewusstlosigkeit erlitten hatte, so dass keine für die Begründung des Risikoausschlusses gemäß § 61 VVG erforderlich willensgetragene Handlung vorlag, kann auf sich beruhen, da auch dann, wenn das Vorliegen einer Handlung in natürlichem Sinne angenommen wird, der Befreiungstatbestand des § 61 VVG zugunsten der Beklagten nicht eingreift. Auch bei Zugrundelegung der Annahme einer willensgetragenen Handlung des Versicherungsnehmers unmittelbar vor dem Unfallereignis kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Ehemann der Klägerin den Verkehrsunfall grob fahrlässig herbeigeführt hat. Hiervon wäre auszugehen gewesen, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt durch ein auch subjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten objektiv in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen, das nicht beachtet hätte, was in der konkreten Situation jedem Autofahrer hätte einleuchten müssen (vgl. BGH Z 10, 16; BGH NJW 1980, 888; BGH NJW 1988, 1266; OLG Hamm Versicherungsrecht 1997, 961). Der Senat geht davon aus, daß eine objektive unfallursächliche grob fahrlässige Verhaltensweise nicht aufgrund der von dem Ehemann der Klägerin eingehaltenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h an der Unfallstelle angenommen werden kann. Bei einer dem Ehemann der Klägerin jedenfalls anzulastenden Geschwindigkeit von 95 km/h hatte er zwar die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 90 % überschritten. Der Senat vermag sich auch nicht in der Auffassung der Klägerin anzuschließen, von einer objektiv grob fahrlässigen Verhaltensweise könne nur dann ausgegangen werden, wenn der Versicherungsnehmer eine Geschwindigkeitsüberschreitung von wenigstens 100 % erreicht habe. Der hierzu von der Klägerin angeführte Fall (OLG München zfs 1983, 150) stellt keine in der Rechtsprechung durchgehaltene Richtlinie dar, da die Rechtsprechung es stets vermieden hat, sich auf feste Prozentsätze hinsichtlich der Annahme einer groben Fahrlässigkeit bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit festzulegen, sondern stets auf den Einzelfall abgestellt hat. Es leuchtet ein, daß eine etwaige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit je nach Ausbauzustand und sonstigen Verkehrsverhältnissen als grob fahrlässig zu bewerten ist, so dass das Abstellen auf die Geschwindigkeitsüberschreitung allein den Besonderheiten des einzelnen Falles nicht gerecht wird (vgl. auch OLG Köln r + s 1994, 443; OLG Koblenz OLGR 2000, 58 = Versicherungsrecht 2000 720; OLG Karlsruhe NZV 1994, 443). Die danach erforderliche Würdigung der Besonderheiten der Straßenführung vor dem Unfallort rechtfertigt die Beurteilung, daß eine objektiv grob fahrlässige Herbeiführung des Unfalls durch den Ehemann der Klägerin nicht vorlag. Da die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erst 93 Meter vor der Unfallstelle angeordnet war, verblieben dem Ehemann der Klägerin ca. 3,5 Sekunden zum Herabsetzen seiner bis dahin eingehaltenen Geschwindigkeit, so dass die unterbliebene Herabsetzung der Geschwindigkeit bis zu dem Unfallort schon objektiv gesehen nicht das in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht ließ, was in der konkreten Situation jedem Autofahrer hätte einleuchten müssen. Hierfür spricht auch der Umstand, daß bis 93 Meter vor der Unfallstelle und bis zu dieser die von dem Ehemann der Klägerin befahrene Straße autobahnähnlich ausgebaut war, gerade verlief und erst nach der Unfallstelle eine Verengung und absehbare Steigerungen des Verkehrsaufkommens auftrat. Bei dieser Sachlage lag zwar ein fahrlässiges Verhalten des Ehemannes der Klägerin vor, das aber noch nicht ein Ausmaß erreicht hatte, das eine besonders große Abweichung von dem geschuldeten Standard aufwies.
Da die Höhe des Wiederbeschaffungswertes zwischen den Parteien unstreitig ist, ist gemäß § 13 Nr. 1 AKB der in dem von der Beklagten eingeholten Gutachten ausgewiesene Betrag als Entschädigungsbetrag anzusetzen. Zinsen kann die Klägerin deshalb nur in zugesprochener Höhe beanspruchen, da die Beklagte die Inanspruchnahme von Bankkredit zu dem behaupteten Zinssatz bestritten hat und die Klägerin hierfür Beweis nicht angetreten hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Bemessung der Beschwer orientiert sich am Ausmaß des Unterliegens der Beklagten in der Berufung.