Oberlandesgericht Jena – Az.: 2 U 281/14 – Urteil vom 17.09.2014
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts E vom 24.03.2014, Az. 8 O 837/13, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Nummer 1 genannte Urteil des Landgerichts E ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Von der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird nach § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. In der Sache bleibt das Rechtsmittel jedoch ohne Erfolg. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung (§ 823 BGB) zu. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Beklagte der Klägerin nicht für das Unfallereignis vom 04.12.2012 haftet.
1. Unstreitig ist die Klägerin durch den Zusammenstoß mit dem Beklagten auf der Eisfläche zu Fall gekommen und hat sich dabei am rechten Handgelenk und am rechten Ellenbogen verletzt. Von daher war das Schlittschuhlaufen des Beklagten ursächlich für den Sturz der Klägerin und die dadurch bedingte Körperverletzung.
2. Die Klägerin hat jedoch nicht den ihr obliegenden Beweis erbracht, dass der Beklagte den Unfall schuldhaft herbeigeführt hat, wie es eine Haftung aus § 823 BGB voraussetzt.
a) Als Anspruchstellerin trägt die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Beklagte ihren Körper vorsätzlich oder fahrlässig verletzt hat (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.1982 – VI ZR 148/80 -, juris Rn. 12). Die Klägerin vertritt die Auffassung, der Beklagte habe den Zusammenstoß fahrlässig herbeigeführt.
b) Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB). In Ermangelung genauerer Spielregeln oder Absprachen über die Art der Durchführung des Eislaufs richtet sich der Umfang der anzuwendenden Sorgfalt nach dem Maß an Umsicht und Rücksichtnahme, die beim Eislaufsport von gewissenhaften und besonnenen Sportlern angewandt wird. Der sich von hinten annähernde, schnellere Eisläufer ist gegenüber dem vor ihm Fahrenden nicht bevorrechtigt. Er ist verpflichtet, die vor ihm Laufenden genau zu beobachten und beim Überholen seine Fahrweise, vor allem seine Geschwindigkeit, den aktuellen Erfordernissen anzupassen und einen hinreichenden Seitenabstand einzuhalten (BGH, a.a.O.). Bei Eisporthallen mit vielen Schlittschuhläufern dürfen die Anforderungen an den erforderlichen Seitenabstand dabei allerdings nicht überzogen werden, da ansonsten ein Überholen unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten überhaupt nicht mehr zulässig wäre (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.06.1994 – 10 U 217/93 -, juris Rn. 6; Lange/Schmidbauer, in: jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 823 Rn. 112 „Eislauf“).
c) Die Klägerin begründet ihren Fahrlässigkeitsvorwurf damit, dass der Beklagte ihr von hinten in die Beine gefahren sei, weil er sie zügig und mit zu geringem Seitenabstand überholt habe und zudem unachtsam gewesen sei, weil er – besonders gefahrerhöhend – in einer Kurve eine Drehung versucht habe, wobei er über eine gewisse Fahrstrecke hin nicht die vor ihm laufenden Eisläufer habe beobachten können. Der Beklagte bestreitet den zu geringen Seitenabstand und behauptet, die Klägerin ihrerseits sei für den Zusammenstoß verantwortlich, da sie – von der äußeren Bande der Eislaufbahn kommend – schräg in die Fahrbahn des Beklagten hineingefahren sei.
Dieser Vortrag ist zulässig. Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass er berechtigt ist, entsprechend vorzutragen. Die Behauptung einer nur vermuteten Tatsache im Prozess ist nur dann unzulässig, wenn die Partei sie ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue“ hinein aufstellt, wobei bei der Annahme einer solchen Willkür Zurückhaltung geboten ist. In der Regel kann nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte es rechtfertigen, von Willkür in diesem Sinne auszugehen (BGH, Urteil vom 25.04.1995 – VI ZR 178/94 -, NJW 1995, 2111, 2112). Diese Schwelle ist vorliegend nicht überschritten.
d) Die Grundsätze des Anscheinsbeweises kommen vorliegend nicht zugunsten der Klägerin zum Tragen. Dieser prima facie-Beweis greift bei Vorgängen ein, die so typisch und häufig sind, dass man dem ersten Anschein nach auf eine bestimmte Ursache oder Wirkung schließen darf. Die Annahme eines solchen typischen Geschehensablaufs erfordert die Feststellung eines allgemeinen Erfahrungssatzes als einer aus allgemeinen Umständen gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerung. „Typizität“ bedeutet dabei zwar nicht, dass die Verkettung bei sämtlichen Sachverhalten der betreffenden Fallgruppe zwingend immer vorhanden ist. Sie muss jedoch so häufig vorkommen, dass die Wahrscheinlichkeit, einen derartigen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BGH, Urteil vom 05.11.1996 – VI ZR 343/95 -, NJW 1997, 528, 529). Dementsprechend reicht es nicht, wenn bei mehreren Möglichkeiten die eine Möglichkeit lediglich wahrscheinlicher ist als die andere (BGH, Urteil vom 17.02.1988 – IV a ZR 277/86 -, NJW-RR 1988, 789, 790). Bei der Anwendung des Anscheinsbeweises ist grundsätzlich Zurückhaltung geboten, da er es gestattet, bei typischen Geschehensabläufen auf Grund allgemeiner Erfahrungssätze auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten zu schließen, ohne dass im konkreten Fall die Ursache bzw. das Verschulden festgestellt wird. Ob der betreffende Sachverhalt im oben genannten Sinne typisch ist, kann deshalb nur aufgrund einer umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden, die sich aus dem unstreitigen Parteivortrag und den getroffenen Feststellungen ergeben (BGH, Urteil vom 13.12.2011 – VI ZR 177/10 -, NZV 2012, 123).
Speziell für das Schlittschuhlaufen hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass nicht schon der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des überholenden Schlittschuhläufers spricht. Kommt es zu einem Zusammenprall zwischen einem Überholenden und dem vor ihm fahrenden Schlittschuhläufer, liegt die Ursache für die Kollision nicht typischerweise im Verhalten des Überholenden, sei es, dass er vorwerfbar einen zu geringen Seitenabstand eingehalten, zu schnell gefahren oder dem Verhalten des Voranfahrenden nicht die gebotene Aufmerksamkeit gewidmet hat. Vielmehr gibt es noch andere denkbare Fallgestaltungen, wie es zu dem Unfall gekommen sein kann, etwa eine plötzlich durchgeführte erhebliche Änderung der Laufrichtung des Voranfahrenden (BGH, Urteil vom 13.07.1982 – VI ZR 148/80 -, juris Rn. 12). Aus diesen Erwägungen heraus hat sich auch das Oberlandesgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 09.06.1994 – 10 U 217/93 -, juris Rn. 8, dagegen ausgesprochen, den Anscheinsbeweis im Falle des Zusammenstoßes von zwei Eisläufern anzuwenden.
Dem schließt sich der Senat an. Da es im vorliegenden Fall nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass die Klägerin – wie beklagtenseits zulässigerweise behauptet – schräg in die Fahrbahn des Beklagten hineingefahren ist, fehlt es an der für die Anwendung des Anscheinsbeweises erforderlichen Typizität. Dass es wahrscheinlicher ist, dass sich der Zusammenstoß infolge eines zu geringen Seitenabstandes des Beklagten und einer infolge der Drehbewegung unzureichenden Beobachtung der sich vor dem Beklagten bewegenden Schlittschuhläufer ereignete als aufgrund einer Änderung der Laufrichtung der Klägerin, genügt aus den oben genannten Gründen nicht, um von einem Anscheinsbeweis ausgehen zu können.
e) Die Klägerin hat den ihr obliegenden Beweis nicht erbracht, dass der Beklagte den Unfall fahrlässig verursacht hat. Vielmehr ist nach der am 06.02.2014 vom Landgericht vorgenommenen Beweisaufnahme offen geblieben, wie es zu dem Zusammenstoß gekommen ist.
Wie bereits die Kammer im angefochtenen Urteil ausgeführt hat, konnte der Zeuge S, der Ehemann der Klägerin, den konkreten Unfallhergang nicht genau beschreiben. Zwar hat er sich zunächst dahingehend geäußert, dass er, im Außenbereich stehend, seine Frau im Abstand von etwa 20 Metern beobachtet habe, dann alles sehr schnell gegangen und der Beklagte „plötzlich […] von hinten, vielleicht auch etwas seitlich, in [seine] Frau hinein gefahren“ sei . Andererseits jedoch hat er bekundet, er könne das nicht mehr genau schildern, er habe „offensichtlich zu weit weg“ gestanden. Er hat auch nicht sagen können, ob der Beklagte „vorwärts oder rückwärts gefahren ist“. Soweit er sich dahingehend geäußert hat, ihm sei der Beklagte vor dem Zusammenstoß ins Auge gefallen, da er zum einen sehr auffällig bekleidet gewesen sei und zum anderen „sehr rasant und auffällig“ gefahren, „z.B. stehende Mitläufer oder auf der Eisfläche befindliche Eisläufer als sogenannte Pylonen benutzt“ habe, kommt dem für die konkrete Unfallverursachung keine entscheidende Bedeutung zu. Zwar legt diese Darstellung die Vorstellung nahe, dass dem Beklagten infolge der vom Zeugen S geschilderten forschen Fahrweise leicht Fahrfehler unterlaufen können, jedoch handelt es sich dabei lediglich um mögliche Risiken. Entscheidend ist jedoch, dass der Zeuge S genauere Angaben zum eigentlichen Unfallhergang nicht machen konnte.
Der Zeuge S hat auch nicht die in der Klageschrift aufgestellte Behauptung bestätigt, der Beklagte habe sich vor Ort bei der Klägerin entschuldigt. Zunächst hat der Zeuge S gegenüber dem Landgericht zwar bekundet, der Beklagte habe ihm gegenüber „im Zusammenhang mit Aufnahme der persönlichen Daten“ erklärt, „dass es ihm leid tue“, sich der Beklagte zum Unfallgeschehen jedoch nicht geäußert habe. Der Zeuge S hat dann jedoch seine Aussage dahingehend berichtigt, sich nicht mehr genau an die Äußerung des Beklagten erinnern zu können. Unabhängig davon bedeutet ein „Leid tun“ nicht zwangsläufig eine Entschuldigung. Vielmehr kann mit dieser Formulierung genauso gut zum Ausdruck gebracht werden, dass der Verletzte einem Leid tut, ohne damit die Verantwortung für das Unfallereignis übernehmen zu wollen. Das gilt umso mehr, wenn man sich zum Unfallgeschehen gar nicht äußert.
Die Aussage der Zeugin K ist unergiebig, denn sie hat den unmittelbaren Sturz und wie es zu dem Zusammenprall kam, nicht wahrgenommen. Ihr war die Sicht durch den Getränkestand versperrt. Auch die Zeugin K hat bekundet, dass ihr der Beklagte vor dem Unfall aufgrund seiner auffälligen Kleidung und seines zügigen Überholens aufgefallen sei, jedoch ist dies – wie bereits oben ausgeführt – für die Beurteilung des eigentlichen Unfallgeschehens nicht ausschlaggebend. An einen Wortwechsel nach dem Sturz der Klägerin konnte sich die Zeugin nicht erinnern.
Auch die Aussage des Zeugen B ist unergiebig. Er hat eingeräumt, schwerpunktmäßig auf sich selbst konzentriert gewesen zu sein und deshalb nur „allgemein Personen wahrgenommen“ zu haben. Er hat die Klägerin vor dem Unfall nicht wahrgenommen. Sicher konnte er lediglich beschreiben, dass sich der Beklagte, der etwa 2 bis 3 Meter vor ihm gefahren sei, in der Kurve gedreht und dann rückwärts gefahren sei. Das Ganze habe aber nur ganz kurze Zeit gedauert, weil es dann bereits zum Zusammenstoß gekommen sei.
f) Da die Klägerin nicht nachweisen konnte, dass der Beklagte den Unfall fahrlässig verursacht hat, kommt es nicht darauf an, ob – wie das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung angenommen hat – bei einem Zusammenstoß von Eisläufern hinsichtlich der Sorgfaltsanforderungen ein gemilderter Haftungsmaßstab gilt, der an sich nur bei Kampfsportarten angenommen wird (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 16.01.1990 – 7 U 110/89 -, NJW-RR 1990, 925, 926).
Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsmittels zu tragen, da ihre Berufung keinen Erfolg hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nicht gegeben. Die vorliegende Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.