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Haftung des Leasingnehmers und Halters bei einem Verkehrsunfall

AG Aurich – Az.: 12 C 271/18 – Urteil vom 18.02.2019

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.862,48 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.05.2018 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 132,60 € an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

3. Der Drittwiderbeklagte wird verurteilt, die Beklagte von allen Ansprüchen freizustellen, die über den auf sie entfallenden und regulierten Haftungsanteil von 1.862,48 € nach einer Schadensquote von 50:50 zuzüglich hierauf gezahlter vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten hinausgehen, freizustellen.

4. Die Gerichtskosten tragen die Beklagte und der Drittwiderbeklagte jeweils zu 50%. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt der Drittwiderbeklagte zu 50%. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

5. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110%, des jeweils zu vollstreckenden Betrages, für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.050,00 € vorläufig vollstreckbar.

6. Der Wert des Streitgegenstandes wird festgesetzt auf 3.724,96 €.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, welcher sich am … in … ereignete.

Die Klägerin ist Eigentümerin und Leasinggeberin des am Unfall beteiligten Fahrzeuges PKW, Halter und Leasingnehmer ist der Drittwiderbeklagte. Bei der Beklagten ist das ebenfalls an dem Unfall beteiligte Fahrzeug PKW, amtl. Kennzeichen … , pflichtversichert, die Zeugin … hat das Beklagtenfahrzeug geführt.

Gegen 16:30 Uhr parkten beide Fahrzeuge rückwärts aus gegenüberliegenden Parktaschen aus. Es kam zur Kollision. Am klägerischen Fahrzeug entstand ein Schaden in Höhe von 3.724,96 € (Reparaturkosten: 2.445,46 €, Nutzungsausfall: 118,00 €, Wertminderung 350,00 €, Sachverständigenkosten 786,50 €, Unkostenpauschale: 25,00 €). Die Beklagte regulierte den Schaden gegenüber der Klägerin unter Berücksichtigung einer Haftungsquote von 50% und zahlte an diese 1.862,48 €. Auf außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 347,60 € zahlte die Beklagte 215,00 €.

Die Klägerin behauptet: Der Drittwiderbeklagte habe bereits zu 2/3 ausgeparkt, als das Beklagtenfahrzeug schnell rückwärts ausparkte. Er habe auf die Bremse getreten, das Beklagtenfahrzeug sei aber ungebremst in das klägerische Fahrzeug hineingefahren.

Die Klägerin meint, dass ihr als nichthaltende Leasinggeberin gegenüber eine Haftungsquote nach § 17 StVG nicht entgegenzuhalten sei. Der Drittwiderbeklagte meint, dass er nicht gesamtschuldnerisch mit der Beklagten der Klägerin gegenüber haften würde.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilten, an die Klägerin 1.862,48 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 132,60 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Widerklagend beantragt die Beklagte, den Drittwiderbeklagten zu verurteilen, die Beklagte von allen Ansprüchen freizustellen, die über den auf sie entfallenden und regulierten Haftungsanteil, das heißt 1.862,48 € nach einer Schadensquote von 50:50 zzgl. hierauf gezahlter vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, hinausgehen.

Der Drittwiderbeklagte beantragt, die Drittwiderklage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet: Beim Ausparkvorgang habe die Zeugin … sich bereits in Schrägstellung befunden und sei im Begriff gewesen, die Fahrgasse in Geradeausfahrt zu verlassen, als das klägerische Fahrzeug ausparkte. Sie habe sofort angehalten, der Drittwiderbeklagte sei in ihr Auto gefahren.

Hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten rügt sie die Aktivlegitimation der Klägerin. Sie bestreitet, dass Zahlungen an den Prozessbevollmächtigten erfolgt seien, sodass ohnehin nur auf Freistellung geklagt werden könne. Sie meint, dass Ansprüche gemäß § 86 VVG an den Versicherer übergegangen seien.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin … . Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.09.2018 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet, die zulässige Widerklage ist ebenfalls begründet.

I.

1.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch gegen die Beklagte gemäß §§ 7, 18 StVG, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 VVG zu.

Unzweifelhaft hat sich der Unfall beim Betrieb der beteiligten Kraftfahrzeuge ereignet. Es kann nicht festgestellt werden, dass es sich bei dem Unfall für einen der beiden Kraftfahrzeugführer um ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG handelte. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (BGHZ 117, 337). Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sog. „Idealfahrers“ (König in: Hentschel/König/Dauer, 41. Aufl., § 17 StVG Rn. 22). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein solcher die Kollision verhindert hätte. Unstreitig ist das im Eigentum der Klägerin stehende Fahrzeug auf dem Parkplatz durch die Versicherungsnehmerin der Beklagten beschädigt worden, der Gesamtschaden beträgt 3.724,96 €.

Im vorliegenden Fall ist keine Haftungsquote nach § 17 StVG zu bilden, insbesondere ist der Klägerin die von ihrem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr nicht zuzurechnen. Diese Vorschrift greift nur, wenn auch der Geschädigte nach den Bestimmungen des StVG haftet (grundlegend BGH NJW 2007, 3120). Dies ist hier nicht der Fall. Die Norm findet auch keine entsprechende Anwendung auf den nichthaltenden Sicherungseigentümer. Es besteht keine planwidrige Regelungslücke. Dem Gesetzgeber ist nach den jüngeren Gesetzgebungsmaterialien nicht zu unterstellen, dass er eine Gleichstellung von Eigentümer und Halter im Rahmen des § 17 StVG beabsichtigte. Dies ergibt sich insbesondere aus dem im Jahr 2002 neugefassten § 17 Abs. 3 S. 3 StVG, der deutlich zwischen Eigentümer und Halter differenziert (vgl. zuletzt BGH NJW 2017, 2352, 2353 mit Anmerkung Herbers; zur Kritik aus der Literatur insbesondere Arbeitskreis III des 57. Deutschen Verkehrsgerichtstages vom 23.–25.01.2019, https://www.deut- scher-verkehrsgerichtstag.de/images/pdf/57KFAKIII.pdf).

Auch ist der Klägerin kein Mitverschulden aus § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB zuzurechnen, denn § 9 StVG setzt ein Verschulden voraus (vgl. BGH NJW 2017, 2352, 2353; Lemcke, r+s 2014, 579; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 9 StVG Rn. 9 b). Ein solches Verschulden hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht nachweisen können. Die Zeugin gab in der mündlichen Verhandlung an, dass sie glaube, dass beide Fahrzeuge gleichzeitig ausgeparkt seien, sie wisse dies aber nicht genau. Ob der Vorwärts- oder der Rückwärtsgang eingelegt war, wisse sie ebenfalls nicht mehr. Der informatorisch angehörte Drittwiderbeklagte gab demgegenüber an, dass die Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges „herausgeschossen“ kam. Mit der Anlage B2 überreichte die Beklagtenseite zudem die Mitteilung der Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges, nach der beide rückwärts herausgefahren seien und nach ihrer Sicht beide den Schaden verursacht hätten.

Die Beklagtenseite hat daher den Beweis nicht führen können, dass der Drittwiderbeklagte gegen seine Pflicht aus § 9 Abs. 5 StVO verstoßen hat.

Aus diesem Grund kann die Klägerin 100% ihres unstreitig entstandenen Schadens in Höhe von 3.724,96 €, welcher durch Zahlung in Höhe von 1.862,48 € bereits gemäß §§ 362, 363, 364 BGB untergegangen ist, von der Beklagten ersetzt verlangen.

2.

Die Klägerin hat weiter einen Anspruch auf Zahlung restlicher außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 132,60 € gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB. Ausgehend von einem zutreffenden Gegenstandswert von bis 4.000,00 € ergibt sich ein Gebührenanspruch in Höhe von 347,60 € (netto). Sofern die Beklagte bestreitet, dass die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten der Klägerin in einer den Anforderungen des § 10 Abs. 1 RVG genügenden Form abgerechnet worden seien, eine Zahlung nicht erfolgt sei und daher insoweit nur ein Anspruch auf Freistellung bestünde und im Übrigen ein Übergang nach § 86 VVG stattgefunden habe und die Klägerin daher nicht aktivlegitimiert sei, ist dies wegen widersprüchlichen Verhaltens unbeachtlich, § 242 BGB. Die Beklagte hat bereits Teilzahlungen auf die Forderung geleistet – in Form einer Zahlung unter Berücksichtigung eines Gegenstandswertes von 1.862,48 € – und damit grundsätzlich anerkannt, dass der Klägerin ein Anspruch auf außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten zusteht.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

II.

Die zulässige Widerklage ist begründet. Der Beklagten steht gegen den Drittwiderbeklagten ein Anspruch auf Freistellung gemäß § 426 Abs. 1 BGB zu.

Der Drittwiderbeklagte und die Beklagte haften der Klägerin für den Verkehrsunfall vom 05.10.2017 im Rahmen einer Gesamtschuld. Während sich die Haftung der Beklagten aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 115 VVG ergibt (s.o.) steht der Klägerin als Leasinggeberin gegen den Drittwiderbeklagten als Leasingnehmer ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. dem zwischen den beiden geschlossenen Leasingvertrag zu.

Sofern der Drittwiderbeklagte einwendet, eine solche Haftung bestehe dem Grunde nach nicht, da ihm eine Pflichtverletzung nicht nachzuweisen sei (s.o.), verkennt er die Vermutung des Vertretenmüssens aus § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Im Gegensatz zur straßenverkehrsrechtlichen Haftung, in denen dem Fahrer des klägerischen Fahrzeuges ein Verschulden nach allgemeinen Grundsätzen durch die Beklagtenseite nachgewiesen werden muss gilt im Bereich der Haftung aus dem Leasingvertrag die Vermutung für ein Verschulden des Drittwiderbeklagten, die dieser wiederlegen muss. Auf Grund der Beweisaufnahme hat der Drittwiderbeklagte dieses vermutete Verschulden nicht widerlegen können.

Den vom Drittwiderbeklagten zitierten Entscheidungen des VI. Senats des Bundesgerichtshofes vom 07.12.2010 (NJW 2011, 996), vom 10.07.2007 (NJW 2007, 3120) sowie vom 07.03.2017 (NJW 2017, 2352) lässt sich entgegen der Ansicht des Drittwiderbeklagten nicht entnehmen, dass eine Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB keine Grundlage habe. Vielmehr hat der VI. Senat festgehalten, dass innerhalb der Tatsacheninstanz keine Pflichtverletzung festgestellt werden konnte. Die Möglichkeit einer Ersatzpflicht aus § 280 BGB hat der Senat indes angesprochen (vgl. BGH NJW 2011, 996, 998 Rn. 13).

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Die notwendige Gleichstufigkeit der Ansprüche für eine Gesamtschuld gemäß § 426 BGB ist gleichfalls gegeben. Der Drittwiderbeklagte haftet nicht bloß subsidiär.

Gemäß § 426 Abs. 1 S. 1 BGB sind der Drittwiderbeklagte und die Beklagte im Verhältnis zueinander zu gleichen Teilen verpflichtet, die Beklagte kann daher die Freistellung von Ansprüchen begehren, die über eine Zahlung von 50% (wie bereits erfolgt) hinausgehen. Der Drittwiderbeklagte kann auch nicht zulässig die Schadenshöhe einfach bestreiten, zumal er selbst das Sachverständigengutachten über die Höhe des Schadens eingeholt hat, welches unstreitig dem Prozess zugrunde liegt. Er wäre gehalten, konkret vorzutragen, weshalb der Schaden in anderer Höhe besteht, als letztlich von ihm selbst behauptet.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 3, 92 Abs. 1, 709 S. 1, 2 ZPO.

 

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