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HWS-Syndrom – Anscheinsbeweis bei Geschwindigkeitsänderung zwischen 6 km/h und 12 km/h?

KG Berlin

Az: 12 U 285/03

Urteil vom 21.11.2005


In dem Rechtsstreit hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. November 2005 für Recht erkannt:

Die Berufung des Klägers gegen das am 9. Oktober 2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 17 des Landgerichts Berlin – 17 O 462/01 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

A Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Allerdings rügt der Kläger zu Recht, dass das Landgericht verpflichtet gewesen wäre, neben dem Gutachten des Sachverständigen für Unfallrekonstruktionen, wonach die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung des klägerischen Fahrzeugs zwischen 6 und 12 km/h gelegen hat, auch das Gutachten eines Mediziners einzuholen.

2. Im Ergebnis bleibt die Berufung des Klägers jedoch erfolglos. Auch nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten ergänzenden Beweisaufnahme hat der Kläger nicht beweisen können, dass er bei dem streitgegenständlichen Unfall die von ihr behaupteten Verletzungen erlitten hat. Aus diesem Grund steht dem Kläger das begehrte Schmerzensgeld nicht zu. Auch ein Anspruch des Klägers auf Ersatz seines Verdienstausfalls und der Behandlungskosten besteht nicht.

a) Für die Frage, ob der Kläger bei dem streitgegenständlichen Unfall die von ihm beklagten Verletzungen (HWS-Schleudertrauma (Distorsion der Halswirbelsäule), Gehirnerschütterung mit Parästhesien in den Endphalangen, eine commotio cerebri mit Dyspnoe und Emesis) erlitten hat, gilt das Beweismaß des § 286 ZPO (vgl. BGH v. 28.1.2003 – VI ZR 139/02, MDR 2003, 566 = BGHReport 2003, 487 = NJW 2003, 1116 = VersR 2003, 474; KG v. 21.10.1999 – 12 U 8303/95, KGReport Berlin 2000, 81 = NJW 2000, 877 [878] m.w.N., st. Rspr.).

b) Ein Anscheinsbeweis für das Vorliegen einer unfallbedingten Verletzung der HWS bzw. einer commotio cerebri greift zu Gunsten des Klägers nicht ein. Dieser könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn bei einem Heckaufprall eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von über 15 km/h bewiesen wäre (KG v. 21.10.1999 – 12 U 8303/95, KGReport Berlin 2000, 81 = NJW 2000, 877; Revision nicht angenommen: BGH, Beschluss v. 23.5.2000 – VI ZR 378/99; vgl. auch KG NZV 2003, 281, st. Rspr.).

Der Kläger hat aber auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. Lnnn vom 26. Februar 2003, dem der Senat folgt, weil es ersichtlich fachgerecht erstellt und in seinem Gedankengang nachvollziehbar schlüssig ist, sowie der ergänzenden Ausführungen diese Sachverständigen lediglich eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von 6 km/h bewiesen. Möglich ist nach den Ausführungen des Sachverständigen eine maximale kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von 12 km/h, die bloße Möglichkeit reicht aber für einen Beweis einer solchen Geschwindigkeitsänderung nicht aus.

c) Durch die medizinischen Gutachten des Sachverständigen für Fachorthopädie Prof. Dr. Cnnn vom 6. Januar 2005 und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie/ Psychotherapie Dr. Unnn vom 29. April 2005 denen der Senat folgt, weil sie ersichtlich fachgerecht erstellt und in ihren Gedankengängen nachvollziehbar schlüssig sind, hat der Kläger einen Ursachenzusammenhang zwischen den von ihm beklagten Gesundheitsbeeinträchtigungen und dem streitgegenständlichen Unfall vom 25. November 2000 nicht bewiesen.

aa) Der Sachverständige Cnnn hat in seinem Gutachten überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass ein HWS-Schleudertrauma sowie Kopf-, Nacken- und Schulterschmerzen bei dem Verkehrsunfall vom 25. November 2000 mit großer Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten sind und dass kein sicherer Hinweis auf eine „Vorschädigung“ aufgrund des Verkehrsunfalls vom 22. März 2000 vorliegt. Der Sachverständige Prof. Cnnn hat in seinem Gutachten den Akteninhalt vollständig und erschöpfend gewürdigt. Er hat den Kläger vor Gutachtenerstellung eingehend untersucht. Er hat sich an die Vorgaben des Gerichts gehalten und sich mit dem Vorbringen des Klägers für das Gericht überzeugend auseinandergesetzt.

bb) Der Sachverständige Unnn hat in seinem Gutachten überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass eine Geschwindigkeitsänderung von 6 km/h mit einem Schädelanprall an eine energieabsorbierende Kopfstütze es mehr als unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass eine Hirnerschütterung eingetreten sein kann.

d) Bei diesem Ergebnis der Beweisaufnahme vermag sich der Senat nicht mit der zu einer Verurteilung erforderlichen Gewissheit davon zu überzeugen, dass der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger bei dem streitgegenständlichen Unfall die von ihm geltend gemachten Verletzungen erlitten hat. Dies würde auch gelten, wenn man der Ansicht des Klägers folgend den Maßstab des § 287 ZPO für einschlägig halten würde. Zwar wäre es hiernach ausreichend, wenn das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung die klägerischen Behauptungen für wahr halten würde. Angesichts der klaren Aussagen der Sachverständigen, wonach die behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen „mit großer Wahrscheinlichkeit“ nicht infolge des Unfalles eingetreten sind bzw. die Ursächlichkeit des Unfalls für die behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen „mehr als unwahrscheinlich“ ist, vermag der Senat auch das für § 287 ZPO erforderliche Maß der Überzeugung nicht zu gewinnen.

Soweit der Kläger in seinem Schriftsatz vom 4. Oktober 2005 ausführt, die Gutachten seien nicht geeignet, „seinen geltend gemachten Anspruch zu bestreiten“, es „verwundere aufgrund des Zeitablaufes nicht, dass durch das Gutachten jetzt eine Erkrankung nicht mehr festgestellt werden könne“, verkennt er die ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast.

Entgegen der Ansicht des Klägers kann auch unter Berücksichtigung der Reparaturkosten von 4.000 DM aus der Schwere der Fahrzeugschäden nicht auf die ihm entstandenen Verletzungen geschlossen werden. Es ist keineswegs unwahrscheinlich, dass ein Fahrzeuginsasse bei einem Unfall nicht verletzt wird, obwohl das Fahrzeug selbst erhebliche Schäden aufweist. Im Übrigen geht es vorliegend nicht um Wahrscheinlichkeiten sondern um einen gemäß den Regeln der ZPO zu führenden Beweis.

e) Der behandelnde Arzt war nicht als Zeuge bzw. sachverständiger Zeuge zu hören, da er hinsichtlich der Ursächlichkeit des Unfalles für die Beschwerden des Klägers keine Aussagen machen kann. Er könnte allenfalls bestätigen, dass der Kläger vor dem Unfall nicht über solche Beschwerden geklagt hat und welche Diagnose er anlässlich seiner Untersuchung nach dem Unfall gestellt bzw. welche Beschwerden er bei dieser Untersuchung festgestellt hat. Dies reicht aber für den vom Kläger zu führenden Beweis nicht aus (vgl. Senat, OLGR 2005, 698 = VRS 109, 2 = NZV 2005, 469; OLGR 2005, 740 = VRS 109, 88 = NZV 2005, 521).

f) Soweit der Kläger erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2005 behauptet hat, er habe bei dem Unfall eine Labyrintherschütterung erlitten, und sich zum Beweis hierfür auf eine ergänzende Begutachtung durch den Sachverständigen Unnn bezieht, war dies als verspätet zurückzuweisen. Dem Kläger sind die Gutachten der Sachverständigen rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung zugegangen. Ihm wurde eine Frist von vier Wochen zur Stellungnahme gewährt. Diese Frist ist abgelaufen.

B Die Revision war nicht zuzulassen, da weder die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Absatz 1 Nr.1, Absatz 2 ZPO n. F.).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO. Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

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