OLG Hamm
Az: 2 Ss OWi 358/06
Beschluss vom 29.08.2006
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffene gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 2. März 2006 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 29. 08. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 79 Abs. 5 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Recklinghausen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen im angefochtenen Urteil wegen einer fahrlässig begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung gemäß §§ 3 Abs. 3, 49 StVO, §§ 24, 25 StVG eine Geldbuße von 100,00 € festgesetzt und ihm für die Dauer eines Monats verboten, Kraft-fahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Mit der gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene unter näherer Darlegung die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbe-schwerde gemäß § 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig ein-gelegt sowie form- und fristgerecht begründet worden. Sie hat auch in der Sache zumindest vorläufig Erfolg.
1. Der Betroffene hat mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge geltend gemacht, das AG habe seinen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Nachweis dafür, dass das erzielte Messergebnis falsch sei, zu Unrecht verworfen (§ 77 Abs. 2 OWiG). Diese formelle Rüge hat allerdings keinen Erfolg, da das Amtsgericht von der beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Recht abgesehen hat.
Die Ablehnung eines Beweisantrages ist – über die Ablehnungsgründe der §§ 71 OWiG, 244 Abs. 3 StPO hinaus – im Bußgeldverfahren nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG auch dann zulässig, wenn das Gericht den Sachverhalt nach seinem pflichtgemäßen Ermessen als genügend geklärt ansieht und deshalb unter Berücksichtigung der ihm obliegenden Aufklärungspflicht eine weitere Beweiserhebung nicht mehr für erforderlich erachtet. Insoweit ist das Gericht zu einer gewissen Vorwegnahme der Beweiswürdigung befugt (vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 77 Rn. 11 m.w.N.). Hat der Tatrichter – wie vorliegend – den Beweisantrag in der Hauptverhandlung in einem Gerichtsbeschluss zunächst nur mit der Kurzbegründung abgelehnt (§ 77 Abs. 3 OWiG), muss es er die Ablehnung im Rahmen der Beweiswürdigung im Urteil so begründen, dass sie für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar ist (OLG Hamm, Beschluss vom 3. Februar 1998, 3 Ss OWi 69/98). Es ist im Einzelnen darzulegen, worauf die sichere Überzeugung gestützt ist und aus welchen Gründen die dagegen vorgebrachten Beweismittel keinen weiteren Aufklärungswert haben (OLG Hamm a.a.O.; Göhler, a.a.O., § 77 Rn. 26). Dem wird die Urteilsbegründung bereits dann gerecht, wenn ihr im Zusammenhang entnommen werden kann, dass der Sachverhalt auf Grund der genutzten Beweismittel so eindeutig geklärt ist, dass die zusätzlich beantragte Beweiserhebung an der Überzeugung des Gerichts nichts geändert hätte und für die Aufklärung entbehrlich gewesen ist (OLG Jena, Beschluss vom 28. November 2003, 1 Ss 304/03; OLG Zweibrücken MDR 1991, 1192, 1193).
Auf dieser Grundlage ist hier die tatrichterliche Begründung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Tatrichter hat nachvollziehbar dargelegt, warum es der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht bedurfte und dazu ausgeführt:
„Die Messung ist von einem außerordentlich erfahrenen Beamten vorgenommen worden. Lediglich der Umstand, dass im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden kann, welche Gerätenummer das zum Einsatz gekommene Lasermessgerät hatte, rechtfertigt es nicht, die Gül-tigkeit der Messung zu beanstanden: Es steht auf Grund der Aussage des Zeugen S. zweifelsfrei fest, dass ein geeichtes Gerät zum Einsatz gekommen ist, dass die entsprechenden Test vor und nach der Messung durchgeführt wurden, das Gerät entsprechend der Herstelleranweisung verwendet wurde und dass auch keine Fehlmessungen aufgetreten sind. Unter diesen Umständen hat das Gericht keine Zweifel daran, dass im vorliegenden Fall eine korrekte Geschwindigkeitsmessung vorgenommen wurde und eine Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen von 32 km/h, nach Abzug der üblichen 3 km/h Toleranz – festgestellt wurde.“
Der Tatrichter entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen darüber, ob die beantragte Beweiserhebung erforderlich ist. Ihm steht insoweit ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Da die rechtlichen Abgrenzungskriterien, nach denen die Erforderlichkeit einer weiteren Beweiserhebung zu beurteilen ist, eine Beweiswürdigung erfordern, die sich im tatsächlichen Bereich vollzieht, ist die Entscheidung des Tatrichters vom Rechtsbeschwerdegericht nur darauf zu überprüfen, ob sie von zutreffenden Abgrenzungskriterien ausgegangen ist und den Gesetzen der Logik, feststehenden Erkenntnissen der Wissenschaft sowie gesicherten Tatsachen der Lebenserfahrung nicht widerspricht (vgl. Senat in Beschluss vom 4. März 2005, 2 Ss OWi 75/05). Ein Rechtsfehler ist insoweit nicht zu erkennen.
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens war auch nicht gegenbeweislich zur Widerlegung der Zeugenaussage geeignet, weil der Sachverständige nichts dazu hätte sagen können, ob die Angaben des Zeugen zu den Umständen der Messung zutreffen. Er hätte sich nur dazu äußern können, ob die in dem Beweisantrag angeführten Punkte insgesamt zur Fehlerhaftigkeit der Messung führen konnten. Behauptet wurde auch nicht eine konkrete Fehlerhaftigkeit der Messung unter den genannten Umständen, sondern eine mögliche Fehlerhaftigkeit bei Zusammenwirken der genannten Umstände (vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 2. Juni 1997, 2 Ss 73/97).
Hinzu kommt, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf Grund des verwendeten Messverfahrens hier ohnehin nur ausnahmsweise in Betracht kam. Die Geschwindigkeitsermittlung auf der Grundlage des vorliegend verwendeten Lasermessgeräts Riegel „LR 90-235/P“ ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung als sog. standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHSt 39, 291 = DAR 1993, 474; NJW 1998, 321 = DAR 1998, 110) anerkannt (vgl. dazu nur Senat in DAR 1998, 244 = MDR 1998, 836 = StraFo 1998, 273 = VRS 95, 141 m.w.N.), welches bei sachgerechter Bedienung grundsätzlich zuverlässige Ergebnisse liefert (vgl. nur BayObLG VM 1997, 28; OLG Oldenburg NZV 1996, 328; 1995, 37; OLG Hamm NZV 1997, 187; VRS 91, 148; OLG Saarbrücken VRS 91, 92; OLG Naumburg NZV 1996, 419, 420; KG Berlin, Beschluss vom 2. Juni 1997, 3 Ws (B) 279/97). Für irgendwelche Zweifel am Messergebnis, weil z.B. ein zweites Fahrzeug den Messwert verursacht haben könnte, fehlt es an konkreten Anhaltspunkten im Beweisantrag des Betroffenen. In diesem werden allenfalls allgemein mögliche Fehlerquellen vorgetragen. Dass bei Auslösung der in Rede stehenden Messung eine konkrete Störung des Messvorgangs durch Fremdfahrzeuge zu besorgen gewesen wäre, wurde mit dem Beweisantrag gerade nicht geltend gemacht; ebenso wenig, dass sich zwischen Messgerät und Fahrzeug andere Fahrzeuge, Sträucher, Bäume, Masten, Personen oder dergleichen befunden hätten. Auch wird weder dichter Kolonnenverkehr noch eine Überholsituation behauptet.
Insoweit heißt es im Beweisantrag nämlich nur:
„Bei dem eingesetzten Messgerät sind in der Vergangenheit Fehlmessungen festgestellt worden. Hier wurde bei Dunkelheit mit dem Riegl-Messgerät gemessen. Fehler treten bei Dunkelheit durch unbeabsichtigtes Anvisieren parallel zur Fahrtrichtung ausgerichteten Bauteilen (vordere Haube) oder durch Fehlzuordnung des Messwertes zu einem anderen Fahrzeug auf. Bei Dunkelheit kann das vordere Fahrzeugkennzeichen anlässlich der Messung nicht abgelesen oder anvisiert werden. Gemessen wird „zwischen den Scheinwerfern“. Insoweit kann ohne weiteres die vordere Haube des Pkw des Betroffenen anvisiert worden sein mit der Folge, dass hier ein falsches Messergebnis zu Lasten des Betroffenen festgestellt wurde.
Trotz Eichung kann hier bei Dunkelheit mit dem verwendeten Messgerät eine um 6 km/h zu hohe Geschwindigkeit angezeigt werden. Dies ist durch Versuche belegt; Beck/Löhle, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 6. Auflage.“
Bei dieser Sachlage konnte der Tatrichter im Wege vorweggenommener Beweiswürdigung ohne Verletzung seiner Aufklärungspflicht zu der Überzeugung gelangen, dass das Sachverständigengutachten zur weiteren Aufklärung nichts mehr beitragen kann.
2.
Gleichwohl konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die tatrichterliche Beweiswürdigung ist nämlich lückenhaft (§ 267 StPO).
Grundsätzlich ist das hier verwendete Lasermessgerät Riegel „LR 90-235/P“ in der obergerichtlichen Rechtsprechung als so genanntes standardisiertes Messverfahren anerkannt (vgl. die o.a. Nachweise und Boettger in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn. 1093 ff.). Anerkannt ist in der Rechtsprechung aber auch, dass bei diesem Lasermesssystem Bedenken gegen die gewonnenen Ergebnisse daraus resultieren können, dass unter bestimmten Bedingungen – schlechte Sichtverhältnisse und/oder hohe Verkehrsdichte – die Zuordnung des Messergebnisses zu einem bestimmten Fahrzeug besonderer Überprüfung bedarf. Da dieses Lasermessverfahren bisher nicht mit einer fotografischen Dokumentation verbunden ist, bedarf es unmittelbar nach Abschluss der Messung der Weitergabe des Messergebnisses und des Kennzeichens durch den Messenden an den Anhalteposten und der Aufnahme dieser Daten in das Messprotokoll. Insoweit ist das Messverfahren deshalb nicht als standardisiert anzusehen, weil in diesem Bereich menschliche Fehlerquellen, insbesondere Zuordnungsprobleme auftreten können (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25. 4. 1996, 3 Ss OWi 194/96). Ungünstige Lichtverhältnisse und/oder hohe Verkehrsdichte können die zweifelsfreie Zuordnung des gemessenen Fahrzeugs zu dem schließlich vom Anhalteposten überprüften erschweren. Es bedarf deshalb in diesem Fall einer vom Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbaren Darlegung des Tatrichters, warum – trotz widriger Verhältnisse – vernünftige Zweifel an der Zuordnung des Fahrzeugs nicht bestehen (OLG Hamm NZV 1997, 187, 188).
Nach den tatrichterlichen Feststellungen wurde der Verkehrsverstoß am 16. Oktober 2005 um 22.35 Uhr auf der Kaiserstraße in Herten begangen. Im Rahmen der (zulässigen) Verfahrensrüge der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags führt der Verteidiger des Betroffenen zudem aus: „Ausweislich Blatt 18 der Akte lfd. Nummer 5 war das Fahrzeug des Betroffenen gerade kein Einzelfahrzeug. Es gab also weitere Fahrzeuge neben dem Fahrzeug des Betroffenen an Ort und Stelle. Insoweit ist sowohl eine Falschmessung als auch eine Fehlzuordnung des Messwertes ohne Wenn und Aber möglich.“
Aufgrund dieser Anhaltspunkte hätte es hier entweder näherer Urteilsfeststellungen dazu bedurft, dass die Kaiserstraße in Herten zur Zeit der Geschwindigkeitsmessung – es war dunkel – gut ausgeleuchtet war oder aber im Rahmen der Beweiswürdigung eines näheren Eingehens, warum aus sonstigen Gründen hier eine Fehlzuordnung der Messung zum Pkw des Betroffenen ausgeschlossen werden konnte.