BGH
Az.: V ZR 297/89
Urteil vom 16.11.1990
Vorinstanzen: OLG Frankfurt/Main und LG Frankfurt/Main
Urteil verkürzt:
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer von drei Hausgrundstücken in H.. Sie liegen in einer Wohnsiedlung von 52 Reihenhausgrundstücken, die auf dem früher einer Bauträgergesellschaft gehörenden Gelände von dieser errichtet wurde. Aufgrund eines mit der Stadt H. abgeschlossenen privatschriftlichen Erschließungsvertrages ließ die Bauträgergesellschaft die im Bebauungsplan als Verkehrsflächen ausgewiesenen Flurstücke zu Straßen- und Wegeflächen ausbauen. Die Kosten der Erschließung waren in dem von den Käufern gezahlten Kaufpreis für die Häuser enthalten. Die Wegeflächen sollten nach Fertigstellung kostenlos in das Eigentum der Stadt H. übergehen. Hierzu kam es jedoch nicht, weil die Bauträgergesellschaft in Konkurs fiel und die Stadt zu einer entgeltlichen Übernahme der inzwischen mit Grundpfandrechten belasteten Grundstücke nicht bereit war. In dem Zwangsversteigerungsverfahren, in dem der Verkehrswert der Wegeflächen auf 308.886 DM festgesetzt wurde, erhielt der Beklagte den Zuschlag.
Da der Kläger und seine Mieter das öffentliche Straßen- und Wegenetz nur über die von dem Beklagten ersteigerten Grundstücke erreichen können, hat der Kläger ein Notwegerecht verlangt, gleichzeitig aber die Zahlung einer Entschädigung mit der Begründung abgelehnt, daß der Beklagte durch die Inanspruchnahme seiner Straßen- und Wegegrundstücke als Notweg in deren durch den Bebauungsplan eingeschränkten Nutzung nicht beeinträchtigt werde.
Der Kläger hat eine entsprechende negative Feststellungsklage erhoben. Der Beklagte hat widerklagend beantragt, den Kläger zur Zahlung einer Notwegrente von 3.528 DM jährlich, hilfsweise dazu zu verurteilen, die Benutzung der Grundstücke zu unterlassen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. In der Berufung hat der Beklagte die Widerklage in erster Linie auf Miete bzw. Pacht und nur hilfsweise auf das Notwegrecht gestützt. Der Kläger hat im Wege der Anschlußberufung beantragt, festzustellen, daß er nicht verpflichtet ist, an den Beklagten ein Nutzungsgeld aus einem anderen Rechtsgrund zu zahlen.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen und der Anschlußberufung stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision, mit der der Beklagte seine in der Berufung gestellten Anträge weiterverfolgt. Der Kläger beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, daß zwischen den Parteien ein Miet- oder Pachtvertrag auch nicht stillschweigend zustande gekommen ist. Dem Beklagten stehe ein Zahlungsanspruch auch nicht unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zu, weil der Kläger ein Notwegrecht besitze. Eine Notwegrente könne der Beklagte allerdings nicht verlangen, weil er durch die Inanspruchnahme seiner Grundstücke als Notweg keinen feststellbaren Nachteil erlitten habe. Dies hält der Revision stand.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß zwischen den Parteien ein Miet- oder Pachtverhältnis nicht zustande gekommen ist. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision sind unbegründet.
Allein die Nutzung der Verkehrsflächen durch den Kläger hat zwischen den Parteien noch kein Vertragsverhältnis zum Entstehen gebracht. Die von der Revision angeführte Senatsrechtsprechung zur Benutzung eines öffentlichen Parkplatzes (BGHZ 21, 319, 334) ist auf den hier zur Entscheidung stehenden Fall nicht übertragbar. Sie betrifft eine Leistung der öffentlichen Daseinsvorsorge, die im Massenverkehr jedermann zu einem festen Tarif angeboten wird. Die willentliche Inanspruchnahme einer solchen Leistung ist nach der Verkehrsauffassung als die Annahme eines entsprechenden Vertragsangebotes zu werten (MünchKomm/Kramer, BGB 2. Aufl. vor § 116 Rdn. 25, vor § 241 Rdn. 57 f; Erman/Hefermehl, BGB 8. Aufl. vor § 145 Rdn. 33). Hier geht es jedoch darum, ob die im Privateigentum des Beklagten stehenden Erschließungswege mietweise oder als Notwege benutzt werden. Daß der objektive Erklärungswert des von dem Kläger gezeigten Verhaltens bei der Nutzung insoweit eindeutig nur auf das Zustandekommen eines Mietvertrages gerichtet gewesen wäre, hat der Beklagte in den Tatsacheninstanzen nicht geltend gemacht. Vielmehr ist zwischen den Parteien unstreitig, daß sich der Kläger von Anfang an auf ein Notwegrecht berufen hat.
2. Zu Recht verneint das Berufungsgericht ferner einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, weil dem Kläger ein Notwegrecht zusteht. Im Gegensatz zur Revision entfällt das Notwegrecht nicht deswegen, weil der Beklagte dem Kläger eine vertragliche Nutzung angeboten habe. Das Berufungsgericht hat hierzu festgestellt, daß weder die Duldung der Inanspruchnahme der Grundstücke durch den Kläger noch das Schreiben des Beklagten vom 16. Dezember 1987 einen rechtsgeschäftlichen Willen auf Abgabe eines Angebots habe erkennen lassen. Dies ist nicht fehlerhaft. Mit dem Schreiben vom 16. Dezember 1987 räumt der Beklagte nur ein, daß ein Notwegrecht besteht, und verlangt dementsprechend Zahlung einer Notwegrente. Soweit das Berufungsgericht in der Berufungsbegründung ein Angebot sieht, handelt es sich um eine rechtliche Wertung, die der Senat nicht zu teilen vermag. Der in dem Tatbestand in Bezug genommene Schriftsatz enthält keine Ausführungen, die einen solchen Schluß rechtfertigen.
3. Ohne Erfolg wendet sich die Revision auch gegen die Feststellung, daß die Voraussetzungen für die Festsetzung einer Notwegrente nicht gegeben seien, weil der Kläger nichts dazu vorgetragen habe, daß der Verkehrswert seiner Grundstücke durch die Belastung mit dem Notwegrecht gemindert sei.
Zu Recht geht das Berufungsgericht davon aus, daß es für die Bemessung der Notwegrente nicht auf den Vorteil oder Nutzen ankommt, den der Berechtigte aus dem Notweg zieht, sondern auf den Umfang der dem verpflichteten Eigentümer durch die Duldungspflicht entstehenden Beeinträchtigung (RG JW 1914, 529; OLG Nürnberg RdL 1968, 78, 79; Planck Strecker, BGB 5. Aufl., § 917 Anm. 2 b; Staudinger/Beutler, BGB 12. Aufl., § 917 Rdn. 43; BGB-RGRK/Augustin, 12. Aufl. , § 917 Rdn. 18; MünchKomm/Säcker, BGB 2. Aufl. , § 917 Rdn. 41; Soergel/Baur, BGB 11. Aufl., § 917 Rdn. 18; Erman/Hagen, BGB 8. Aufl., § 917 Rdn. 6; Kürzel, ZMR 1964, 356, 357; Renken, Grundeigentum 1964, 298, 299; Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009, 1011, 1015; Wolff/Raiser, Sachenrecht 10. Bearb., § 56 II 2; Dehner, Nachbarrecht im Bundesgebiet, 6. Aufl. § 27 III 5; a.A. LG Mosbach MDR 1960, 1013 f; Dernburg, Sachenrecht 4. Aufl., S. 289). Denn die Rente ist der Ausgleich für die dem Nachbarn auferlegte Eigentumsbeschränkung. (Motive III, S. 292; RGZ 87, 424, 425; RG JW 1914, 529).
Die Existenz eines solchen Nachteils kann hier nicht schon aus Rechtsgründen mit der Erwägung verneint werden, daß der Bebauungsplan eine andere Nutzung der Grundstücke als Verkehrswege nicht zulasse. Ohne das Notwegrecht konnte der Beklagte seine Grundstücke zwar nicht als Gewerbeflächen, wohl aber als private Erschließungsflächen entweder ausschließlich selbst nutzen oder privatwirtschaftlich dadurch verwerten, daß er sie an einen, mehrere oder alle Anlieger verkauft oder vermietet. Denn die in dem bestandskräftigen Bebauungsplan erfolgte Ausweisung der Grundstücke als Verkehrsfläche verpflichtet den Beklagten nicht, diese den Anliegern kostenlos zur Verfügung zu stellen. Diese Möglichkeiten der eigenen Nutzung hat das Notwegrecht nunmehr eingeschränkt.
Die Frage, wie dieser Nachteil der Höhe nach als Rente zu bemessen ist, hat der Senat bisher nicht entschieden. Das Reichsgericht hat auf die Wertminderung des Grundstücks abgestellt, die dadurch eintrete, daß der Eigentümer sich im Falle eines Verkaufs mit einem geringeren Kaufpreis begnügen müsse (RGZ 87, 424, 425). Ihm folgt ein wesentlicher Teil der Literatur (BGB-RGRK/Augustin 12. Aufl. § 917 Rdn. 19; Dehner aaO; Figge, AcP 160, 409, 416), wobei teilweise allerdings nur die in Anspruch genommene Grundstücksteilfläche herangezogen wird (Staudinger/Beutler, BGB 12. Aufl. § 917 Rdn. 43; Renken aaO, der etwa 1/10 des Werts der benutzten Fläche ansetzt). Nach anderer Auffassung soll der proportional auf die Notwegfläche entfallende Mietertrag des Grundstücks abzüglich einer Unkostenpauschale maßgeblich sein (MünchKomm/Säcker, BGB 2. Aufl. § 917 Rdn. 41; Säcker Paschke, NJW 1981, 1009, 1015).
Nach Ansicht des Senats ist die Notwegrente im Gegensatz zur Revision nicht auf der Grundlage eines Nutzungsverlustes nach der entgangenen Miete und – anders als die Überbaurente (BGHZ 57, 304, 306; 65, 395, 398, 97, 292, 296) – auch nicht als Bodenrente, berechnet aus dem Verkehrswert der überbauten Fläche, zu bemessen, sondern als Ausgleich der Beeinträchtigungen, die der Eigentümer in der Nutzung des ganzen Grundstücks erleidet. Eine Eingrenzung auf die Notwegfläche ist nicht gerechtfertigt. Maßgebend ist vielmehr die Minderung des Verkehrswertes, die das gesamte Grundstück durch den Notweg erfährt. Dabei sind die besonderen Umstände des Einzelfalles und die individuellen Vermögensnachteile des Duldungspflichtigen im Zeitpunkt der Entstehung des Notwegerechts mit zu berücksichtigen., so daß entgegen der Ansicht von Säcker (MünchKomm/Säcker aaO; NJW 1981, 1009, 1015) die individualisierende Betrachtungsweise nicht verlassen wird. Von Bedeutung können insbesondere Größe, Lage, Zuschnitt des Grundstücks und der in Anspruch genommenen Teilfläche, aber auch bestehende Notwegrechte anderer Nachbarn sowie Art und Intensität der Nutzung durch den Notwegberechtigten als ein die Wertminderung beeinflussender Faktor sein.
Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht verletzt, wenngleich es offenläßt, ob die Notwegrente nach dem proportional auf die Notwegfläche entfallenden Mietertrag, abzüglich einer Unkostenpauschale, oder in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Überbaurente nach dem Grundstücksverkehrswert zu berechnen ist. Es hat festgestellt, daß der Verkehrswert der Grundstücke von vornherein durch ihre besondere Lage und die im Bebauungsplan erfolgte Ausweisung als Verkehrsfläche gegenüber anderen Grundstücken gemindert ist. Diese durch das im Versteigerungsverfahren erstellte Wertgutachten gestützte Feststellung läßt keinen Fehler erkennen.
Das Berufungsgericht hat ferner festgestellt, daß eine weitere tatsächliche Minderung durch das Notwegrecht nicht dargelegt worden sei. Auch insoweit vermag die Revision einen Verfahrensfehler nicht aufzuzeigen. Das von ihr in Bezug genommene Berufungsvorbringen bezieht sich auf die Berechnung des geltend gemachten Mietzinses und kommt deswegen als Grundlage für die Festsetzung einer Notwegrente nicht in Betracht.
Insgesamt ist daher die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.