BGH
Az: VI ZR 75/06
Urteil vom 12.12.2006
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Dezember 2006 im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis 3. November 2006 für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der Zivilkammer 58 des Landgerichts Berlin vom 1. März 2006 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, an dem der Beklagte zu 1 als Führer eines bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten PKW beteiligt war. Am 3. April 2004 fuhr der Zeuge F. mit dem PKW der Klägerin auf der Stadtautobahn in B. An der Einmündung der B.allee ist nach den Richtungspfeilen auf den durch Leitlinien begrenzten Fahrbahnen der Autobahn das Abbiegen nach rechts von der rechten und der mittleren Fahrspur aus vorgesehen. Die Markierungen enden an der Haltelinie vor der Einmündung. Der Zeuge F., der von der mittleren Fahrspur aus nach rechts in die zweispurige B.allee abbiegen wollte, hatte den Fahrtrichtungsanzeiger nach rechts betätigt und fuhr links neben dem Beklagten zu 1. Der Beklagte zu 1 bog von der rechten Fahrspur aus in einem weiten Bogen in die B.allee ein und beschädigte dabei das Fahrzeug der Klägerin am rechten hinteren Teil der Karosserie.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils den Schadensersatz zum überwiegenden Teil zugesprochen und die Revision zugelassen. Die Beklagten verfolgen mit der Revision weiterhin die Klageabweisung.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Beklagte zu 1 habe den Verkehrsunfall durch sein verkehrswidriges Verhalten allein verschuldet. Daneben trete die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs vollständig zurück. Da die Fahrzeuge aus markierten Rechtsabbiegespuren gekommen seien, hätte der Beklagte zu 1 die seiner Einordnung vor der Kreuzung entsprechende rechte Spur einhalten müssen. Der Zeuge F. habe auf Grund der Richtungspfeile parallel zum Beklagtenfahrzeug nach rechts abbiegen dürfen. Er habe die linke Spur einhalten müssen, der Beklagte zu 1 die rechte. Zwar sei § 7 Abs. 5 StVO nicht direkt anzuwenden, weil die vor der Kreuzung vorhandenen Fahrstreifen dort endeten, doch komme dessen Rechtsgedanke über § 1 Abs. 2 StVO zur Anwendung.
II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
1. Nach § 41 Abs. 3 Nr. 5 Satz 2 StVO schreiben Richtungspfeile auf der Fahrbahn unmittelbar vor einer Kreuzung oder Einmündung die künftige Fahrtrichtung auf der folgenden Kreuzung oder Einmündung vor, wenn zwischen ihnen Fahrstreifenbegrenzungen (§ 41 Abs. 3 Nr. 3 StVO, Zeichen 295) oder Leitlinien (§ 42 Abs. 6 StVO, Zeichen 340) angebracht sind (Hentschel Straßenverkehrsrecht 38. Aufl., § 41 Rn. 248 Z. 297; OLG Hamm, VRS 48, 144, 146; OLG Karlsruhe, NJW 1975, 1666 ff. mit Anmerkung von Booß; OLG Düsseldorf, VerkMitt 1972, 47). Zwar gebietet § 9 Abs. 1 Satz 2 StVO dem Rechtsabbieger, sich möglichst weit rechts einzuordnen, woraus zu Recht hergeleitet wird, dass grundsätzlich ein Vortrittsrecht des äußerst rechts eingeordneten Fahrzeugs gegenüber einem weiter links fahrenden Fahrzeug besteht (vgl. KG, DAR 2005, 24, 25; dasselbe Schaden-Praxis 2004, 113 f.; KG vom 13. Juni 1996 – 12 U 2594/95 – juris; für parallele Linksabbieger BayObLG, DAR 1974, 304 und DAR 1980, 277; Hentschel aaO, § 9 Rn. 27; Walther in Heidelberger Kommentar Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. § 9 Rn. 35; Burmann in Janiszewski/Jagow/Burmann Straßenverkehrsrecht 19. Aufl., § 9 Rn. 32, 33). Der weiter links eingeordnete Nachfolgeverkehr könnte sonst, wenn die nach rechts abzweigende Straße nur einspurigen Verkehr aufnehmen könnte, den ordnungsgemäß eingeordneten Rechtsabbieger am Abbiegen so lange hindern, bis alle links befindlichen Fahrzeuge abgebogen wären. Eine solche Fahrweise ließe sich mit dem Gebot des § 1 Abs. 2 StVO nicht vereinbaren.
Dem am weitesten rechts eingeordneten Rechtsabbieger kann jedoch dann nicht stets das Vortrittsrecht zugebilligt werden, wenn paralleles Abbiegen in eine mehrspurige Straße durch Richtungspfeile geboten ist. Der Massenverkehr erlaubt in einem solchen Fall das Fahren in mehreren Reihen nebeneinander, ohne zu überholen oder sich stets vor dem weiter rechts Fahrenden einordnen zu müssen. Dem entspricht § 7 Abs. 3 StVO. An die Stelle des Rechtsfahrgebots tritt die Pflicht zum Spurhalten (vgl. Heß in Janiszewski/Jagow/Burmann aaO, § 7 Rn. 1). Ziel der Richtungspfeile und der Möglichkeit zum parallelen Abbiegen ist nämlich die Schaffung von mehr Verkehrsraum, der auch genutzt werden soll. Dem liefe der Vorrang des am weitesten rechts Eingeordneten entgegen, weil dadurch die ausgewiesene zweite Abbiegespur nur erschwert zum Abbiegen verwendet und unbenutzt bleiben könnte. Deshalb muss bei paarweisem Rechtsabbiegen der links Fahrende den Bogen so weit nehmen, dass er die in der rechten Spur fahrenden Fahrzeuge nicht in Bedrängnis bringt und umgekehrt (Heß aaO, § 7 Rn. 23 m. w. N.). Auch wenn an der Haltelinie der Kreuzung bzw. Einmündung Fahrbahnmarkierungen und Richtungspfeile enden und nicht über den Kreuzungsbereich in die Straße, in die abgebogen wird, fortgeführt werden, besteht demzufolge zwischen den übereinstimmend mit den Richtungspfeilen vor der Einmündung mehrspurig nach rechts eingeordneten Fahrzeugen grundsätzlich kein Vorrang des am weitesten rechts eingeordneten Fahrzeugs.
Da für das Vorhandensein mehrerer Fahrstreifen die zum Fahren eines mehrspurigen Fahrzeugs erforderliche Breite entscheidend ist und nicht das Vorhandensein von Fahrbahnmarkierungen (Hentschel aaO, § 7 Rn. 5; Heß aaO, § 7 Rn. 2; KG, NZV 2003, 182, 183; verneinend für Motorräder OLG Düsseldorf, ZfS 1990, 214), stellt ein Wechsel von einer Fahrspur in die andere während des Abbiegevorgangs nur im Hinblick auf das Queren des nicht markierten Kreuzungsbereichs und die allgemeine Änderung der Fahrtrichtung keinen Spurwechsel im Sinne des § 7 Abs. 5 StVO dar (vgl. KG vom 13. Juni 1996 – 12 U 2594/95 – juris und DAR 2005, 24 f. = NZV 2005, 91; BayObLG, DAR 1980, 277; Hentschel aaO, § 7 Rn. 16; Walther aaO, § 7 Rn. 21; Heß aaO, § 7 Rn. 21). Doch ist – worauf das Berufungsgericht zu Recht abstellt – über § 1 Abs. 2 StVO die für den Spurwechsel geltende Sorgfalt auch in einem solchen Fall, der eine besondere Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer darstellt, zu beachten. Außerdem ist der rechts eingeordnete Fahrzeugführer durch das Rechtsfahrgebot in § 2 Abs. 2 Satz 1 StVO gehalten, beim Abbiegen die ihm mögliche rechte Position einzunehmen (zum Rechtsfahrgebot vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1990 – VI ZR 124/89 – VersR 1990, 537 und vom 20. März 1979 – VI ZR 152/78 – VersR 1979, 528, 529 m. w. N.). Nur wenn der linke Fahrzeugführer besondere Sorgfalt walten lässt und den rechts neben ihm befindlichen Verkehr beobachtet, der sich seinerseits so weit wie möglich rechts zu halten hat, kann ein paralleles Abbiegemanöver zügig und gefahrlos für die Beteiligten durchgeführt werden.
2. Danach ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht dem Beklagten zu 1 die volle Haftung für den Zusammenstoß mit dem Fahrzeug der Klägerin auferlegt hat. Wegen der nach rechts und nach links weisenden Richtungspfeile auf der markierten mittleren Fahrspur der Stadtautobahn durfte der Zeuge F. nach rechts in die B.allee parallel zu dem auf der rechten Fahrspur eingeordneten Beklagten zu 1 abbiegen. Dass sich auf der rechten Fahrspur ein Hindernis befunden oder sich die Fahrbahn verengt hätte, wird von keiner Partei geltend gemacht und war ersichtlich nicht der Fall. Auf Grund des nach rechts weisenden Richtungspfeils auf der mittleren Spur der Stadtautobahn musste der Beklagte zu 1 damit rechnen, dass links von ihm Fahrzeuge in die B.allee abbiegen würden, um auf dem linken Fahrstreifen ihre Fahrt fortzusetzen. Er hatte deshalb seine Fahrweise darauf einzurichten und durfte nicht ohne Rücksicht auf den links vor ihm fahrenden Zeugen F. abbiegen.