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Realschulbesuch – Anspruch auf Entscheidung über Bildungsweg

Verwaltungsgericht Minden

Az.: 2 L 302/07

Beschluss vom 22.06.2007


Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin zum Besuch einer Realschule im Schuljahr 2007/2008 zuzulassen, ist unbegründet.

Es fehlt an der nach § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO erforderlichen Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um etwa wesentliche Nachteile abzuwenden. Der für eine solche Anordnung u.a. erforderliche Anordnungsanspruch (materiell-rechtlicher Anspruch) ist vom Antragsteller darzulegen und glaubhaft zu machen.

Dies ist hier nicht der Fall. Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand enthält das Antragsvorbringen nichts, was Veranlassung zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Antragsgegners geben könnte. Dieser dürfte zutreffend davon ausgegangen sein, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für den Übergang von der Grundschule zu einer Realschule als weiterführende Schule gemäß § 11 Abs. 4 Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (Schulgesetz NRW – SchulG) nicht vorliegen.

Diese gesetzliche Bestimmung und die darauf beruhenden Regelungen der Ausbildungsordnung Grundschule sind mit höherrangigem Recht vereinbar. Sie begegnen keinen ernsthaften verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere die seitens der Antragstellerin gerügten Grundrechtsverletzungen liegen nicht vor. Das zur Begründung einer solchen Verletzung herangezogene „prinzipielle Bestimmungs- und Auswahlrecht“ der Eltern bei der Schulformwahl, welches zu einem „elterlichen Konkretisierungsprimat“ gegenüber staatlichen Schulbehörden bei der Einschätzung des schulischen Leistungsvermögens von Kindern führen soll, lässt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen. Es ist vielmehr in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der Landesverfassungsgerichte und der Fachgerichte seit langem geklärt, dass das in Bezug genommene Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auf Pflege und Erziehung der Kinder keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern enthält. Im schulischen Bereich trifft er nämlich auf den ihm gleichgeordneten staatlichen Erziehungsauftrag, von dem Art. 7 Abs. 1 GG ausgeht. Diese gemeinsame Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule ist in einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken zu erfüllen. Der Staat muss deshalb in der Schule die Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der Erziehung ihrer Kinder achten und darf durch schulorganisatorische Maßnahmen nie den ganzen Werdegang des Kindes regeln wollen. Was die Entscheidung über den weiteren Bildungsweg angeht, hat das Grundgesetz diese zunächst den Eltern als den natürlichen Sachwaltern für die Erziehung belassen, weil sich das Leben des Kindes nicht nur nach seiner Bildungsfähigkeit und seinen Leistungsmöglichkeiten gestaltet, sondern dabei auch die Interessen und Sozialvorstellungen der Familie von großer Bedeutung sind. Die Zuweisung dieser primären Entscheidungszuständigkeit der Eltern nimmt auch Nachteile für das Kind in Kauf, die im Rahmen einer nach allein objektiven Maßstäben betriebenen Bestenauslese vielleicht vermieden werden könnten. Das Bestimmungsrecht der Eltern umfasst mithin auch die Wahl einer Schulform. Auf der anderen Seite ist seit jeher anerkannt, dass dieses Wahlrecht nicht grenzenlos gewährt wird, sondern dass der Staat befugt isr, u.a. die Voraussetzungen für den Zugang zur Schule und des Übergangs von einem Bildungsgang zum anderen zu bestimmen. Insbesondere die Eignung bzw. Nichteignung des Kindes setzt dem Elternwunsch Grenzen. So ist es ohne weiteres mit dem Elternrecht vereinbar, Anforderungen festzulegen, die das Kind erfüllen muss, um das jeweilige Klassenziel zu erreichen.

Entsprechendes gilt notwendigerweise auch für die Anforderungen, die bereits beim Eintritt in die gewünschte weiterführende Schulart erfüllt sein müssen. Zur Feststellung der Eignung sind Bildungsdiagnosen und Bildungsprognosen nicht verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Allerdings muss die Schule die Eltern aufklären und sich mit ihnen abstimmen. Sie muss dem Elternwunsch soweit wie möglich entsprechen und darf nur davon abweichen, wenn ihm mangelnde Eignung entgegensteht. Letztlich kann der Landesgesetzgeber den Besuch einer weiterführenden Schule solange versagen, bis die Eignung des Schülers positiv festgestellt worden ist.

Vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 1972 – 1 BvR 230/70 und 95/71 -, BVerfGE 34, 165 ff.; BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1957 – 2 C 105.56 -, BVerwGE 5, 153 ff.; Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Beschluss vom 12. November 1985 – P.St.1035 e.V. – S.10 f. Entscheidungsabdruck; Landesverfassungsgericht des Landes Sachsen- Anhalt, Urteil vom 15. Januar 2001 – 9/01 u.a. -.

Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund kann keine Rede davon sein, in Bereichen der Eignungsfeststellung komme den Eltern ein „Konkretisierungsprimat“ zu. Vielmehr ist im jeweiligen Regelungsbereich gesondert zu prüfen, wer im Konflikt widerstreitender Rechtspositionen konkret nach Abwägung der Belange vorrangig entscheidungsbefugt ist.

Vgl. Jestaedt in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Oktober 1995, Art. 6 Abs. 2 Rdnr. 343 ff.

Die hier angegriffenen landesrechtlichen Bestimmungen haben die Letztentscheidung in die Hände der Schulaufsicht gegeben. Dies ist nach den oben ausgeführten verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht zu beanstanden, weil die Ausgestaltung des Verfahrens zur Feststellung der Schulformeignung die Belange der Eltern berücksichtigt, ihre Gesamtverantwortung für die Erziehung respektiert und nur notwendige Beschränkungen des Wahlrechts enthält. So fällt hier ins Gewicht, dass das elterliche Schulformwahlrecht nur dann versagt wird, wenn das Kind offenkundig nicht für die gewählte Schulform geeignet erscheint.

Eine solche Feststellung ist nur möglich, wenn zuvor in mehreren Schritten aus verschiedenen Perspektiven das schulische Leistungsvermögen überprüft wurde, wobei sich zudem jeder Zweifelsfall zugunsten des elterlichen Bestimmungsrechts auswirkt. So fließen bereits auf der Ebene der mit dem Halbjahreszeugnis der Klasse 4 verbundenen Schulformempfehlung begründete Erwartungen an die Lern- und Leistungsentwicklung des Kindes ein, die sich aus seiner Lernbiographie ergeben. Der Gesetzgeber hat diese Einschätzung den Lehrkräften übertragen, die das Kind regelmäßig über einen langen Zeitraum im schulischen Alltag beobachten konnten und oft vor dem Hintergrund langjähriger pädagogischer Berufserfahrung einen verlässlichen Eindruck von der Leistungsfähigkeit gewonnen haben.

Vgl. dazu VG Arnsberg, Beschluss vom 18. April 2007 – 10 L 258/07 – .

Etwaigen Unsicherheiten, die naturgemäß mit Prognosen für den Besuch weiterführender Schulen verbunden sind, kann die Klassenkonferenz in Ausübung des Beurteilungsspielraums Rechnung tragen, indem sie eine „bedingte“ Eignung für eine weitere Schulform feststellt. In einem solchen Fall können sich die Eltern nach einem Beratungsgespräch mit ihrem Schulformwunsch trotz der Eignungszweifel durchsetzen.

Für den Fall noch verbleibender Fehlerquellen oder Differenzen zwischen Eltern und Grundschule hat der Gesetzgeber über die Erfahrungen aus der Grundschulzeit hinaus den sog. Prognoseunterricht als Überprüfungsmöglichkeit geschaffen. Dieser Unterricht ist so ausgestaltet, dass jeweils ein Pädagoge aus dem Grundschulbereich, dem Bereich der weiterführenden Schulen und der Schulaufsicht nach einer dreitägigen strukturierten und weitgehend standardisierten Beobachtung der Kinder einstimmig zur Überzeugung gelangen müssen, dass die Grundschulempfehlung zutrifft. Erst dann muss der Elternwille gegenüber der staatlichen Entscheidung zurückstehen; hält hingegen nur einer der beteiligten Pädagogen die Grundschulempfehlung für unrichtig, setzt sich wiederum der Elternwille durch. Soweit gegen den Prognoseunterricht eingewendet wird, er sei nur eine Momentaufnahme und für die Kinder als Prüfungssituation sehr belastend, ist zu beachten, dass es sich nicht um die alleinige Entscheidungsgrundlage handelt, sondern um einen „Filter“ zur etwaigen Korrektur der Grundschulempfehlung. Es handelt sich um eine pädagogische Kompromisslösung, bei der in einer dem Unterricht angenäherten Form unter Beteiligung von Lehrkräften außerhalb des Grundschulbereichs Erkenntnisse gewonnen werden können, die nach drei Tagen der Beobachtung sehr wohl über eine nur flüchtige oder oberflächliche Würdigung des Leistungsvermögens der Kinder hinausgehen. Letztlich hat sich der Gesetzgeber für ein Überprüfungsmodell entschieden, das bildungspolitisch unterschiedlich gesehen und diskutiert werden mag. Die Kammer vermag aber nicht zu erkennen, das der Gesetzgeber bei der Auswahl der zur Verfügung stehenden Alternativen rechtliche Grenzen verletzt hat. Bei der hier vorliegenden Ausgestaltung der Eignungsermittlung wird im Ergebnis auf die elterlichen Belange mehr als ausreichend Rücksicht genommen.

Vgl. auch VG Arnsberg, a.a.O.

Schließlich fällt ins Gewicht, dass bei allen Unwägbarkeiten, die zwangsläufig mit Prognosen als Zukunftsaussagen verbunden sind, und bei allen Unsicherheiten in der Beurteilung der Entwicklung junger Schüler der weitere schulische Werdegang nicht gleichsam festzementiert wird. Gemäß § 11 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekundarstufe I ist gewährleistet, dass die besuchte weiterführende Schule schon nach dem ersten Halbjahr der Klasse 5 und auch zu späteren Zeitpunkten dafür Sorge zu tragen hat, dass leistungsstarke Schüler etwa von der Hauptschule zur Realschule oder zum Gymnasium wechseln können. Die Kammer verkennt nicht, dass ein solcher abermaliger Schulwechsel, der zeitlich kurz nach dem Verlassen der Grundschule erfolgen würde, mit Nachteilen für das Kind verbunden wäre. Allerdings überwiegen die Vorteile für diesen Fall, weil dann noch relativ frühzeitig eine Weichenstellung erfolgen kann, die den in der Sekundarstufe I erkennbar gewordenen Begabungen gerecht wird. Schließlich kann ein Wechsel auch noch später erfolgen, um einen höherwertigen Schulabschluss in der Sekundarstufe II zu erreichen. Soweit Kapazitätsengpässe dem nicht entgegenstehen, kann durch die Wahl einer Gesamtschule ebenfalls jeder schulische Abschluss erworben werden. Bei einer Gesamtschau der Regelungen in § 11 Abs. 4 Schulgesetz i.V.m. § 8 Ausbildungsordnung Grundschule vermag die Kammer daher die Bewertung dieses Eignungsfeststellungsverfahrens als „unverblümten Staatssozialismus“ durch den Verfasser eines Aufsatzes zu dieser Thematik – Vgl. Zitierung in der Landtags-Drucksache 14/4255, Rdnr. 113 – nicht nachzuvollziehen. Vielmehr handelt es sich um eine gesetzgeberische Entscheidung, die sich im Rahmen der im Bundesgebiet seit langem in verschiedenen Varianten bekannten Zulassungsschranken aus Gründen der persönlichen Eignung für den Besuch differenzierter weiterführender Schulen hält.

Vgl. dazu Niehues/Rux, Schul- und Prüfungsrecht, Band 1, Schulrecht, 4. Auflage, München 2006, Rdnrn 583 ff.

Die Ausführungen zur Rechtfertigung der landesgesetzlichen Beschränkungen des elterlichen Wahlrechts führen auch hinsichtlich der eigenen Grundrechte der Antragstellerin zu keiner anderen Bewertung.

Da im Übrigen gegen den Bescheid des Antragsgegners keine rechtlichen Bedenken geltend gemacht werden und auch von Amts wegen nicht ersichtlich sind, bleibt der Antrag in der Sache ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

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