Erfolgsaussichten im Dieselskandal: Gericht verpflichtet Versicherer zu Deckungszusage
Im vorliegenden Fall entschied das LG Augsburg, dass die Rechtsschutzversicherung einem Versicherungsnehmer Deckung für ein Berufungsverfahren gewähren muss, nachdem sie die Deckungszusage verzögert und ohne ausreichende Begründung abgelehnt hatte, besonders unter Berücksichtigung neuer, für den Versicherungsnehmer günstiger Rechtsprechungsentwicklungen zur Dieselproblematik.
Übersicht:
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✔ Das Wichtigste in Kürze
- Der Versicherer verliert das Recht, die Leistung wegen fehlender Erfolgsaussicht oder Mutwilligkeit abzulehnen, wenn er dies dem Versicherungsnehmer nicht unverzüglich und mit Begründung mitteilt.
- Eine Verzögerung von mehr als 11 Wochen für die Ablehnung ist nicht unverzüglich.
- Neuentwicklungen in der Rechtsprechung, die nach der Deckungsablehnung auftreten, müssen in der Bewertung der Erfolgsaussichten berücksichtigt werden.
- Das Gericht verpflichtet die Versicherung zur Deckungszusage für das Berufungsverfahren vor dem OLG Stuttgart.
- Die Kosten des Rechtsstreits werden der Versicherung auferlegt.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung.
- Der Streitwert wurde auf 9.703,42 € festgesetzt.
Entscheidungen der Rechtsschutzversicherung
Eine Rechtsschutzversicherung bietet finanzielle Sicherheit, wenn Versicherte ihre rechtlichen Interessen durchsetzen möchten. Ob im Arbeits-, Miet- oder Verkehrsrecht – die Versicherung übernimmt die Kosten für einen Rechtsstreit. Doch nicht jede beabsichtigte Rechtsverfolgung wird von der Police gedeckt. Entscheidend sind die Erfolgsaussichten des jeweiligen Falls.
Die Einschätzung, ob eine konkrete Berufung Aussicht auf Erfolg hat, kann für Laien eine Herausforderung sein. Gerade bei komplexen Rechtsfragen oder neuen Entwicklungen in der Rechtsprechung ist eine professionelle Bewertung unerlässlich. Versicherer sind angehalten, ihre Entscheidungen transparent und zeitnah zu begründen.
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➜ Der Fall im Detail
Streit um Deckungszusage in Dieselaffäre eskaliert vor Gericht
Im Zentrum dieses Rechtsstreits steht die Auseinandersetzung zwischen einem Kläger und seiner Rechtsschutzversicherung über die Gewährung einer Deckungszusage für ein Berufungsverfahren.
Der Kläger, Besitzer eines Mercedes-Benz S 350 CDI BlueTEC, sieht sich durch den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen geschädigt. Nachdem das Landgericht Stuttgart seine Klage gegen die Daimler AG abgewiesen hatte, beantragte er bei seiner Versicherung Deckung für das Berufungsverfahren. Die Versicherung lehnte ab, da sie keine Erfolgsaussicht sah – eine Entscheidung, die mehr als elf Wochen nach der Antragstellung erfolgte und auf der Annahme basierte, dass die rechtliche Interessenwahrnehmung des Klägers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.
Gericht rügt Versäumnisse der Versicherung
Das Landgericht Augsburg stellte fest, dass die Versicherung ihr Recht zur Ablehnung der Leistung verloren hat, weil sie diese nicht unverzüglich und begründet mitteilte. Das Gericht betonte, dass die elfwöchige Verzögerung nicht mehr als unverzüglich angesehen werden kann. Weiterhin wurde kritisiert, dass die Versicherung neue Entwicklungen in der Rechtsprechung, die potenziell zugunsten des Klägers hätten sein können, nicht berücksichtigte. Besonders relevant ist hier ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, welches nach der ursprünglichen Ablehnung der Deckungszusage ergangen ist und neue Perspektiven auf die Rechtslage eröffnete.
Verpflichtung zur Deckungszusage
Das Gericht entschied, dass die Versicherung verpflichtet ist, Deckungsschutz für das Berufungsverfahren zu gewähren. Diese Entscheidung basiert auf der Feststellung, dass die Versicherung die Ablehnung der Deckungszusage nicht rechtzeitig kommunizierte und somit die Möglichkeit verlor, sich auf die fehlende Erfolgsaussicht zu berufen. Zusätzlich wurde anerkannt, dass aufgrund der neueren Entwicklungen in der Rechtsprechung zur Dieselthematik die Erfolgsaussichten der Berufung nicht von vornherein als aussichtslos betrachtet werden können.
Kostenentscheidung und vorläufige Vollstreckbarkeit
Neben der Deckungszusage muss die Versicherung auch die Kosten des Rechtsstreits tragen. Das Urteil wurde für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags für vorläufig vollstreckbar erklärt. Der Streitwert wurde auf 9.703,42 € festgesetzt, ein Betrag, der das Prozesskostenrisiko des Klägers in der Berufungsinstanz widerspiegelt.
Bedeutung für die Rechtspraxis
Dieser Fall unterstreicht die Bedeutung der unverzüglichen und begründeten Kommunikation zwischen Versicherern und Versicherungsnehmern bei der Ablehnung von Leistungen. Er zeigt auf, dass Versicherungen bei ihrer Entscheidungsfindung aktuelle und potenziell zukünftige Entwicklungen in der Rechtsprechung berücksichtigen müssen. Die Entscheidung des Landgerichts Augsburg sendet ein klares Signal an die Versicherungswirtschaft, Verfahrensrechte ihrer Versicherten ernst zu nehmen und bei der Leistungsablehnung sowohl sorgfältig als auch zeitnah zu agieren.
✔ Häufige Fragen – FAQ
Wann lehnt eine Rechtsschutzversicherung die Deckung ab?
Hier sind die häufigsten Gründe, warum eine Rechtsschutzversicherung die Deckung ablehnen kann und was Versicherte in solchen Fällen tun können:
Die Rechtsschutzversicherung lehnt oft die Kostenübernahme ab, wenn:
- Der Streitfall nicht durch die Police abgedeckt ist, z.B. weil das entsprechende Rechtsgebiet wie Arbeitsrecht nicht versichert wurde. Versicherte sollten daher genau prüfen, welche Leistungsbausteine ihr Vertrag enthält.
- Die Erfolgsaussichten als zu gering eingeschätzt werden. Dies ist der wohl umstrittenste Ablehnungsgrund. Die Versicherung darf die Hauptsache dabei aber nicht vorwegnehmen, sondern muss anhand der Unterlagen prüfen, ob der Standpunkt zumindest vertretbar erscheint.
- Risikoausschlüsse in den Versicherungsbedingungen vorliegen, z.B. für die Abwehr von Schadensersatzansprüchen oder Streitigkeiten beim Hausbau. Auch hier ist es wichtig zu wissen, was genau versichert ist.
- Der Rechtsschutzfall vor Beginn des Versicherungsschutzes oder innerhalb der Wartezeit von meist 3 Monaten liegt.
Wenn die Rechtsschutzversicherung die Deckung ablehnt, können Versicherte folgende Schritte unternehmen:
- Einen spezialisierten Anwalt beauftragen, der ein rechtssicheres Schreiben mit allen Ablehnungsgründen und Beweisen erstellt, damit die Versicherung den Fall erneut prüft.
- Ein Stichentscheid- oder Schiedsgutachtenverfahren einleiten, bei dem ein unabhängiger Anwalt als Gutachter die Erfolgsaussichten neu bewertet. Das Ergebnis ist für die Versicherung bindend.
- Sich an den Versicherungsombudsmann als Schlichtungsstelle wenden und dort Beschwerde einreichen.
- Als letztes Mittel eine Deckungsklage gegen die Versicherung erheben, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.
Insgesamt zeigt die hohe Erfolgsquote von 63% bei Beschwerden vor dem Ombudsmann, dass es sich für Versicherte lohnt, nicht zu schnell aufzugeben, wenn die Rechtsschutzversicherung zunächst nicht zahlen will. Mit der richtigen Vorgehensweise bestehen gute Chancen, doch noch eine Kostenübernahme zu erreichen.
Was bedeutet „unverzügliche“ Mitteilung durch die Versicherung?
Die „unverzügliche“ Mitteilung durch die Versicherung bedeutet, dass die Versicherungsgesellschaft ohne schuldhaftes Zögern handeln und auf Ereignisse oder Anfragen reagieren muss. Dieser Begriff wird im deutschen Recht verwendet und bedeutet juristisch „ohne schuldhaftes Zögern“ (§ 121 Abs. 1 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches).
Im Kontext der Rechtsschutzversicherung ist die unverzügliche Mitteilung besonders relevant, wenn es um die Entscheidung über die Deckungszusage geht. Das Landgericht Krefeld hat beispielsweise entschieden, dass ein Zeitraum von zwei bis drei Wochen zur unverzüglichen Entscheidung über die Erteilung einer Deckungszusage nicht durch unnötige Nachfragen verlängert werden darf.
Das bedeutet, dass die Versicherungsgesellschaften verpflichtet sind, innerhalb einer angemessenen Frist zu reagieren und nicht durch unnötige Verzögerungen die Entscheidung hinauszuzögern. Dies ist wichtig, damit Versicherte nicht unnötig in der Schwebe gehalten werden und ihre rechtlichen Ansprüche zeitnah geltend machen können.
Inwiefern beeinflusst neue Rechtsprechung die Deckungszusage?
Neue Rechtsprechung kann einen erheblichen Einfluss auf die Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung haben. Wenn Gerichte neue Urteile fällen oder wenn es Gesetzesänderungen gibt, kann sich die rechtliche Bewertung eines Falles ändern. Dies kann wiederum die Einschätzung der Erfolgsaussichten einer rechtlichen Auseinandersetzung beeinflussen, welche ein zentraler Faktor für die Entscheidung einer Rechtsschutzversicherung ist, ob sie die Kosten für ein rechtliches Verfahren übernimmt oder nicht.
Wenn beispielsweise ein Gerichtsurteil neue Rechtsprechung schafft, die einen Fall in einem anderen Licht erscheinen lässt, kann ein zuvor als aussichtslos eingestufter Fall nun erfolgversprechend sein. In solchen Fällen kann es notwendig sein, dass die Versicherung ihre ursprüngliche Ablehnung der Deckung revidiert und dem Versicherten doch Rechtsschutz gewährt.
Versicherte sollten daher bei einer Ablehnung der Deckungszusage durch ihre Rechtsschutzversicherung prüfen, ob sich die Rechtslage seit der Ablehnung geändert hat und ob diese Änderungen für ihren Fall relevant sein könnten. Ist dies der Fall, können sie eine erneute Prüfung ihres Anspruchs auf Deckung durch die Versicherung verlangen.
Was passiert, wenn die Versicherung die Deckungszusage zu Unrecht ablehnt?
Wenn eine Versicherung die Deckungszusage zu Unrecht ablehnt, haben Versicherte verschiedene Möglichkeiten, dagegen vorzugehen und ihre Rechte durchzusetzen. Hier sind die Schritte, die unternommen werden können:
- Überprüfung und Widerspruch: Zunächst sollte der Ablehnungsgrund genau überprüft werden. Oftmals basiert die Ablehnung auf Missverständnissen oder einer unvollständigen Bewertung des Sachverhalts. Versicherte können gegen die Entscheidung Widerspruch einlegen und die Versicherung um eine erneute Überprüfung bitten, wobei zusätzliche Informationen oder Dokumente vorgelegt werden können, die die Position des Versicherten stärken.
- Rechtliche Beratung einholen: Es ist ratsam, einen auf Versicherungsrecht spezialisierten Anwalt zu konsultieren. Dieser kann die Ablehnung bewerten und beraten, ob und wie ein Widerspruch sinnvoll ist. Der Anwalt kann auch dabei helfen, den Widerspruch fachgerecht zu formulieren und die notwendigen Beweise beizubringen.
- Stichentscheid oder Schiedsgutachten: Falls die Versicherung die Deckungszusage aufgrund einer Einschätzung der Erfolgsaussichten ablehnt, kann ein Stichentscheid oder Schiedsgutachtenverfahren eingeleitet werden. Dabei bewertet ein unabhängiger Gutachter die Erfolgsaussichten neu. Das Ergebnis ist für die Versicherung bindend.
- Ombudsmannverfahren: Versicherte können sich an den Versicherungsombudsmann wenden. Dies ist eine außergerichtliche Schlichtungsstelle, die Beschwerden gegen Versicherungen prüft und versucht, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Das Verfahren ist für den Versicherten kostenlos und kann eine Alternative zu einem gerichtlichen Verfahren darstellen.
- Deckungsklage erheben: Als letztes Mittel kann eine Deckungsklage gegen die Versicherung erhoben werden. Dabei wird ein Gericht darüber entscheiden, ob die Versicherung zur Übernahme der Kosten verpflichtet ist. Dieser Schritt sollte erst in Erwägung gezogen werden, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, da gerichtliche Verfahren mit Kosten und Risiken verbunden sind.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Erfolgschancen eines Widerspruchs oder einer Klage stark vom Einzelfall abhängen. Eine sorgfältige Prüfung der Ablehnungsgründe und eine fundierte rechtliche Beratung sind daher unerlässlich, um die beste Vorgehensweise zu bestimmen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 3a Abs. 1 S. 2 ARB 2006: Dieser Paragraph regelt die unverzügliche Ablehnung der Leistung durch den Versicherer, wenn keine Aussicht auf Erfolg besteht. Die Relevanz ergibt sich aus der Pflicht der Versicherung, eine Deckungszusage bei rechtlichen Auseinandersetzungen begründet und ohne unnötige Verzögerung zu kommunizieren.
- § 17 Abs. 2 S. 1 ARB: Bestimmt, dass der Versicherungsnehmer einen Anspruch auf eine Deckungszusage hat. Dies ist wichtig, um zu verstehen, dass Versicherte rechtlich abgesichert sind, eine Bestätigung des Versicherungsschutzes für rechtliche Streitigkeiten zu erhalten.
- § 114 ZPO (Zivilprozessordnung): Erörtert die Voraussetzungen für Prozesskostenhilfe basierend auf den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung. Der Bezug zum Thema zeigt, wie wichtig die Beurteilung der Erfolgsaussichten für die rechtliche Unterstützung und für die Entscheidungen der Rechtsschutzversicherung ist.
- Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007: Bezieht sich auf unzulässige Abschalteinrichtungen bei Fahrzeugen. Dieses Gesetz ist entscheidend, um die Rechtslage rund um den Skandal der Diesel-Fahrzeuge und die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche zu verstehen.
- § 128 VVG (Versicherungsvertragsgesetz): Regelungen zum Gutachterverfahren bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer. Der Paragraph verdeutlicht, wie Versicherungsnehmer vorgehen können, wenn sie mit der Entscheidung der Versicherung nicht einverstanden sind.
- Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG: Diese Richtlinien schützen die Interessen von Käufern von Kraftfahrzeugen gegenüber den Herstellern, insbesondere im Kontext unzulässiger Abschalteinrichtungen. Sie zeigen, wie EU-Recht den Verbraucherschutz stärkt und welche Rolle es in der Rechtsprechung spielt.
Das vorliegende Urteil
LG Augsburg – Az.: 091 O 2094/23 – Endurteil vom 01.02.2024
Leitsätze:
1. Der Versicherer verliert das Recht, die Leistung wegen fehlender Erfolgsaussicht oder Mutwilligkeit abzulehnen, wenn er dies dem Versicherungsnehmer nicht unverzüglich unter Angabe von Gründen iSv § 3a Abs. 1 S. 2 ARB 2006 schriftlich mitteilt (Anschluss an BGH BeckRS 2003, 3749). 2. Erfolgt die Ablehnung – so hier – mehr als 11 Wochen nach Antragstellung, ist sie nicht mehr unverzüglich in diesem Sinne (s. auch BGH BeckRS 2016, 14153 Rn. 38).
3. Wenn sich bei unverändertem Sachverhalt und unveränderter Vorschriftenlage in der Rechtsprechung neue Entwicklungen zugunsten des Versicherungsnehmers ergeben (hier durch die Entscheidung des EuGH BeckRS 2023, 4652), muss diese Entwicklung bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung auch dann berücksichtigt werden, wenn im Zeitpunkt der Deckungsablehnung unter Berücksichtigung der damals maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung (s. zB BGH BeckRS 2021, 847) keine Erfolgsaussicht bestand (Anschluss an OLG Hamm BeckRS 2023 11113; s. auch OLG Jena BeckRS 2023, 14757; OLG Karlsruhe BeckRS 2023, 31218; entgegen OLG Schleswig BeckRS 2022, 14543; OLG Bremen BeckRS 2022, 37412; OLG Frankfurt a.M. 20.12.2022 – 7 U 52/22).
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte aus dem mit dem Kläger geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer … verpflichtet ist, für das Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, Aktenzeichen …, Deckungsschutz zu gewähren.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 9.703,42 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass ihm die Beklagte aus einem Rechtsschutzversicherungsverhältnis zur Erteilung einer Deckungszusage für ein Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, welches dort unter dem Aktenzeichen … geführt wird, verpflichtet ist.
Der Kläger ist bei der Beklagten rechtsschutzversichert. Dem Versicherungsvertrag zur Versicherungsscheinnummer … liegen die ARB 2006 zugrunde. In diesem Regelwerk hat sich die Beklagte dazu verpflichtet, eine Anfrage auf Deckungsschutz unverzüglich abzulehnen, soweit dies mit fehlender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung begründet werden soll.
Am 27.09.2014 erwarb der Kläger bei der Firma … einen gebrauchten S 350 CDI BlueTEC mit der Fahrzeugidentifikationsnummer WDD … zum Preis von 74.000 €. In dem Fahrzeug ist ein Motor des Typs OM 642 verbaut. Dieser Motor besitzt eine Typengenehmigung vom 04.06.2012 und ist mit der Schadstoff- und Abgasstrategie: „Geregeltes Kühlmittelthermostat“ (KSR bzw. KMST) ausgestattet. Das Fahrzeug war von einem amtlichen Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes betroffen. Am 17.02.2021 erteilte die Beklagte dem Kläger Deckungszusage für eine Klage vor dem Landgericht Stuttgart gegen die Daimler AG. Zuletzt hatte der Kläger in dem dort unter dem Aktenzeichen 48 O 71/21 geführten Verfahren folgende Anträge gestellt:
1.1.1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 62.948,16 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.04.2020 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Mercedes-Benz vom Typ S 350 CDI BlueTEC mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … nebst 2 Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein und Kfz-Brief.
Hilfsweise:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 durch die Beklagte in das Fahrzeug der Marke Mercedes-Benz vom Typ S 350 CDI BlueTec mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … resultieren.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
3.
Es wird festgestellt, dass der in Antrag zu 1 bezeichnete Anspruchs aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
4.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 3.196,34 € freizustellen.
Das Landgericht Stuttgart hat die Klage am 12.11.2021 abgewiesen. Hinsichtlich der Entscheidungsgründe wird auf das als unbezifferte Anlage vorgelegte Urteil Bezug genommen. Mit Schreiben vom 24.11.2021 erbat der Kläger bei der Beklagten eine Deckungszusage für das Berufungsverfahren. Das angegriffene Urteil lag dieser Anfrage bereits bei. Mit Schreiben vom 15.02.2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass an der bisherigen Ablehnung mangels Erfolgsaussichten festgehalten werden würde. Am Ende des Schreibens wird auf die Möglichkeit eines Stichentscheids nach § 17 Abs. 2 VRB 2006 hingewiesen. Hinsichtlich des genauen Inhalts, sowie der drucktechnischen Gestaltung des Schreibens wird auf das als Anlage vorgelegte Schriftstück vom 15.02.2021 Bezug genommen. Die erbetene Deckungszusage wurde von der Beklagten nicht erteilt. Unabhängig davon ließ der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart Berufung einlegen. Das entsprechende Verfahren wird vor dem Oberlandesgericht Stuttgart unter dem Aktenzeichen … geführt.
Der Kläger behauptet, dass der Motor des von ihm erworbenen Fahrzeugs mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet sei, welche im Ergebnis dazu führen würden, dass die Abgasrückführungssysteme auf dem Prüfstand anders als im Realbetrieb arbeiten würden. Den entsprechenden erstinstanzlichen Vortrag hätte das Landgericht fälschlicherweise als „ins Blaue hinein“ abgetan. Jedenfalls würden ihm die erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche nach der neueren Entwicklung der europäischen Rechtsprechung zur Dieselproblematik zustehen, sodass die beabsichtigte Berufung hinreichende Aussicht auf Erfolg hätte. Dessen ungeachtet sei die Beklagte mit dem Einwand der fehlenden Erfolgsaussicht auch präkludiert, da sie den Antrag auf Deckungszusage nicht unverzüglich abgelehnt hätte. Darüber hinaus sei der Hinweis auf den Stichentscheid für einen Laien unverständlich formuliert worden und zudem im Fließtext versteckt, sodass das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers als anerkannt gelten würde.
Der Kläger beantragt:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte aus dem mit der Klägerpartei geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer … verpflichtet ist, für das Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, Aktenzeichen …, Deckungsschutz zu gewähren.
Die Beklagte beantragt: Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte behauptet, den Antrag auf Erteilung einer Deckungszusage bereits mit Schreiben vom 14.12.2021 zurückgewiesen zu haben. In diesem Zusammenhang sei ein umfangreiches Urteil, sowie weiterer Vortrag des Klägers vom 01.12.2021 zu prüfen gewesen, sodass die Ablehnung auch rechtzeitig erfolgt sei. Der Hinweis auf den Stichentscheid im Schreiben vom 15.02. 2022 sei klar und verständlich formuliert und würde sich an prominenter Stelle am Ende des Textes befinden. Eine Deckungsfiktion käme somit nicht in Betracht. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Berufungsverfahren hätte keine Aussicht auf Erfolg. Insbesondere würde es sich bei den erstinstanzlich vorgetragenen Behauptungen um bloße Pauschaldarstellungen ohne greifbare Anhaltspunkte handeln, sodass das Landgericht Stuttgart die Klage zu Recht abgewiesen hätte.
Der Kläger hat zunächst Klage zum Landgericht Berlin erhoben. Mit Beschluss vom 05.06.2023 hat sich das Landgericht Berlin für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das Landgericht Augsburg verwiesen. Im Termin vom 07.12.2023 haben sich die Parteivertreter mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. Mit Beschluss vom 27.12.2023 hat das Gericht das Verfahren ohne mündliche Verhandlung angeordnet. Als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten, wurde der 17.01.2024 bestimmt.
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie auf den Vortrag der Parteivertreter im Termin vom 07.12.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage erweist sich als vollumfänglich begründet.
A.
I. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus dem, gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindenen Verweisungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 05.06.2023.
Die sachliche Zuständigkeit folgt §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG
II. Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich aus dem Umstand, dass die Beklagte eine Verpflichtung zur Übernahme der Kosten für das Berufungsverfahren aus dem Versicherungsvertragsverhältnis abgelehnt hat. Somit droht dem subjektiven Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit, welche durch ein Feststellungsurteil beseitigt werden kann.
B.
I. Der Kläger kann gegen die Beklagte einen Anspruch auf Feststellung der Verpflichtung zur Erteilung einer Deckungszusage aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertragsverhältnis herleiten.
1. Der Versicherungsnehmer hat gegen den Versicherer nach h.M., welcher sich das Gericht anschließt, einen Anspruch auf Deckungszusage gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 ARB. Dabei handelt es sich nicht lediglich um den Ausfluss einer wenig konturierten Sorgetragungspflicht, sondern um eine selbstständige vertragliche Nebenleistungspflicht des Rechtsschutzversicherers. Nach dem Wortlaut der Bestimmung „bestätigt“ der Versicherer „den Umfang des für den Rechtsschutzfall bestehenden Versicherungsschutzes“. Das bedeutet, dass der Versicherungsnehmer Anspruch auf Abgabe eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses hat. (vgl. Bruns in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2018, § 17 ARB)
2. Gemäß § 3 a Abs. 1 a) ARB kann der Versicherer den Rechtsschutz ablehnen, wenn die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die Ablehnung ist dem Versicherungsnehmer in diesem Fall unverzüglich unter Angabe von Gründen schriftlich mitzuteilen. Unterbleibt die unverzügliche Mitteilung, verliert der Versicherer das Recht, die Leistung wegen fehlender Erfolgsaussicht abzulehnen. (vgl. BGH Urteil vom 19.03.2003, VI ZR 139/01)
So liegt es hier:
Die Beklagte hat auf die Deckungsanfrage vom 24.11.2021 mit Schreiben vom 15.02.2022 geantwortet. Den ihr obliegenden Nachweis, dass sie den Rechtsschutz wegen fehlender Erfolgsaussichten bereits mit Schreiben vom 14.12.2021 zurückgewiesen hätte und dieses Schreiben dem Kläger auch zugegangen sei, konnte die Beklagte nicht erbringen. Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass sich das als unbezifferte Anlage vorgelegte Schreiben vom 15.02.2022 offensichtlich auf eine vorangegangene Nachricht der Klägervertreter vom 26.01.2022 und somit auf eine bereits laufende Korrespondenz bezieht. Gleichwohl bleibt letztlich unklar, ob und wann der Klägerseite das Schreiben vom 14.12.2021 zugegangen ist. Auf Antrag des Beklagtenvertreters wurde der Beklagten im Termin vom 07.12.2023 diesbezüglich eine Frist zur Stellungnahme bewilligt, nachdem der Klägervertreter erklärt hat, nach Vorlage einer entsprechenden E-Mail-Versandbestätigung den Zugang des Schreibens nicht mehr bestreiten zu wollen. Eine derartige Bestätigung wurde von der Beklagten weder innerhalb nachgelassenen Schriftsatzfrist, noch innerhalb der mit Beschluss vom 27.12.2023 gesetzten Beibringungsfrist vorgelegt. Das Gericht geht daher davon aus, dass eine Versandbestätigung entweder nicht existiert, oder nicht mehr auffindbar ist, der Zugang des Schreibens vom 14.12.2021 somit nicht nachgewiesen ist.
Die Ablehnung erfolgte demnach mehr als 11 Wochen nach Antragstellung und war damit nicht mehr unverzüglich i.S.d. § 3 a ARB, so dass sich die Beklagte nicht mehr auf den Ausschlussgrund der fehlenden Erfolgsaussichten berufen kann.
3. Im Übrigen hätte sich die Beklagte auch bei rechtzeitiger Ablehnung der Deckungsanfrage nicht auf fehlende Erfolgsaussichten berufen können.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das gegenständliche Fahrzeug mit der Schadstoff- und Abgasstrategie: „Geregeltes Kühlmittelthermostat“ (KSR bzw. KMST) ausgestattet ist und von einem amtlichen Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes betroffen war. Unter Berücksichtigung der europäischen und höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Dieselproblematik kann daher nach Auffassung des Gerichts nicht ausgeschlossen werden, dass dem Kläger gegen die Daimler AG ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB zusteht, ohne dass der Kläger eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Herstellers darlegen und beweisen muss. Insbesondere hat der Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21 klargestellt, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nummer 715/2007 dahin auszulegen sind, dass diese Vorschriften neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist.
Der beabsichtigten Rechtsverfolgung können somit hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 ZPO nicht abgesprochen werden.
Dem steht auch nicht entgegen, dass das Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union erst nach der Deckungsablehnung durch die Beklagte entschieden wurde und die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Klägers womöglich anders zu beurteilen wären, wenn man allein auf die damalige höchstrichterliche deutsche Rechtsprechung abstellen würde. Wenn sich – wie hier – bei unverändertem Sachverhalt und unveränderter Vorschriftenlage in der Rechtsprechung neue Entwicklungen zugunsten des Versicherungsnehmers ergeben, muss diese Entwicklung bei der Prüfung der Erfolgsaussichten berücksichtigt werden (Vergleiche OLG Hamm, Urteil vom 05.05.2023 I-20 U 144/22).
4. Es kann somit offen bleiben, ob im Schreiben der Beklagten vom 15.02.2022 in ausreichender Form auf das in § 128 Satz 1 VVG normierte Gutachterverfahren hingewiesen wurde, oder ob gem. § 128 Satz 3 VVG Deckungsfiktion eingetreten ist, was unter Berücksichtigung der Textfülle im Schreiben vom 15.02.2022 und der fehlenden drucktechnischen Hervorhebung der Belehrung jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen sein dürfte.
II. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 709 ZPO.
III. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 3, 4 ZPO in Verbindung mit § 48 GKG.
Zur Wertbemessung wurde hier das Prozesskostenrisiko des klägerischen Vorgehens gegen die Mercedes-Benz Group AG (Ex Daimler AG) in 2. Instanz herangezogen. Hiervon sind die jeweils möglichen Rechtsanwalts-, Gerichts-, sowie Gutachterkosten umfasst. Nach insoweit unbestritten gebliebenem Vortrag der Klägerseite ergibt sich bei Ansatz eines Gegenstandswertes von 65.000 € auf diese Weise ein Prozessrisiko in Höhe von 12.129,27 €, wovon unter Berücksichtigung der Feststellungsklage ein 20 prozentiger Abschlag vorgenommen wurde, sodass sich ein Streitwert von 9.703,42 € errechnet.