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Reisestornierung wegen Corona-Pandemie

AG Düsseldorf – Az.: 50 C 364/20 – Urteil vom 01.07.2021

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.152,00 EUR nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.08.2020 zu zahlen sowie den Kläger von außergerichtlichen Gebührenansprüchen seiner heutigen Prozessbevollmächtigten i.H.v. 109,91 EUR freizustellen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von jeweils 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger buchte am 12.11.2019 bei der Beklagten für sich und seine Familie eine Reise nach Kreta für die Zeit vom 24.07. bis zum 01.08.2021. Der Gesamtreisepreis betrug 5.757,00 EUR. Der Kläger leistete eine Anzahlung von 1.152,00 EUR.

Reisestornierung wegen Corona-Pandemie
(Symbolfoto: Elizaveta Galitckaia/Shutterstock.com)

Der Kläger stornierte die Reise mit Schreiben vom 22.05.2020 (Bl. 23 GA) unter Berufung auf die Corona-Pandemie. Die Beklagte behielt die Anzahlung als Stornierungskosten ein.

Nach E-Mail-Verkehr zwischen den Parteien beauftragte der Kläger seine Prozessbevollmächtigten, die mit anwaltlichem Schreiben vom 10.07.2020 (Bl. 8 GA) unter Fristsetzung bis zum 31.07.2020 vergeblich die Rückzahlung des Betrages von 3.152,00 EUR geltend machten.

Der Kläger trägt vor, er sei im Hinblick auf die Corona-Pandemie zu einem kostenlosen Rücktritt von der Reise berechtigt gewesen.

Die Klägerin beantragt, wie erkannt.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend, sie könne aufgrund der zwischen den Parteien vereinbarten Allgemeinen Reisebedingungen der Beklagten eine Stornierungsgebühr in Höhe von 25 % des Reisepreise verlangen und damit die Anzahlung einbehalten, da die Voraussetzungen für eine kostenlose Stornierung nicht vorgelegen hätten.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Parteien in deren wechselseitigen Schriftsätzen nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Der Kläger kann gemäß §§ 346 ff, 651h Abs. 1 S. 2 und Abs. 5 BGB die Rückzahlung des Betrages von 1.152,00 EUR verlangen.

1.

Die Frage, ob ein Reiseveranstalter Stornogebühren verlangen kann oder ob diese entfallen, richtet sich allein nach § 651h Abs. 3 BGB. Nach dieser Vorschrift kann der Reiseveranstalter keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen (§ 651h Abs. 3 S. 1 BGB). Weitere Voraussetzungen müssen nicht vorliegen. Die COVID-19-Pandemie ist ein solcher außergewöhnlicher Umstand, der seit März 2020 nicht nur außereuropäische Länder, sondern auch alle Länder innerhalb Europas erfasst hat und seitdem ununterbrochen weltweit fortdauert. Daraus folgt, dass der Reisende grundsätzlich jederzeit seit März 2020 – soweit er die Reise vorher gebucht hat – berechtigt (gewesen) ist, die Reise kostenneutral wegen der Pandemie zu stornieren, so dass es nicht zu beanstanden ist, dass der Klägerin die gebuchte Reise am 22.05.2020 unter Berufung auf die Corona-Pandemie storniert hat.

Auch wenn sich die Pandemieauswirkungen im Sommer des Jahres 2020 weniger extrem dargestellt haben sollten als im Herbst, Winter und Frühjahr 2020/2021, waren gleichwohl immer und überall pandemiebedingte Einschränkungen zu verzeichnen, zumindest durch die Einhaltung von Abstandsgeboten und bestimmter Hygienemaßnahmen. Damit ist seit März 2020 bedingt durch die Pandemie der Erholungswert einer jeden Reise und damit auch deren Durchführbarkeit erheblich beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang wird auf das überzeugende Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 26.02.2021 (37 C 414/20) verwiesen, dem sich das erkennende Gericht ausdrücklich anschließt, und in dem es wie folgt heißt:

„Es ist typischerweise Inhalt des Urlaubs, frei mit anderen Gästen in Kontakt treten zu können und nicht andere Menschen meiden zu müssen. Bereits die Notwendigkeit, andere Menschen im Urlaub vorrangig nicht mehr als mögliche Kommunikationspartner anzusehen zu haben, sondern sie auf die Möglichkeit ihrer Infektiosität reduzieren zu müssen und daher unter Hintanstellung menschlicher Grundbedürfnisse Kontaktreduzierung zu betreiben, stellt eine erhebliche psychische Beeinträchtigung dar, die die Erholungswirkung eines Urlaubs regelmäßig beeinträchtigen wird. … Ein Urlaub ist typischerweise ein Zeitraum der Unbeschwertheit, sowohl was den Ablauf des Alltags, als auch die ungezwungene Kontaktmöglichkeit mit anderen Gästen angeht. Wird man hingegen im Urlaub durch allgegenwärtige Hygienemaßnahmen praktisch vom Zeitpunkt des Aufstehens bis zum Zeitpunkt des Schlafengehens ständig daran erinnert, dass ein normaler Alltag den Menschen nicht einmal mehr im Urlaub gewährt ist, liegt hierin offensichtlich eine erhebliche Beeinträchtigung der Erholungsfunktion des Urlaubs.“

Im Ergebnis verkennt die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung, dass die zu bewertenden Umstände nach Vertragsschluss auftreten müssen (vgl. Palandt-Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 78. Auflage, § 651h, Rnr. 10). Daraus folgt, dass bei der Bewertung der Umstände (ausschließlich) die bei Vertragsschluss gegebenen Umstände zu berücksichtigen sind. Bei Abschluss des Reisevertrages im Februar 2020 gab es aber weder in Deutschland noch in der Türkei irgendwelche coronabedingten Einschränkungen, so dass es vernünftigerweise eigentlich überhaupt keine zwei Meinungen dazu geben kann, dass es eine erhebliche Beeinträchtigung darstellt, wenn im Urlaubsgebiet plötzlich wegen der Corona-Pandemie überall Maskenpflicht herrscht und im Urlaubshotel zahlreiche Einrichtungen geschlossen sind.

2.

Soweit die Rechtsprechung zum Teil weitere Anforderungen an eine kostenlose Stornierung stellt, ist dies durch die Vorschrift des § 651h BGB nicht gedeckt. Das Gesetz sieht weder das Zuwarten bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder das Treffen einer Prognoseentscheidung vor noch das Abwägen mit den Umständen am Wohnort des Reisenden.

2.1.

Die wohl überwiegend vertretene Auffassung, dass der Reisende erst frühestens vier Wochen (vergleiche dazu Führich, NJW 2020, 2137 ff) oder 20 Tage vor Reisebeginn kostenfrei stornieren kann, weil ihm ein Zuwarten bis dahin zuzumuten sei, findet im Gesetz keine Stütze. § 651h BGB enthält keine Frist, ab der der Reisende erst stornieren darf. Begründet wird die Einhaltung einer Frist offenbar in erster Linie damit, dass eine frühere Rücktrittsmöglichkeit grundsätzlich zulasten des Reiseveranstalters gehen würde, was mit der gesetzlichen Risikoverteilung in § 651h BGB nicht zu vereinbaren wäre. Dies erschließt sich nicht. § 651h BGB hat eine klare Risikoverteilung: der Reisende trägt das Risiko seiner finanziellen Leistungsfähigkeit und der übrigen aus seiner Sphäre stammenden Umstände, die zu einer Absage der Reise führen können, während der Reiseveranstalter das Risiko dafür trägt, dass die Durchführung der Reise wegen außergewöhnlicher Umstände erheblich beeinträchtigt ist. Wenn der Reisende wegen außergewöhnlicher Umstände die Reise storniert, fällt dies damit ausschließlich in das Risiko des Reiseveranstalters. Das Argument, dass dies einseitig zulasten des Reiseveranstalters ginge, greift nicht. Unabhängig von der Frage, ob sich der Reiseveranstalter etwa bei einer pandemiebedingten Absage der Reise überhaupt Entschädigungsansprüchen seiner Leistungsträger ausgesetzt sieht, bleibt es ihm unbenommen, sich gegen dieses Risiko zu versichern, genauso wie der Reisende die Möglichkeit hat, sich mit einer Reiserücktrittskostenversicherung gegen bestimmte aus seiner Sphäre stammende Risiken abzusichern. Hinzunehmen ist auch, dass möglicherweise die finanzielle Leistungsfähigkeit des Reiseveranstalters überschritten wird, wenn er sich zahlreichen Rückzahlungsforderungen ausge setzt sieht, die auf pandemiebedingten Stornierungen beruhen. Die Auswirkungen der Pandemie sind für Reiseveranstalter nicht anders zu beurteilen als beispielsweise für das Gaststätten- und Hotelgewerbe. Unter Umständen müssen Reiseveranstalter auf staatliche Unterstützung vertrauen, wenn der Staat dies (wie etwa bei dem einen oder anderen großen Luftfrachtführer oder Reiseveranstalter) für lohnend hält. Es ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung, über die bloße Gesetzesanwendung hinaus die wirtschaftlichen Folgen gesetzlicher Regelungen für den jeweils Betroffenen abzufedern.

2.2.

Des Weiteren wird im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15.10.2002 (X ZR 141/02; RRa 2002, 258) die Auffassung vertreten, das Recht zu einer kostenfreien Stornierung bestehe nur, wenn aufgrund einer entsprechend positiven Prognose zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung davon auszugehen sei, dass die Reise durch außergewöhnlicher Umstände erheblich beeinträchtigt sein würde. Auch dies überzeugt nicht. Die Regelung des § 651h BGB verlangt keine Prognoseentscheidung. Die zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist noch zu § 651j Abs. 1 BGB a. F. ergangen, der u.a. eine Gefährdung der Reise voraussetzte, also in der Zukunft liegende Umstände. Von einer Gefährdung ist in § 651h Abs. 3 BGB aber nicht mehr die Rede. Damit kommt es allein darauf an, ob zum Zeitpunkt der Stornierung außergewöhnliche, die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigende Umstände vorliegen, ohne dass eine Prognose (in Form eines wie ermittelten Prozentsatzes wovon?) anzustellen ist, die von einem Durchschnittsreisenden ohnehin nicht erwartet werden kann. Einer Prognoseentscheidung bedarf es auch gar nicht, da in der Regel die außergewöhnlichen Umstände in Naturereignissen zu sehen sind, die regelmäßig allein schon wegen ihrer Folgen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise führen, auch wenn das Ereignis selber zum Reisezeitpunkt nicht mehr gegeben sein sollte. Sollte ausnahmsweise evident sein, dass der zur Stornierung herangezogene Umstand auch in seinen Folgen zum Reisezeitpunkt zu keinerlei Beeinträchtigungen der Reise und deren Erholungswert mehr führt, bleibt es dem Reiseveranstalter unbenommen, dies in den jeweiligen Ausnahmefällen geltend zu machen. Die aktuelle Pandemie gehört aber – wie bereits aufgezeigt – nicht dazu und besteht seit März 2020 ununterbrochen europa- und weltweit fort.

Selbst wenn man die Grundsätze der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15.10.2002 anwenden wollte und darauf abstellen würde, dass im Zeitpunkt der Stornierung eine mindestens 25-prozentige Wahrscheinlichkeit dafür gegeben sein muss, dass die Reise wegen eines außergewöhnlichen Umstandes erheblich beeinträchtigt sein würde, ist dieses Erfordernis seit Auftreten der Pandemie durchweg gegeben. Seit ihrem Auftreten spätestens im März 2020 bestand die Pandemie ununterbrochen fort und hat wellenförmig immer wieder zu einem erheblichen Anstieg von Infektionen und Todesfällen geführt. Daraus folgt, dass zu keinem Zeitpunkt ab dem Auftreten der Pandemie jeweils einige Wochen vor Beginn der jeweiligen Reise deren (lediglich unerheblich beeinträchtigte) Durchführung zu mindestens 75 % sicher gewesen ist, insbesondere dann nicht, wenn – wie vorliegend – zum Zeitpunkt der Stornierung eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für das Zielgebiet vorliegt. Dabei ist nicht zuletzt auch von Bedeutung, dass pandemiebedingt aus wirtschaftlichen Erwägungen gehäuft auch Reisestornierungen durch die jeweiligen Reiseveranstalter erfolgt sind. Dies hat bei der Wahrscheinlichkeitsberechnung – wie auch immer sie vorzunehmen sein mag – mit einzufließen.

2.3.

Schließlich greifen auch nicht die Beschlüsse des Landgerichts Düsseldorf vom 03.02.2021 (22 S 394/20) und 09.03.2021 (22 S 422/20), wonach es so sein soll, dass zum Zeitpunkt der Stornierung die Gefahr einer Infektion am Bestimmungsort während der Reisezeit im Vergleich zur Infektionsgefahr im Heimatland signifikant erhöht sein muss. Diese Einschränkung entspricht nicht dem Gesetz. § 651h BGB stellt ausschließlich auf die Zustände am Bestimmungsort ab und nicht auf die des Wohnortes des Reisenden. Auch die Pauschalreise-Richtlinien besagen nichts anderes. Die Annahme, aus ihnen ergebe sich, dass die Zustände am Reiseziel signifikant schlechter sein müssten, geht fehl. Die Rechtsprechung des Landgerichts leitet dies daraus ab, dass dem Erwägungsgrund 31 der Pauschalreise-Richtlinien erkennbar stillschweigend die Annahme zugrunde läge, dass die Gesundheitsgefahr nur am Bestimmungsort bestehe und nicht gleichermaßen am Aufenthaltsort des Reisenden. Das ist ins Blaue hinein formuliert. Der vom Landgericht zitierte Erwägungsgrund nennt als Beispiel für einen kostenlosen Rücktritt „erhebliche Risiken für die menschliche Gesundheit wie einen Ausbruch einer schweren Krankheit am Reiseziel, die eine sichere Reise an das im Pauschalreisevertrag vereinbarte Reiseziel unmöglich machen“. Es ist nicht ersichtlich, wie man daraus entnehmen kann, dass es auch auf die Zustände am Aufenthaltsort des Reisenden ankommen soll. Wollte man diese Rechtsprechung wirklich ernst nehmen, dürfte auch der Reisende nicht stornieren, dessen Hotel etwa wegen eines Tsunamis überflutet ist, wenn zugleich sein Wohnhaus unter Wasser steht, beispielsweise wegen eines Rhein-Hochwassers. In Bezug auf eine Pandemie bedeutet die nicht mit tragfähigen Argumenten unterfütterte Rechtsansicht des Landgerichts, dass selbst bei einem hohem Infektionsrisiko mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von lebensbedrohenden Krankheitsverläufen verreist werden muss, wenn die Risiken an Wohnort und Bestimmungsort gleich hoch ist. Überspitzt formuliert müsste man dann sogar zum Sterben verreisen. Darüber hinaus berücksichtigt die in § 651h BGB nicht ansatzweise zum Ausdruck kommende genannte Rechtsansicht nicht, dass allein schon durch notwendig werdende Flüge und Transfers ein erhöhtes Risiko besteht und sich zudem der Reisende plötzlich an einem fremden Ort vor dem Infektionsgeschehen schützen muss, was ihm Zuhause – wo er sich auskennt – deutlich leichter fällt. An dieser Stelle ist zudem ebenfalls zu berücksichtigen, dass die bereits erwähnte Erholungsfunktion, die regelmäßig Geschäftsgrundlage einer Reise ist, grundsätzlich beeinträchtigt wird, wenn an einen Ort gereist werden muss, an dem die (Erholungs-)Voraussetzungen nicht besser sind als zu Hause. Daher spielt es keine Rolle, wenn entsprechende Beschränkungen in gewissem Umfang auch im Alltag im Heimatland zur selben Zeit bestanden haben, weil es sich hierbei nicht um eine Urlaubsituation gehandelt hätte (vgl. AG Düsseldorf, Urteil vom 26.02.2021, 37 C 414/20).

Die Rechtsprechung des Landgerichts vergleicht in diesem Zusammenhang auch Äpfel mit Birnen. Zu vergleichen sind allein die tatsächlichen und versprochenen Eigenschaften der Reise (!) zum Zeitpunkt der Buchung mit denen der Reise zum Zeitpunkt der Stornierung. Die Klägerin hatte bereits am 31.10.2019 die Reise gebucht. Zu diesem Zeitpunkt war die Corona-Pandemie aber noch nicht existent, so dass von der Beklagten eine Reise ohne coronabedingte Einschränkungen geschuldet war. Vor diesem Hintergrund bewirken sämtliche Coronaeinschränkungen einer Reise wie Abstandsgebote, Kontakteinschränkungen und Maskenpflicht bereits unabhängig von konkreten Reisewarnungen erhebliche Beeinträchtigungen der Reise. Eine andere Beurteilung ergibt sich im Übrigen natürlich auch nicht, wenn man wirklich contra legem auf die Zustände am Wohnort des Reisenden abstellen wollte. Zum Zeitpunkt der Buchung gab es in Warburg kein Corona und damit gab es dort auch keine Coronaeinschränkungen.

3.

Schließlich ergibt sich der Zahlungsanspruch der Klägerin auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Beklagte eine Entschädigung in Höhe des einbehaltenen Betrages nicht konkret dargelegt hat. Soweit sich die Beklagte auf ihre Allgemeinen Reisebedingungen beruft und auf die dort unter 5.3. a) enthaltenen Stornierungspauschalen, sind diese wegen einer unangemessenen Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebotes gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, da neben den Pauschalen unter 5.5 die Regelung enthalten ist, dass die Beklagte auch berechtigt sein soll, bei wesentlichen höheren Aufwendungen eine konkret berechnete Entschädigung zu fordern.

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Das erkennende Gericht hält ausdrücklich die vom Amtsgericht Düsseldorf in Sachen 236 C 298/20 geäußerten Bedenken gegen die Wirksamkeit der streitbefangenen Klausel für zutreffend. Mit Urteil vom 11.06.2021 hat das Amtsgericht Düsseldorf in der genannten Sache folgendes ausgeführt:

„Der Klägerin steht eine „Entschädigungspauschale“ in Höhe von 25 % des Gesamtreisepreises aber bereits deshalb nicht zu, da die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin, soweit sie Entschädigungspauschalen festlegen, unwirksam sind.

Die Unwirksamkeit der Entschädigungspauschalen folgt daraus, dass sich die Beklagte gemäß Ziffer 5.5 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Bl. 93 d.A.) vorbehalten hat, anstelle der hier geltend gemachten Entschädigungspauschale eine „höhere, individuell berechnete Entschädigung zu fordern“. Hierin liegt eine unangemessene Benachteiligung der Reisenden gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB sowie ein Verstoß gegen das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin sehen unter Ziffer 5.5 ein Wahlrecht vor, was abzulehnen ist. Dieses Wahlrecht führt dazu, dass die Entschädigungspauschalen in der Praxis einer Mindestentschädigung gleichkommen, die mit der Gesetzesintention nicht zu vereinbaren ist (vgl. BeckOK BGB/Geib, 57. Ed. 1.2.2021, BGB § 651h Rn. 10; MüKoBGB/Tonner, 8. Aufl. 2020, BGB § 651h Rn. 23; v. X VertrR/AGB-Klauselwerke, Allgemeine Reisebedingungen Rn. 88 Rn. 88, beck-online). Der beklagte Reiseveranstalter könnte nämlich stets die für ihn günstigere Möglichkeit wählen, während dem Reisenden dies verwehrt wäre, was ihn unangemessen benachteiligt.

Unerheblich ist auch der Einwand der Beklagten, das Gericht verkenne, dass sich die Beklagte lediglich für die Fälle, in denen ihr „wesentlich“ höhere Aufwendungen entstanden seien, vorbehalte, „eine individuell berechnete Entschädigung zu fordern“. Ungeachtet dessen, dass bereits unklar bleibt, ab wann die Aufwendungen „wesentlich“ höher sein sollen – hierzu erklärt sich die Beklagte nicht – und diese Unklarheit die Intransparenz der Vorschrift besonders verdeutlicht, offenbart auch der vorliegende Fall eindrucksvoll die unangemessen Benachteiligung der Reisenden.

Während die Beklagte vorträgt, die Vorschrift sei deshalb nicht unwirksam, weil sie auf Konstellationen beschränkt sei, in denen „wesentlich“ höhere Aufwendungen entstanden seien, stellt sich bereits die Frage, was in den Fällen ist, in denen der Beklagten „wesentlich“ niedrigere Aufwendungen entstanden sind. Ein solcher Fall dürfte vorliegend sogar gegeben sein, da das gebuchte Hotel im Reisezeitraum gar nicht geöffnet gewesen ist und auch ein gegebenenfalls angepasster Flugplan vor Ablauf der weltweiten Reisewarnung wohl noch nicht bekannt gewesen sein dürfte. Aufgrund des fehlenden Vortrages der Beklagten hierzu liegt jedenfalls die Vermutung nahe, dass die Beklagte selbst keinen Leistungsträger bezahlen musste. Für diesen Fall soll es aber bei der Entschädigungspauschale, die eine Erleichterung zugunsten der Klägerin bedeutet, verbleiben. Mithin ergibt sich auch aus dem Vortrag, Ziffer 5.5 regele nur den Fall, dass „wesentlich“ höhere Aufwendungen entstanden seien, keine andere Beurteilung.

Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin, die offenbar nicht an die Gesetzesänderung des § 651h BGB angepasst worden sind, verstoßen darüber hinaus bereits gegen den ausdrücklichen Wortlaut sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift.

Lediglich für den Fall, dass „keine Entschädigungspauschalen festgelegt“ werden, sieht § 651h Abs. 2 S. 2 BGB eine individuell berechnete Entschädigung vor. Ein entweder/oder, wie es die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin vorsehen, sieht § 651h BGB gerade nicht vor, auch nicht für den Fall, dass „wesentlich“ höhere Aufwendungen entstanden sind.

Zudem wird dem Reisenden auch seine Rechtsausübung erschwert. Der Reisende, der seine Reise bewusst in Kenntnis des Fehlens eines außergewöhnlichen Umstandes, lediglich wegen eines Gefühls des Unbehagens storniert, und das finanzielle Risiko einer sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ergebenden zu leistenden Entschädigungspauschale bewusst eingeht, stünde stets vor der Gefahr, dass der Reiseveranstalter gleichwohl einen höheren Betrag geltend macht, obwohl zunächst der Eindruck entsteht, mit den Pauschalsätzen habe es sein Bewenden (vgl. v. X VertrR/AGB-Klauselwerke, Allgemeine Reisebedingungen Rn. 88 Rn. 88, beck-online). Die Klausel verstößt demzufolge auch aus diesem Grund gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.

Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es durchaus anerkannte Literaturstimmen gibt, die das Wahlrecht als zulässig erachten (vgl. z.B. Führich Rn. 520). Dieser Auffassung kann aber nicht gefolgt werden, (a) da sie bereits nicht mit dem Wortlaut des § 651h Abs. 2 S. 2 BGB zu vereinbaren ist. Danach ist eine individuell berechnete Entschädigung nämlich ausdrücklich nur dann vorgesehen, wenn „im Vertrag keine Entschädigungspauschalen festgelegt“ werden. (b) Soweit diese Ansicht sich darüber hinaus auf § 309 Nr. 5b BGB beruft und meint, der Reisende sei deshalb nicht unzumutbar belastet, da er in jedem Fall das Recht habe, einen tatsächlich geringeren Schaden nachzuweisen (vgl. Führich Rn. 520), überzeugt auch dies nicht. Eine unzumutbare und auch nicht zu rechtfertigende Belastung folgt bereits daraus, dass der von dem Reisenden zu führende Nachweis eine Umkehr der Beweislast zur Folge hat, der auch nicht mit einer großzügigen Handhabung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast begegnet werden kann. Denn anders als vom Gesetz vorgesehen, müsste nicht der Reiseveranstalter die Höhe seines Entschädigungsanspruchs darlegen und beweisen, was ihm durch die Vereinbarung einer Pauschale erheblich erleichtert wird. Vielmehr müsste dann der Reisende beweisen, dass ein niedrigerer Schaden entstanden sei, während der Reiseveranstalter sich stets auf die leichter durchsetzbare Pauschale berufen könnte und lediglich in den Fällen, in denen ihm der Nachweis einer höheren Entschädigung gelingt, diese beanspruchen könnte. (c) Schließlich beruft sich die zuvor aufgeführte Ansicht auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH, Urt. v. 26.10.1989 – VII ZR 332/88 – NJW-RR 1990, 114), die die hier in Rede stehende Frage aber gerade nicht ausdrücklich behandelt hat, vielmehr sogar die Auffassung des angerufenen Gerichts stützt. So führt der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung aus:

„Das gilt hier um so mehr, als sich die Bekl. in ihren Reisebedingungen ausdrücklich selbst vorbehalten hat, den ihr durch einen Rücktritt entstehenden Schaden „konkret zu berechnen“. Das ist für sie natürlich nur von Vorteil, wenn der konkrete Schaden höher als die Pauschale ist (vgl. BGH, NJW 1982, 2316 (2317) = LM § 11 Ziff. 5 AGBG Nr. 2). Soll sie einen solchen Schaden ohne Rücksicht auf die Pauschalierung geltend machen können, dann darf sie redlicherweise auch nur den konkreten Schaden berechnen, wenn er so weit unter der Pauschale bleibt, wie das hier der Fall ist, was im einzelnen ohnehin nur sie selbst wissen kann.“ (BGH, Urt. v. 26.10.1989 – VII ZR 332/88 – NJW-RR 1990, 114)

Auch in der vereinzelt herangezogenen, ebenfalls noch zu § 651i Abs. 2 BGB ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Urt. d. BGH v. 09.12.2014 – X ZR 85/12 – NJW 2015, 1444) hat sich der Bundesgerichtshof nicht ausdrücklich mit der hier in Rede stehenden Frage beschäftigt. Zwar findet sich in dem Urteil der Satz, dass der Reiseveranstalter sich im Einzelfall eine die Pauschale übersteigende angemessene Entschädigung vorbehalten kann (offen bleibt, ob er dies auch darf; der Wortlaut des § 651h BGB gestattet dies ohnehin nicht mehr). Im gleichen Satz liefert der Bundesgerichtshof aber selbst die Begründung, dass die vorliegende Konstellation des „entweder Pauschale oder – wenn es sich denn lohnt -, individuell abzurechnen“, eine unangemessene Benachteiligung darstellt:

„Da zwar der Reiseveranstalter sich vorbehalten kann, im Einzelfall eine die Pauschale übersteigende angemessene Entschädigung nach § 651 i II BGB geltend zu machen, dem Reisenden aber der Einwand nicht eröffnet ist, im Einzelfall seien mehr als die gewöhnlich zu ersparenden Aufwendungen erspart oder ein gewöhnlich nicht möglicher anderweitiger Erwerb erzielt worden, benachteiligen zu hohe Pauschalen den Reisenden in besonders gravierender Weise und sind gegebenenfalls geeignet, sein gesetzliches Rücktrittsrecht nach § 651 i I BGB auszuhöhlen“ (BGH, Urt. v. 09.12.2014 – X ZR 85/12 – NJW 2015, 1444 Rn. 41, beck-online)

Da dem Reisenden mithin der Einwand nicht eröffnet ist (bzw. nur in den Grenzen des § 309 Nr. 5 b BGB mit den bereits dargelegten nachteiligen Folgen), im Einzelfall seien mehr als die gewöhnlich zu ersparenden Aufwendungen erspart oder ein gewöhnlich nicht möglicher anderweitiger Erwerb erzielt worden, wird der Reisende unangemessen benachteiligt, indem der Reiseveranstalter stets die für ihn größte Entschädigung erzielen könnte.

Gemäß § 307 Abs. 2 BGB richtet sich ein etwaiger Entschädigungsanspruch der Klägerin mithin nach der gesetzlichen Regelung des § 651h Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2 BGB. Die Höhe der Entschädigung bestimmt sich also nach dem Reisepreis abzüglich des Werts der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie abzüglich dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwirbt. Dabei hat der Reiseveranstalter die gesamten Voraussetzungen des Anspruchs darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (vgl. MüKoBGB/Tonner, BGB, § 651h Rn. 64). Trotz des richterlichen Hinweises vom 26.03.2021 hat die Beklagte einen solchen Entschädigungsanspruch nicht dargelegt, so dass sie zur Rückzahlung des Reisepreises verpflichtet bleibt.“

Schließlich sei noch angemerkt, dass für den Fall, dass die Stornierungspauschalen in den Geschäftsbedingungen der Beklagten als zulässig angesehen werden sollten, deren Höhe in Zeiten der Corona-Pandemie einer erneuten Überprüfung unterliegt. So unternimmt die Beklagte in keinem der zahlreichen beim erkennenden Gericht anhängigen Streitverfahren den Versuch, ihre Stornokosten konkret darzulegen. Das legt den Schluss nahe, dass ihr – wenn überhaupt – deutlich geringere Kosten jeweils entstanden sind und entstehen, als sie pauschal in ihren Reisebedingungen geltend macht. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte sich gegenüber ihren Leistungsträgern – ebenso wie die Reisenden ihr gegenüber – darauf beruft, wegen der Corona Pandemie nicht zahlungspflichtig zu sein. So ist dem Gericht insbesondere bekannt, dass die Beklagte beispielsweise gegenüber dem S GmbH & Co. KG im Rechtsstreit 50 C 41/21 eine Zahlungsverpflichtung für einen vermittelten aber nicht durchgeführten Reisevertrag unter anderem mit der Begründung ablehnt, die Corona-Pandemie habe zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage geführt!

5.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288, 286 BGB. Der Anspruch auf Freistellung von außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 109,91 EUR ist gemäß §§ 280 Abs. 2, 286 BGB i.V.m. den Regelungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Z. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 1.152,00 EUR festgesetzt.

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