LG Bielefeld – Az.: 6 O 379/19 – Urteil vom 12.08.2020
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz aus der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht geltend.
Am 04. Juni 2019 kaufte der Kläger gegen Mittag im „A. Supermarkt, T.straße xxx in I. ein. Am Eingang/Ausgang befinden sich zwei Automatiktüren. Es handelt sich um zwei Schiebetüren aus Glas mit einer metallenen Umrandung, die mittels Bewegungsmelder angesteuert werden und beim Öffnen auseinander gleiten. Der Bewegungsmelder ist mittig der Schiebetür angebracht und erfasst sich nähernde Personen bogenförmig. Beim Verlassen des Supermarktes stieß der Beklagte mit dem Kopf gegen die aus seiner Sicht rechte Automatiktür des Supermarktes.
Mit Schreiben vom 14.08.2019 forderte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten die Beklagte fruchtlos zur Anerkennung der Haftung dem Grund nach und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000,00 Euro auf.
Die Beklagte legt einen Wartungsbericht hinsichtlich der Automatiktüren der Firma S.GmbH & Co KG vom 15.05.2019 vor, nach dem es keine Beanstandungen gab.
Der Kläger behauptet, dass der Grund für das Nichtöffnen der Automatiktüren eine unerwartete, atypische Funktion gewesen sei. Beim Betreten des Supermarktes habe er sich inmitten seiner Arbeitskollegen befunden und habe den Öffnungs- und Schließvorgang der Tür nicht beobachten können. Zudem sei die Tür beim Betreten bereits offen gewesen. Beim Verlassen des Supermarktes habe die Tür aus unbekannten Gründen zu spät reagiert. Diese Fehlfunktion der Tür hätten auch schon andere Einkaufende in der Vergangenheit bestätigt. Er habe infolge des Unfalls eine Fraktur des Nasenbeins erlitten. Daneben sei ein Abriss der Riechfäden wahrscheinlich, weswegen der Verlust des Geruchssinns – Anosmie – als Dauerfolge zu erwarten sei. Diese Anosmie sei für den Berufsalltag des Klägers als Rettungssanitäter einschneidend, da der Geruchssinn sowohl eine Warnfunktion als auch eine Diagnosefunktion haben könne. Aufgrund der Unfallfolgen könne er seinen Beruf eventuell gar nicht mehr oder nur noch eingeschränkt ausüben.
Der Kläger ist der Ansicht, dass eine Automatiktür sich immer in der derselben Geschwindigkeit, also die Dauer, die vergeht, von der Erfassung der Person bis zur Reaktion, zu öffnen habe, unabhängig vom Näherungswinkel einer Person.
Er bestreitet mit Nichtwissen, dass die in dem Wartungsbericht vom 15.05.2019 aufgeführten Prüfungen durchgeführt wurden.
Der Kläger beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an sie ein der Betragshöhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes, angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000,00 Euro nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 04.06.2019 zu zahlen und ihn von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 Euro freizustellen.
2.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus dem Ereignis vom 04.06.2018 im Eingangsbereich des von der Beklagten betriebenen „A. Supermarkt, T.straße xxx in I. zu ersetzen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, dass der Kläger das Vorhandensein der Tür überhaupt nicht berücksichtigt bzw. wahrgenommen habe. Er sei „blindlings“ auf die Tür zugegangen, welche gerade im Begriff gewesen sei sich zu öffnen. Der Kläger sei mit dem Mechanismus der Tür vertraut, da sich der Unfall unstreitig beim Hinausgehen ereignete. Der Kläger habe seine Schritte beim Herausgehen nicht verlangsamt, sondern sich darauf verlassen, dass die Tür bereits geöffnet gewesen sei. Ferner behauptet die Klägerin, dass die Türen des Supermarktes am 15. Mai 2019 durch eine Fachfirma kontrolliert und bei dieser Kontrolle keinerlei Mängel festgestellt worden seien. Die Beklagte behauptet, dass zuvor noch nie jemand derartig heftig vor eine der beiden Türen gelaufen sei und sich dabei verletzt habe.
Weiter bestreitet die Beklagte mit Nichtwissen im Grunde und auch der Höhe nach die Verletzungen des Klägers und das diese auf das Ereignis am 04.06.2019 zurückzuführen seien. Zudem bestreitet die Beklagte mit Nichtwissen, dass sich der Kläger beim Betreten des Supermarktes inmitten der Arbeitskollegen befunden habe und die Tür beim Durchschreiten des Klägers bereits offen gewesen sein soll.
Der Vorfall wurde auf Video aufgezeichnet. Das Video wurde in der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2020 in Augenschein genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Der Feststellungsantrag ist zulässig, da der Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung gemäß § 256 I ZPO hat, da noch nicht feststeht ist, ob und ggf. welche weiteren Beschwerden und Einschränkungen aufgrund des Vorfalls eintreten können.
II.
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch aus §§ 280 I, 242 II, 253 II BGB gegen die Beklagte, weder auf Zahlung von Schmerzensgeld noch auf Feststellung der Verantwortlichkeit für weitere Schäden.
1.
Zwischen den Parteien besteht ein Schuldverhältnis im Sinne von § 280 I BGB in Form eines Kaufvertrages.
Die vertraglichen Schutzpflichten der Beklagten wirken grundsätzlich so lange, bis ihr Vertragspartner – hier der der Kläger – nach dem Einkauf das Gelände der Beklagten wieder verlassen hat (OLG Hamm, Urteil vom 19. Januar 2016 – 7 U 52/15 -, juris).
2.
Die Beklagte hat keine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt.
Die vertraglichen Schutzpflichten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB zielen unter anderem darauf ab, eine Verletzung der potentiellen Vertragspartner möglichst zu vermeiden und dadurch ihr Integritätsinteresse zu erhalten. Sie entsprechen daher inhaltlich den Verkehrssicherungspflichten, so dass die dazu entwickelten Grundsätze anwendbar sind (BGH, NJW 2008, 3778f).
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich dazu verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Dabei ist zu beachten, dass eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, nicht zu erreichen und nach der berechtigten Verkehrsauffassung auch nicht zu erwarten ist. Deshalb umfasst die rechtlich gebotene Verkehrssicherung lediglich die Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (vgl. dazu BGH, NJW 2013, 48f; OLG Köln, VersR 2009, 233f; Grams, NZM 2011, 460ff). Diese Verpflichtung trifft auch ein Einzelhandelsunternehmen in Bezug auf seine Geschäftsräume. Es hat in den Grenzen des technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren dafür zu sorgen, dass die Kunden durch die angebotene Ware und den Zustand der Geschäftsräume keine Schäden erleiden (vgl. OLG Hamm, Teilurteil vom 15. März 2013 – I-9 U 187/12 -, Rn. 21 – 23, juris).
Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist bei automatischen Schiebetüren nur dann anzunehmen, wenn unerwartete, atypische Funktionen vorliegen. Die zeitliche Verzögerung, die zwischen der Aktivierung des Bewegungsmelders und dem Abschluss des Öffnungsvorgangs liegt, ist allgemein bekannt und stellt daher keine unerwartete, atypische Funktion dar. Durch diese Verzögerung kann es vorkommen, dass die Tür sich noch nicht oder nicht vollständig geöffnet hat, wenn ein Kunde den Türbereich erreicht, insbesondere, wenn er schnell auf die Tür zugegangen oder von der Seite gekommen ist. Es besteht daher kein Vertrauenstatbestand dahin, dass eine automatische Tür in jedem Fall geöffnet ist, wenn der Türbereich erreicht ist. Vielmehr muss jeder Kunde vor dem Betreten und Verlassen eines Supermarktes darauf achten, ob sich die Automatiktür geöffnet hat (OLG Koblenz, Urteil vom 15. März 2000 – 7 U 778/99 -, juris.)
Anhand der Videoaufnahme des Vorfalls ist zu erkennen, dass der Kläger nach dem Bezahlen auf die Tür zugeht, ohne zu warten oder zu schauen, ob sich die Tür öffnet. Weiterhin ist zu erkennen, dass die Tür sich öffnet. Beim Zusammenstoß mit der Tür ist der Türspalt allerdings noch klein. Aufgrund der Videoaufzeichnung steht fest, dass der Sensor, der die Tür öffnet, den Kläger erkannt hatte und die Tür sich öffnete. Ebenfalls steht aufgrund des Videos fest, dass der Kläger weder wartete, ob die Tür sich öffnet noch seine Schritte verlangsamte. Dabei ist es unerheblich, ob der Kläger beim Betreten des Supermarktes den Öffnungs- und Schließvorgang der Automatiktür beobachten konnte. Jeder Kunde muss sowohl beim Betreten als auch beim Verlassen des Supermarktes darauf achten, ob sich die Tür öffnet und berücksichtigen, dass die Tür eine angemessene Zeit braucht, um sich zu öffnen. Unabhängig von der konkreten Beobachtung der Automatiktüren durch den Kläger beim Betreten des Supermarktes ist die Funktionsweise von Schiebetüren bei Supermärkten in Form von Personenerkennung und automatischem ggf. zeitverzögertem Öffnen allgemein bekannt.
Die Verzögerung der Tür bei dem Vorfall war auch nicht atypisch verzögert. Wie sich aus der Inaugenscheinnahme des Videos ergab, dass auch andere Kunden beim Betreten und Verlassen des Supermarktes durch die Automatiktür unmittelbar vor und nach dem Vorfall zeigte, handelte es sich um eine für die Automatiktür übliche zeitliche Verzögerung.
Die Tür war auch hinreichend erkennbar. Auf dem Video sind die Umrandungen beider Türflügel zu erkennen, die, wenn die Tür schließt, in der Mitte aufeinandertreffen. Solche Umrandungen sind ausreichend (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 15. März 2000, Az.: 7 U 778/99, Rn. 10, zitiert nach juris) und waren für den Kläger ausreichend zu erkennen.
Aus der nicht vollständig ausgeschöpften Reichweite der Radaranlage ergibt sich ebenfalls keine Pflichtverletzung der Beklagten.
In einem von der Haftpflichtversicherung der Beklagten eingeholtem Gutachten der Fa. K. GmbH vom 30.10.2019 wurde festgestellt, dass die Radaranlage (Anwesenheitserkennung) so eingestellt werden könnte, dass diese den Nutzer auch wesentlich früher erfassen und damit den Durchgang schneller freigeben könnte. Diese Einstellung ist nach dem Gutachten zwar technisch möglich, aber energetisch nicht sinnvoll.
Die Beklagte hat ihre Sorgfaltspflicht im Rahmen des technischen und wirtschaftlich Zumutbaren zu erfüllen. Die veränderte Radaranlageneinstellung ist energetisch nicht sinnvoll und würde keine sinnvolle Verbesserung der Nutzbarkeit der Tür bringen, da die Gefahr des Zusammenstoßens mit der Tür nicht beseitigt wird. Anhand der Videoaufzeichnung ist zu erkennen, dass teilweise auch Kunden, die mittig auf die Tür hinzutreten und daher von der Radaranlage eher erfasst werden, ihre Geschwindigkeit an die Öffnung der Tür anpassen müssen. Wie bereits oben ausgeführt, hat der Kunde mit zeitlichen Verzögerungen beim Öffnen der Tür zu rechnen.
II.
Ein Anspruch des Klägers aus §§ 823 I, 253 II BGB ist aus den oben genannten Gründen mangels Verkehrssicherungspflichtverletzung ebenfalls nicht gegeben.
III.
Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
Der Streitwert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.