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Transportunternehmerhaftung für Verlust von Transportgut

Grobe Fahrlässigkeit bei Auswahl von Fahrpersonal führt zur Leistungsfreiheit von Frachtführerhaftpflichtversicherung

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hat in seinem Urteil vom 05.06.2023, Az.: 16 U 195/22, entschieden, dass die Klage der Klägerin insgesamt abgewiesen wird. Die Klägerin, die als Assekuradeurin Schadensregulierungen für die Transportversicherer einer Firma durchführt, hatte Schadensersatz für den Verlust einer Ladung Zigaretten gefordert, nachdem diese infolge eines vorgetäuschten Raubüberfalls verloren gegangen war. Das Gericht befand, dass die Beklagte, bei der die Transportfirma eine Frachtführerhaftpflichtversicherung abgeschlossen hatte, aufgrund grober Fahrlässigkeit in der Auswahl und Überwachung des Fahrpersonals leistungsfrei ist.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 16 U 195/22 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

; Die zentralen Punkte aus dem Urteil

  1. Die Klage der Klägerin wurde insgesamt abgewiesen.
  2. Die Klägerin forderte Schadensersatz für den Verlust einer Ladung Zigaretten nach einem vorgetäuschten Raubüberfall.
  3. Das Gericht sah eine grobe Fahrlässigkeit bei der Auswahl und Überwachung des Fahrpersonals durch den Transportunternehmer.
  4. Die Beklagte, die Frachtführerhaftpflichtversicherung, wurde aufgrund dieser Fahrlässigkeit als leistungsfrei betrachtet.
  5. Die Entscheidung stützt sich auf die Obliegenheit zur sorgfältigen Auswahl und laufenden Überwachung des Fahrpersonals.
  6. Das Urteil betont die Bedeutung der Verantwortung von Transportunternehmern im Hinblick auf ihr Personal.
  7. Es wurden keine Revisionen zugelassen, was die Endgültigkeit des Urteils unterstreicht.
  8. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Umfassende Frachtführerhaftung: Schutz des Transportgutes

Der Transport von Gütern birgt stets Risiken. Diebstahl, Beschädigung oder Verlust des Transportguts können nicht nur zu erheblichen finanziellen Einbußen, sondern auch zu Verzögerungen und Reputationsschäden führen. Vor diesem Hintergrund spielt die Frachtführerhaftung eine zentrale Rolle im Transportrecht. Sie stellt sicher, dass der Frachtführer für Schäden am Transportgut während der Beförderung haftet. Die Haftung umfasst sowohl teilweise Verluste als auch die Beschädigung des Gutes. Diese Haftung unterliegt nicht den Beschränkungen des Handelsgesetzbuches und macht den Frachtführer für den Transportverlust verantwortlich. Die komplexen rechtlichen Rahmenbedingungen werfen zahlreiche Fragen auf und erfordern ein tiefgreifendes Verständnis der einschlägigen Vorschriften.

Wenn Sie Fragen zur umfassenden Frachtführerhaftung haben, zögern Sie nicht und fordern Sie noch heute unsere unverbindliche Ersteinschätzung an.
Transportunternehmerhaftung: Schutz vor Verlust
(Symbolfoto: m.mphoto /Shutterstock.com)

Im Zentrum eines juristischen Streits, der bis vor das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein getragen wurde, stand die Haftung eines Transportunternehmers für den Verlust von Transportgut, konkret einer Ladung Zigaretten. Die Klägerin, die in der Rolle der Assekuradeurin agierte und die Schadensregulierung für die Transportversicherer der Firma X durchführte, verlangte Schadensersatz von der Beklagten, bei der die transportierende Firma Y eine Frachtführerhaftpflichtversicherung abgeschlossen hatte.

Der Raubüberfall, der keiner war: Beginn einer juristischen Auseinandersetzung

Ausgangspunkt der rechtlichen Auseinandersetzung war ein vorgetäuschter Raubüberfall auf einen Zigarettentransport. Ein aushilfsweise beschäftigter Fahrer der Firma Y, der später wieder festangestellt wurde, sollte nach eigener Aussage von Bekannten gedrängt worden sein, sich an einem fingierten Überfall zu beteiligen. Dies lehnte er ab, informierte jedoch seinen Arbeitgeber über die Situation. Trotz dieser Warnung entschied sich der Transportunternehmer, den Fahrer erneut für Transporte einzusetzen, was letztlich in der Übergabe einer Ladung Zigaretten an die vermeintlichen Räuber mündete. Nachdem der Fahrer zunächst die Raubgeschichte der Polizei schilderte, legte er bald ein Geständnis ab.

Versicherungsnehmer in der Pflicht: Die Rolle der Obliegenheiten

Die Regressansprüche der Klägerin gegen die Beklagte basierten auf der Annahme, dass die Frachtführerhaftpflichtversicherung der Y aufgrund einer Verletzung der Obliegenheiten zur sorgfältigen Auswahl und laufenden Überwachung des Fahrpersonals leisten müsse. Die Beklagte verwies jedoch auf eine grobe Fahrlässigkeit seitens des Transportunternehmens und berief sich auf die vertraglich vereinbarten Bedingungen, die im Fall einer solchen Obliegenheitsverletzung eine Leistungsfreiheit vorsahen.

Juristische Feinheiten entscheiden: Das Urteil des OLG

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein gab schließlich der Beklagten Recht und wies die Klage der Klägerin insgesamt ab. Das Gericht stellte fest, dass der Transportunternehmer grob fahrlässig gehandelt hatte, indem er den Fahrer trotz Kenntnis der Risiken erneut für den Transport der diebstahlgefährdeten Ware einsetzte. Diese grobe Fahrlässigkeit führte zur Leistungsfreiheit der Versicherung, da sie weder für den Eintritt noch für die Feststellung des Versicherungsfalls ursächlich war. Die Entscheidung des Gerichts unterstrich die Bedeutung der Obliegenheiten von Versicherungsnehmern und deren Auswirkungen auf die Leistungspflicht der Versicherer.

Der Stellenwert der Verantwortung und Sorgfalt im Transportgewerbe

Diese Entscheidung hebt die enorme Verantwortung hervor, die Transportunternehmer in Bezug auf die Auswahl und Überwachung ihres Personals tragen. Es wird deutlich, dass die Einhaltung der vertraglichen Obliegenheiten nicht nur eine formale Anforderung, sondern eine wesentliche Voraussetzung für den Versicherungsschutz darstellt. Im vorliegenden Fall führte das Missachten dieser Pflichten nicht nur zum Verlust wertvoller Ware, sondern auch zur Ablehnung des Schadensersatzanspruchs durch die Versicherung.

Das Gericht betonte die Notwendigkeit der sorgfältigen Auswahl und Überwachung des Fahrpersonals durch Transportunternehmer und die direkten Konsequenzen, die eine Vernachlässigung dieser Pflichten nach sich ziehen kann.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was versteht man unter Transportunternehmerhaftung?

Unter Transportunternehmerhaftung versteht man die gesetzlich geregelte Verantwortlichkeit von Transportunternehmen, wie Frachtführern und Spediteuren, für Schäden, die während des Transports von Waren entstehen. Diese Haftung ist im Handelsgesetzbuch (HGB) in den §§ 407-450 für Frachtführer und in den §§ 453-466 für Spediteure festgelegt.

Die Obhutshaftung ist ein zentraler Bestandteil der Transportunternehmerhaftung und bedeutet, dass das Transportunternehmen für die Zeit, in der es die Ware in seiner Obhut hat, also von der Übernahme bis zur Ablieferung, für Verlust oder Beschädigung der Ware haftet. Diese Haftung ist allerdings in der Regel auf einen bestimmten Betrag begrenzt, der sich nach den Sonderziehungsrechten (SZR) des Internationalen Währungsfonds richtet. Für den Landtransport liegt die Haftungsgrenze beispielsweise bei 8,33 SZR pro Kilogramm des Rohgewichts der Ware.

Es gibt jedoch Ausnahmen, bei denen die Haftungsbegrenzungen entfallen können, etwa bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Transportunternehmens. Andererseits kann das Transportunternehmen von der Haftung befreit sein, wenn der Schaden durch Umstände verursacht wurde, die auch bei größter Sorgfalt nicht vermeidbar waren, oder wenn der Schaden auf eine mangelhafte Verpackung durch den Absender zurückzuführen ist.

Im Falle eines Transportschadens muss der Empfänger die Ware unverzüglich überprüfen und Schäden sofort melden, um seine Ansprüche zu wahren. Bei Geschäften zwischen Unternehmen und Verbrauchern (B2C) trägt das Unternehmen das Transportrisiko bis zur tatsächlichen Übergabe der Ware an den Verbraucher.

Zusätzlich zur gesetzlichen Haftung können Transportunternehmen durch den Abschluss einer Verkehrshaftungsversicherung ihr Risiko absichern. Diese Versicherung deckt in der Regel Güterschäden, Verspätungsschäden und reine Vermögensschäden ab.

Die genauen Haftungsbedingungen und -grenzen können auch durch individuelle Verträge oder Rahmenvereinbarungen modifiziert werden, solange diese nicht gegen zwingendes Recht verstoßen.

Wie wird der Verlust von Transportgut rechtlich behandelt?

Der Verlust von Transportgut wird rechtlich als Schadensfall behandelt, für den der Frachtführer in der Regel haftet. Gemäß § 425 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) ist der Frachtführer für Schäden verantwortlich, die durch Verlust oder Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung entstehen. Diese Haftung wird als Obhutshaftung bezeichnet und bedeutet, dass der Frachtführer für die Sicherheit des Gutes während des Transports verantwortlich ist.

Die Haftung des Frachtführers ist jedoch begrenzt. Nach den gesetzlichen Regelungen des HGB und internationalen Abkommen wie der CMR (Convention relative au contrat de transport international de marchandises par route) ist die Haftung in der Regel auf einen bestimmten Betrag pro Kilogramm des verlorenen oder beschädigten Gutes beschränkt. Im internationalen Straßengüterverkehr beträgt diese Haftungsgrenze beispielsweise 8,33 Sonderziehungsrechte (SZR) pro Kilogramm.

Es gibt allerdings Situationen, in denen der Frachtführer von der Haftung befreit werden kann. Dies ist der Fall, wenn der Schaden auch bei größter Sorgfalt nicht vermeidbar gewesen wäre oder wenn der Schaden auf Umstände zurückzuführen ist, die der Frachtführer nicht beeinflussen konnte, wie zum Beispiel höhere Gewalt. Ebenso kann der Frachtführer entlastet werden, wenn der Schaden durch eine mangelhafte Verpackung durch den Absender verursacht wurde.

Wenn der Frachtführer oder seine Leute jedoch vorsätzlich oder leichtfertig in dem Bewusstsein gehandelt haben, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, kann ein qualifiziertes Verschulden angenommen werden, das zu einer höheren Haftung führen kann. Ein Mitverschulden des Versenders kann ebenfalls berücksichtigt werden, wenn dieser beispielsweise eine sorgfältigere Behandlung von Wertpaketen durch den Transporteur hätte erkennen müssen.

In der Praxis ist es für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wichtig, dass der Schaden unverzüglich nach Entdeckung gemeldet wird, um die Ansprüche zu wahren. Darüber hinaus können individuelle Verträge oder Versicherungen zusätzliche Regelungen zur Haftung und zum Schadensersatz enthalten.

Was bedeutet grobe Fahrlässigkeit im Zusammenhang der Transportunternehmerhaftung ?

Grobe Fahrlässigkeit im Kontext der Transportunternehmerhaftung bezieht sich auf ein Verhalten, bei dem die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird. Der Verantwortliche handelt dabei mit dem Bewusstsein oder der offensichtlichen Möglichkeit, dass ein Schaden eintreten könnte, und nimmt diesen in Kauf oder beachtet die gebotene Sorgfalt in erheblichem Maße nicht. Im Falle grober Fahrlässigkeit kann sich ein Transportunternehmen nicht auf die üblichen Haftungsbegrenzungen berufen und muss für den vollen Umfang des entstandenen Schadens aufkommen.

Die Rechtsprechung und gesetzliche Regelungen sehen vor, dass bei grober Fahrlässigkeit eine Vollhaftung des Transportunternehmens eintritt. Dies bedeutet, dass alle entstandenen Schäden ohne die sonst üblichen Haftungsobergrenzen zu ersetzen sind. Grobe Fahrlässigkeit liegt beispielsweise vor, wenn ein Transportunternehmen oder dessen Mitarbeiter eine offensichtliche Sorgfaltspflicht nicht beachten und dadurch ein Schaden entsteht, der bei Einhaltung der Sorgfalt vermeidbar gewesen wäre.

In der Praxis kann grobe Fahrlässigkeit in verschiedenen Situationen auftreten, etwa wenn Sicherheitsvorschriften missachtet werden, wenn Transportgüter unter offensichtlich ungeeigneten Bedingungen transportiert werden oder wenn ein Fahrer alkoholisiert ist und dadurch einen Unfall verursacht. Die Feststellung, ob ein Verhalten als grob fahrlässig einzustufen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und kann weitreichende finanzielle Folgen für das betroffene Transportunternehmen haben.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 16 U 195/22 – Urteil vom 05.06.2023

Auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin wird das Urteil des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen III des Landgerichts Lübeck vom 13. Oktober 2022 teilweise abgeändert:

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt aus übergegangenem Recht Schadensersatz für den Verlust einer Tour Zigaretten.

Die Klägerin führt als Assekuradeurin die Schadensregulierung für die Transportversicherer der Firma X durch. Für diese besorgte die Firma Y e.K. u.a. Zigarettentransporte.

Im September oder Oktober 2018 teilte der früher einmal festangestellte, zu der Zeit aushilfsweise beschäftigte Fahrer Z Herrn Y mit, dass er von zwei Bekannten, B (einem ehemaligen Mitarbeiter des Unternehmens) und E, dazu gedrängt worden sei, sich an einem vorgetäuschten Raubüberfall auf einen der Zigarettentransporte zu beteiligen, was er aber abgelehnt habe. Daraufhin setzte Herr Y ihn für einige Wochen nicht mehr für X-Touren ein, änderte das aber – unterdes war Z wieder festangestellt – zu Ende November 2018. Davon erfuhren B und E und veranlassten Z dazu, ihnen am 29. Dezember 2018 eine Ladung Zigaretten zu überlassen. Z gab bei der Polizei zunächst die verabredete Raubgeschichte zu Protokoll, legte indes, nachdem Herr Y diese im Abgleich mit GPS-Daten ungereimt vorgekommen war und er darob die Polizei aufgesucht hatte, rasch ein Geständnis ab.

Die Versicherer der X glichen dieser den Transportschaden von 54.149,20 € aus. Nach der Insolvenz der Y machte die Klägerin mit Zustimmung des Insolvenzverwalters Regressansprüche gegen die Beklagte geltend, bei der die Y seinerzeit eine Frachtführerhaftpflichtversicherung unterhielt, deren einbezogene Ziffern 8.1.2. und 9 VBF 08 die Obliegenheit enthielten, das Fahrpersonal sorgfältig auszuwählen und laufend zu überwachen, und im Fall einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung die Leistungsfreiheit bestimmten. Die Beklagte lehnte Leistungen ab.

Mit ihrer im November 2021 eingereichten Klage hat die Klägerin die Zahlung von 54.149,20 € nebst Zinsen seit dem 12. März 2021 und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 2.147,83 € verlangt. Sie hat gemeint, ihr stehe wegen des von der Y zu vertretenden Haftungsfalls ein Direktanspruch gegen die Beklagte zu. Herrn Y sei ein Verstoß gegen die – ohnehin nicht einbezogene – Ziffer 8.1.2. VBF 08 nicht anzulasten, schon gar kein besonders krasser (Bl. 41); weiter hielte die Klausel einer AGB-Kontrolle nicht stand, da sie zu unbestimmt sei (Bl. 42), und komme eine Abbedingung auch nicht im Hinblick auf die Großrisiko-Bestimmung des § 210 Abs. 2 Nr. 1 VVG (i.V.m. Nr. 10b der Anlage Teil A VAG: Haftpflicht aus Landtransporten) in Betracht, da die von der Beklagten gebotene Versicherung keine reine Pflichthaftpflichtversicherung, sondern eine gemischte Police darstelle (Bl. 126f.).

Die Beklagte hat sich dem entgegengestellt. Herr Y habe krass gegen die Pflicht zur Auswahl und Überwachung des Fahrpersonals verstoßen, indem er den Z weiterhin mit dem Transport der diebstahlgefährdeten Tabakwaren betraut habe, obwohl er positiv gewusst habe, dass dieser unter dem Druck gestanden habe, einen Raubüberfall vorzutäuschen; das könne sie nach § 117 Abs. 3 Satz 2 VVG der X entgegenhalten, die Ersatz ihres Schadens von einem anderen Schadensversicherer – ihren Transportversicherern – habe erlangen können (Bl. 24f.).

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 27.074,60 € nebst Zinsen seit dem 12. März 2021 und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 1.501,19 € zu zahlen, und hat die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Y, die sich den Vorsatz ihres an der Tat beteiligten Mitarbeiters zurechnen lassen müsse, hafte der X nach den §§ 425 Abs. 1, 427, 428, 431, 435 HGB in vollem Umfang für den Verlust der Ware, ein Anspruch, den nach dem Übergang auf die Versicherer durch die Zahlung die Klägerin gemäß § 86 VVG als Assekuradeurin geltend machen dürfe. Dafür hafte die Beklagte nach den §§ 115, 117 Abs. 1, Abs. 2 VVG i.V.m. § 7a GüKG, wobei sie gegenüber der Geschädigten in gleichem Umfang leistungsfrei sei wie gegenüber ihrer Versicherungsnehmerin. Insoweit habe zwar Herr Y grob fahrlässig gegen die – bei einem Unternehmen vermuteterweise einbezogenen und auch wirksamen – Bestimmungen der Ziffer 8.1.2 VBF 08 verstoßen, da er den Z wieder für Zigarettentransporte eingesetzt habe, ohne zu überprüfen, ob sich die ihm im Herbst 2018 geschilderte Situation verändert gehabt habe oder nicht. Indes könne sich die Beklagte auf die Leistungsfreiheit nach Ziffer 9 VBF 08 nicht berufen, da diese gegen das Leitbild aus § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG verstoße und deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sei; das Leitbild an die Stelle der unwirksamen Regelung gesetzt, sei die Leistung entsprechend dem Grad der Schwere des Verschuldens für die Obliegenheitsverletzung um 50 % zu kürzen, denn Herrn Y könne nicht widerlegt werden, dass er auf ein Ausbleiben einer späteren Straftat vertraut habe.

Hiergegen richten sich die Berufungen beider Parteien.

Die Klägerin, die die vollständige Verurteilung der Beklagten erreichen will, macht geltend, sie bestreite weiterhin die Einbeziehung der Versicherungsbedingungen, zu der die Beklagte bislang nicht vorgetragen habe; einen Ansatzpunkt für die vermutete Einbeziehung gebe es nicht (Bl. 225).

Weiterhin halte sie dafür, dass nach § 7a Abs. 3 Nr. 1 GüKG aus der Pflichthaftpflichtversicherung nur die Haftung für vorsätzlich herbeigeführte Schäden ausgenommen werden könne (Bl. 244R).

Im Bereich der Haftpflichtversicherung/Pflichthaftpflichtversicherung führe, so bringt sie weiter vor, ausschließlich die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles dazu, dass der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet sei, § 103 VVG. Dazu habe das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Dass Herr Y keine ausreichenden Kontrollmaßnahmen ausgeübt habe, sei durch Tatsachenvortrag der Beklagten nicht gedeckt. Vielmehr habe Z durch seine Offenheit ein besonderes Vertrauensverhältnis geschaffen und keinen Anlass dafür gegeben, dass eine besondere Kontrolle seiner Arbeit notwendig gewesen sei. Aus den Angaben von Herrn Y gegenüber der Polizei ergebe sich darüber hinaus, dass er die Fahrer mit Telematik und GPS auf Unregelmäßigkeiten hin überwacht und kontrolliert habe. Dass er weder nachgefragt noch überprüft habe, ob der Fahrer noch Kontakt zu den Tätern habe, bestreite sie weiterhin (Bl. 225R). Am subjektiven Element des Vorsatzes fehle es ohnehin (Bl. 226).

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 54.149,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. März 2021 sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 2.147,83 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen sowie, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte, die die vollständige Abweisung der Klage erreichen will, macht geltend, das Landgericht habe übersehen, dass es sich bei der Frachtführerhaftpflichtversicherung um ein Großrisiko handele, sodass sie nicht gehindert gewesen sei, eine von der Quotenregelung des § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG abweichende Regelung zu vereinbaren. Nach allgemein herrschender Auffassung gehöre das Prinzip der Quotelung bei grober Fahrlässigkeit nicht zu den wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes, von denen im Anwendungsbereich von § 210 VVG nicht abgewichen werden dürfe (Bl. 214f.).

Bei der vorgenommenen Quotelung beziehe das Landgericht das Verschulden darüber hinaus fälschlich auf den Eintritt des fingierten Raubüberfalls und nicht – wie aber richtig – auf die Verletzung der Obliegenheit. Insoweit bestehe am Vorsatz kein Zweifel, nachdem Herr Y den Fahrer sehenden Auges mit dem Transport der hoch diebstahlsgefährdeten Ware betraut habe, obwohl sich die ursprüngliche Gefahrensituation nicht verändert und obwohl Herr Y bis dahin weder eine Anzeige gestellt, noch nachgefragt oder überprüft habe, ob weiterhin Kontakt zwischen dem Z und den Mittätern bestanden habe (Bl. 214Rf.).

II.

Nur die Berufung der Beklagten hat Erfolg, § 513 Abs. 1 ZPO.

Anspruchsgrundlage für die Klägerin sind §§ 425 HGB, 115 Abs. 1 Nr. 2 VVG i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG.

Nach § 425 Abs. 1 HGB haftet der Frachtführer für den Schaden, der u.a. durch Verlust des Gutes in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung entsteht. Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VVG kann der Dritte seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen, wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG geht, wenn dem Versicherungsnehmer ein Ersatzanspruch gegen einen Dritten zusteht, der Anspruch auf den Versicherer über, soweit er den Schaden ersetzt.

1.

Diese konstruktiven Anspruchsvoraussetzungen liegen sämtlich vor.

Freilich hat die Y der X für den Verlust der Tabakwaren zu haften und also gemäß § 429 Abs. 1 HGB Wertersatz zu leisten, und dies auch ohne Begrenzung, § 435 HGB, da der Schaden wegen der wissentlichen und gewollten Mitwirkung des Z auf eine Handlung zurückzuführen ist, die Leute des Frachtführers im Sinne von § 428 Abs. 1 HGB vorsätzlich begangen hat.

Dieser Schadensersatzanspruch ist gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf die Versicherer der X übergegangen, da diese dieser ihren Schaden ersetzt haben, und die Klägerin als Assekuradeurin kann ihn für diese Versicherer gerichtlich geltend machen.

Der Anspruch des Dritten (also zunächst der X, jetzt der Versicherer bzw. der Klägerin) besteht auch direkt gegen den Versicherer der Y, also die Beklagte, da über das Vermögen der Y das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VVG.

2.

Indes kann sich die Beklagte gegenüber der Klägerin vollen Umfangs darauf berufen, dass sie gegenüber ihrer Versicherungsnehmerin leistungsfrei ist.

Nach § 115 Abs. 1 Satz 2 VVG besteht der Direktanspruch gegen sie im Rahmen ihrer Leistungspflicht aus dem Versicherungsverhältnis und, soweit eine Leistungspflicht nicht besteht, im Rahmen des §§ 117 Abs. 1 bis 4 VVG. Insoweit beruft sich die Beklagte darauf, dass sie der Y nach Ziffer 9 VBF 08 gegenüber leistungsfrei sei, da diese im Hinblick auf den an dem fingierten Raubüberfall beteiligten Fahrer Z ihre Pflichten aus Ziffer 8.1.2. VBF 08 zu sorgfältiger Auswahl und laufender Überwachung des Fahrpersonals vorsätzlich oder mindestens grob fahrlässig verletzt habe, wonach sie vorliegend ungeachtet der Grundregel in § 117 Abs. 1 VVG (dass der Versicherer gleichwohl gegenüber dem Dritten verpflichtet bleibt) nach § 117 Abs. 3 Satz 2 VVG leistungsfrei sei, da der Dritte Ersatz seines Schadens von einem anderen Schadensversicherer erlangen könne (und hier auch tatsächlich erlangt habe).

Da – worüber die Parteien nicht streiten – ein anderer Schadensversicherer auch der Versicherer des Geschädigten sein kann (vgl. nur Prölss/Martin-Klimke, VVG, Kommentar, 31. Auflage, § 117, Rn. 25ff., 27) und hier eben die Versicherer der X diese entschädigt haben, ist entscheidend die Beurteilung nach den Ziffern 8.1.2. und 9 VBF 08. Diese ergibt die vollständige Leistungsfreiheit der Beklagten.

a)

Zunächst sind die VBF 08 wirksam in den Vertrag einbezogen.

Dazu genügt gegenüber einem Unternehmer jede auch stillschweigend erklärte Willensübereinstimmung, wohingegen die Einbeziehungserfordernisse des § 305 Abs. 2 BGB (ausdrücklicher Hinweis und Möglichkeit der Kenntnisnahme) nicht erfüllt sein müssen (vgl. nur Grüneberg, BGB, Kommentar, 82. Auflage, § 310 Rn. 4; Prölss/Martin-Rudy, VVG, Kommentar, 31. Auflage, § 7 Rn. 46).

Vorliegend ist der Vertrag ausweislich der umfassenden Versicherungsbestätigung (Anlage K 3) zwischen der Beklagten und der die Y vertretenden AGL Assekuranz Makler AG teilweise ausgehandelt worden. Es gibt eine Aufstellung der besonderen Vereinbarungen, die – vgl. S. 7 – auf Ziffern „der dem Vertrag zugrundegelegten VBF in der jeweils vereinbarten Fassung“ verweist. Daraus versteht sich, dass diese VBF einbezogen sein sollten. Der Maklerin wird das, was Herr Y sich zurechnen lassen muss, ohnehin klar gewesen sein, wie auch die Y als Unternehmerin davon hat ausgehen müssen, dass selbstverständlich die Beklagte allgemeine Bedingungen verwenden muss, um den Vertrag inhaltlich zu konkretisieren (vgl. auch dazu Prölss/Martin-Rudy, a.a.O.).

b)

Im Streitfall hat Herr Y grob fahrlässig die ihm nach Ziffer 8.1.2. VBF 08 auferlegte Obliegenheit verletzt, das Fahrpersonal sorgfältig auszuwählen und laufend zu überwachen.

aa)

Die Obliegenheit ist – entgegen der Auffassung der Klägerin – in den Bedingungen wirksam statuiert. Sie ist insbesondere nicht intransparent im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach sich eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners auch daraus ergeben kann, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

Die Bestimmung ist hinreichend klar und verständlich. Die Beklagte will ihrem Versicherungsnehmer augenscheinlich eine Verantwortung für die Auswahl und die Führung seiner Mitarbeiter auferlegen. Das ist im Ansatz nur allzu verständlich, da in der schadensgeneigten Transportbranche das Schadensrisiko in erheblichem Maße nicht zuletzt davon abhängt, dass das Fahrpersonal – für dessen Verschulden der Frachtführer, wie er wissen muss, nach § 428 HGB wie für eigenes einzustehen hat – fachkundig, gewissenhaft und zuverlässig arbeitet. Für einen Unternehmer, der wie Herr Y ein Frachtgeschäft betreibt, liegt dabei auch ohne nähere Konkretisierungen aus seiner täglichen Erfahrung auf der Hand, auf welche Anforderungen an sein Personal es dabei ankommt. Ebenso wird ihm bewusst sein, dass die sachlichen und persönlichen Umstände so vielfältig sein können, dass er von seinem Versicherer unmöglich erwarten kann, dass dieser ihm insoweit ein ins Einzelne gehendes Pflichtenprogramm vorschreibt. Namentlich in dem hier gegebenen – sachlich sehr speziellen und unmöglich im Vorhinein regelbaren – Fall, dass ein Fahrer unter Druck gesetzt wird, sich an einem vorgetäuschten Raubüberfall einer Tour Zigaretten zu beteiligen, drängt sich für einen Transportunternehmer als eine einfache und probate Auswahl- und Sicherheitsmaßnahme auf, dass er diesen Fahrer auf derartigen Touren nicht mehr einsetzt bzw. ihn erst dann wieder dort einsetzt, wenn er sich hinreichend sicher sein kann, dass die Gefahr nicht mehr besteht oder kontrolliert werden kann.

bb)

Daraus versteht sich auch schon, dass Herr Y seine Pflicht zur Auswahl und Überwachung grob fahrlässig verletzt hat.

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Grade, außer Acht lässt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste. Das Verhalten des Versicherungsnehmers ist in seiner Gesamtheit zu betrachten. Neben einer objektiven Seite, für die auf die Maßstäbe des jeweiligen Verkehrskreises abzustellen ist, ist auf der subjektiven Seite ein erheblich gesteigertes Verschulden derart erforderlich, dass der Verstoß gegen die in concreto gebotene Sorgfalt auch schlechthin unentschuldbar sein muss (vgl. nur Prölss/Martin-Armbrüster, § 28 Rn. 205ff. m.w.N.).

Hier stellte sich die Situation wie folgt dar: Ein Aushilfsfahrer, von dem der Chef weiß, dass er Geldprobleme hat, berichtet, dass er von zwielichtigen Personen zu einem vorgetäuschten Raubüberfall gedrängt werden soll und dass diese Personen ihn bedrohen würden, falls er von diesem Vorschlag erzähle (vgl. die Vernehmung des Herrn Y, Anlage B 3, S. 5). Unter diesen Umständen muss sich einem Transportunternehmer, den gegenüber seinem Auftraggeber im Hinblick auf den Verlust und die Beschädigung von Gütern eine Obhutshaftung trifft, aufdrängen, dass er diesen Fahrer bei dem bekanntermaßen mit erheblichen Diebstahlsrisiken behafteten Transport von Zigaretten nicht mehr einsetzen kann, und ebenso muss sich ihm aufdrängen, dass er das vernünftigerweise erst dann wieder tun kann, wenn er eine gewisse Sicherheit dahin erlangt hat, dass sich das Gefahrenszenario erledigt habe. Setzt der Unternehmer den Fahrer – wie hier Herr Y – ohne solche klärenden Maßnahmen einfach so nach nur wenigen Wochen wieder für den Transport von Zigaretten ein, so ist das im Hinblick auf seine Auswahl- und Überwachungspflichten offensichtlich fehlerhaft und auch subjektiv schlechthin unentschuldbar, insbesondere vor dem Hintergrund, dass – nach den Angaben von Herrn Y (Anlage B 3, S. 2) in dem Unternehmen bis zu 40 Personen beschäftigt sind, sodass die Befassung eines anderen Fahrers mit den Zigarettentransporten keinen erheblichen Schwierigkeiten hat begegnen können.

Ohne Erfolg verweist die Klägerin auf die GPS-Überwachung und darauf, dass die Beklagte zur groben Fahrlässigkeit des Herrn Y nicht genügend vorgetragen habe. Aus seiner Aussage ergibt sich ausdrücklich, dass zwar „die Fahrer eigentlich alle (wissen), dass die LKWs über GPS verfügen“, aber eben auch, dass „sie nicht genau wissen, was das Gerät sonst noch aufzeichnet“ (Anlage B 3, S. 3). Unter diesen Umständen konnte Herr Y aus der bloßen Fernüberwachung heraus für den Eintritt oder Nichteintritt des Diebstahls nichts herleiten. Im Übrigen ergibt seine sehr ausführliche Aussage nicht den geringsten Anhalt dafür, dass er im Hinblick auf den späteren erneuten Einsatz des Z irgendwelche Vorkehrungen getroffen hätte. Davon ist auch die Klägerin selbst (Replik vom 4. April 2022, S. 2, Bl. 41) ausgegangen, wenn sie einen besonders krassen Verstoß gegen die Obliegenheit damit hat infrage stellen wollen, dass die Offenbarung des Z für ein außerordentlich gutes Arbeitgeber-/Arbeitnehmer-Verhältnis und für eine im Hinblick auf Verantwortungsbereitschaft, Ehrlichkeit und Loyalität sorgfältige Auswahl spreche, Umstände, unter denen es abwegig sei, dem Mitarbeiter zu kündigen oder ihn freizustellen. Auch und gerade der letzte Gedanken (a.a.O.), dass eine Umverteilung von Fahrpersonal bei kleineren Unternehmen nicht ohne weiteres möglich und zumeist mit Tourenausfällen und erheblichen Mehraufwand verbunden sei, zeigt, dass die Klägerin selbst davon ausgeht, dass der Z ohne weiteres wieder auf der alten Tour eingesetzt worden ist; und auch dieses letzte Argument verfängt nicht, denn bei der Anzahl der beschäftigten Personen von 40 muss, wie schon erörtert, der Einsatz eines anderen Fahrers – wie ja auch in der Zwischenzeit – durchaus möglich gewesen sein.

Der Klägerin war auf die vorstehende, im Senatstermin vorgestellte Beurteilung der beantragte Schriftsatznachlass nicht zu gewähren. Ein Fall des § 283 ZPO, der die Erwiderung auf kurzfristige Erklärungen des Gegners betrifft, liegt ersichtlich nicht vor. Es ist aber auch kein Fall der §§ 139 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 ZPO gegeben, wonach den Parteien Gelegenheit zu geben ist, sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen zu erklären, und Schriftsatznachlass zu gewähren ist, wenn eine sofortige Erklärung nicht möglich ist. Die Frage, ob das Verhalten des Herrn Y als grob fahrlässig einzustufen ist oder nicht, war Gegenstand der Auseinandersetzung der Parteien in erster Instanz, Gegenstand des landgerichtlichen Urteils, Gegenstand des Berufungsvorbringens der Klägerin und ihrer Ausführungen im Senatstermin. Die Klägerin hatte mithin ausreichend Gelegenheit, sich zu dem Gesichtspunkt zu verhalten und hat das auch getan. Der Senat hat im Termin auf keinerlei neue Tatsachen abgestellt, sondern lediglich das bisherige Vorbringen der Parteien, insbesondere der Beklagten einschließlich der von ihr vorgelegten Anlagen bewertet. Der in der Prozessordnung vorgesehene Schriftsatznachlass dient nicht dazu, einer Partei, die mit ihren bisherigen Erwägungen zu einem bestimmten Gesichtspunkt beim Berufungsgericht nicht hat durchdringen können, Gelegenheit zu geben, noch etwaige weitere Argumente für die Bewertung nachzuschieben. Die Klägerin ist darüber hinaus darauf hingewiesen worden, dass sie sich dazu auch sofort müsste erklären können; das hat sie nicht getan und auch nicht dargetan, warum ihr dies nicht möglich sein sollte.

c)

Die grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung hat zur Folge, dass die Beklagte von der Verpflichtung zur Leistung frei geworden ist, Ziffer 9 Satz 1 VBF 08.

Danach ist, verletzt der Versicherungsnehmer diese (d.h. die in Ziffer 8 bestimmten) Obliegenheiten vorsätzlich oder grob fahrlässig, der Versicherer von der Leistung frei, es sei denn, die Verletzung war weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht ursächlich.

aa)

Diese Bestimmung, die von dem mit dem VVG 2007 eingeführten Quotelungsprinzip bei grober Fahrlässigkeit (für Obliegenheitsverletzungen gilt insoweit § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG) abweicht, ist entgegen der Auffassung der Klägerin ebenfalls wirksam.

(1)

Der Vereinbarung, dass im Fall einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung die Beklagte leistungsfrei werde, steht zunächst nicht § 7a Abs. 3 Nr. 1 GüKG entgegen, wonach von der Versicherung (nur) Ansprüche wegen Schäden ausgenommen werden können, die vom Unternehmer oder seinem Repräsentanten vorsätzlich begangen wurden.

Ziel der Pflichthaftpflichtversicherung, die zu halten Pflicht eines Transportunternehmers ist, ist es, dass Absender und Empfänger gegen beim Transport eintretende Beschädigungen und Verluste solvent abgesichert sind. An dieser Absicherung ändert sich durch Ziffer 9 Satz 1 VBF 08 nichts. Denn diese betrifft allein das Innenverhältnis des Pflichtversicherers zum Transportunternehmen und lässt unberührt, dass nach dem Gesetz, § 117 Abs. 1 VVG, ungeachtet einer etwaigen Leistungsfreiheit die Leistungspflicht des Versicherers in Ansehung des Dritten bestehen bleibt.

(2)

Die Vereinbarung der Leistungsfreiheit schon bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung ist auch im Übrigen wirksam, §§ 210 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 VVG i.V.m. Anlage 1 Nr. 10 b VAG, 307 BGB.

Gemäß § 210 Abs. 1 VVG sind die Beschränkungen der Vertragsfreiheit nach diesem Gesetz auf Großrisiken nicht anzuwenden. Als eine Beschränkung der Vertragsfreiheit gilt grundsätzlich auch § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG; denn die Vorschrift ist halbzwingend, da gemäß § 32 Satz 1 VVG von ihr zum Nachteil des Versicherungsnehmers nicht abgewichen werden darf. Großrisiken sind gemäß § 210 Abs. 2 Nr. 1 VVG u.a. die Anlage 1 Nr. 10 b VAG erfassten Transport- und Haftpflichtversicherungen. Anlage 1 Nr. 10 b VAG nennt unter der Haftpflicht für Landfahrzeuge mit eigenem Antrieb die Haftpflicht aus Landtransporten.

(a)

Eine solche Haftpflicht aus Landtransporten, zu der der Unternehmer eines Frachtgeschäfts des gemäß § 7a Abs. 1 GüKG verpflichtet ist, ist vorliegend in Gestalt der Frachtführerhaftungs-Versicherung der Y (Versicherungsbestätigung und Nachtragsversicherungsschein als Anlage K 3) gegeben. Gemäß der Versicherungsbestätigung sind versichert bei innerdeutschen Beförderungen Güterschäden und Vermögensschäden nach Maßgabe des HGB und bei grenzüberschreitenden Beförderungen nach Maßgabe des CMR. Gemäß dem Nachtrag besteht Versicherungsschutz für Beförderungen aufgrund von Frachtverträgen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich nichts anderes – insbesondere keine gemischte Versicherung, die womöglich anders zu beurteilen wäre – daraus, dass (gemäß S. 7 des Nachtrags) mitversichert ist bei Beförderungen mit fremden deutschen Frachtführern auch die Haftung des Versicherungsnehmers nach marktüblichen allgemeinen Geschäftsbedingungen, bei innerdeutschen Transporten nach dem HGB bzw. bei grenzüberschreitenden Transporten nach dem CMR. Damit wird nicht etwa auch ein Speditionsgeschäft mitversichert. Vielmehr wird die Versicherung lediglich auf den Fall erstreckt, dass die Y Frachtverträge, die allein Gegenstand der Versicherung sind, mithilfe von fremden deutschen Frachtführern durchführt, also im Einzelfall Unterfrachtführer beauftragt, für deren Verhalten sie nach den ohnehin für sie als Frachtführerin geltenden, näher bezeichneten (vertraglichen, HGB- und CMR-)Regeln einzustehen hat.

Auch wenn es konstruktiv anders und auch ein Speditionsgeschäft mitversichert wäre, handelte es sich noch nicht um eine kombinierte Versicherung von Großrisiken und anderen Risiken mit der Folge, dass das VVG auf den gesamten Vertrag uneingeschränkt anzuwenden wäre. Eine Freistellung von den gesetzlichen Beschränkungen der Vertragsfreiheit ist auch dann gerechtfertigt, wenn für die Versicherung als Typ – also losgelöst vom Einzelfall – das Transportrisiko überwiegt (BGH, Urteil vom 29. Juni 1983, IVa ZR 220/81, VersR 1983, 949, Rn. 20 bei juris; Urteil vom 24. November 1971, IV ZR 135/69, VersR 1972, 85, Rn. 11f. bei juris). Und so liegt es hier. Denn ein (unterstelltes) Speditionsgeschäft spielt bei der Y offensichtlich keine Rolle, wie sich daraus versteht, dass sie (gemäß S. 7 des Nachtrages) einen darauf beruhenden Bruttofrachtumsatz von mehr als 100.000 € jährlich zwecks Neukalkulation des Versicherungsbeitrages mitzuteilen hätte und sich aber der Beitrag für diesen Anteil (gemäß S. 5 des Nachtrags) auf 0,- € beläuft.

(b)

Entgegen dem Landgericht stellt es keine unangemessene Benachteiligung dar, wenn für den Fall einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung die Leistungsfreiheit bestimmt wird. Das mit dem VVG 2007 eingeführte Quotelungsprinzip bei grober Fahrlässigkeit gehört nicht zu den wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes. Das versteht sich für die Transportversicherung schon daraus, dass für diese Sparte etwa § 137 Abs. 1 VVG abweichend von § 81 Abs. 2 VVG das vollständige Entfallen der Leistungspflicht bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls zur gesetzlichen Regel erhoben hat, sodass nicht einleuchtet, dass – nach der Freigabe der halbzwingenden Beschränkung durch § 210 VVG – dasselbe nicht auch bei grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen vertraglich bestimmt werden dürfte. Weiter ist – für weitere gesetzliche Ausnahmen vom Quotelungsprinzip – auf die §§ 57 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 58 und 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VVG zu verweisen (vgl. zum Ganzen etwa Prölss/Martin-Klimke, § 210 Rn. 17 m.w.N.; für die zulässige Beibehaltung des früher geltenden „Alles oder Nichts“-Prinzips bei unter § 210 VVG fallenden Verträgen auch HansOLG, 6 U 39/17, RuS 2018, 371, Rn. 58 bei juris).

Vor diesem Hintergrund (zu (a) und (b)) greifen auch die Erwägungen der Klägerin in dem Schriftsatz vom 23. Mai 2023 nicht durch.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung auf §§ 708, Nr. 10, 711 ZPO.

Für die von der Klägerin noch angeregte Zulassung der Revision sieht der Senat keinen Anlass, § 543 Abs. 2 ZPO.

 

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