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Verkehrssicherungspflicht in einem Billigmarkt

OLG Frankfurt

Az: 16 U 118/12

Urteil vom 28.12.2012


Leitsatz vom Verfasser nicht amtlich: Auch der Betreiber von sogenannten Billigmärkten muss seine Kunden vor ohne weiteres vermeidbaren Gefahren schützen. Er muss die Waren also so bereitstellen und die Gänge zwischen den Warenkörben und anderen Vorratsbehältern so frei halten, dass ein gefahrloses Gehen und Entnehmen der Waren für einen aufmerksamen Kunden möglich ist. Ein Käufer ist nämlich grundsätzlich auf das Warenangebot konzentriert, das ihm präsentiert wird. In einem Billigmarkt, in dem sich die Waren zum Teil auf dem Boden befinden oder in Warenkörben oder an Rollwagenständern, ist das Warenangebot sehr unübersichtlich. Der Kunde muss daher beim Einkaufen sehr konzentriert vorgehen, um die in unterschiedlicher Weise angebotenen Waren in den Blick zu nehmen. Deshalb ist er in besonderer Weise abgelenkt. In einem Billigmarkt muss daher durch eine sorgfältig vorgenommene Anordnung der Warenbehältnisse und eine hinreichend breite Gangführung die Gefahrenlage so minimiert werden, dass ein besonnener Kunde gefahrlos einkaufen kann. Stürzt ein Kunde aufgrund einer zu engen Gangbreite oder aufgrund sonstiger Hindernisse, haftet ihm der Betreiber des Billigmarktes auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.


Die Berufung der Beklagten gegen das am 8. Juni 2012 verkündete Urteil des Landgerichts Limburg a. d. L. – 2 O 427/11 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 10.312,54 Euro.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf den Ersatz der Kosten für die Behandlung der Zeugin B nach einem Sturz in einem Geschäft der Beklagten in Anspruch, wobei die Klägerin in Höhe von 1/3 der Kosten ein Mitverschulden der Zeugin B berücksichtigt.

Die bei der Klägerin gesetzlich krankenversicherte Zeugin B besuchte am 25. September 2010 gegen 12:30 Uhr den Discountmarkt der Beklagten in Ort1. Es handelt sich um einen Billigmarkt, auch „Krabbelmarkt“ genannt, in welchem auf Rollwagenständern, in Körben und auf dem Boden Waren drapiert sind, die die dazwischen befindlichen Gänge erheblich, zum Teil bis auf 20 cm Durchgangsbreite verengen. Die Zeugin B stürzte in einem der Gänge im Bereich eines Rollwagenständers auf der linken Seite des Ganges und zog sich Verletzungen an Schulter, Arm, Ellenbogen, Knie, Bein und Sprunggelenk zu. Die Klägerin wandt wegen des Sturzes Behandlungs- und Transportkosten in Höhe von insgesamt 11.156,61 Euro auf, von denen sie 2/3, nämlich 7.437,74 Euro der Beklagten in Rechnung stellte. Darüber hinaus verlangt sie 2/3 der aufgewendeten Taxikosten von insgesamt 262,20 Euro, nämlich 174,80 Euro. Die Zeugin B wird in ca. 5 Jahren als Folge der Sturzverletzungen ein neues Kniegelenk beanspruchen.

Die Klägerin hat behauptet, Ursache des Sturzes der Zeugin B sei es gewesen, dass diese aufgrund der Enge in dem Gang an einer festgestellten Rolle des Rollwagenständers hängen geblieben sei, wobei der Rollfuß des Ständers in den Gang hineingeragt habe und durch die aufgehängten Waren verdeckt gewesen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.437,74 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 31.12.2010 sowie weitere 174,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 2/3 sämtlicher materieller Schäden, die ihr aus dem Vorfall vom 25. September 2012 gegen 12:30 Uhr im Discountermarkt der Beklagten in ….. zukünftig entstehen, zu ersetzen.

Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung der Klage stattgegeben und einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Ersatz der verauslagten Beträge aus §§ 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB, 116 Abs. 1 SGB X bejaht. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte gegenüber der Zeugin B ihre vorvertragliche Pflicht verletzt habe, die Gesundheit ihrer Kunden vor Gefahren zu schützen, die von der Einrichtung ihres Geschäftes ausgehen. Die Beklagte hätte aufgrund dieser Pflicht den Rollwagenständer nicht wie geschehen in dem Gang aufstellen dürfen, da es sich um ein Hindernis sowohl für den Zugriff auf die dahinter aufgestellten Waren als auch für den Weg durch den Gang gehandelt habe, zumal an dieser Stelle die maximale Durchgangsbreite nach dem nicht substantiiert bestrittenen Vortrag der Klägerin 40 cm betragen habe.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der landgerichtlichen Begründung wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 96-98 d. A.) und auf dessen Entscheidungsgründe (Bl. 98-102 d. A.) Bezug genommen.

Gegen das ihr am 13. Juni 2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einer am 25. Juni 2012 bei Gericht eingegangen Schrift Berufung eingelegt, die nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 13. September 2012 mit einer an diesem Tag eingegangenen Schrift begründet worden ist.

Die Beklagte rügt Rechtsfehler und ist der Ansicht, dass das Landgericht zu Unrecht von einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte ausgegangen sei. Das sei nicht gerechtfertigt, da Kunden vor Betreten von solchen Discountmärkten von Anfang an wüssten, wie die Örtlichkeit ausgestattet sei, nämlich typischerweise mit engen Gängen und einem unübersichtlich präsentierten Warenangebot von Billigwaren. Zumindest sei jedoch ein höheres Mitverschulden der Zeugin B zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Limburg a. d. L. vom 8. Juni 2012 – 2 O 427/11 – die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht Limburg hat im Ergebnis zu Recht der Klage stattgegeben und die Beklagte wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten gemäß §§ 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB, 116 Abs. 1 SGB X zur Erstattung ihrer Kosten verpflichtet, wobei auch der Senat entsprechend dem Antrag der Klägerin und der Auffassung des Landgerichts von einem Mitverschulden der Zeugin B in Höhe von 1/3 ausgeht. Auch dem Einstellungsantrag war in der beantragten Weise zu entsprechen. Der Anspruch ist auch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht begründet.

Der Beklagten ist zuzugeben, dass sich das Ausmaß der Verkehrssicherungspflicht an der konkreten Örtlichkeit zu orientieren hat. Es stimmt, dass es sich bei dem Discountmarkt der Beklagten in …. um einen Billig- oder „Krabbel“-Markt handelt, der typischerweise mit einem unübersichtlich aufgebauten und in relativ engen Verhältnissen zusammengestellten Warenangebot einhergeht. Gleichwohl muss ein Ladeninhaber seine Kunden vor ohne weiteres vermeidbaren Gefahren schützen. Er muss die Waren also so bereitstellen, dass sie ohne nennenswerte Gefährdung des Publikums gegriffen und in den Warenkorb gelegt werden können. Er muss auch die Gänge zwischen den Warenkörben und anderen Vorratsbehältern so frei halten, dass ein gefahrloses Gehen und Entnehmen der Waren für einen aufmerksamen Kunden möglich ist. Ein Käufer ist nämlich grundsätzlich auf das Warenangebot konzentriert, das ihm präsentiert wird. In einem Billigmarkt, in dem sich die Waren zum Teil auf dem Boden befinden oder in Warenkörben oder an Rollwagenständern, ist das Warenangebot sehr unübersichtlich. Der Kunde muss daher beim Einkaufen sehr konzentriert vorgehen, um die in unterschiedlicher Weise angebotenen Waren in den Blick zu nehmen. Deshalb ist er in besonderer Weise abgelenkt. Wenn dann aber die Gänge nur 40 cm breit sind und die Füße des Kunden an unterschiedlichen Vorratseinrichtungen vorbeigeführt werden, die zum Teil über Rollen oder Standfüße verfügen und zum Teil nicht, besteht sehr leicht die Gefahr, dass der Kunde hängen bleibt und zu Fall kommt. Das gilt erst Recht, wenn er auf Waren zugreifen möchte, die sich hinter einem entsprechenden Vorratskorb oder einem Rollwagenständer befinden.

Hier muss durch eine sorgfältig vorgenommene Anordnung der Warenbehältnisse und eine hinreichend breite Gangführung die Gefahrenlage so minimiert werden, dass ein besonnener Kunde gefahrlos einkaufen kann.

Der Fall ist auch nicht vergleichbar mit demjenigen, der der Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgericht vom 18. März 2009 (13 U 74/08, zitiert nach juris) zugrunde lag. Dort ging es um die Gefahren, die durch einen in der Verkaufsfläche betriebenen Paletten-Hubwagen entstanden sind. Bei diesem Paletten-Hubwagen handelt es sich nämlich um ein gut sichtbares und nur bei Rückwärtsbewegungen nicht erkennbares Hindernis. Im vorliegenden Fall geht es jedoch um Hindernisse, die aufgrund einer Zustellung der Gänge mit Waren und ihrer Präsentation in unterschiedlichen Behältnissen oder Hängevorrichtungen eben nicht gut sichtbar sind, weil sie in unterschiedlicher Weise in die Gänge hineinragen, diese verengen und ausfüllen, sodass auch ein aufmerksamer Kunde nicht alle Gefahrenmomente durchschauen kann.

Zutreffend war jedoch auch ein Mitverschulden der Zeugin B zu berücksichtigen, das mit einem Drittel in Ansatz zu bringen war. Denn der Besucher eines solchen Billigmarktes, der wegen der günstigen Angebote mit keinem großen Komfort im Ladengeschäft rechnen darf, muss in besonderer Weise seine körperliche Integrität im Auge behalten und sich durch vorsichtiges und konzentriertes Bewegen durch die Gänge schützen. Auf jeden Fall überwiegt jedoch die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte das Mitverschulden der Zeugin B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision war nicht gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.

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