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Verkehrsunfall bei Kolonnenüberholen bei unklarer Verkehrslage

OLG Koblenz: Kläger erhält Schadensersatz nach Verkehrsunfall

Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz hat in einem Urteil vom 12. Oktober 2020 entschieden, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, die aus einem Verkehrsunfall resultieren, zu erstatten. Bei dem Unfall waren der Beklagte und der Kläger beteiligt. Das Gericht berücksichtigt dabei einen Mithaftungsanteil des Klägers von einem Drittel.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 12 U 885/19 >>>

Verstoß gegen Straßenverkehrsordnung

Das OLG Koblenz bestätigt damit das Urteil des Landgerichts Trier. Es stellt fest, dass der Beklagte gegen die Regelung des § 5 Abs. 4 der Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen hat, indem er beim Versuch, das vorausfahrende Fahrzeug zu überholen, sich nicht so verhalten hat, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen war. Ein Sachverständiger hat in der Verhandlung überzeugend dargelegt, dass aufgrund der unklaren Verkehrslage auf Seiten des Klägers von einer Überholmöglichkeit keine Rede war. Beide Fahrzeuge mussten über einen längeren Zeitraum hinter einem langsam fahrenden Pkw herfahren. Vor dem Abbiegevorgang bestand keine Überholmöglichkeit aufgrund einer Geschwindigkeitsbegrenzung und eines Überholverbots. Die Möglichkeit, das vorausfahrende Fahrzeug zu überholen, ergab sich erst nach dem Abbiegen.

Unsicherheit und Verursachungsbeitrag

Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass der Kläger davon ausgehen musste, dass der Beklagte die nächste sich bietende Möglichkeit nutzen würde, das langsam fahrende Fahrzeug zu überholen. Aufgrund der zurückgelegten Strecke und des räumlichen Abstands zum Einmündungsbereich konnte der Kläger jedoch nicht sicher ausschließen, dass der Beklagte ebenfalls zum Überholen ansetzen würde. Auch die Inaugenscheinnahme von Lichtbildern deutet darauf hin, dass der Unfall in einem erheblich kürzeren Abstand zur Einmündung stattgefunden hat. Zudem befand sich im Einmündungsbereich eine Verkehrsinsel, die ein Überholen verhinderte. Der Kläger konnte also vor Einleitung seines Überholvorgangs nicht hinreichend sicher sein, dass der Beklagte nicht ebenfalls zum Überholen ansetzen würde.

Schadensersatz und Schmerzensgeld

Das Gericht stellt fest, dass der Beklagte eine höhere Verursachungsbeitrag zu tragen hat. Die von dem Kläger erlittenen Verletzungen werden ausführlich beschrieben, darunter eine Fraktur im Halswirbelbereich, eine Lungenkontusion, eine Wirbel- und Oberschenkelfraktur. Der Kläger hat einen Anspruch auf Schmerzensgeld, das angemessen und ausreichend in Höhe von 27.500 € festgesetzt wird. Die genaue Höhe des Schmerzensgeldes basiert auf vergleichbaren Fällen und berücksichtigt die entstandenen Lebensbeeinträchtigungen.

Vollstreckbarkeit und Haftung

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, und die Parteien haben die Möglichkeit, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden. Das OLG Koblenz spricht außerdem aus, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu erstatten, sofern diese nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.


Das vorliegende Urteil

OLG Koblenz – Az.: 12 U 885/19 – Urteil vom 12.10.2020

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 20.05.2019 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 19.121,00 € sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 464,10 € jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.09.2018 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche aus dem Verkehrsunfall vom 07.05.2016, an dem der Beklage zu 1. und der Kläger beteiligt waren, resultierenden in Zukunft entstehenden materiellen und immateriellen Schäden, erstere, soweit entsprechende Schadensersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind, zu erstatten; dies unter Berücksichtigung eines Mithaftungsanteils des Klägers von 1/3.

3. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 4/10 und die Beklagten als Gesamtschuldner 6/10.

IV. Dieses Urteil und das angegriffene Urteil des Landgerichts Trier sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Mit seiner Klage macht der Kläger Schadensersatzansprüche sowie einen Schmerzensgeldanspruch aus einem Verkehrsunfallereignis geltend, das sich am 07.05.2016 auf der K… zwischen …[Z] und der …[Y] in Richtung …[X] ereignet hat. Bei diesem Verkehrsunfallereignis wurde der Kläger erheblich verletzt. Die Parteien streiten unter anderem darüber, inwieweit den Kläger ein Mitverschulden an dem Zustandekommen des Verkehrsunfalls trifft.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 53.870,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 26.09.2018 sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 858,59 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 26.09.2018 zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche aus dem Verkehrsunfall vom 07.05.20216, an dem der Beklagte zu 1. und der Kläger beteiligt waren, resultierenden in Zukunft entstehenden materiellen und immateriellen Schäden, erstere, soweit entsprechende Schadensersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind, zu erstatten.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Sachverhaltsdarstellung im Übrigen wird auf die Feststellungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).

Mit seinem am 20.05.2019 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 43.870,99 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 26.09.2018 sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 595,60 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 26.09.2018 zu zahlen. Darüber hinaus hat es die von dem Kläger begehrte Feststellung ausgesprochen.

Unter Wiederholung, Vertiefung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung gegen dieses Urteil.

Die Beklagten beantragen, das Urteil des Landgerichts Trier vom 20.05.2019 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen …[A] und …[B] sowie durch Anhörung des Sachverständigen Dipl.-Ing. [C]. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 24.08.2018 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg.

Nach Durchführung der Beweisaufnahme ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Verkehrsunfall sowohl durch einen Verstoß des Beklagten zu 1. gegen § 5 Abs. 4 StVO („Unachtsames“ Überholen), als auch durch einen Verstoß des Klägers gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO („Überholen bei unklarer Verkehrslage“) verursacht worden ist. Die Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten wertet der Senat im Rahmen der gemäß § 17 StVG vorzunehmenden Schadensverteilung mit 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Beklagten.

Mit dem Landgericht sieht auch der Senat einen schuldhaften Verstoß des Beklagten zu 1. gegen die Regelung des § 5 Abs. 4 StVO als gegeben an. Der Beklagte zu 1., der bei dem Versuch, das vorausfahrende Fahrzeug zu überholen, ausscheren wollte, hat sich hierbei nicht so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen war. Der Sachverständige Dipl.-Ing. …[C] hat in der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2020 überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, die hinter dem Beklagten zu 1. fahrenden Motorräder des Klägers und der Zeugin …[A] seien für den Beklagten zu 1. jederzeit gut erkennbar gewesen. Ein einziger Blick in die Spiegel hätte genügt, um zu bemerken, dass sich dort zwei Motorräder befanden. Spätestens mit einem Schulterblick hätte der Beklagte zu 1. auch das ihn überholende Motorrad in jedem Zeitpunkt bemerken müssen (Hervorhebung durch den Senat), als er selbst zum Überholen angesetzt habe. Einen echten toten Winkel, in dem das Motorrad zwischen den Spiegeln und dem Schulterblick habe kurzzeitig verschwinden können, habe es nicht gegeben. Der Senat hat keinerlei Anlass an der Richtigkeit dieser Ausführungen des Sachverständigen …[C] zu zweifeln.

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Von einem Verstoß des Beklagten zu 1. gegen § 5 Abs. 4 StVO war damit auszugehen. Der Beklagte zu 1. hat bei seinem Überholvorgang nicht die von ihm geforderte erhöhte Aufmerksamkeit („dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist“) aufgewendet. Hätte er dies getan, hätte er bei der durchzuführenden ordnungsgemäßen Rückschau den sich ebenfalls im Überholvorgang befindlichen Kläger wahrnehmen müssen und seinen eigenen Überholvorgang zurückstellen müssen.

Nach der Überzeugung des Senats hat aber auch der Kläger schuldhaft zu dem Zustandekommen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls durch einen Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO (Überholen bei unklarer Verkehrslage) beigetragen. Von einer unklaren Verkehrslage ist dann auszugehen, wenn sich für den nachfolgenden Kraftfahrer nicht sicher beurteilen lässt, was der Vorausfahrende jetzt sogleich tun wird (OLG Koblenz in NZV 2005, 413; OLG Koblenz in VRS 105,418; OLG Koblenz in VRS 70,467). Der Senat geht in dem hier zu beurteilenden Sachverhalt von dem Vorliegen einer unklaren Verkehrslage auf Seiten des Klägers aus. Dabei hat sich der Senat von folgenden Überlegungen leiten lassen. Zwischen den Parteien ist unstreitig (siehe insoweit die Feststellungen in dem unstreitigen Tatbestand des angefochtenen Urteils), dass sowohl der Kläger, als auch der Beklagte zu 1. als Teil einer Fahrzeugkolonne über einen längeren Zeitraum hinter dem langsam fahrenden Pkw herfuhren bzw. herfahren mussten. Auch die Zeugin …[A] hat in der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2020 ausgesagt, man sei in der Kolonnensituation mehrere Kilometer (Hervorhebung durch den Senat) auf der Landstraße unterwegs gewesen. Vor dem Abbiegevorgang in die Straße zur …[Y] habe sich auch keinerlei Überholmöglichkeit ergeben, dies weil auf der Strecke eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h geherrscht habe und zusätzlich auch ein Überholverbot angeordnet gewesen sei. Die Überholmöglichkeit habe sich erst nach Vollendung des Abbiegevorgangs ergeben.

Somit steht fest, dass vor dem Abbiegevorgang auf die Straße zur …[Y] weder der Kläger, noch der Beklagte zu 1. eine Möglichkeit hatten, auch wenn ein dahingehender Wille bestand, das vorausfahrende langsame Fahrzeug zu überholen. Nach der Überzeugung des Senats musste der Kläger die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass auch der Beklagte zu 1., würde sich ihm eine entsprechende Gelegenheit bieten, nicht bereit war, länger hinter dem extrem langsam fahrenden Pkw herzufahren. Der Kläger musste also damit rechnen, dass der Beklagte zu 1. die nächste sich ergebende Möglichkeit nutzen werde, diesen Pkw zu überholen. Nach der Überzeugung des Senats konnte er somit, dies im Sinne der oben aufgeführten Definition der unklaren Verkehrslage, nicht sicher beurteilen, wie sich der Beklagte zu 1. nach dem Abbiegevorgang verhalten werde.

Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Zeugin …[A] in der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2020 weiter angegeben hat, sie denke, dass die Kolonne ungefähr 200 bis 300 m auf der Straße Richtung …[Y] zurückgelegt habe, bevor es zum Unfall gekommen sei. Legt man die belastbare Größenordnung von 200 m zu Grunde und berücksichtigt weiter, dass es aufgrund der von der Zeugin geschilderten und von dem Sachverständigen bestätigten maßvollen Beschleunigung des Klägers mit seinem Motorrad geraume Zeit in Anspruch nahm, bis er die Unfallposition neben dem Beklagten zu 1. erreicht hat, reicht die verbliebene zurückgelegte Strecke keinesfalls aus, um aus der Sicht des Klägers sicher ausschließen zu können, dass nicht auch der Beklagte zu 1. einen Überholvorgang beabsichtigte.

In diesen Zusammenhang passt auch der Eindruck, den der Senat durch die Inaugenscheinnahme der in den Akten der Staatsanwaltschaft Trier (Staatsanwaltschaft Trier 8143 Js 32852/16) befindlichen Lichtbilder gewonnen hat. Insbesondere aufgrund des in dem ersten Sonderband (Gutachten – …[D]) auf Seite 18 befindlichen Lichtbildes drängt sich der Eindruck auf, dass sich der Unfall in einem erheblich kürzeren Abstand zu dem Einmündungsbereich in die Straße zur …[Y] ereignet hat. Hinzu kommt, dass sich unmittelbar im Einmündungsbereich noch eine großzügig angelegte Verkehrsinsel befindet, die einem Ansetzen zum Überholen sowohl für den Kläger wie auch für den Beklagten zu 1 entgegenstand, so dass frühestens nach Passieren dieser Verkehrsinsel überhaupt erst mit einem Überholvorgang begonnen werden konnte. Von diesem Punkt der frühest möglichen Einleitung eines Überholvorgangs bis zur späteren Unfallstelle verbleibt indes ein so geringer Abstand, dass sich der Kläger vor Einleitung seines Überholvorganges noch keine hinreichende Gewissheit dahingehend gebildet haben konnte, dass nicht auch der Beklagte zu 1. gleichfalls zum Überholen des langsam vorausfahrenden Fahrzeugs ansetzen werde.

In die gemäß § 17 StVG vorzunehmende Schadensverteilung waren damit der schuldhafte Verstoß des Beklagten gegen § 5 Abs. 4 StVO sowie der schuldhafte Verstoß des Klägers gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO einzustellen. Der Senat misst der Beklagtenseite einen höheren Verursachungsbeitrag zu. Die von dem Kläger und der Zeugin …[A] geführten Motorräder fuhren bereits über einen geraumen Zeitraum (mehrere Kilometer) gezwungenermaßen hinter dem Beklagten zu 1. und dem vor ihm fahrenden langsamen Pkw her. Der Beklagte zu 1. musste somit damit rechnen, dass die wesentlich beschleunigungsfreundlicheren Motorräder die sich ergebende nächste Möglichkeit nutzen würden, um ihn und den vorausfahrenden Pkw zu überholen. Der Beklagte zu 1. hätte insoweit seinen eigenen Überholvorgang noch vorsichtiger gestalten müssen. Sein Verschulden überwiegt. Der Senat gelangt im Ergebnis zu einer Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Beklagten.

Was die Höhe des ersatzfähigen Schadens angeht, gilt Folgendes:

Der bei dem Unfall auf Seiten des Klägers eingetretene Sachschaden beläuft sich auf insgesamt 13.263,67 €. 2/3 hiervon betragen 8.842,45 €. Unter Berücksichtigung des von der Beklagten zu 2. bereits gezahlten Betrages von 6.631,84 €, verbleibt ein offener Restbetrag in Höhe von 2.210,61 €.

Der Kläger hat gegen die Beklagten weiter einen Anspruch auf Ersatz des ihm aufgrund des Verkehrsunfalls entstandenen Verdienstausfallschadens. Der Kläger hat diesen Verdienstausfallschaden im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 06.11.2018 auf insgesamt 18.440,88 € beziffert, dabei allerdings die volle Einstandspflicht der Beklagen zugrunde legend. Er hat substantiiert, nachvollziehbar und unter Beweisantritt dargelegt, wie sich dieser Betrag berechnet. So hat der Kläger seinen Berechnungen ein monatliches Festgehalt von 5.500,00 € (brutto), einen monatlichen durchschnittlichen Bonus von 3.865,00 €, sowie einen ihm gemäß § 4 seines Arbeitsvertrages vom 14.11.2008 zustehenden Umsatzbonus in Höhe von 125,00 € für jeden Mann-Tag zugrunde gelegt. Der Kläger hat weiter substantiiert dargetan, dass er im Jahre 2016 ein Projekt bei der Firma …[E] zu betreuen hatte und hier monatlich für mindestens vier Tage eingeplant gewesen sei. Dieser Tätigkeit habe er unfallbedingt nicht nachgehen können. Insoweit sei von einem weiteren Umsatzbonus von monatlich 500,00 € auszugehen. Auf die diesbezüglichen Einwände der Beklagten hin hat der Kläger weiter mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 21.01.2019 vorgetragen, es sei vorliegend von einem Bruttobetrag auszugehen, da § 24 EStG ausdrücklich auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt würden, als zu versteuernde Einkünfte im Sinne von § 2 Abs. 1 EStG definiere. Die Beklagten sind dem in der Folgezeit nicht in erheblicher Weise entgegengetreten. Das Landgericht ist, von diesen Werten des Klägers ausgehend, zu einer Differenz zwischen fiktivem und erhaltenem Entgelt in Höhe von 23.486,30 € gelangt. Der Senat macht sich diese, mit der Berufung nicht mehr angegriffenen Ausführungen des Landgerichts zu eigen. 2/3 hiervon ergeben einen Betrag von 15.657,53 €. Abzüglich der von der Krankenkasse im streitgegenständlichen Zeitraum geleisteten Zahlungen von 5.045,42 €, sowie des von der Beklagten zu 2. vorgerichtlich geleisteten Betrages von 3.701,72 € verbleibt somit ein Schaden in Höhe von 6.910,39 €.

Dem Kläger war ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 € zuzuerkennen. Der Anspruch auf Schmerzensgeld soll den von dem Verletzten erlittenen immateriellen Schaden angemessen ausgleichen. Der Verletzte soll einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten; das Schmerzensgeld soll ihn in die Lage versetzen, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen, die die erlittenen Beeinträchtigungen jedenfalls teilweise ausgleichen (Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Auflage, § 253 Rdnr. 3). Was die Bemessung des Schmerzensgeldes angeht, muss dieses unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemessung maßgeblicher Umstände festgesetzt werden und in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzung stehen. Hierbei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigungen zu berücksichtigen (BGH in Recht und Schaden 2017, 101). Für vergleichbare Verletzungen ist in der Regel unabhängig vom Haftungsgrund ein annähernd gleiches Schmerzensgeld zu gewähren. Schmerzensgeldtabellen sind daher für die Bemessung ein wichtiges und verzichtbares Hilfsmittel (Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 253 Rdnr. 15).

Der Kläger hat aufgrund des Unfallgeschehens unter anderem folgende Verletzungen erlitten. Eine Fraktur des Arcus vertebrae HWK 6 rechts, eine Fraktur des Processus transversus HWK 7 rechts, Lungenkontusion rechts basal, eine Deckplattenimpressionsfraktur LWK 1 sowie eine dislozierte Oberschenkelfraktur links am Übergang mittleres distales Drittel. Das Gangbild des Klägers war noch im Sommer 2017 verändert. An der linken Fußsohle bestand nach wie vor ein Taubheitsgefühl. Ferner traten gelegentlich Schmerzen an der Halswirbelsäule auf, sowie ein Taubheitsgefühl streckseitig am rechten Daumen und Zeigefinger sowie streckseitig im Unterarm bis zum körpernahen Drittel des rechten Unterarms reichend. Am linken Bein bestand eine herabgesetzte Belastbarkeit mit dezenter Muskelatrophie am linken Oberschenkel und verminderter Kraft des linken Beines. Eine Metallentfernung im Jahre 2019 im linken Bein war vorgesehen. Der Kläger leidet nach wie vor unter den Folgen des Unfalls. Er war vom 07.05.2016 bis zum 18.05.2016 in stationärer Behandlung und anschließend für ca. 3,5 Monate nicht arbeitsfähig. Anspruchsmindernd war bei der Ermittlung des dem Kläger zustehenden Schmerzensgeldes seine Mithaftung in Höhe von 1/3 (als eine Bemessungsgrundlage) zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände hält der Senat vorliegend ein Schmerzensgeld in Höhe von 27.500 € für angemessen aber auch ausreichend. Der Senat hat sich hierbei auch an Schmerzensgeldbeträgen orientiert die von der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen, wobei insoweit immer von einer relativen Vergleichbarkeit ausgegangen werden muss, zuerkannt worden sind. Der Senat verweist unter anderem auf die laufenden Nummer 371923 und 371638 der Schmerzensgeldbeträge 2019 (Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2019, 37. Auflage). Unter Berücksichtigung bereits gezahlter 17.500,00 € war dem Kläger folglich ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 € zuzuerkennen.

Der Kläger hat Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung hinsichtlich der Verpflichtung der Beklagten ihm seinen künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen. Die begehrte Feststellung ist dann auszusprechen, wenn künftige Schadensfolgen möglich sind (BGH VI ZR 381/99, Urteil vom 16.01.2001, juris). Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass insbesondere nach Vorlage des Gutachtens des …[F]krankenhauses vom 26.06.2017 feststeht, dass die gesundheitlichen unfallbedingten Beeinträchtigungen des Klägers weiter fortbestehen und nicht behoben sind. Dies steht auch in Übereinstimmung mit den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2020.

Der Kläger hat auch teilweise Anspruch auf Ersatz der von ihm aufgewendeten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Bezogen auf eine zum Zeitpunkt des anwaltlichen Tätigwerdens berechtigte Forderung von bis zu 50.000 € ergeben sich vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 1.822,96 €. Hierauf hat die Beklagte zu 2. bereits einen Betrag von 1.358,86 € gezahlt, so dass ein Restanspruch von 464,10 € verbleibt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 54.000,00 € festgesetzt.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant

  1. Verkehrsunfallrecht: Das Verkehrsunfallrecht befasst sich mit allen rechtlichen Aspekten, die im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen stehen. Es regelt unter anderem die Haftungsfrage, den Schadensersatzanspruch und das Schmerzensgeld bei Verkehrsunfällen. Im vorliegenden Fall geht es um einen Verkehrsunfall, bei dem der Kläger und der Beklagte beteiligt waren.
  2. Schadensersatzrecht: Das Schadensersatzrecht regelt die Ansprüche auf finanziellen Ausgleich, die eine geschädigte Person gegenüber der verantwortlichen Partei geltend machen kann. Es umfasst die Erstattung materieller und immaterieller Schäden, die durch das schädigende Ereignis entstanden sind. Im vorliegenden Fall geht es um die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger sämtliche aus dem Verkehrsunfall resultierenden zukünftigen Schäden zu erstatten.
  3. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Das BGB ist das zentrale Gesetzbuch im deutschen Zivilrecht und enthält die grundlegenden Regelungen des Schuldrechts. Im vorliegenden Fall sind insbesondere die Vorschriften zum Schadensersatz (§§ 249 ff. BGB) relevant, da der Kläger Schadensersatzansprüche geltend macht.
  4. Straßenverkehrsordnung (StVO): Die StVO enthält die wichtigsten Verkehrsregeln in Deutschland. Im vorliegenden Fall spielt § 5 Abs. 4 StVO eine Rolle, da der Beklagte gegen diese Regelung verstoßen hat, indem er beim Überholen das vorausfahrende Fahrzeug nicht so überholt hat, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen war.
  5. Mitverschuldensrecht: Das Mitverschuldensrecht regelt die Frage, inwieweit das Opfer eines Unfalls selbst zum Schaden beigetragen hat und dadurch sein Anspruch auf Schadensersatz gemindert wird. Im vorliegenden Fall wird ein Mithaftungsanteil des Klägers von einem Drittel festgestellt. Dies bedeutet, dass der Kläger auch eine gewisse Mitverantwortung an dem Unfall trägt.
  6. Vollstreckungsrecht: Das Vollstreckungsrecht regelt die Durchsetzung von gerichtlichen Entscheidungen und titulierten Ansprüchen. Im vorliegenden Fall wird festgelegt, dass das Urteil vorläufig vollstreckbar ist und die Parteien die Möglichkeit haben, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden.

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