OLG Koblenz – Az.: 12 U 764/20 – Urteil vom 05.07.2021
I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 20.04.2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz, Az.: 10 O 168/19, teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.380,14 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.06.2021 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 2/3, der Kläger zu 1/3.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um materiellen Schadensersatz im Zusammenhang mit einem Unfallereignis, das sich am 30.11.2018 in der …[Z]Straße in …[Y] ereignet hat. Der Beklagte zu 1., der zum Unfallzeitpunkt Fahrer der bei der Beklagten zu 2. korrespondenz- und regulierungsversicherten Sattelzugmaschine war, fuhr mit seinem Fahrzeug auf den am rechten Fahrbahnrand geparkten Pkw des Klägers auf und beschädigte diesen nicht unerheblich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens sowie der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf die Feststellungen des Erstgerichts in dem Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage, mit der der Kläger auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Schadensgutachtens des Sachverständigen …[A] Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwands geltend macht und Erstattung der Kosten für die Beauftragung des Gutachters mit der Schadensfeststellung sowie eine Unkostenpauschale und Ersatz der ihm durch die vorgerichtliche Beauftragung seines Prozessbevollmächtigten entstandenen Rechtsanwaltskosten verlangt, durch (unechtes) Versäumnisurteil mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe mit Blick auf die früheren, an seinem Fahrzeug entstandenen Vorschäden, die Höhe des mit der Klage geltend gemachten Unfallschadens nicht schlüssig dargetan.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser unter Wiederholung, Vertiefung und Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens sein Klagebegehren weiterverfolgt.
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Koblenz vom 20.04.2020, Az.: 10 O 168/19, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 6.884,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 11.04.2019 zu zahlen unter Berücksichtigung einer Klagerücknahme von 390,00 €, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten aus einem Streitwert von 6.884,73 € = 650,34 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 11.04.2019 zu zahlen.
Wegen des weiteren Vorbringens zweiter Instanz wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Der Senat hat Beweis zu Art und Umfang von Vorschäden an dem streitgegenständlichen Fahrzeug durch Vernehmung der Zeugen …[B] und …[C] erhoben. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 14.06.2021 (Bl. d. 52 – 57 eA) Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat einen Teilerfolg. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ersatz des ihm anlässlich des Unfallereignisses vom 30.11.2018 entstandenen Schadens – für den die Beklagten unstreitig zu 100 % einzustehen haben – in der zuerkannten Höhe zu. Aufgrund der besonderen Umstände des hier zu beurteilenden Sachverhalts geht der Senat vorliegend unter Berücksichtigung der Aussagen der Zeugen …[B+C] und der im Termin vorgelegten Schadenskalkulation im Kostenvoranschlag des Kfz-Reparaturbetriebs …[D] vom 25.02.2016 davon aus, dass der Kläger auch in Ansehung eines an dem streitgegenständlichen Fahrzeug im Jahre 2016 eingetretenen (Vor-)Schadens hinreichend substantiiert zu dem mit der Klage aktuell geltend gemachten Schadensumfang aus Anlass des Unfallereignisses vom 30.11.2018 vorgetragen hat.
Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 13.03.2019, Az.: 12 U 990/18; Beschluss vom 11.05.2019, Az.: 12 U 1161/18; Beschluss vom 21.08.2019, Az.: 12 U 330/19) kann der Geschädigte bei bestehenden Vorschäden die mit dem späteren Schadensereignis kompatiblen Schäden grundsätzlich nur dann ersetzt verlangen, wenn nach dem Beweismaß des § 287 ZPO entsprechend den Umständen des Einzelfalles eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Unfallkausalität besteht. Darlegungs- und beweisbelastet hierfür ist auf der Ebene der haftungsausfüllenden Kausalität der Geschädigte. Fehlt es daher insoweit an einer – vom Geschädigten beizubringenden – ausreichenden Schätzungsgrundlage und ist angesichts dessen eine hinreichend zuverlässige Ermittlung des aktuellen (späteren) Schadens aufgrund der Wahrscheinlichkeit von erheblichen Vorschäden nicht möglich, führt diese Unsicherheit regelmäßig zu einer vollständigen Klageabweisung. Liegt indes ein technisch und rechnerisch abgrenzbarer Zweitschaden vor, kann der Geschädigte diese Schäden ersetzt verlangen, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gemäß § 287 ZPO auszuschließen ist, dass sie bereits im Rahmen eines Vorschadens entstanden sind, also Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs beim Eintritt des späteren Schadensereignisses noch vorhanden waren.
So liegt der Fall hier angesichts der besonderen Umstände, die sich für den Senat im Rahmen der mündlichen Verhandlung und im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme herausgebildet haben.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme geht der Senat von folgendem Sachverhalt aus: Das streitgegenständliche Fahrzeug hat vor dem klagegegenständlichen Unfallereignis vom 30.11.2018 im Jahr 2016 bereits einen (Vor-)Schaden dadurch erlitten, dass ein in der Nähe befindliches Trampolin bei einem Sturm gegen den dort abgestellten Pkw des Klägers geweht wurde und Schäden in Form von Lackbeschädigungen und kleineren Beulen im Bereich der Fahrerseite unter Beteiligung auch des Daches verursacht hatte. In dem in der mündlichen Verhandlung vom 14.06.2021 von dem Kläger vorgelegten – nicht streitig gestellten – Kostenvoranschlag des Reparaturunternehmens …[D] vom 25.02.2016 sind diese von dem Zeugen …[C] beschriebenen Schäden hinsichtlich ihrer Lage im Einzelnen aufgeführt und mit entsprechenden Beträgen für die Schadensbehebung ausgewiesen und führen zu einem Gesamtreparaturkostenaufwand in Höhe von 2.109,59 €. Soweit der Zeuge …[C], der als Schrotthändler nach eigenem Bekunden über einen Fuhrpark von etwa 10 Fahrzeugen verfügt und des Öfteren mit Reparaturarbeiten an einem der Fahrzeuge befasst ist, bekundet hat, er habe die anlässlich des Schadensereignisses aus dem Jahre 2016 entstandenen „kleineren Macken und Beulen“ behoben, konnte der Senat nicht die hinreichend sichere Überzeugung gewinnen, dass die von ihm vorgenommenen Arbeiten an der Karosserie, einschließlich der durchgeführter Lackiererarbeiten in einem Standard ausgeführt wurden, der den Arbeiten eines autorisierten Fachunternehmens entsprochen hätte. Der Senat glaubt dem Zeugen …[C], dass er durchaus häufig in die Lage versetzt ist, Instandsetzungsarbeiten an einem seiner zahlreichen Fahrzeuge durchzuführen und sich im Laufe der Zeit Fertigkeiten angeeignet hat, die über das Maß eines durchschnittlichen Fahrzeugeigentümers wesentlich hinausgehen. Der Zeuge …[C] selbst hat jedoch im Rahmen seiner Vernehmung ausgeführt (insoweit in der Sitzungsniederschrift nicht festgehalten), dass er die Qualität seiner Arbeiten auf einer den üblichen Schulnoten entsprechenden Werteskala bei etwa 2 – 3 einstufen würde. Auch wenn angesichts dieser Selbsteinschätzung des Zeugen hinsichtlich der Erledigung der Reparaturarbeiten für den technischen Laien in qualitativer Hinsicht keine auffälligen gravierenden Unterschiede zu einer Schadensbehebung durch ein Fachunternehmen bestanden haben mögen, ist der Standard einer professionellen Schadensbeseitigung vorliegend nach Überzeugung des Senats nicht erreicht, sodass von einer vollständigen fachgerechten Reparatur des (Vor-)Schadens hier nicht ausgegangen werden kann.
Gleichwohl führt dieser Umstand – bezogen auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt – nicht zu der Annahme, dass der Kläger vorliegend seiner Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der unfallbedingten Entstehung des mit der Klage geltend gemachten Schadens nicht nachgekommen ist. Der Kostenvoranschlag des Reparaturunternehmens …[D] vom 25.02.2016 beinhaltet ausschließlich Lackiererarbeiten, ohne dass eine funktionelle oder statische Betroffenheit von Fahrzeugteilen festzustellen wäre. Aus dieser Aufstellung wird erkennbar, dass durch das Schadensereignis aus dem Jahre 2016 keine wesentlich in die Fahrzeugsubstanz eingreifenden Beschädigungen hervorgerufen wurden, die die Funktionstauglichkeit von Teilen des Fahrzeug beeinträchtigt und deren Austausch oder substantielle Instandsetzung erforderlich gemacht hätten. Der veranschlagte Kostenaufwand war vielmehr der Tatsache geschuldet, dass – entsprechend den Angaben der Zeugen …[B+C] – eine Vielzahl von „kleineren Macken“ durch das gegen das Fahrzeug geschleuderte Trampolin an der Fahrerseite verursacht wurden, deren fachgerechte Beseitigung eine mehr oder weniger großflächige Neulackierung erforderlich machte. Auch wenn es bei dieser Sachlage räumlich gesehen wegen des Näheverhältnisses von Vor- und Zweitschäden zu einer Schadensüberlagerung gekommen sein mag, ist davon auszugehen, dass die Vorbeschädigung hier nicht zu einer Potenzierung des Schadensbildes und der dadurch verursachten Schadensbehebungskosten durch das streitgegenständliche Unfallereignis geführt hat. Es ist insbesondere aufgrund des im Kostenvoranschlag dokumentierten Schadensbildes nicht davon auszugehen, dass es erst durch die Gesamteinwirkung – infolge der auf den Vorschaden einwirkenden erneuten Kräfte durch das streitgegenständliche Schadensereignis – zu einem kostenträchtigeren Gesamtschaden gekommen ist, etwa durch eine wesentliche Vertiefung der einzelnen Schadenssymptome, die, mit hervorgerufen durch den bereits vorhandenen Vorschaden, erst zu einem erforderlichen Austausch von Fahrzeugteilen oder sonstigen kostenaufwändigen strukturellen Maßnahmen geführt haben. Aufgrund der Schadenssymptomatik ist daher nicht davon auszugehen, dass das jüngste, streitgegenständliche Schadensereignis durch den nicht (ordnungsgemäß) behobenen Vorschaden eine kostenmäßige Ausweitung erfahren hat, die betragsmäßig über die Summe hinausgeht, die im Kostenvoranschlag der Firma …[D] vom 22.05.2016 als Reparaturkostenaufwand mit 2.109,59 € ausgewiesen ist. Vor diesem Hintergrund ist dem rechtlichen Interesse der Beklagten an der ausschließlichen Berücksichtigung des konkret durch das streitgegenständliche Unfallereignis vom 30.11.2018 entstandenen Schadens dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass der in dem Kostenvoranschlag des Reparaturbetriebs …[D] ausgewiesene Reparaturkostenaufwand von insgesamt 2.109,59 € hier in voller Höhe von dem klägerseits geltend gemachten Wiederbeschaffungsaufwand (Differenz von Wiederbeschaffungswert und Restwert) in Abzug gebracht wird. Dies mag angesichts der gegebenenfalls nicht fachmännisch, aber dennoch schadensmindernd durchgeführten Reparaturarbeiten zu einer finanziellen Schlechterstellung des Klägers führen, die dieser jedoch angesichts des nicht näher konkretisierten „Reparaturweges“ betreffend des Vorschadens hinnehmen muss.
Demnach muss sich der Kläger damit abfinden, dass der zu seinen Lasten in Abzug gebrachte Reparaturkostenaufwand für die Behebung des Vorschadens in voller Höhe anspruchsmindernd auf den mit der Klage verlangten Wiederbeschaffungsaufwand angerechnet wird, er also so behandelt wird, als wäre gar keine Schadensbehebung an dem der Höhe nach bezifferbaren Vorschaden vorgenommen worden. Hätte aber die Reparatur des Vorschadens noch ausgestanden, wäre der von dem Gutachter ermittelte Wiederbeschaffungswert um (maximal) diesen Betrag zu hoch oder dementsprechend der festgestellte Restwert um (maximal) diesen Betrag zu niedrig veranschlagt worden. Zweifel, ob eine ausstehende Reparatur des Vorschadens voll auf den Restwert durchgeschlagen hätten, gehen dabei zu Lasten des Klägers.
Nach allem hat der Kläger hinsichtlich der mit dem Klageantrag zu 1. geltend gemachten Hauptforderung Anspruch auf Zahlung von 3.390,41€ [= 5.500,00 € (geltend gemachter Wiederbeschaffungsaufwand) minus 2.109,59 € (Vorschadensabzug gemäß Kostenvoranschlag)].
Darüber hinaus hat der Kläger Anspruch auf Erstattung der ihm schadensbedingt für die Beauftragung des Sachverständigen …[A] mit der Schadensfeststellung entstandenen Kosten von unstreitig 964,73 €.
Soweit der Kläger mit der Klage darüber hinaus eine Unkostenpauschale in Höhe von 30,00 € geltend macht, war diese entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senats lediglich in Höhe von 25,00 € zu gewähren.
Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der ihm entstandenen Kosten für die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Wahrnehmung seiner Interessen besteht nicht. Erstmals im Termin der mündlichen Verhandlung, nicht aber in der vorgerichtlich gewechselten Korrespondenz hat der Kläger unter Vorlage des Kostenvoranschlags vom 25.02.2016 schlüssig zu der Höhe des im unfallbedingt (Unfall vom 30.11.2018) entstandenen Schadens vorgetragen, indem er technisch und wirtschaftlich abgrenzbar – im Hinblick auf das Vorschadensereignis aus dem Jahre 2016 – den Schadensumfang dargelegt hat.
Aus diesen Gründen besteht auch ein Zinsanspruch des Klägers gemäß §§ 288, 291 BGB lediglich ab dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz.
III.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 7.000,00 € festgesetzt.