Verkehrschaos: Rückwärtsfahrt endet in Gerichtsprozess
In der ruhigen Stadt Lohmar kam es zu einem chaotischen Ereignis, als ein VW T4, der von einem der Beklagten gefahren und bei der anderen Beklagten versichert wurde, in einen Unfall verwickelt wurde. Der Fahrer des VW T4 hatte geplant, rückwärts in die Einfahrt eines Grundstücks einzufahren. Dazu hatte er sein Fahrzeug am rechten Fahrbahnrand angehalten und den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt. Im selben Moment näherte sich der Kläger in seinem VW Touran. Während der VW T4 zurücksetzte, kam es zur Kollision mit dem VW Touran des Klägers.
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Übersicht:
Missverständnisse im Straßenverkehr
Der Kläger argumentierte, der Unfall sei auf ein plötzliches und unerwartetes Manöver des Beklagten zurückzuführen. Er hatte angenommen, dass der Beklagte der entgegenkommenden Zeugin Vorfahrt gewähren wollte, als er sein Fahrzeug am Straßenrand angehalten hatte. Dieser tragische Vorfall führt zu einer Kollision und resultierenden Schäden an beiden Fahrzeugen.
Streitpunkt: Verantwortung und Kostenteilung
Die Beklagte, die Versicherung des VW T4, regulierte die entstandenen Schäden des Klägers auf der Grundlage einer streitigen Mithaftung des Klägers von 30%. Der Kläger beauftragte ein Sachverständigenbüro, um die Schäden zu ermitteln und reparieren zu lassen. Darüber hinaus nutzte er ein Mietfahrzeug, während sein Fahrzeug repariert wurde.
Das Urteil und seine Folgen
Das Landgericht Bonn kam zu dem Urteil, dass die Beklagten als Gesamtschuldner dazu verurteilt werden, dem Kläger 1.450,67 EUR zu zahlen. Diese Summe soll mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ab dem 9. Mai 2020 verzinst werden. Das Gericht entschied weiterhin, dass der Kläger 71% und die Beklagten als Gesamtschuldner 29% der Kosten des Rechtsstreites tragen müssen.
Sicherheitsleistung und Vollstreckung des Urteils
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, allerdings nur gegen eine Sicherheitsleistung des Klägers in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Vollstreckung kann durch eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils für die Beklagten vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Das vorliegende Urteil
LG Bonn – Az.: 1 O 80/20 – Urteil vom 18.12.2020
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.450,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 09.05.2020 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreites tragen der Kläger zu 71% und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 29%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils für die Beklagten vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 25.06.2019 gegen 17:25 Uhr in Lohmar auf der D-Straße in Höhe des Gebäudegrundstücks Nr.## ereignete.
Am Unfalltag befuhr der Kläger mit seinem Pkw VW Touran, amtliches Kennzeichen $$ – $ ###, von der B-Straße kommend die D-Straße. Vor ihm befand sich in gleicher Fahrtrichtung der Beklagte zu 2. mit seinem bei der Beklagten zu 1. haftpflichtversicherten Pkw VW T4, amtliches Kennzeichen $$ – $$ ####. Sowohl in Fahrtrichtung der Parteien, wie auch auf der Gegenfahrbahn befand sich jeweils eine mit parkenden Fahrzeugen belegte Parkbucht. Aus der Gegenrichtung der Parteien näherte sich die Zeugin C, die ihr Fahrzeug anhielt und ihre Lichthupe betätigte. Der Beklagte zu 2., der rückwärts in die Einfahrt des Grundstückes Nr.## setzen wollte, hatte sein Fahrzeug am rechten Fahrbahnrand vor dem Gebäudegrundstück angehalten und den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt. Als der Beklagte zu 2. sein Fahrzeug zurücksetzte, kam es zur Kollision mit dem an dem Beklagtenfahrzeug links vorbeifahrenden Klägerfahrzeug.
Mit der Feststellung der an seinem Fahrzeug entstandenen Schäden beauftragte der Kläger das Sachverständigenbüro E, das mit Gutachten vom 01.07.2019 (Anlage K2 zur Klageschrift) voraussichtliche Reparaturkosten von brutto 11.876,78 EUR ermittelte und dem Kläger hierfür ein Honorar von 1.345,65 EUR in Rechnung stellte (Anlage K4 ebenda). Anschließend ließ der Kläger das Fahrzeug bei der A GmbH zum Preis von brutto 12.146,98 EUR (Rechnung vom 30.07.2019, Anlage K3 ebenda) reparieren. Darüber hinaus nutzte der Kläger vom 28.06. bis zum 26.07.2019 ein Mietfahrzeug, für das ihm die A GmbH 4.000,14 EUR berechnete (Anlage K5 ebenda).
Die dem Kläger entstandenen Schäden regulierte die Beklagte zu 1. auf der Grundlage einer zwischen den Parteien streitigen Mithaftung des Klägers von 30% wie folgt:
Reparaturkosten:
- 70% von 11.998,23 EUR = 8.398,76 EUR
- Gutachterkosten: 70% von 1.345,65 EUR = 941,96 EUR
- Mietwagenkosten: 70% von 1.137,91 EUR = 796,54 EUR
- Kostenpauschale: 70% von 25,00 EUR = 17,50 EUR
- Summe: 10.154,76 EUR
Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 2. sei unvermittelt vom Straßenrand angefahren. Für ihn – den Kläger – habe es nahegelegen, dass der Beklagte zu 2. der Zeugin habe Vorfahrt gewähren wollen. Er habe das Beklagtenfahrzeug bereits auf Höhe des Vorderrades passiert, als der Beklagte zu 2. mit seinem Fahrzeug ausgeschert sei.
Der Kläger begehrt von den Beklagten den Ersatz der Differenz zwischen der o.g. Regulierung (70%) und folgendem Gesamtschaden (100%), der zudem in Höhe einer Wertverbesserung von 119,00 EUR brutto und einer Fahrzeugreinigung von 29,75 EUR brutto bei den Reparaturkosten sowie in Höhe von 468,64 EUR bei den Mietwagenkosten zwischen den Parteien streitig ist:
- Reparaturkosten: 12.146.98 EUR
- Gutachterkosten: 1.345,65 EUR
- Mietwagenkosten: 1.706,55 EUR
- Kostenpauschale: 25,00 EUR
- Summe: 15.224,18 EUR
Der Kläger beantragt,
1.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 5.069,42 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
2.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihn von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Kanzlei F zu Az. #####/## in Höhe von 1.029,35 EUR, abzüglich bereits gezahlter 958,19 EUR freizustellen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 2. habe sich nach hinten vergewissert, dass das Fahrmanöver der Einfahrt in das Grundstück möglich sei. Da das Klägerfahrzeug hinter ihm und das Fahrzeug der Zeugin C angehalten hätten, was insoweit zwischen den Parteien unstreitig ist, sei aus Sicht des Beklagten zu 2. die Situation klar gewesen, dass dem Zurücksetzen nun nichts mehr im Wege stand. Offenbar im selben Moment als er sein Fahrmanöver begann habe der Kläger begonnen anzufahren, um an dem Beklagtenfahrzeug vorbeizufahren. Aufgrund der beim Rückwärtsfahren zwangsläufig aufleuchtenden Rücklichter, hätte dies der Kläger erkennen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, das Vorbringen der Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 06.11.2020 (Sitzungsprotokoll Bl.47 – 53 d.A.) sowie die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin C. Wegen des Inhaltes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.11.2020 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung von 1.450,67 EUR aus den §§ 18 Abs.1 Satz 1, 7 Abs.1 StVG in Verbindung mit den §§ 249 Abs.1 und Abs.2 Satz 1, 251 Abs.1 BGB und § 115 Abs.1 Satz 1 Ziffer 1. VVG. Weitergehende Ansprüche des Klägers bestehen nicht, sondern sind durch die vorgerichtliche Regulierung der Beklagten zu 1. erloschen (§ 362 Abs.1 BGB).
Zwar ist der streitgegenständliche Verkehrsunfall überwiegend durch ein Verschulden des Beklagten zu 2. in Form eines Verstoßes gegen das Gebot verursacht worden, sich beim Rückwärtsfahren so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 9 Abs.5 StVO). Denn dieser Ursachenzusammenhang wird bei der hier vorliegenden Kollision mit dem fließenden Verkehr vermutet, wobei diese Vermutung von den Beklagten im Rahmen der Beweisaufnahme nicht widerlegt werden konnte (vgl. dazu BGH VersR 1985, 989f. – Wenden; OLG Köln NZV 1994, 321f. – Rückwärtsfahrt aus einer Grundstückseinfahrt; OLG Köln VersR 1992, 332f. – Grundstücksausfahrt gegenüber Rückwärtsfahrt in einer Einbahnstraße). Allerdings führt dies nicht zu einer alleinigen Haftung der Beklagten (vgl. etwa Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 16.Aufl. 2020, Vorbem. zu Rd.264ff.), da die von dem klägerischen Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr (arg. § 7 Abs.1 StVG) in Anbetracht der konkreten Umstände der Kollision im vorliegenden Fall nicht hinter den Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 2. zurücktritt. Dies führt gemäß § 17 Abs.1 und Abs.2 StVG zu einer Haftungsquote des Klägers von 20% und einer Haftungsquote der Beklagten von 80%. Im Einzelnen:
1. Die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 18 Abs.1 Satz 1, 7 Abs. 1 StVG gegen den Beklagten zu 2. liegen vor, da das Fahrzeug des Klägers sowohl bei dem Betrieb des Fahrzeuges der Beklagtenseite als auch nicht ohne Verschulden des Beklagten zu 2. als Fahrer (arg. § 18 Abs.1 Satz 2 StVG) beschädigt worden ist.
a) Ein Fall höherer Gewalt im Sinne von § 7 Abs.2 StVG liegt infolge des Unfallgeschehens im fließenden Verkehr nicht vor. Der Unfall war auch weder für den Kläger noch für den Beklagten zu 2. unabwendbar im Sinne von § 17 Abs.3 StVG.
Denn die Unabwendbarkeit setzt voraus, dass der Unfall auch unter Einhaltung aller nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls möglichen Sorgfaltspflichten beider Fahrzeugführer nicht zu vermeiden gewesen wäre (arg. § 17 Abs.3 Satz 2 StVG). Dies setzt voraus, dass sich der jeweils auf eine Unabwendbarkeit berufende Verkehrsteilnehmer in der konkreten Situation wie ein Idealfahrer verhalten hat (BGH NJW 2006, 896, 898), wobei darüber hinaus zu prüfen ist, ob ein derartiger Idealfahrer überhaupt in die zur Diskussion stehende Gefahrenlage im Straßenverkehr geraten wäre. Denn ein sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnder Unfall wird nicht dadurch unabwendbar im Sinne von § 17 Abs.3 StVG, dass sich der beteiligte Fahrzeugführer nunmehr in der bestehenden Gefahrenlage – und deshalb im haftungsrechtlichen Sinne zu spät – „ideal“ verhält (BGH NJW 2006, 896, 898).
Für den Beklagten zu 2. war der Unfall schon deshalb nicht unabwendbar, weil er den Unfall hätte vermeiden können, wenn er sein rückwärtiges und in die Grundstückseinfahrt Nr.## hinein gerichtetes Fahrmanöver zunächst zurückgestellt hätte, um sich über das Fahrverhalten des Klägers als Teilnehmer des nachfolgenden Verkehrs hinreichend zu vergewissern. Dass dieses Fahrmanöver vor der Kollision stattgefunden und sich auch unfallursächlich ausgewirkt hat, steht bereits auf der Grundlage des unstreitigen Sachvortrages beider Parteien fest.
Der Unfall war aber auch für den Kläger nicht unabwendbar, weil er die Kollision technisch unschwer durch ein Zurückstellen seines Überholmanövers bei gleichzeitig stärkerer Beobachtung des sich vor ihm befindenden Beklagtenfahrzeuges hätte vermeiden können, weil er dann das Fahrmanöver der Beklagten zu 2. hätte erkennen und von seinem Überholvorgang absehen können. Denn nach der glaubhaften und in Anbetracht der kurzen Weg-Zeit-Zusammenhänge vor Ort einleuchtenden Schilderung der Zeugin C sind sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 2. nahezu gleichzeitig mit ihren Fahrzeugen angefahren und in der Folge – zwangsläufig – miteinander kollidiert. Die von dem Kläger hiervon abweichende Schilderung, dass man schon an der Stoßstange des T4 vorbei gewesen sei, als dieser zurückgesetzt habe (S.2 des Sitzungsprotokolls), rechtfertigt schon deshalb keine abweichende Beurteilung, weil eine derartige Aufspaltung der Fahrmanöver in Sekundenbruchteile in Anbetracht der geringen Abstände der Fahrzeuge zueinander konstruiert anmutet und diese Schilderung deshalb nicht überzeugt. Dies gilt erst Recht unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Frage der Unabwendbarkeit anhand des Maßstabes eines Idealfahrers nicht nur eine allgemein übliche, sondern vielmehr die Einhaltung der äußerst möglichen Sorgfalt voraussetzt (vgl. Heß in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, § 17 StVG Rd.8). Dieser Maßstab verlangt von dem Fahrzeugführer überobligatorische Vorsichtsmaßnahmen, der sich folglich auch auf nicht unerhebliche Fahrfehler anderer Verkehrsteilnehmer zumindest einrichten muss (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.02.2016 – 1 U 79/15 = juris Rd.29 m.w.N.). Dass es dem Kläger aber technisch ohne weiteres möglich gewesen wäre, sein Überholmanöver bei entsprechender Beobachtung des hier mit gesetztem rechten Blinker anhaltenden Beklagtenfahrzeuges zurückzustellen und den Unfall dadurch zu vermeiden, liegt auf der Hand.
b) Die deshalb gemäß § 17 Abs.2 und Abs.1 StVG erforderliche Abwägung der Verursachungsbeiträge der Parteien führt zu einer Haftungsquote des Klägers von 20% und einer Haftungsquote der Beklagten von 80%.
Hierbei ist grundsätzlich an die Bewertung der Betriebsgefahren der beteiligten Fahrzeuge anzuknüpfen, die sich jedoch durch das Verhalten des Fahrzeugführers und/oder Halters erhöhen kann (Scholten in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2016, § 17 StVG Rd.19). Gleichzeitig wirkt sich im Rahmen dieser Abwägung ganz erheblich zu Lasten der Beklagten aus, dass der Beklagte zu 2. gegen § 9 Abs.5 StVO verstoßen hat. Indes liegt hier kein derart gravierender schuldhafter Verstoß des Beklagten zu 2. gegen diese Sorgfaltsanforderungen vor, der es rechtfertigen könnte, die von dem Fahrzeug des Klägers ausgehende Betriebsgefahr vollständig hinter diesen Verursachungsbeitrag zurücktreten zu lassen. Denn die Entscheidung des Klägers zugunsten des von ihm eingeleiteten Überholmanövers erfolgte zeitlich unmittelbar nach dem Aufblinken der Scheinwerfer des Fahrzeuges der Zeugin C. In dieser Situation befand sich indes der Beklagte zu 2. bereits unmittelbar vor dem Grundstück Nr.10, in das er rückwärts einfahren wollte. Dass der Kläger trotz der nach seinem eigenen Vorbringen durch die auf der linken Seite geparkten Fahrzeuge beengten Stelle nunmehr unmittelbar zum Überholen ansetzen würde, war für den Beklagten zu 2. keinesfalls vorherzusehen oder gar offensichtlich. Wenngleich der Kläger damit noch nicht gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 1 Abs.2 StVO; vgl. aber LG Potsdam NJW-Spezial 2019, 491; Heß/Burmann NJW 2019, 3036, 3037 unter I.2.a)) oder gar gegen das Verbot des Überholens bei unklarer Verkehrsklage verstoßen hat (§ 5 Abs.3 Ziffer 1. StVO; vgl. aber KG NJW-RR 2011, 26f.), so erscheint der Verstoß des Beklagten zu 2. gegen § 9 Abs.5 StVO in dieser Situation jedoch in einem deutlich milderen Licht. Dies führt dazu, dass sich der Kläger die von seinem Fahrzeug ausgehende und unfallursächliche Betriebsgefahr entgegen hal ten lassen muss, die der Unterzeichner hier mit 20%, und damit noch an der untersten Grenze liegend (vgl. Grüneberg, aaO., Rd.268 m.w.N.), bewertet.
2. Die gesamtschuldnerische Mithaftung der Beklagten zu 1. (§ 421 BGB) folgt im Anschluss an die Ausführungen unter 1. aus § 115 Abs.1 Satz 1 Ziffer 1. und Satz 4 VVG.
3. Der Höhe nach ergeben sich daraus folgende Ansprüche gegen die Beklagten:
a) Die mit 12.146,98 EUR geltend gemachten Reparaturkosten waren aufgrund der hier nach durchgeführter Reparatur erzielten Wertverbesserung von 119,00 EUR brutto sowie der nicht begründeten 29,75 EUR für die Fahrzeugreinigung auf 11.998,23 EUR zu reduzieren. Denn dem entsprechenden substantiierten Einwand der Beklagten auf Seite 3 der Klageerwiderung ist der Kläger nicht entgegen getreten (§ 138 Abs.3 ZPO).
Zu Recht haben die Beklagten bei der Schadensprüfung auch die ersatzfähigen Mietwagenkosten auf brutto 1.137,91 EUR reduziert. Denn der für die tatsächliche Reparaturdauer von 10 Tagen zuzüglich einer Überlegungsfrist von 6 Tagen von den Beklagten anerkannte Zeitraum (vgl. S.4 der Klageerwiderung) entspricht den Grundsätzen der §§ 249ff. BGB, weil nur die für die erforderliche Reparaturdauer anfallenden Mietwagenkosten zeitlich zu ersetzen sind (vgl. nur Palandt/Grüneberg, BGB, 80.Aufl. 2021, § 249 Rd.33; Schneider in Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, 42.Erg.lieferg. August 2020, Kapitel 19, Ziffer 5. Sachschaden, C. Weitere Schäden, Rd.42 m.w.N.). Die von dem Kläger auf Seite 3 der Replik sowie in der mündlichen Verhandlung (S.6 des Sitzungsprotokolls) vorgetragenen Aspekte seiner Entscheidungsfindung sind durch die beklagtenseits anerkannten 6 Tage schadensrechtlich ausreichend bemessen (arg. §§ 249 Abs.1, 254 Abs.2 BGB).
Zu Recht haben die Beklagten von den Mietwagenkosten auch die von dem Kläger für die Dauer der Miete ersparten eigenen Aufwendungen für sein (verunfalltes) Fahrzeug in Abzug gebracht, die auf 10% geschätzt werden können (§ 287 ZPO; vgl. Palandt/Grüneberg, aaO., § 249 Rd.36 m.w.N.).
Dies ergibt – bei einer Haftungsquote der Beklagten von 80% – eine Reduzierung der Reparaturkosten von 11.998,23 EUR auf 9.598,58 EUR, von denen die Beklagten bereits 8.398,76 EUR bezahlt haben, so dass ein Restbetrag von 1.199,82 EUR verbleibt. Die Gutachterkosten von 1.345,65 EUR reduzieren sich auf 1.076,52 EUR (80%) abzüglich gezahlter 941,96 EUR, mithin noch 134,56 EUR. Die Mietwagenkosten verringern sich auf 1.137,91 EUR, so dass von den 910,33 EUR (80%) nach Zahlung von 796,54 EUR noch 113,79 EUR verbleiben. Hinzu kommt der Rest der Kostenpauschale von noch 2,50 EUR.
Die Addition dieser Teilbeträge ergibt den ausgeurteilten Betrag von 1.450,67 EUR.
b) Der auf Freistellung von den auf Seite 6 der Klageschrift bezifferten Rechtsanwaltskosten gerichtete Klageantrag zu 2. ist nicht begründet.
Denn der dort bezifferte Gegenstandswert ist aus den Gründen zu 1.a) bis b) und 3.a) auf einen Wert bis 13.000,00 EUR zu reduzieren. Hieraus ergibt sich eine 1,3 Geschäftsgebühr von 604,00 EUR zuzüglich 20,00 EUR Pauschale und 19% Umsatzsteuer, mithin 958,19 EUR. Diesen Betrag hat die Beklagte zu 2. indes bereits erstattet.
Der zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 291, 288 Abs.1 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs.1, 92 Abs.1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO einerseits und den §§ 708 Ziffer 11., 711 ZPO andererseits.
Streitwert: 5.069,42 EUR.
Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant:
- Straßenverkehrsordnung (StVO), speziell § 9 Abs. 5 StVO: Dieser Paragraph betrifft das Verhalten beim Rückwärtsfahren, insbesondere die Pflicht, andere Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden. Im gegebenen Fall spielt dies eine entscheidende Rolle, da der Unfall durch das Rückwärtsfahren des Beklagten verursacht wurde. Die Klägerseite argumentierte, dass der Beklagte gegen diese Bestimmung verstoßen hat, indem er ohne ausreichende Rücksichtnahme rückwärts gefahren ist.
- Straßenverkehrsgesetz (StVG), insbesondere § 17 Abs. 1, 2 und 3 StVG: Diese Paragrafen befassen sich mit der Haftungsverteilung bei Verkehrsunfällen. Die Gerichtsentscheidung hängt wesentlich davon ab, inwieweit die Parteien ihre Sorgfaltspflichten erfüllt haben und ob der Unfall vermeidbar war. Das Gericht entschied, dass der Unfall nicht unabwendbar war und beide Fahrer dazu beigetragen haben, indem sie sich nicht wie „Idealfahrer“ verhalten haben.
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), speziell §§ 249 Abs. 1, 254 Abs. 2 BGB: Diese Bestimmungen betreffen den Schadensersatz bei unerlaubten Handlungen und die Kompensation von Schäden. In diesem Fall wurden sie in Bezug auf die Schäden am Fahrzeug des Klägers und die Kosten der Fahrzeugreparatur angewandt. Der Kläger forderte eine Entschädigung für die entstandenen Schäden und die Kosten des Mietfahrzeugs während der Reparaturzeit.
- Europäische Zentralbank Basiszinssatz: Dieser Zinssatz wurde vom Gericht zur Berechnung der Zinsen verwendet, die der Beklagte auf den dem Kläger zugesprochenen Betrag zahlen muss. Obwohl dies keine Rechtsnorm per se ist, spielt es dennoch eine wichtige Rolle in Bezug auf finanzielle Aspekte des Urteils.