Oberlandesgericht Saarbrücken
Az.: 5 U 105/06 – 24
Urteil vom 29.11.2006
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 9.2.2006 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 12 O 450/04 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 58.750,- EUR festgesetzt.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten Leistungen aus einem unter dem 28.11.2003 vereinbarten Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag.
Mit Antrag vom 19.9.2003 begehrte der Kläger von der Beklagten den Abschluss eines Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages. Der Antrag wurde von dem Versicherungsagenten der Beklagten, dem Zeugen A. aufgenommen. Die den Kläger betreffenden Gesundheitsfragen sind in dem Antragsformular mit „Nein“ beantwortet. Auf ein anschließend erfolgtes Telefonat mit einem Mitarbeiter der Beklagten wegen der Gesundheitsfragen schickte dieser dem Kläger ein neues Antragsformular zu, das der Kläger selbst unter dem 30.9.2003 ausfüllte. Die Frage , “ Bestehen oder bestanden in den letzten 10 Jahren Krankheiten, Unfallfolgen, körperliche oder geistige Schäden, Gesundheitsstörungen oder sonstige Beschwerden ?“, beantwortete der Kläger mit „ja, ca. 1991, Hüftfehlstellung, Dr. V., Orthopädie-2001/2002 zeitweise Rückenschmerzen, Dr. H., Orthopädie“. Die Frage, „Haben sie sich in den letzten 5 Jahren bei Ärzten und / oder Heilkundigen Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen oder Operationen unterzogen bzw. sind solche vorgesehen oder angeraten ?“ beantwortete der Kläger mit “ ja, ca. 1997, OP, Ganglion rechte Hand, Dr. M.N.“. Unter dem 17.11.2003 vereinbarten die Parteien, dass Erkrankungen und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule und Folgen und/oder Minderbelastbarkeiten sowie alle Bewegungsstörungen und Schmerzsymptome hervorgerufen durch Beckenschiefstand eine Dienstunfähigkeits- oder Berufsunfähigkeitsleistungen nicht bedingen und bei der Feststellung der Dienstunfähigkeit bzw. des Grads der Berufsunfähigkeit unberücksichtigt bleiben.
Der Kläger wurde wegen dauernder gesundheitlicher Dienstunfähigkeit aufgrund einer progredienten depressiven Entwicklung und eines Tinnitus zum 30.6.2004 in den Ruhestand versetzt.
Im Rahmen der Leistungsprüfung teilte der Dipl. Psychologe Ec der Beklagten mit, dass sich der Kläger vom 21.9.2001 bis 9.9.2002 wegen Angststörungen in Behandlung befunden habe. Weitere Informationen über Behandlungen des Klägers in der Zeit vom 1.9.1998 bis 19.9.2003 erhielt die Beklagte aus den von dem Allgemeinmediziner I. vorgelegten Unterlagen. Aus dem von Dr. Ka. vorgelegten Arztbericht ergab sich, dass der Kläger dort am 22.12.1997 wegen eines Cervikal – Schulter – Armsyndrom links, Cervicocephalgie in Behandlung war.
Daraufhin erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 29.9.2004 ihren endgültigen Rücktritt vom Vertrag.
Der Kläger hat eine Verletzung seiner Anzeigeobliegenheit bestritten und behauptet, dem Zeugen A. bei Antragsaufnahme alle seine bis dahin aufgetreten Beschwerden und Krankheiten geschildert zu haben. Der Zeuge habe dennoch bei allen Gesundheitsfragen das „Nein“ angekreuzt. Da ihm das Verhalten des Zeugen A. suspekt vorgekommen sei, habe er bei der Beklagten angerufen. Dabei habe ihm der Zeuge Pr. erklärt, eine psychische Behandlung falle nicht unter eine geistige Störung oder Verwirrung und ihn lediglich aufgefordert, die Rückenbeschwerden und den Beckenschiefstand anzugeben. Die Dienstunfähigkeit beruhe auch nicht auf der vormaligen psychischen Erkrankung des Klägers.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab dem 1.7.2004 eine monatliche im Voraus zu zahlende Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.250,- EUR bis längstens zum 30.11.2024 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und dem Kläger die geltend gemachte Berufsunfähigkeitsrente zugesprochen, da es für erwiesen hielt, dass der Kläger dem Zeugen A. die anzugebenden gefahrerheblichen Umstände geschildert hat. Die Kenntnis des Zeugen A. habe sich die Beklagte zurechnen zu lassen. Soweit es um die fehlende Angabe der von dem Allgemeinmediziner I. durchgeführten Behandlungen wegen eitriger, asthmoider und spastischer Bronchitis, Asthma Bronchiale, Gastritis und chronischer Refluxerkrankung gehe, stehe einem darauf gestützten Rücktritt der Beklagten § 16 Abs. 3 2. Hs. VVG entgegen. Die Anzeige sei ohne Verschulden des Klägers unterblieben, da der Zeuge A. den Maßstab für die zu machenden Angaben so hoch angesetzt habe, dass danach von dem Kläger diese Angaben nicht zu verlangen gewesen seien.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Beklagten rügt eine mangelhafte Beweisaufnahme und fehlerhafte Beweiswürdigung. Sie meint der Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Zeugen A. habe sich für den Kläger aufgedrängt, so dass er sich nicht auf eine bestehende Vertretungsmacht des Zeugen A. berufen könne.
Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 9.2.2006 – 12 O 450/05 – die Klage abzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen E., R., Ma., Ka., De., A. und Pr.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 6.9.2006 und 11.10.2006 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat – im Ergebnis – dem Kläger zu Recht die geltend gemachten Leistungen aus dem Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag zugesprochen. Die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine Abweichung von der landgerichtlichen Entscheidung.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente zu, da die Beklagte von dem mit dem Kläger abgeschlossenen Versicherungsvertrag nicht leistungsbefreiend nach § 16 Abs. 2 Satz 1 VVG zurückgetreten ist, da von dem Kläger verschwiegene hausärztlich behandelte Erkrankungen der Bronchien und Verdauungsorgane (Auskunft des Arztes I. Bl. 134 ff.) und eines Schulter-Arm-Syndroms (Auskunft des Dr. Ka. Bl. 138) jedenfalls offenkundig keinen Einfluss auf den Versicherungsfall hatten (§ 21 VVG) und der Kläger im übrigen seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheiten nicht schuldhaft verletzt hat.
1.
Der Vertrag ist auf der Grundlage des Antrags vom 30.9.2003 zustande gekommen. In dem diesem Antrag beigefügten Formular mit Antworten auf Fragen nach gesundheitlichen Umständen des Klägers,, für deren Richtigkeit und Vollständigkeit der Kläger allein verantwortlich war, fehlen Angaben zu Vorerkrankungen des Klägers, die er selbst später im Rahmen der Eigenbefragung angegeben hat und die sich aus den beigezogenen Berichten der ihn behandelnden Ärzte ergaben. So stellte sich im Rahmen der Leistungsprüfung aufgrund der Angaben des Dipl. Psychologen Ec heraus, dass sich der Kläger vom 21.9.2001 bis 9.9.2002 wegen Angststörungen bei ihm in psychotherapeutischer Behandlung befunden hat.
Insoweit hat der Kläger allerdings die Frage nach „geistigen Schäden“ in den letzten zehn Jahren vor Antragstellung nicht falsch beantwortet. Eine psychologisch behandelte Angststörung stellt keinen „geistigen Schaden“, was immer die Beklagte sonst darunter verstehen mag, dar. Der Kläger befand sich im erfragten Zeitraum von fünf Jahren jedoch in heilkundlicher Behandlung. Heilkunde ist jede berufs- oder gewerbsmäßig ausgeübte Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Menschen. Zu den Heilkundigen zählen daher auch zur Durchführung einer Psychotherapie befugte Psychologen.
Der Kläger hat daher durch das Verschweigen dieser Behandlung seiner Angststörung seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit verletzt.
2.
Dem steht – zunächst – nicht entgegen, dass der Kläger einen Mitarbeiter der Beklagten, angeblich den Zeugen Pr., gefragt haben will, ob er seine Behandlung wegen einer Angststörung angeben müsse. Zwar muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger nach Aufnahme des Antrags auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung Kontakt zu der Beklagten selbst aufnahm und Fragen nach dem Umfang der anzugebenden Umstände gestellt hat. Der Klägers schildert in Übereinstimmung mit der Zeugin E. plausibel, dass er, veranlasst durch die Bedenken des Zeugen R., die Beklagte angerufen hat um sich zu vergewissern, was er angeben soll. Die Beklagte räumt mit der Vorlage ihrer EDV-Dokumentation des Geschehensablaufs ein, dass es zu einem solchen Kontakt gekommen sein muss. Wenn ein Versicherungsinteressent jedoch nach Abgabe eines von ihm als möglicherweise unrichtig bezeichneten und damit „zurückgerufenen“ Antrags Kontakt mit dem Versicherer aufnimmt, bevor er auf dessen Empfehlung hin einen neuen, selbst verantworteten Antrag abgibt, kann nicht von einem einheitlichen Vorgang der Antragsaufnahme ausgegangen werden. Informationen, die der Versicherer bei einem solchen Telefonat zu gefahrerheblichen Umständen erhält oder die er sich dabei erschließen kann, sind ihm nicht „bei Antragstellung“ vermittelt worden. Denn er erfährt in einem solchen Zusammenhang lediglich, dass ein ihm vorliegender Antrag nicht mehr beachtlich und ein neuer durch den Versicherungsnehmer gestellt werden soll. Der neue Antrag und seine Angaben zu den gefahrerheblichen Umständen sind aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgegeben; ob der Antrag je abgegeben werden und was sein Inhalt sein wird, ist offen. Daher besteht zunächst keinerlei Anlass, antragsrelevante Mitteilungen des Versicherungsinteressenten zu beachten und zu dokumentieren. Das ist auch dann nicht anders, wenn der Versicherungsinteressent bei einem solchen Telefonat die Unrichtigkeit von Angaben eines bisherigen Antrags einräumt und die Stellung eines neuen ankündigt. Von einem Versicherer kann auf der Grundlage des § 16 Abs.1 VVG nicht erwartet werden, gewissermaßen vorsorglich Angaben des Versicherungsinteressenten zu dokumentieren, sondern er darf sich auf dessen Redlichkeit, die gerade in einem solchen Telefonat zum Ausdruck kommt, verlassen.
3.
Einem wirksamen Rücktritt der Beklagten steht auch nicht § 16 Abs. 3 Satz 1 VVG entgegen, weil der Beklagten die Behandlung wegen Angststörung bekannt gewesen wäre. Der Kläger hat nicht, wie ihm obliegt, bewiesen, dass er sie der Beklagten offenbart hätte. Insoweit steht schon nach seinen eigenen Angaben nicht mit der nötigen Gewissheit fest, dass er seinen Telefonpartner über die Behandlung selbst unterrichtet hat und nicht nur gefragt hat, ob eine Angststörung als „geistiger Schaden“ zu verstehen sei. Er hat zwar behauptet, er habe seinem Telefonpartner – angeblich dem Zeugen Pr. – von der Angststörung „und“ der Therapie berichtet. Ob das wirklich so erfolgt ist, ist nicht zweifelsfrei. Denn es liegt zwar nahe, dass ein Versicherer auf die Frage, ob eine Angststörung als „geistiger Schaden“ angegeben werden müsse – zutreffend – antwortet, das sei nicht der Fall, fern jedoch, dass er auf die Mitteilung einer psychotherapeutischen Therapie die Anzeigeobliegenheit verneint.
Vor allem hat der Zeuge Pr. – glaubwürdig – bestritten, dass ihm eine solche Information gegeben worden ist. Zwar steht durch die von der Beklagten vorgelegte Dokumentation fest, dass der Kläger Kontakt mit einem ihrer Mitarbeiter gehabt haben muss und die fehlerhafte Antwort auf die Gesundheitsfragen des dort vorliegenden Antrags „gestanden“ hat. Damit ist aber nicht bewiesen, dass der Kläger der Beklagten mit Blick auf einen angekündigten Antrag alle seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen, vor allem die psychologische Beratung, mitgeteilt hat. Aufzeichnungen dazu fehlen in den ansonsten sorgfältig erscheinenden EDV-Unterlagen der Beklagten. Ob die Aufklärung einer mit der Antragsbearbeitung selbst nicht befassten Stelle des Versicherers diesem überhaupt zugerechnet würde, kann daher dahinstehen.
4.
An einer Obliegenheitsverletzung fehlt es auch nicht deshalb, weil der Kläger, wie er behauptet, den Zeugen A. bei Aufnahme des ursprünglichen Antrags unterrichtet hat.
Allerdings gilt: Weil die dem Versicherungsagenten erteilte Vollmacht zur Entgegennahme des Antrags auf Abschluss eines Versicherungsvertrags zugleich die Vollmacht zur Entgegennahme der bei dieser Gelegenheit verlangten Informationen erhält, ist, was dem Agenten im Rahmen der Antragsaufnahme mitgeteilt wird, zugleich dem Versicherer mitgeteilt. Den Beweis der unzulänglichen Information kann der Versicherer, wenn sein Vertreter das Antragsformular – wie hier – selbst ausgefüllt hat, nicht durch Vorlage des Antragsformulars führen. Er muss vielmehr widerlegen, dass der Versicherungsnehmer seinen Agenten, der, bildlich gesprochen, als sein Auge- und Ohr gilt, mündlich zutreffend unterrichtet hat (vgl. allg. BGH, Urt.v…11.11.1987 – IVa ZR 240/86- BGHZ 102, 194; Urt.v. 23.5.1989 – IVa ZR 72/88 – VersR 1989, 834). Diese Grundsätze gelten allerdings nur für den zeitlichen und sachlichen Rahmen der Antragsaufnahme. Ist sie abgeschlossen, weil der Versicherungsinteressent einen neuen Antrag selbst stellt, fehlt es an einem rechtlichen Grund, die anlässlich des früheren Antrags dem Vermittler gegebenen erfragten Informationen dem Versicherer – als Teil der Erfüllung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit – mit den dort gegebenen beweisrechtlichen Konsequenzen zuzurechnen.
5.
Ob einem wirksamen Rücktritt des Versicherers eine solche, dann aber durch den Kläger zu beweisende Unterrichtung seines Vertreters nach § 16 Abs. 3 Hs.1 VVG entgegen gehalten werden könnte, kann dahinstehen. Dafür könnte sprechen, dass dem von dem Versicherer beauftragten Vertreter zeitnah zu der Antragstellung im Zusammenhang mit der von der Vollmacht des Versicherers getragenen Aufnahme eines Antrags auf Abschluss eines Versicherungsvertrags gefahrerhebliche Umstände mitgeteilt worden sind. Dagegen könnte indessen angeführt werden, dass mit der Zurücknahme des von dem Vertreter des Versicherers aufgenommenen Antrags nicht davon ausgegangen werden kann, dass dabei vermittelte Informationen „aufbewahrt“ und von dem Versicherer selbst bei einer erneuten Antragstellung „aktiviert“ werden. Gegen solche „Informationsorganisationsobliegenheiten“ des Versicherers bestehen vor allem deshalb Bedenken, weil ein Versicherungsinteressent bei einem neuen, von ihm selbst gestellten Antrag grundsätzlich die alleinige Verantwortung für die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben zugewiesen werden kann. Das kann indessen dahinstehen.
Der Kläger hat nämlich jedenfalls zur Überzeugung des Senats bewiesen, dass die Anzeige der Behandlung seiner Angststörung in dem Antrag vom 30.9. 2003 ohne sein Verschulden unterblieben ist (§ 16 Abs. 3 Hs. 2 VVG).
Ohne Verschulden handelt ein Versicherungsnehmer bei – objektiver – Verletzung der Anzeigeobliegenheit, wenn er die im „kommunikativen Verkehr“ mit dem Versicherer erforderliche Sorgfalt bei seiner Beantwortung von Fragen gewahrt hat. Das ist der Fall, wenn der Versicherungsnehmer durch ein dem Versicherer zuzurechnendes Verhalten von einer zutreffenden Beantwortung von Antragsfragen abgehalten worden ist, der Versicherer also selbst oder durch seinen Vertreter dem Versicherungsinteressenten den Blick dafür verstellt hat, was anzugeben gewesen wäre. So liegt der Fall hier.
Insoweit kann dahinstehen, ob der Kläger bei seinem Anruf bei der Beklagten tatsächlich die Auskunft erhalten hat, eine Angststörung sei kein anzugebender „geistiger Schaden“ und dadurch der Eindruck erweckt wurde, in dem Antrag vom 30.9.203 müsse auch eine Behandlung wegen einer solchen Angststörung nicht mitgeteilt werden. Denn es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger dem Vertreter der Beklagten, dem Zeugen A., bei Aufnahme des Antrags vom 19.9.2003 alle seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen, darunter die Angststörung und ihre Behandlung, mitgeteilt und von ihm erfahren hat, sie seien nicht von Bedeutung und müssten nicht angegeben werden. Dadurch ist dem Kläger jedenfalls auch für seinen Antrag vom 30.9.2003 der Blick dafür verstellt worden, welchen Umfang seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit hatte.
Allerdings hat der Zeuge A. solche Informationen durch den Kläger bestritten. Es kann auch nicht ohne weiteres erwartet werden, dass sich ein hauptberuflich tätiger und über die Jahre hinweg mit einer Vielzahl von Verträgen befasster Agent nach längerer Zeit noch an das genaue Geschehen bei der Erörterung eines bestimmten Angebotes erinnert. Auch im Streitfall war der Antrag des Klägers einer von weit über 200 gleichartigen Anträgen auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung innerhalb eines begrenzten Zeitraums. Daher ist allein die fehlende konkrete Erinnerung des Zeugen A. an die Aufnahme des Antrags des Klägers und seine Erläuterung seiner angeblich immer gehandhabten Praxis kein Grund, ihm nicht zu glauben, dass er auch im Fall des Klägers korrekt vorgegangen ist. Da es um die Entlastung des Versicherungsnehmers vom Vorwurf der schuldhaften Verletzung der Anzeigeobliegenheit geht, ist es auch – anders als in den Fällen, in denen eine mündliche Information des Versicherungsvertreters bei Aufnahme des Antrags umstritten ist – Sache des Versicherungsnehmers zu beweisen, dass der Agent allein Verantwortung für die unzulängliche Beantwortung von ohne dessen Mitwirkung beantwortete Antragsfragen trägt. Das ist dem Kläger indessen gelungen.
Von bloßen subjektiven Empfindungen absehende begründbare Anhaltspunkte, die Glaubwürdigkeit des Zeugen A. im übrigen infrage stellen, vermag der Senat zwar nicht darzulegen. Auch ist es für den Senat ein grundsätzlich schwer wiegendes, für die Glaubwürdigkeit eines Versicherungsvertreters und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben zum Antragsgespräch sprechendes Argument, wenn er in anderen, gleich gelagerten Fällen, ihm berichtete Beschwerden redlich in das Antragsformular aufgenommen hat. Ein solches Verhalten hat die Beklagte auf Aufforderung des Senats hin – unwidersprochen – bestätigt; in mehreren von ihr noch ermittelbaren Vorgängen sei es zur Ablehnung oder zum Ausschluss – auch wegen Vorerkrankungen vergleichbarer Schwere wie jener des Klägers – gekommen. Dennoch ist der Senat vom Gegenteil der Angaben des Zeugen A. und davon überzeugt, dass der Zeuge A. dem Kläger auf dessen Bericht einer behandelten Angststörung hin auf Dauer verborgen hat, was auch in dem Antrag vom 30.9.2003 anzugeben gewesen wäre, weil auch nicht feststeht, dass dieser einmal erzeugte Eindruck im Verlauf des Telefonats des Klägers mit der Beklagten korrigiert worden wäre.
Die Überzeugung stützt sich zunächst auf die Einlassungen des Klägers im Rahmen seiner persönlichen Anhörung und die sie bestätigenden Aussagen seiner Ehefrau, der Zeugin E.. Beide haben übereinstimmend bekundet, dem Zeugen A. sei die Angststörung und ihre Behandlung offenbart worden. Er habe dies als nicht anzeigepflichtig bezeichnet. Durchgreifende Gründe, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln bestehen nicht, auch wenn offen ist, ob der Kläger die Beklagte wirklich unmittelbar nach der ursprünglichen Antragsaufnahme oder erst einige Tage später angerufen hat. Dafür spricht nicht zuletzt schon die Freimütigkeit, mit der der Kläger bei seiner „Schadenanzeige“ von seiner Angststörung berichtet hat, also offenbar guten Gewissens war.
Seine Glaubwürdigkeit ergibt sich jedoch vor allem aus der Aussage des Zeugen R., der das Antragsgespräch mitverfolgt und die Darstellung des Klägers in sogar detaillierterer Form – der Zeuge A. habe lediglich „Operationen“ oder Ähnliches für anzeigepflichtig erklärt – bestätigt hat. Aus welchen Gründen der an dem Vertragsabschluss persönlich nicht interessierte und keinen Vertrag bei der Beklagten unterhaltende Zeuge R. die Unwahrheit sagen sollte, ist unerfindlich. Auch ist daraus folgend kein Motiv des Klägers erkennbar, die Beklagte, was fest steht, anzurufen und seine Antworten auf die Gesundheitsfragen als unwahr zu bezeichnen und in dem danach auf Rat der Beklagten abgegebenen Antrag eine für ihn erkennbar geringere Bedeutung als die Rückenbeschwerden einnehmende Angststörung wiederum zu verschweigen, wenn er nicht schon durch die Auskunft des Zeugen A. den durch das Telefonat nicht widerlegten Eindruck gewonnen hat, auf sie komme es der Beklagten offenbar nicht an. Der Zeuge R. hat aber – wiederholt – bekräftigt, der Kläger habe auch von seiner Angststörung erzählt, der Zeuge A. habe dies ausdrücklich als nicht relevant bezeichnet. Gerade die Spontaneität, mit der der Zeuge R. auf die Nachfrage des Senats, warum überhaupt über die Angststörung gesprochen worden sei, Angst habe doch jeder einmal, bekundet hat, genau so habe sich der Zeuge A. ausgedrückt, hat die Überzeugungskraft seiner Angaben unterstrichen.
Es kommt hinzu, dass nicht nur der Kläger sondern eine erstaunliche Zahl weiterer Versicherungsnehmer der Kläger von ähnlichen Verhaltensweisen des Zeugen A. berichtet haben. Gründe, den Zeugen P., De. und Ka. insoweit nicht zu glauben, sind nicht erkennbar gewesen. Dass die Zeugin Ka. angegeben hat, der Zeuge A. habe eine vor einigen Jahren erfolgte Unterleibsoperation als nicht in den erfragten Zeitraum fallend bezeichnet, obwohl die Beklagte ein Antragsformular mit genau dieser Angabe – einer Unterleibsoperation im erfragten Zeitraum – nach der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat, erschüttert den Eindruck nicht. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass es sich um ein Missverständnis der Zeugin in Bezug auf die zeitliche Einordnung handelt; dass die Zeugin, in deren Versicherungsvertrag ein entsprechender Ausschluss vereinbart wurde, den Zeugen A. bewusst zu Unrecht bezichtigen wollte, eine erfragte Behandlung der Beklagten zu verschweigen, obwohl sie der Beklagten doch offenbar bekannt gemacht wurde, liegt fern. Anhaltspunkte für eine Absprache aller von dem Senat in den ihm vorliegenden Rechtsstreitigkeiten vernommenen Zeugen, für ein Netzwerk gar, sind nicht erkennbar. Dafür sind die Persönlichkeiten der Zeugen in intellektueller und sozialer Hinsicht und ihre Interessenlage zu verschieden erschienen, um eine derart konsistente übereinstimmende Planung einer falschen Bezichtigung des Zeugen A. unterstellen zu können.
Im übrigen muss davon ausgegangen werden, dass der Zeuge A. ein nicht unerhebliches Provisionsinteresse bei Antragsaufnahme wider bessere Sachkenntnis verfolgt hat. Wie der Senat – auch – aus dem der Beklagten bekannten parallelen Rechtsstreit weiß, hat der Zeuge A. – ein erfahrener Versicherungsagent, der im fraglichen Zeitraum deutlich mehr als 200 Anträge auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung aufgenommen hat – deutlich höhere Rentenleistungen vorgesehen als die Beklagte schließlich zu akzeptieren bereit gewesen ist. Auch dem Kläger hat er eine höhere Versicherungssumme vorgeschlagen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für den Senat damit fest, dass der Zeuge A. die vollständige Beantwortung der vom Versicherer gestellten Formularfragen auch in dem Antrag vom 30.9.2003 dadurch unterlaufen hat, dass er durch einschränkende Bemerkungen verdeckt hat, was auf die jeweilige Frage anzugeben und in das Formular aufzunehmen ist. (BGH, Urt. v. 10.10.2001 – IV ZR 6/01 – VersR 2001, 1541). Das kann nicht nur für die ursprüngliche Antragsaufnahme selbst gelten sondern muss auch, wenn der Versicherungsnehmer nach einem solchen Antragsgespräch später einen Antrag selbst ausfüllt und abgibt, dazu führen, dass eine objektive Verletzung der Anzeigeobliegenheit entschuldigt ist.
III.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 3, 9 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und überwiegend Tatsachenfragen zu klären waren.