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Dachumbau – Ansprüche der Nachbarn – nachbarschützende Vorschriften

OLG Frankfurt – Az.: 1 U 229/18 – Urteil vom 11.06.2019

Auf die Berufung der Klägerin gegen das am 9.11.2018 verkündete Teil-Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird dieses aufgehoben, soweit die Klage bezüglich des Antrags 2 a) abgewiesen worden ist. Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Die Berufung der Klägerin gegen das am 9.11.2018 verkündete Teil-Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird im Übrigen zurückgewiesen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil – soweit es nicht der oben bezeichneten Aufhebung unterliegt – sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zum Rückbau eines neu errichteten Daches auf ihrem Anwesen sowie um Folgen des Dachumbaus.

Die Parteien sind Nachbarinnen und jeweils Eigentümerinnen von Doppelhaushälften in Stadt1-Stadtteil1, die aneinandergrenzen. Die Beklagte nahm im Jahre 2015 einen Umbau ihres Hausanwesens (A-Straße3) vor, wodurch das Dach umgestaltet und im Ergebnis erhöht wurde. Über die Einzelheiten der Erhöhung streiten die Parteien. Die Anwesen befinden sich im Bereich eines Bebauungsplans (§ 30 BauGB).

Infolge des Umbaus wurde die vormals an die klägerische Dachgaube unmittelbar anschließende, straßenseitige Dachgaube des Hauses der Beklagten entfernt und in anderer Gestalt neu errichtet. Eine Verkleidung der in der Folge ohne weiteren Gebäudeanschluss offenen klägerischen Grenzwand der Gaube durch die Beklagte erfolgte nicht.

Die Klägerin macht geltend, dass aufgrund der durch die Beklagte vorgenommenen Erhöhung ihres Daches von 64 cm der Schornstein am Hausanwesen der Klägerin (A-Straße1) nicht mehr nutzbar sein. Denn ihr wurde durch Verfügung der Bauaufsichtsbehörde vom 4.10.2016 aufgegeben, den Mindestabstand des Schornsteins von „40 cm über First“ herstellen zu lassen. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Dacherhöhung der Beklagten baurechtswidrig erfolgt sei, da ihr Schornstein nicht mehr die notwendige Höhe über dem vormals vorhandenen First auf der Hausseite der Beklagten aufweise. Deshalb könne auch ihr Keller nicht mehr beheizt werden, was bereits zu Schäden geführt haben. Sie begehrt den Rückbau des Daches, um eine Nutzung ihres Schornsteins ohne Veränderung hieran zu ermöglichen.

Die Beklagte verfüge über keine wirksame Baugenehmigung. Der durch sie durchgeführte Dachumbau verstoße auch gegen §§ 6 HBO und § 22 BauNVO, da hiernach eine gleiche Dachfirsthöhe einzuhalten sei, wogegen die Beklagte verstoßen habe.

Die Klägerin macht weiter geltend, dass aufgrund des Dachumbaus bei dem Hausanwesen der Beklagten der vorher durchlaufende gemeinsame Firstbalken des Dachstuhls beider Häuser durch die Beklagte gekappt worden sei. Hierdurch sei das Dach des Hausanwesens der Klägerin A-Straße1 instabil geworden.

Dachumbau - Ansprüche der Nachbarn - nachbarschützende Vorschriften
(Symbolfoto: /Shutterstock.com)

Sie begehrt weiter die Wiederherstellung des Mindestabstands des Schornsteins des Anwesens A-Straße1 von 40 cm über dem Dachfirst und die Wiederherstellung der Brandwandqualität der verbauten Holzteile an der Grenzwand der straßenseitigen Gaube auf ihrem Dach.

Die Beklagte macht geltend, dass die Erhöhung ihres Dachfirstes nur 27 cm betrage. Der durchgeführte Umbau ihres Hausanwesens entspreche aber auch insoweit der ihr erteilten baurechtlichen Genehmigung in vollem Umfang.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und hinsichtlich der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf die tatbestandlichen Ausführungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat die Klage durch Teilurteil vom 9.11.2018 hinsichtlich des Hauptantrages zu 1. und hinsichtlich der hilfsweise gestellten Anträge zu 2 a), b) und d) abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Umbau der Beklagten hinsichtlich der Dachhöhe nicht gegen die ihr erteilten Baugenehmigungen und auch nicht gegen die §§ 6 HBO oder 22 Abs. 2 BauNVO verstoße. Das Vorbringen der Klägerin hinsichtlich einer Kappung des Dachbalkens sei nicht hinreichend substantiiert. Ein Anspruch auf Wiederherstellung des Mindestabstands des Schornsteins der Klägerin von 40 cm über dem Dachfirst der Klägerin bestehe nicht gegenüber der Beklagten, da die brandschutzrechtliche Zulässigkeit eines Schornsteins in der Verantwortung des Eigentümers liege. Ein Anspruch der Klägerin bestehe auch nicht hinsichtlich der Verkleidung der an das Grundstück der Beklagten grenzenden Dachgaube, da sie keinen Anspruch darauf habe, dass die ordnungsrechtlichen Anforderungen an ihr Eigentum durch die Gestaltung des Nachbarhauses hergestellt werden oder erhalten werden. Hinsichtlich eines noch nicht beschiedenen Hilfsantrages (c) hat das Landgericht einen Beweisbeschluss erlassen, wonach Beweis durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens über die Behauptung der Klägerin erhoben werden soll, dass ein Überbau durch das Dach der Beklagten vorliege.

Gegen das Teilurteil vom 9.11.2018 wendet sich die Klägerin mit der Berufung und begehrt weiter die Verurteilung der Beklagten entsprechend den ursprünglich gestellten Anträgen. Das Landgericht Frankfurt habe zu Unrecht angenommen, dass eine Verletzung der §§ 6 Abs. 1 HBO und 22 Abs. 2 BauNVO nicht gegeben sei.

Zum Vorhandensein eines ehemals gemeinsamen Dachfirstbalkens habe die Klägerin bereits substantiiert vorgetragen unter Vorlage von Lichtbildern (Anlage K 23). Dort sei deutlich zu erkennen, dass der klägerische Dachfirstbalken abgeschnitten wurde und nicht mehr auf der gemeinsamen Grenzwand aufliege.

Das Landgericht habe einen Anspruch der Klägerin auf Erhöhung ihres Schornsteins gegenüber der Beklagten zu Unrecht abgelehnt, da die Beklagte den bauordnungswidrigen Zustand des Schornsteins erst durch ihren Dachumbau herbeigeführt habe. Die Mängel am Schornstein der Liegenschaft der Klägerin seien ausschließlich auf Umbauarbeiten an der Liegenschaft der Beklagten zurückzuführen.

Das Landgericht habe weiter das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt, da diese auf einen Schriftsatz der Beklagten vom 5.10.2018 nicht rechtzeitig habe vortragen können; das Landgericht habe eine Verlängerung der Schriftsatzfrist für die Klägerin nicht gewährt. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten verfügten die Doppelhaushälften der Parteien nur über eine gemeinsame Grenzwand. Es werde bestritten, dass die Häuserhälften jeweils über 4 eigene Seitenwände verfügten, wobei die beiden nebeneinanderliegenden parallelen Wände so genannte Grenzwände darstellten.

Zu Unrecht habe das Landgericht auch die Grundsätze der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.2.2011 (V ZR 137/10) auf den vorliegenden Fall übertragen.

Die Klägerin beantragt: Unter Abänderung des am 9.11.2018 verkündeten Teilurteils des Landgerichts Frankfurt am Main (Az. 2-18 O 278/17) wird die Beklagte verurteilt:

Das Dach der Doppelhaushälfte A-Straße3, Stadt1, auf die von der Baugenehmigung der Stadt1, Az. … (Rückbau und Wiedererrichtung des Dachgeschosses in geänderter Form an einem vorhandenen 2-Familienwohnhaus) gestattete Höhe zurückzubauen, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, die Beeinträchtigungen ihres Grundbesitzes A-Straße3, Stadt1 (Gemarkung Stadt1-Stadtteil1 Bezirk … (…) Flur … Flurstück …/…) zu beseitigen, welche durch den Umbau der Doppelhaushälfte A-Straße3, Stadt1 (Gemarkung Stadt1-Stadtteil1 Bezirk … (…) Flur … Flurstück …/…) eingetreten sind, insbesondere

a) die Instabilität des Daches A-Straße3 infolge der umbaubedingten Kappung des gemeinsamen Dachfirstbalkens des Doppelhauses A-Straße3/A-Straße1 Stadt1,

b) Wiederherstellung des Mindestabstandes des Schornsteines des Anwesen A-Straße3 Stadt1 von 40 cm über dem Dachfirst,

d) Wiederherstellung der Brandwandqualität (F-90) der verbauten Holzteile an der Grenzwand der straßenseitigen Gaube des Daches A-Straße3, Stadt1

Der Beklagte beantragt: die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt insoweit das angegriffene Urteil.

Die Akten des selbstständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht Stadt1 (…) waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung ist überwiegend unbegründet. Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, soweit das Landgericht die Klage in dem Hauptantrag und in den Hilfsanträgen zu b) und d) abgewiesen hat. Das Landgericht hat indessen übersehen, dass die Klägerin substantiierten Vortrag zu einer behaupteten Kappung des Firstbalkens ihres Dachstuhls gehalten hat.

1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die Klage in dem Hauptantrag zurückgewiesen, denn ein Anspruch der Klägerin auf Rückbau des Dachumbaus der Beklagten (§ 1004 BGB i.V.m. §§ 6 HBO, 22 Abs. 2 BauNVO) ist nicht gegeben.

Der Klägerin steht kein allgemeiner Anspruch auf die Wahrung einer bestimmten Ausgestaltung des Daches der Beklagten zu. Vielmehr unterliegt die Veränderung der der Beklagten gehörenden Doppelhaushälfte ihrer Gestaltungsbefugnis als Eigentümerin (§ 903 BGB). Ansprüche der Klägerin hiergegen können sich lediglich daraus ergeben, dass nachbarschützende Vorschriften zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Art hierdurch verletzt werden. Dies ist indessen nicht der Fall.

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Nach ständiger Rechtsprechung besteht ein Abwehrrecht eines Dritten nur, wenn ein genehmigtes Vorhaben gegen Vorschriften des öffentlichen Rechts verstößt und die Voraussetzungen für eine Ausnahme oder Befreiung nicht vorliegen und die verletzten Vorschriften auch zum Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt, also nachbarschützend sind und durch das rechtswidrige Vorhaben eine tatsächliche Beeinträchtigung des Nachbarn hinsichtlich der durch die Vorschriften geschützten nachbarlichen Belange eintritt (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 16.12.1991 – 4 TH 1814/91; Hornmann, Hessische Bauordnung, 3. Aufl. 2019, § 82 Rn. 198).

a) Die Klage auf Rückbau bleibt bereits deshalb ohne Erfolg, weil der beantragte Rückbau des Daches der Doppelhaushälfte der Beklagten auf die von der Baugenehmigung der Stadt1 gestattete Höhe mangels entsprechender Höhenbestimmung nicht erfolgen kann.

Die Baugenehmigung der Beklagten (Anlage K 2) wurde unter dem 26.6.2014 im vereinfachten Verfahren gemäß §§ 57, 63 HBO in der zum Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung geltenden Fassung erteilt. Soweit die Beklagte Nachträge zu der Baugenehmigung unter dem 2.12.2014 und 2.8.2016 erhalten hat (Anlagen B2 und B3), ergibt sich aus den Feststellungen des Widerspruchsbescheids der Stadt1 vom 19.6.2018 (Anlage B 25), dass aufgrund eines von der Baugenehmigung abweichend ausgeführten Dachflächenfensters die Bauaufsichtsbehörde mittels des 2. Nachtrags zur Baugenehmigung eine Firsthöhe von 129,55 m NN genehmigt hat. Eine anderweitige Festsetzung findet sich in der Baugenehmigung vom 26.6.2014 – abgesehen von einer Regelung bezüglich Stellplätzen im Vorgarten – nicht. Den Plänen, Bauzeichnungen und der Baubeschreibung, die Bestandteile der Baugenehmigung sind, lässt sich – soweit aus den durch die Parteien vorgelegten Ablichtungen ersichtlich – eine ausdrückliche Höhenfestsetzung des Dachfirsts nicht entnehmen.

Soweit sich aus den vorgelegten Bauvorlagen zur Baugenehmigung vom 26.6.2014 in den Schnitten eine Firsthöhe des neuen Daches der Beklagten mit 129,28 m über NN ergibt, ist bereits nicht ersichtlich, dass und in welcher Weise dieses Maß durch den Umbau der Beklagten überschritten wäre. Gleiches gilt, soweit sich aus dem 2. Nachtrag zur Baugenehmigung vom 2.8.2016 eine Genehmigung einer Firsthöhe von 129,55 m NN entnehmen ließe. Denn die Klägerin trägt lediglich zu einer Abweichung gegenüber der Firsthöhe ihres eigenen Daches vor.

Auch eine Abweichung der Bauausführung in dem durch die Klägerin geltend gemachten Ausmaß von 64 cm würde jedoch nicht zu einem Beseitigungsanspruch der Klägerin führen.

b) Ein Anspruch der Klägerin auf Rückbau des Daches wegen Verletzung nachbarschützender Vorschriften ist nicht gegeben (§ 1004 BGB i.V.m. §§ 6 HBO, 22 Abs. 2 BauNVO).

Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin verfügt die Beklagte über eine Baugenehmigung, nämlich die Baugenehmigung vom 26.6.2014 in der Fassung des 1. und 2. Nachtrags vom 2.12.2014 und 2.8.2016, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 19.6.2018. Eine durch die Klägerin hiergegen möglicherweise erhobene Anfechtungsklage hat keine aufschiebende Wirkung (§ 212 Buchst. a BauGB), so dass die Beklagte sich für ihr Bauvorhaben auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen kann.

Dass der Erlass der Baugenehmigung oder die Durchführung des Bauvorhabens der Beklagten unter Verletzung nachbarschützender Vorschriften erfolgt wären, kann nicht festgestellt werden.

Einen Verstoß gegen Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplans hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Er ist auch angesichts der Feststellungen der Stadt1 im Widerspruchsbescheid vom 19.6.2018 nicht ersichtlich.

Anderes ergibt sich auch nicht anhand einer Überprüfung der Vereinbarkeit des durchgeführten Umbaus mit §§ 6 HBO und 22 BauNVO.

Aufgrund der Bebauung mittels aneinanderstoßender Doppelhaushälften kommt eine Verletzung des Abstandsgebotes des § 6 Abs. 1 HBO nicht in Betracht.

Eine nachbarschützende Wirkung kommt allerdings der planerischen Festsetzung von Doppelhäusern in der – hier gegebenen – offenen Bauweise zu (§ 22 Abs. 2 BauNVO). Das danach gegebene Erfordernis der baulichen Einheit ist nur erfüllt, wenn die beiden Gebäude in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat etwa entschieden, dass kein Doppelhaus entsteht, wenn ein Gebäude gegen das andere so stark versetzt wird, dass es den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst (BVerwG, Urt. v. 24.2.2000 – 4 C 12/98). Die Festsetzung der offenen Bauweise betrifft jedoch allein die Anordnung der Gebäude auf einem Baugrundstück im Verhältnis zu den seitlichen Grenzen der Nachbargrundstücke (BVerwG, Urt. v. 24.2.2000 – 4 C 12/98).

Für die Bauausführung im Übrigen folgt aus dem Gebot der wechselseitigen Verträglichkeit und Abstimmung, dass ein Haus eines Doppelhauses bzw. einer Hausgruppe nicht so geplant bzw. nicht (durch An- oder Aufbauten) so stark verändert werden darf, dass das „Gesamtgebäude“ nicht mehr als eine von den einzelnen Häusern gebildete Einheit erscheint (König/Roeser/Stock, BauNVO, 4. Aufl. 2019, § 22 Rn. 19; Blechschmidt in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 132. EL Februar 2019, § 22 BauNVO, Rn. 27f.).

Dementsprechend muss eine Haushälfte, soll sie Teil eines Doppelhauses sein, ein Mindestmaß an Übereinstimmung mit der zugehörigen Haushälfte aufweisen, indem sie zumindest einzelne der ihr Proportionen und Gestalt gebenden baulichen Elemente aufgreift. Anderenfalls wäre der die Hausform kennzeichnende Begriff der baulichen Einheit sinnentleert. Allgemeingültige Kriterien lassen sich jedoch insoweit mit Blick auf die von § 22 Abs. 2 BauNVO verfolgten städtebaulichen Ziele der Steuerung der Bebauungsdichte sowie der Gestaltung des Orts- oder Stadtbildes-, die keine einheitliche Gestaltung erfordern, nicht aufstellen.

Regelmäßig geben Höhe, Breite und Tiefe, sowie die Zahl der Geschosse und die Dachform einem Haus seine maßgebliche Gestalt. Diese Kriterien können daher im Einzelfall Anhaltspunkte für die Beurteilung des wechselseitigen Abgestimmtseins geben (OVG Münster, Beschl. v. 12.5.2011 – 10 A 2026/09).

Maßgeblich ist danach nicht, ob und in welcher Weise Abweichungen der Bauausführung der Beklagten von einzelnen Häusern in der Umgebung der Parteien oder gegenüber dem Haus der Klägerin vorgenommen worden sind, sondern allein, ob die bestehenden Abweichungen derart sind, dass eine planungsrechtliche Festsetzung in offener Bauweise nicht mehr angenommen werden kann. Dies ist hier nicht der Fall.

Nach den genannten Maßstäben ist eine Verletzung der Festsetzung der offenen Bauweise nicht gegeben. Das Gericht schließt sich insoweit der überzeugenden Würdigung der Stadt1 in dem Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2018 an. Die beiden Haushälften weisen danach eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf, nämlich, dass sie an der festgesetzten Baulinie orientiert sind, über jeweils 2 Vollgeschosse mit ausgebauten Gauben im Dachgeschoss verfügen und ein Satteldach mit gleich ausgerichteten Giebeln haben. Dem Gericht erscheint in Anbetracht dieser Gemeinsamkeiten die durch die Beklagte vorgenommen Erhöhung des Daches wechselseitig verträglich. Sie nimmt dem Haus nicht die Eigenschaft als Doppelhaus.

Auf die Frage des Bestehens oder des Fortbestehens einer Zustimmung der Klägerin zu der Bauausführung der Beklagten kam es danach nicht mehr an.

c) Unabhängig davon wäre ein Beseitigungsanspruch der Klägerin auf Rückbau des Daches der Beklagten wegen offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit des Rückbauverlangens nicht gegeben.

Denn der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht (§ 275 Abs. 2 BGB). Diese Einrede kann auch gegen einen Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB erhoben werden (BGH, Urt. v. 30.5.2008 – V ZR 184/07).

Die Klägerin macht als Beeinträchtigung durch die von der Beklagten auf ihrem Hausgrundstück vorgenommene Dacherhöhung lediglich geltend, dass sie den auf ihrem Dach befindlichen Schornstein nicht weiter nutzen dürfe. Im Hinblick auf die durch die Beklagte mit 70.000,- EUR bezifferten Kosten des Umbaus des Daches erscheint eine mögliche Erhöhung des Schornsteins, deren Kosten die Beklagte unwidersprochen mit 800,- EUR angegeben hat – bezüglich deren sie vorgerichtlich im Vergleichswege auch die Kostenübernahme angeboten hat – derart marginal, dass der geltend gemachte Beseitigungsanspruch treuwidrig erscheint.

2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Herstellung eines Mindestabstands ihres Schornsteins von 40 cm über dem Dachfirst des Anwesens der Beklagten gegen diese.

Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass die Klägerin als Hauseigentümerin des Anwesens A-Straße3 alleiniger Adressat für die Einhaltung der brandschutzrechtlichen Bestimmungen, vorliegend die Wahrung eines Mindestabstands von 40 cm über einer Dachfläche gemäß § 9 Feuerungsverordnung Hessen ist. Auch aus dem nachbarrechtlichen Verhältnis der Parteien lässt sich kein Anspruch darauf herleiten, dass die Beklagte bei dem Umbau ihres Hausanwesens bestehende Einrichtungen der Klägerin am Haus der Klägerin in vollem Umfang zu berücksichtigen hätte.

Unabhängig davon würde einem entsprechenden Anspruch der Klägerin auf Absenkung des – wie oben dargelegt – baurechtskonform umgebauten Daches der Beklagten der Einwand der Unverhältnismäßigkeit gegenüberstehen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin zur Herstellung des feuerungsanlagenkonformen Zustandes ihres Kamins mehr als eine Verlängerung ihres Kaminrohres benötigt. Aus dem Bescheid der Bauaufsicht vom 4.10.2016 (Anlage K 5) folgt lediglich, dass der Klägerin aufgegeben worden ist, die Mündung die Schornsteinmündung 40 cm über First herzustellen, für deren Herstellung vorläufige Kosten in Höhe von 800,- EUR angedroht wurden. Weitere objektiv nachvollziehbare Beeinträchtigungen der Klägerin sind nicht ersichtlich.

3. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht auch den Hilfsantrag d) auf Wiederherstellung der Brandwandqualität der verbauten Holzteile an der Grenzwand der straßenseitigen Gaube des Daches der Klägerin zurückgewiesen.

Grundsätzlich trifft die Klägerin auch insoweit als Eigentümerin die Pflicht zur Einhaltung der brandschutzrechtlichen Anforderungen bezüglich ihres Eigentums.

Ansprüche gegenüber der Beklagten aufgrund der Entfernung der an die Gaube der Klägerin angebauten Gaube im Zuge des Dachumbaus der Beklagten bestehen nicht.

Ein solcher Anspruch könnte sich allerdings gemäß §§ 922 S. 3 BGB ergeben, wenn die Gauben der Parteien durch eine gemeinsame Grenzeinrichtung, insbesondere aber eine gemeinsame Nachbarwand, verbunden waren.

Anhaltspunkte dafür, dass die Gauben durch eine Nachbarwand verbunden waren, also eine auf der Grenze der Grundstücke errichtete Wand, die den auf diesen Grundstücken errichteten oder zu errichtenden Bauwerken als Abschlusswand oder zur Unterstützung oder Aussteifung dient oder dienen soll (§ 1 Abs. 1 HessNachbRG), sind nicht ersichtlich. Die Klägerin macht vielmehr geltend, dass bei dem Abriss der der Beklagten gehörenden Dachgaube eine Verkleidung der nun offenen klägerischen Grenzwand mit nicht brennbaren Stoffen unterblieben sei. Die nun frei sichtbaren Holzbalken der Grenzwand sei blieben unverändert stehen geblieben.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist indessen geklärt, dass jeder Grundstückseigentümer für seine Wand verantwortlich ist, wenn zwei parallel verlaufende Grenzwände errichtet worden sind. Der Vorteil, der sich daraus ergibt, dass eine Außenwand solange keines oder keines vollständigen Witterungsschutzes bedarf, wie dieser Schutz von der Grenzwand des Nachbargrundstücks geboten wird, wird durch das BGB nicht geschützt. Der Eigentümer, der seine eigene Grenzwand abreißt, ist hierzu grundsätzlich aus § 903 BGB berechtigt. Für eine nach dem Abriss erforderliche Außenisolierung des Nachbargebäudes ist der Eigentümer der Grenzwand verantwortlich. Da eine Grenzwand die Grenze nicht überschreitet, ist sie nämlich keine Grenzanlage im Sinne des §§ 921, 922 BGB; infolgedessen ist ihr Eigentümer im Verhältnis zu seinem Nachbarn nicht gemäß § 922 S. 3 BGB verpflichtet, die Funktionsfähigkeit der Grenzwand zu erhalten (BGH, Urt. v. 18.12.2015 – V ZR 55/15, Rn. 8f.; Urt. v. 16.4.2010 – V ZR 171/09; Urt. v. 18.2.2011 – V ZR 137/10; st. Rechtsprechung; OLG Frankfurt, Beschl. v. 29.3.2010 – 4 U 29/10).

Der Klägerin steht danach kein Anspruch auf Beibehaltung des vorherigen Zustandes zu, wonach Ihre Dachgaube an der Grenzwand durch die frühere Dachgaube der Beklagten einen hinreichenden Brandschutz erhielt.

Anderes könnte sich dann ergeben, wenn im Zuge des Abrisses Schäden am Eigentum der Klägerin entstanden sind, die über die bloße Entfernung der vormals angrenzenden Grenzwand hinausgehen. Denn aus der Berechtigung des Abrisses folgt nicht, dass der abreißende Eigentümer das Eigentum des Nachbarn dauerhaft beschädigt kann darf, selbst wenn es sich um eine unvermeidliche Folge des Abrisses handelt (BGH, Urt. v. 18.12.2015 – V ZR 55/15, Rn. 12).

Für das Vorhandensein solcher Schäden ist indessen nicht ersichtlich. Die Klägerin macht lediglich geltend, dass die aus brennbaren Stoffen errichtete Grenzwand ihrer Gaube nunmehr ungeschützt sei. Diese Verantwortung trifft indessen sie als Eigentümerin.

4. Das Verfahren war allerdings hinsichtlich des Hilfsantrages 2 a) an das Landgericht zurück zu verweisen (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat unter Verletzung der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs maßgeblichen Vortrag der Klägerin übergangen, so dass auf übereinstimmenden Antrag der Parteien der Rechtsstreit dem Landgericht zu Durchführung der gebotenen Beweisaufnahme zurück zu verweisen war.

Die Klägerin macht insoweit geltend, dass die Beklagte im Zuge des Umbaus ihres Daches den vormals durchlaufenden Firstbalken gekappt habe, sodass das Dach der Klägerin seine Stabilität verloren habe.

Sie hat bereits mit Schriftsatz vom 20.7.2018 vorgetragen, dass der Dachfirstbalken durch den Umbau der Haushälfte durch die Beklagte abgeschnitten worden sei. Es fehlten ihm nunmehr 11 cm bis zur Grenzwand. Er hänge jetzt frei in der Luft und liege nicht sicher nicht mehr sicher auf, was die Stabilität des gesamten Daches der Klägerin beeinträchtige. Die Beklagte habe dagegen ihren Dachfirst in voller Länge auf die gemeinsame Grenzwand auflegen lassen. Für dieses Vorbringen hat die Klägerin als Beweismittel die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass ein Anspruch der Klägerin hinsichtlich der behaupteten Beeinträchtigung des Firstbalkens sich nicht auf §§ 921, 922 BGB stützen kann, da es sich insoweit nicht um eine Grenzeinrichtung handelt. Denn dies würde gemäß § 921 BGB voraussetzen, dass die Grundstücke der Parteien durch den Balken als eine Einrichtung voneinander geschieden werden, die zum Vorteil beider Grundstücke dient.

Ein Firstbalken befindet sich als Firstfette nahe dem Dachfirst und trägt die Dachlasten eines liegenden Dachstuhls über Stützen, Wände oder Dachbinder ab. Ausweislich der vorgelegten Bilddokumentation (Anlagen K 12, K 23) läuft (bzw. lief) der Firstbalken vorliegend bei beiden Dachstühlen senkrecht zur Grundstücksgrenze über diese hinweg. Aus dem durch die Klägerin vorgetragenen Sachverhalt könnte sich jedoch bei dessen Richtigkeit ein Anspruch aus §§ 823, 1004 BGB ergeben, der den gestellten Hilfsantrag zu a) begründen könnte. Der hierzu vorgetragene Sachverhalt ist auch hinreichend konkret, um ihn einer rechtlichen Bewertung zuzuführen.

Anderes ergibt sich nicht aus dem wirksamen Bestreiten der Beklagten. Auch wenn – wie sie geltend macht – die Häuser der Parteien über jeweils eigene Grenzwände (im Sinne von § 8 Abs. 1 HessNachbRG) verfügen, würde dies nicht ausschließen, dass der Firstbalken der Klägerin im Zuge der Dachumbauarbeiten beschädigt worden ist und der Dachstuhl der Klägerin seine Stabilität verloren hat.

Anderes ergibt sich auch nicht aus den durch das Gericht beigezogenen Akten des ständigen Beweisverfahrens der Parteien (…). Denn diesen lässt sich weder weiterer konkretisierender Sachvortrag der Parteien entnehmen, noch eine sachverständige Feststellung.

Ungeachtet der Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten im Schriftsatz vom 5.10.2018 und des weiteren Vorbringens der Klägerin zur Kappung des Firstbalkens im Berufungsverfahren ergibt sich danach jedenfalls aus dem Vortrag im Schriftsatz vom 20.7.2018 ein hinreichend substantiierter Vortrag zu der behaupteten Kappung des Firstbalkens. Dieser beschreibt – insbesondere in Zusammenschau mit den vorgelegten Lichtbild Anlagen K 12 und K 23 – den behaupteten Lebenssachverhalt abschließend. Es ist nicht ersichtlich, in welcher Weise sich weiterer Vortrag der Klägerin zu der von ihr nicht ohne weiteres feststellbaren „Instabilität“ des Daches anspruchsbegründend auswirken sollte.

Auf die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit des streitigen Vorbringens kommt es dabei nicht an; sie kann zumindest nicht ausgeschlossen werden. Zu dem streitigen Vortrag der Klägerin ist danach als geeignetes Beweismittel ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Im Hinblick auf die bereits begonnene Beweisaufnahme des landgerichtlichen Verfahrens in dem dort anhängig verbliebenen Verfahrensteil durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erscheint die Zurückverweisung des Verfahrens vorliegend geboten, um eine einheitliche und umfassende Beweisaufnahme in der ersten Instanz zu ermöglichen.

5. Dem Landgericht war eine Kostenentscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, vorzubehalten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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