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Fahrradunfall – Abfindungsvergleich mit der Haftpflichtversicherung des Schädigers

OLG Hamm – Az.: I-20 U 164/15 – Urteil vom 15.06.2016

Auf die Berufung des Klägers wird das am 11.06.2015 verkündete Urteil der 115. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert und wie folgt gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auch nach Abschluss des zwischen ihm und des Z geschlossenen Abfindungsvergleichs vom 30.04.2012 weiterhin die sich aus der Krankenversicherung – A-Nr. …/… – ergebenden Erstattungsansprüche des Klägers für ärztliche Krankheitsbehandlungen, physiotherapeutische Behandlungen und ärztlich verordnete Heilmittel zu erstatten, die auf das Unfallereignis vom 28.05.2008 zurückzuführen sind.

Die Widerklage wird abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten des Streithelfers, die dieser selber trägt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckbaren Betrages leistet.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt Leistungen aus einem bei der Beklagten bestehenden Krankenversicherungsvertrag, die Beklagte verlangt widerklagend Rückzahlung erbrachter Leistungen. Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit 1990 eine Krankheitskostenvollversicherung, versichert sind medizinisch notwendige Heilbehandlungskosten im Umfang von 50%.

Fahrradunfall - Abfindungsvergleich mit der Haftpflichtversicherung des Schädigers
(Symbolfoto: Kzenon/Shutterstock.com)

Am 28.05.2008 kam der Kläger bei einem Unfall mit dem Fahrrad zu Fall, er erlitt dabei eine Oberschenkelhalsfraktur sowie einen Streckensehnenabriss im Bereich des Mittelfingers. Verschuldet worden war der Unfall durch einen anderen Fahrradfahrer, dem Streithelfer, dessen private Haftpflichtversicherung (im Folgenden: Z) mit Schreiben vom 01.09.2008 mitteilte, dass sie von einer 100%igen Haftung ihres Versicherten ausgehe. Bis März 2012 hatte die Z Schmerzensgeldzahlungen in Höhe von insgesamt 24.500,00 EUR an den Kläger geleistet. Weiterhin hatte sie der Beklagten deren bis dahin erbrachte Leistungen für die durch den Unfall verursachten Heilbehandlungskosten des Klägers in Höhe von 8.707,25 EUR erstattet.

Mit Schreiben vom 23.03.2012 (Bl. 29 – 32 d.A.) schlug der damals vom Kläger bevollmächtigte Rechtsanwalt, der Zeuge S, der Z einen Abfindungsvergleich vor.

Mit ihrem an Rechtsanwalt S gerichteten Schreiben vom 20.04.2012 (Bl. 35 d.A.) erklärte sich die Z „Mit dem von Ihnen unterbreiteten Abfindungsvorschlag“ einverstanden, sie sei bereit, zur Abgeltung der Ansprüche den in der anliegenden Erklärung angegebenen Betrag zu zahlen.

Die von der Z beigefügte Abfindungserklärung hatte folgenden Wortlaut (Bl. 36 d.A.):

„Am 28.05.2008 erlitt (…) ich (…) einen Schaden.

Ich (…) erkläre (…), dass bei Auszahlung einer weiteren Entschädigungssumme von 6.600,00 EUR (…) durch Vergleich alle Schadensersatzansprüche aus diesem Unfallereignis/Schadensereignis, unabhängig davon, ob diese bekannt oder unbekannt, voraussehbar oder nicht voraussehbar sind, endgültig und vollständig abgefunden sind.

Dies gilt uneingeschränkt auch für Schadensersatzansprüche aus diesem Unfallereignis/Schadensereignis gegen Versicherte der o.g. Versicherungsgesellschaft oder etwaige weitere Gesamtschuldner.

(…)

Diese Erklärung erstreckt sich auf alle Schadensersatzansprüche des (…) Anspruchstellers (…), soweit sie zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Erklärung nicht – für die o.g. Versicherungsgesellschaft ersichtlich – kraft Gesetzes oder Abtretung auf einen Sozialversicherungsträger, einen Fürsorgeverband, eine private Krankenversicherung oder einen Arbeitgeber bezüglich seiner gesetzlichen Leistungen übergegangen sind.“

Der damalige Klägervertreter sandte der Z mit Schreiben vom 30.04.2012 die vom Kläger unterzeichnete Abfindungserklärung zurück und teilte mit, dass er nach Eingang der Zahlungen den Vorgang vollständig in seiner Kanzlei abschließen werde.

Der Betrag von 6.600,00 EUR wurde von der Z an den Kläger gezahlt.

Nach Abschluss des Abfindungsvergleichs erstattete die Beklagte dem Kläger noch weitere durch den Fahrradunfall vom 28.05.2008 verursachte Heilbehandlungskosten in Höhe von insgesamt 1.179,06 EUR und verlangte danach Ersatz dieses Betrages von der Z. Mit Schreiben vom 13.12.2012 (Bl. 95 d.A.) lehnte die Z auch im Namen der versicherten Personen eine Schadensersatzhaftung unter Hinweis auf die in Kopie beigefügte Abfindungserklärung ab.

In der Folge forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 17.05.2013 zur Rückzahlung des Betrages in Höhe von 1.179,06 EUR auf mit der Begründung, der Kläger habe ihr durch Abschluss des Vergleichs die Möglichkeit genommen, die unfallbedingten Kosten zu regressieren.

Bezüglich des Weiteren erstinstanzlichen Vortrages, der Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das die Klage abweisende und der Widerklage stattgebende Urteil des Landgerichts Münster (Bl. 142-146 d.A.) verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die als Abfindungsvergleich auszulegende Abfindungserklärung aufgrund ihres eindeutigen Wortlauts abschließend gewesen sei und der Kläger diesen Vergleich nicht aufgrund Fehlens der Geschäftsgrundlage oder Irrtums angegriffen habe. Damit liege ein objektiver Verstoß gegen das Aufgabeverbot des § 67 Abs. 1 S. 3 VVG a. F. vor. Der notwendige Vorsatz ergebe sich daraus, dass sich der von seinem damaligen Anwalt beratene Kläger bewusst für die Abfindungserklärung entschieden habe und sich damit nicht darauf berufen könne, den Anspruchsuntergang nicht gewusst oder gewollt zu haben.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er die Verletzung materiellen Rechts sowie Rechtsfehler bei der Tatsachenfeststellung durch das Landgericht rügt und sein erstinstanzliches Feststellungs- und Widerklageabweisungsbegehren – unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens – weiterverfolgt.

Die Abfindungserklärung sei aufgrund der vorhergehenden Korrespondenz mit Verweisen auf die andauernde Behandlung und des vorhergehenden Regulierungsverhaltens des Haftpflichtversicherers gegenüber dem Kläger, das nie Heilbehandlungskosten betroffen habe, dahin auszulegen, dass sie nicht zukünftig entstehende Heilbehandlungskosten umfasse. Den vorhergehenden Begleitschreiben sei Vorrang vor dem Inhalt der standardisierten Abfindungserklärung einzuräumen. Insgesamt habe der bereits erstinstanzlich benannte Zeuge S als damaliger Rechtsanwalt des Klägers vernommen werden müssen. Auch die Mitarbeiterin des Haftpflichtversicherers habe die Abfindungserklärung nicht anders verstanden und verstehen können. Der Haftpflichtversicherer habe ansonsten keine adäquate Gegenleistung erbracht und den Kläger zum Vertragsbruch gegenüber der Beklagten verleitet.

Sollte die Abfindungserklärung nicht im Sinne des Klägers auszulegen sein, sei sie als allgemeine Geschäftsbedingung wegen ihres überraschenden Charakters, ihrer Intransparenz und ihrer Unausgewogenheit unwirksam.

Zudem fehle es jedenfalls am Vorsatz des Klägers, da dieser nur Schmerzensgeld und Fahrtkosten habe abgelten wollen und nicht von einer umfassenden Abgeltung ausgegangen sei.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils wie erstinstanzlich beantragt zu verurteilen und die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte und der Streithelfer verteidigen – unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens – die angefochtene Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet.

1. An der Zulässigkeit der Berufung bestehen keine Bedenken, auch wenn sie dem Wortlaut nach durch „den Beklagten“ eingelegt worden ist. Es ergibt sich aus der Berufungsschrift mit hinreichender Klarheit, dass sie tatsächlich vom Kläger eingelegt worden ist.

2. Die Beklagte ist auch in Ansehung der vom Kläger im April 2012 unterzeichneten Abfindungserklärung verpflichtet, dem Kläger für die aufgrund des Unfalls vom 28.05.2008 erlittenen Verletzungen vertragsgemäß Deckungsschutz zu gewähren.

a) Das Landgericht ist zutreffend von der Anwendung des Versicherungsvertragsgesetzes in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung gem. Art. 1 Abs. 1, 2 EGVVG ausgegangen, da der Versicherungsfall mit der Behandlung der Verletzungsfolgen aus dem Unfall vom 28.05.2008 eingetreten ist. Die Heilbehandlung beginnt mit der ersten Inanspruchnahme jeglicher ärztlicher Tätigkeit, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Tätigkeit des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt (vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2014, IV ZR 399/13, juris, Rn. 16, RuS 2015, 142; BGH, Urt. v. 25.01.1978, IV ZR 25/76, juris, Rn. 33, VersR 1978, 362, 364; OLG Oldenburg, Beschl. v. 30.05.2012, 5 U 37/12, juris, Rn. 2, VersR 2012, 1548; OLG Dresden, Urt. v. 28.05.2009, 4 U 246/09, juris, Rn. 3, VersR 2009, 1651).

b) Der Kläger hat seine Ansprüche auf Ersatz der Heilbehandlungskosten gegen den Nebenintervenienten bzw. dessen Haftpflichtversicherer, die Z, nicht vorsätzlich aufgegeben. Er hat jedenfalls nicht vorsätzlich i.S. des § 67 Abs. 1 S. 3 VVG a. F. gegen das Aufgabeverbot verstoßen.

Nach herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, genügt ein rein objektiver Verstoß gegen das Aufgabeverbot des § 67 Abs. 1 VVG a. F. nicht, der Versicherungsnehmer muss auch vorsätzlich gehandelt haben, da bereits eine Auslegung des Wortlauts „aufgeben“ ein bewusstes und gewolltes Handeln voraussetzt (vgl. Baumann, in: Berliner-Kommentar, VVG, 1. Aufl. 1998, § 67 Rn. 117 m. w. N.; Prölss, in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, § 67 Rn. 33; Langheid, in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl. 2003, § 67 Rn. 44; LG Köln, Urt. v. 07.10.2004, 24 O 516/03, RuS 2005 328, 329; AG Eckernförde, Urt. v. 19.08.2010, 6 C 228/10, juris, Rn. 25, JurBüro 2011, 95; Günther, VersR 2005, 72, 73).

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Vorsatz ist gekennzeichnet durch das Zusammentreffen eines Wissens- und eines Wollens-Elementes in der Vorstellung der handelnden Person (BGH, Urt. v. 17.02.2016, IV ZR 353/14, juris, Rn. 23 m. w. N.).

Der Anspruchsuntergang war hier auf Seiten des Klägers jedoch nicht gewollt. Grundsätzlich schließen sowohl der Irrtum über tatsächliche Umstände als auch der Rechtsirrtum den Vorsatz aus (vgl. nur jeweils m. w. N. BGH, Urt. v. 15.07.2014, XI ZR 418/13, juris, Rn. 14, NJW 2014, 2951 m.w.N.; BGH, Urt. v. 16.06.1977, III ZR 179/75, juris, Rn. 53; BGHZ 69, 128; BGH, Beschl. v. 27.09.1955, V ZB 26/55, BGHZ118, 201, 208; Stadler, in: Jauernig, BGB, 16. Aufl. 2015, § 276 Rn. 21; H. P. Westermann, in: Erman BGB, Kommentar, § 276 Rn. 8 f.; Unberath, in: Beck’scher Online-Kommentar BGB, Bamberger/Roth, 38. Edition, Stand: 01.03.2011, § 276 Rn. 12 f.; siehe auch zu § 28 VVG: Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, § 28 Rn. 191; Heiss, in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2008, § 28 Rn. 164). In einem solchen Rechtsirrtum hat sich der – anwaltlich beratene – Kläger hier bei Abschluss des Vergleichs mit dem Nebenintervenienten bzw. der Z befunden, da er irrtümlich davon ausging, dass die vereinbarte Abfindungsvereinbarung seine Ansprüche auf Ersatz von Heilbehandlungskosten nicht erfasste.

Dass bei Abgabe der mit dem Nebenintervenienten bzw. der Z geschlossenen Abfindungsvereinbarung der vollständige Anspruchsuntergang dem Kläger bekannt war und von diesem gewollt wurde, ist nicht ersichtlich. Vielmehr ergibt sich sogar das Gegenteil aus den von den Parteien zu den Akten gereichten Unterlagen: Zwar unterschrieb der anwaltlich beratene Kläger die Abfindungserklärung bewusst. Ihm war aber ausweislich der Anwaltsschreiben vom 15.08.2013 (Anl. K12, GA 47-52) und vom 27.05.2014 (Anl. K15, GA 62-66) selbst nachträglich nicht bekannt, dass die Abfindungserklärung die nach Abschluss des Vergleichs entstehenden Ansprüche auf Erstattung von Heilbehandlungskosten erfasste. Denn aus den Schreiben des damaligen Klägervertreters, des Zeugen S, ergibt sich, dass dieser erkennbar davon ausging, dass Ansprüche der Beklagten als privater Krankenversicherung von der Abfindungserklärung nicht erfasst waren.

Der damalige Klägervertreter war insoweit, wie aus seien Schreiben ersichtlich, bei Abschluss des Vergleichs irrtümlich davon ausgegangen, dass die aufgrund des Unfalls bestehenden Ansprüche auf Ersatz von Heilbehandlungskosten – vergleichbar entsprechenden Ansprüchen bei einer gesetzlichen Krankenversicherung gem. § 116 SGB X – bereits vor Abschluss des Vergleichs kraft Gesetzes auf die Beklagte übergegangen waren. So heißt es z. B. im Schreiben des Zeugen S vom 06.02.2013:

„Mit der vorgenannten Vereinbarung, die ohnehin auch üblicherweise immer bei Abfindungserklärungen mit Haftpflichtversicherern einbezogen sind, wurde eindeutig sichergestellt, dass u.a. Leistungen von privaten Krankenversicherern, die im Zusammenhang mit dem Unfall erbracht worden sind oder erbracht werden, aufgrund des ohnehin erfolgten gesetzlichen Forderungs- bzw. Anspruchsübergangs nach § 67 VVG auf die Krankenversicherung uneingeschränkt fortbestehen“.

Weiter heißt es in dem Schreiben des damaligen Klägervertreters vom 15.08.2013:

„Demgemäß erfolgte der gesetzliche Forderungsübergang gem. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG bereits vor dem Abschluss des Abfindungsvergleichs aufgrund der vorher erbrachten Krankenversicherungsleistungen.“

Der Kläger selbst, der sich auf den Rat des ihn vertretenen Anwaltes verließ, kannte und wollte die Aufgabe eventuell noch möglicher Ansprüche auf Ersatz von Heilbehandlungskosten aufgrund des Unfalls daher schon deshalb nicht, weil er – anwaltlich beraten – davon ausging, dass diese Ansprüche bereits auf die Beklagten übergegangen waren und daher gerade nicht von der Abfindungsregelung erfasst werden sollten.

Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei Abschluss des Vergleichs einen Verzicht auf noch entstehende Heilbehandlungskosten gewollt oder in Kenntnis der Möglichkeit des vollständigen Anspruchsuntergangs auch nur billigend in Kauf genommen haben könnte. Vielmehr trägt der Kläger – von der Beklagten nicht bestritten und erst Recht nicht widerlegt – vor, dass zwischen ihm und dem Zeugen S völlige Übereinstimmung darin bestand, dass auf die Heilbehandlungskosten nicht verzichtet werden sollte.

Vor diesem Hintergrund unterlag der Kläger hinsichtlich des Umfangs der Abfindungsvereinbarung einem – sogar im Rahmen von § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB beachtlichen – Rechtsfolgenirrtum, da die geschlossene Abfindungsvereinbarung wesentlich andere als die vom Kläger beabsichtigten Wirkungen erzeugte. Der Kläger verkannte nicht nur zusätzlich und mittelbar – etwa ex lege, kraft Richterrechts oder aufgrund ergänzender Vertragsauslegung – eintretende Rechtswirkungen der Vereinbarung, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutraten (vgl. jeweils m. w. N. BGH, Urt. v. 05.06.2008, V ZB 150/07, juris, Rn. 19, BGHZ 177, 62; Senat, Urt. v. 13.06.1997, 20 U 74/96, juris, Rn. 29 f., VersR 1998, 1440), vielmehr wollte er gerade eine andere als die vereinbarte Rechtsfolge.

Der Kläger irrte vorliegend bereits über den tatsächlichen Umstand der Aufgabe der noch entstehenden und erst dann auf die Beklagte übergehenden Ansprüche und handelte damit schon nicht bedingt vorsätzlich bezüglich der Aufgabehandlung.

Da auch der damalige Klägervertreter allenfalls grob fahrlässig, aber jedenfalls nicht vorsätzlich gehandelt hat, kann im Ergebnis dahinstehen, ob dem Kläger – der die Vergleichsvereinbarung persönlich unterzeichnet hat – ein eventuelles Wissen seines damaligen Prozessbevollmächtigten als Wissensvertreter und Wissenserklärungsvertreter überhaupt zuzurechnen wäre.

c) Ebenso kann dahinstehen, ob die vom Kläger unterzeichnete Abfindungsklausel als AGB der den Nebenintervenienten vertretenden Haftpflichtversicherung anzusehen sind und als solche möglicherweise bei der maßgeblichen Bewertung aus der Sicht eines durchschnittlichen Haftpflichtgeschädigten ohne Vorkenntnisse zum gesetzlichen Anspruchsübergang wegen einer unangemessenen Benachteiligung privat Krankenversicherter als intransparent gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB anzusehen sind (vgl. zum Transparenzgebot allgemein: BGH, Urt. v. 13.01.2016, IV ZR 38/14, juris, Rn. 24 m. w. N., VersR 2016, 312; vgl. zur Unangemessenheit allgemein: BGH, Urt. v. 22.01.2014, IV ZR 344/12, juris, Rn. 20, RdTW 2014, 355; BGH, Urt. v. 25.07.2012, IV ZR 201/10, juris, Rn. 31, VersR 2012, 1149).

3. Der dem Grunde nach bestehende Anspruch aus § 1 VVG i. V. m. dem Versicherungsvertrag i. V. m. §. 3 VVG a. F. geregelte Aufgabeverbot teilweise – bezogen auf das Haftpflichtereignis – ausgeschlossen.

Dabei kann dahinstehen, dass es ohnehin zu § 67 Abs. 1 S. 3 VVG a. F. bereits streitig war, ob ein Verstoß gegen das Aufgabeverbot durch ein Unterlassen erfolgen kann (vgl. nur Baumann, in: Berliner-Kommentar, VVG, 1. Aufl. 1998, § 67 Rn. 122; Prölss, in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, § 67 Rn. 32; Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl. 2003, § 67 Rn. 49).

Entscheidend ist, dass das Unterlassen der Anfechtung keine „Aufgabe eines Anspruchs gegen den Dritten“ im Sinne des § 67 Abs. 1 S. 3 VVG a. F. darstellt, da der Kläger den Anspruch bereits durch die Abfindungsvereinbarung selbst aufgegeben hatte. Zudem ist ein mögliches Recht zur Anfechtung wegen eines Inhaltsirrtums im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB kein „zur Sicherung des Anspruchs dienendes Recht“ im Sinne des § 67 Abs. 1 S. 3 VVG a. F. Ein Anfechtungsrecht stellt kein Sicherungsmittel, sondern ein Gestaltungsmittel zur Wiederherstellung des status quo ante dar.

4. Die zulässige Widerklage ist unbegründet. Die Leistungen der Beklagten an den Kläger erfolgten mangels vorsätzlichen Verstoßes gegen das Aufgabeverbot nicht ohne Rechtsgrund, so dass ein Bereicherungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 818 Abs. 2 BGB ausscheidet. Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen (Zinsen und Rechtsanwaltskosten).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1, § 101 Abs. 1 Hs. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 S. 1, § 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO, da die Revision nicht zuzulassen ist und die Nichtzulassungsbeschwerde angesichts der maximalen Beschwer von unter 20.000,00 EUR nicht zulässig ist (vgl. BGH, Beschl. v. 09.11.2011, IV ZR 37/11, juris, Rn. 3 f., VersR 2012, 336).

IV.

Eine Zulassung der Revision ist in Ermangelung der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht veranlasst. Die Rechtssache weist – in ihrem entscheidungserheblichen Teil – weder grundsätzliche Bedeutung auf noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

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