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Richterablehnung wegen Befangenheit nach drei bis vier Tagen

OLG Brandenburg – Az.: 1 W 3/22 – Beschluss vom 10.02.2022

Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. Januar 2022 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Der Wert der Beschwerde wird auf 5.721,60 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Jagdpachtvertrag. Die Klägerin verpachtete dem Beklagten am 1. April 2010 das Jagdausübungsrecht für einen Jagdbezirk, dessen Fläche im Vertrag mit etwa 745 ha angegeben wurde. Der Beklagte behauptet unter anderem, die tatsächliche Größe des verpachteten Jagdbezirks sei kleiner als im Vertrag genannt.

Aufgrund der mündlichen Verhandlung am 23. September 2020 ordnete die Einzelrichterin des Landgerichts Frankfurt (Oder) am 18. November 2020 die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Größe der bejagbaren Fläche an. Zuständige Richterin war zu diesem Zeitpunkt die dem Landgericht zugewiesene Richterin (###). Am 11. August 2021 schrieb die seinerzeit noch zuständige Richterin (###) die untere Jagdbehörde an und ersuchte diese um Amtshilfe. Sie übersandte eine Karte und fragte an, ob der auf der Karte eingezeichnete Grenzverlauf den streitgegenständlichen Jagdbezirk umfasse.

Unter dem 7. Oktober 2021 erstattete der Sachverständige sein Gutachten. Mit Beschluss vom 22. Oktober 2021 gab das Gericht den Parteien Gelegenheit zu dem Sachverständigengutachten Stellung zu nehmen. Zuständige Richterin war zu diesem Zeitpunkt die dem Landgericht zugewiesene Richterin (###). Die zuvor zuständige Richterin (###) ist seit dem 1. September 2021 am Amtsgericht ### tätig.

Mit Schriftsatz vom 17. November 2021 lehnte der Beklagte die „verfahrensleitende“ Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung führt er aus, das Gericht habe mit der Nachfrage vom 11. August 2021 bei der unteren Jagdbehörde seine Befugnisse überschritten und seine Unabhängigkeit verletzt, da es – bei Geltung des Beibringungsgrundsatzes – von Amts wegen Ermittlungen angestellt habe. Ohne diese Anfrage wäre es der Klägerin nicht möglich gewesen, den für eine Begutachtung erforderlichen Sachverhalt schlüssig darzulegen.

Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch – nachdem es den Beklagten vorab darauf hingewiesen hatte, dass zwischenzeitlich ein Dezernatswechsel stattgefunden hat – durch Beschluss vom 7. Januar 2022 als unzulässig zurückgewiesen. Es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis mehr, nachdem die abgelehnte Richterin an ein anderes Gericht abgeordnet wurde. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten, der das Landgericht nicht abgeholfen und die sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat.

II.

Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 46 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässig, nachdem sie insbesondere innerhalb der in § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO bestimmten Frist eingelegt worden ist.

In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat das Ablehnungsgesuch des Beklagten zu Recht als unzulässig zurückgewiesen und der dagegen gerichteten Beschwerde die Abhilfe verweigert. Für ein Befangenheitsgesuch gegen die noch am 11. August 2021 für die vorliegende Sache am Landgericht Frankfurt (Oder) zuständige Richterin besteht kein Rechtsschutzbedürfnis (mehr), nachdem diese ab dem 1. September 2021 an das Amtsgericht ### abgeordnet wurde.

Das Recht einer Partei, gemäß § 42 Abs.1 ZPO eine Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist darauf gerichtet, die weitere Mitwirkung einer befangenen Richterin zu verhindern. Daher besteht für die Ablehnung einer Richterin grundsätzlich kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn diese mit der Sache nicht, nicht mehr oder nicht wieder befasst werden kann (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2003 – IX ZR 137/00,WM 2003, 847 f.; Beschluss vom 4. Mai 2011 – AnwZ (B) 12/10). Das Rechtsschutzbedürfnis für ein Ablehnungsgesuch besteht insbesondere dann nicht, wenn es sich – wie hier – gegen eine Richterin richtet, der weitere Mitwirkung nicht mehr in Betracht kommt, weil sie aus dem Spruchkörper ausgeschieden ist (BGH NJW-RR, 2016, 127; BFH, NJW-RR 1996, 57 f.; Zöller 34. Auf. 2022, § 44 Rn. 1; Musielak/Heinrich, ZPO, 7. Aufl., § 44 Rn. 5; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 42 Rn. 14, § 44 Rn. 9). Nach einhelliger Auffassung entfällt es daher, wenn die als befangen abgelehnte Richterin an ein anderes Gericht abgeordnet oder auch nur der Geschäftsverteilung nach nicht mehr für die Sache zuständig ist und infolgedessen ein anderer Richter mit der Sache befasst wird (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2011 – II ZB 2/10,NJW 2011, 1358Rn. 10; BayObLGR 2002, 101; OLG Karlsruhe, FamRZ 2005, 1260; FamRZ 2007, 55; OLG Celle, OLGR 2008, 216; Zöller a.a.O.; Prütting/Mannebeck, ZPO, 7. Aufl., § 46 Rn. 3). Eine Ausnahme käme nur dann in Betracht, wenn es tragfähige Anhaltspunkte dafür gäbe, dass nach einem absehbaren Ende der Abordnung die ursprüngliche Geschäftsverteilung wiederhergestellt und die als befangen abgelehnte Richterin erneut gerade für die betreffende Sache zuständig werden wird. Solche Anhaltspunkte zeigt die sofortige Beschwerde nicht auf; sie sind bezüglich der abgelehnten Richterin im vorliegenden Fall auch nicht ersichtlich.

Der Befangenheitsantrag vom 17. November 2021, der sich auf die richterliche Verfügung vom 11. August 2021 bezieht, ist zudem gemäß § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO unzulässig. Nach dieser Vorschrift ist das Ablehnungsgesuch unverzüglich anzubringen. Die Vorschrift ergänzt die Zeitschranke des § 43 ZPO. Unverzüglich heißt im Anschluss an § 121 BGB ohne prozessordnungswidrige Verzögerung nach Kenntniserlangung (OLG Hamburg NJW-RR 2020, 698; OLG Brandenburg 1. Familiensenat, MDR 2020, 1274; Zöller a.a.O. § 44 Rn. 11a). Im vorliegenden Fall wurde die Anfrage des Gerichts an die Jagdbehörde den Parteien mit gleicher Verfügung vom 11. August 2021 bekannt gemacht. In Ansehung der mit dieser Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. Bt.-Drs. 19/13828, S. 17) bezweckten Vermeidung von Verfahrensverschleppungen ist an die Auslegung des Begriffes „unverzüglich“ ein strenger Maßstab anzulegen. Unter Einbeziehung eines subjektives Momentes bei den Verfahrensbeteiligten ist das Ablehnungsgesuch nicht mehr unverzüglich, nämlich nicht mehr „ohne schuldhafte Verzögerung“, wenn der Beteiligte nach Ablauf einer ihm zuzubilligenden Überlegungsfrist mit dem Gesuch zuwartet, obwohl bei verspäteter Antragstellung eine unnötige Verfahrensverzögerung für ihn erkennbar und vermeidbar war. Die Dauer der zuzubilligenden Überlegungsfrist hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und kann sich bei komplexeren Sachlagen im Einzelfall auf mehrere Tage erstrecken. In der Regel wird der Partei nach der Rechtsprechung jedoch eine Zeit von höchstens drei bis vier Tagen für die Überlegung zugebilligt, welche prozessualen Konsequenzen sie aus dem ihr bekannten Geschehen ziehen will. Ein Zuwarten von mehreren Monaten – wie hier zwischen dem 11. August 2021 und dem 17. November 2021 – ist jedenfalls zu lang. Zumal der Beklagte bereits mit Schriftsatz vom 26.08.2021 seine Haltung zu dem Amtshilfeersuchen zum Ausdruck gebracht hat. Bei rechtzeitiger Anbringung wäre eine Ablehnungsprüfung vor der Vorlage des Gutachtens möglich gewesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO. Nach der einhelligen Ansicht in Rechtsprechung und Literatur entspricht der Wert des Beschwerdegegenstandes im Richterablehnungsverfahren, sofern sich die Ablehnung nicht allein auf einen bestimmten Teil des Klageanspruchs bezieht, dem Wert des Streitgegenstandes in der Hauptsache (BGH Beschluss vom 17. Januar 1968, NJW 1968, 796; BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 – I### ZB 60/06, MDR 2007, 669; Senat, NJW-RR 1999, 1291, 1292; OLG Bremen, Beschluss vom 20. April 2015 – 5 UF 96/14; OLG Bremen, Beschluss vom 3. Juni 2011 – 4 WF 156/10, MDR 2011, 1134; OLG Frankfurt, Beschluss vom 18. Mai 2017 – 6 W 51/16, JurBüro 2017, 364; OLG Frankfurt Beschluss vom 15. Juni 2016 – 4 W 22/16, NJW-RR 2017, 191; OLG Hamm, Beschluss vom 28. Juli 2015 – 32 W 9/15 -; OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Juni 2019 – 4 W 136/19; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Juni 2008 – 11 W 15/08 -, MDR 2008, 1060; OLG Naumburg, Beschluss vom 9. Juli 2021 – 8 WF 201/12; OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Juni 2019 – 5 W 19/19, MDR 2019, 1213; OLG Rostock, Beschluss vom 13. August 2018 – 3 W 160/16, FamRZ 2019, 313; Schneider Kurpat, Streitwertkommentar, 15. Auflage, 2022, Rn 2.43; Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 3, Rn. 16.6; Baumbach/Lauterbach, 69.Auflage, 2011, § 3 Anhang Rn.3). Diese Rechtsprechung ist auch verfassungsgemäß (Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. Dezember 2016 – 1 VB 46/15 -, NJW-RR 2017, 832).

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