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Selbstbestimmungsrecht über postmortale Angelegenheiten – postmortales Persönlichkeitsrecht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 4 N 17.1197 – Urteil vom 31.01.2018

I. Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten des Verfahrens vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Normenkontrollantrag richtet sich gegen eine Bestimmung in einer Friedhofssatzung über die bei Urnenbestattungen einzuhaltende Ruhefrist.

Nach der vom Stadtrat am 23. Juni 2016 beschlossenen und am 24. Juni 2016 bekannt gemachten „Satzung über die Benutzung der städtischen Friedhöfe Olching (Friedhofssatzung – FS)“ dienen die Friedhöfe der Antragsgegnerin u. a. der Bestattung aller Personen, die bei ihrem Tode im Stadtgebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatten (§ 6 Abs. 1 Satz 1 FS). Bestattung im Sinne der Satzung ist die Erdbestattung von Leichen oder Leichenteilen sowie die Beisetzung von Aschenurnen unter oder über der Erde (§ 11 Satz 1 FS). Urnen können in Grüften, Doppel- oder Einzelgräbern bestattet werden, sonst nur an den in den Friedhofsplänen vorgesehenen Stellen in Form von Erdurnengräbern, Waldurnengräbern und Urnennischen (§ 17 Abs. 11 Satz 1 FS). Bei Aufgabe einer Urnennische oder eines Erdurnengrabes nach Ablauf der Ruhezeit sind die darin eingestellten Urnen in eine anonymes Erdurnengrab umzubetten (§ 17 Abs. 11 Satz 3 FS); die Nutzungsberechtigten tragen die Kosten der Umbettung sowie des Austauschs der Plattenbeschriftung an der Urnennische bzw. der Umbettung und der Auflassung des Erdurnengrabes (§ 17 Abs. 11 Satz 4 FS). In einem der Friedhöfe der Antragsgegnerin können unter bestimmten Voraussetzungen anonyme Urnen- und Erdbeisetzungen zugelassen werden (§ 17 Abs. 13 bis 15 FS). Die Ruhefrist der Leichen beträgt zwölf Jahre bei Erdbestattungen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 FS) und zwei Jahre bei Urnenbestattungen (§ 18 Abs. 1 Satz 2 FS); auf Leichen und Aschen in Grüften finden diese Bestimmungen keine Anwendung (§ 18 Abs. 3 FS). Eine erneute Belegung ist erst nach Ablauf der Ruhefrist möglich (§ 18 Abs. 4 FS). Das aus dem Erwerb einer Grabstätte folgende Nutzungsrecht beginnt mit dem Tag der Beisetzung und endet nach zwölf Jahren (§ 19 Abs. 1 und 2 FS). Die Nutzungszeit kann auch mehrmals um ein Jahr oder mehrere Jahre verlängert werden (§ 20 Satz 1 FS), wobei der Verlängerungszeitraum zwölf Jahre nicht übersteigen soll (§ 20 Satz 2 FS). Nach Erlöschen des Nutzungsrechts und nach Ablauf der Ruhefrist verfügt die Antragsgegnerin über die Grabstätte (§ 20 Satz 4 FS).

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem am 23. Juni 2017 eingegangenen Normenkontrollantrag gegen die Festsetzung der Ruhefrist für Aschen auf zwei Jahre (§ 18 Abs. 1 Satz 2 FS). Sie sei als Gemeindebürgerin der Antragsgegnerin gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt; ihre künftige Betroffenheit sei angesichts des in der Satzung festgelegten Benutzungsrechts der Gemeindeangehörigen hinreichend plausibel dargetan. Die angegriffene Regelung verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen höherrangiges Recht. Nach Art. 10 Abs. 1 BestG bestimme der Friedhofsträger Ruhezeiten für Leichen und Aschenreste Verstorbener (Satz 1), wobei für Leichen die Ruhezeit nach Anhörung des Gesundheitsamts unter Berücksichtigung der Verwesungsdauer festzusetzen sei (Satz 2); für die Ruhezeiten von Aschen gebe es keine speziellen gesetzlichen Vorschriften. Allgemein dürfe aber nach Art. 5 Satz 1 BestG mit Leichen und Aschenresten Verstorbener nur so verfahren werden, dass die Würde des Verstorbenen und das sittliche Empfinden der Allgemeinheit nicht verletzt würden. Zwar seien in Bayern mit Inkrafttreten des Bestattungsgesetzes am 1. Januar 1971 das Gesetz über die Feuerbestattung vom 15. Mai 1934 (RGBl I S. 380) und die Verordnung zur Durchführung des Feuerbestattungsgesetzes vom 10. August 1938 (RGBl I S. 1000) außer Kraft getreten. Die immer noch anwendbaren Grundaussagen dieser – in vier Bundesländern als Landesrecht fortgeltenden – Vorschriften seien jedoch ergänzend heranzuziehen. In § 1 Halbs. 1 des Gesetzes vom 15. Mai 1934 sei die Feuerbestattung der Erdbestattung grundsätzlich gleichgestellt worden; § 10 Abs. 4 der Verordnung vom 10. August 1938 habe die Ruhefrist für Aschenreste auf 20 Jahre bestimmt, wenn am gleichen Ort für die Erdbestattung eine Ruhefrist von 20 Jahren oder mehr vorgesehen sei; in den übrigen Fällen sei die Frist mindestens auf den bei Erdbestattungen vorgesehenen Zeitraum zu bemessen. Die hiernach viel zu kurze Ruhezeit für Aschenreste auf den Friedhöfen der Antragsgegnerin verstoße auch gegen die in Art. 1 Abs. 1 GG begründete postmortale Menschenwürde. Ein Toter habe nach der Verfassung einen Anspruch auf würdige Totenruhe; nach dem „Mephisto“-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bestehe insoweit nach Art. 1 Abs. 1 GG eine staatliche Schutzpflicht. Bei der Ruhezeit im Bestattungsrecht gehe es demnach nicht um den Verwesungsprozess, sondern um den Schutz der Würde nach dem Tod. Die Aschenreste hätten den gleichen Anspruch auf pietätvolle Behandlung und Wahrung der Totenruhe wie erdbestattete Leichen. In der Literatur werde sogar die Meinung vertreten, dass die Ruhezeit für Aschenreste grundsätzlich auf den gleichen Zeitraum zu bemessen sei wie bei Erdbestattungen am gleichen Ort. Es dürfe nur eine einheitliche Mindestruhezeit geben, die nur für Leichen wegen der durch die örtlichen Gegebenheiten bedingten unterschiedlichen Verwesungsdauer nach oben abweichen dürfe. Die Festlegung einer Ruhezeit von zwei Jahren verstoße auch gegen § 168 Abs. 1 StGB. Der Bundesgerichtshof habe in einer Entscheidung vom 30. Juni 2015 verdeutlicht, dass auch in Bezug auf Aschenreste eine Störung der Totenruhe erfolgen könne und dass zur „Asche“ im Sinne des § 168 Abs. 1 StGB sämtliche nach der Einäscherung verbleibenden Rückstände gehörten. Er sei bei der Auslegung des Aschebegriffs auf den Willen des historischen Gesetzgebers eingegangen und habe in diesem Zusammenhang die postmortale Menschenwürde der Aschenreste definiert; Schutzgüter des § 168 Abs. 1 StGB seien das Pietätsgefühl der Allgemeinheit und der postmortale Persönlichkeitsschutz des Toten. Bisher unberücksichtigt geblieben sei in Rechtsprechung und Literatur die kulturhistorische und kulturwissenschaftliche Bedeutung des Umgangs mit der Totenasche und der Festsetzung einer angemessenen Ruhezeit. Nach einer Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz komme es insoweit auf die inländischen Verhältnisse an; insoweit gebe es für einen erheblichen Anschauungswandel keine ausreichenden Anhaltspunkte. Der Begründung des würdevollen Umgangs mit Aschenresten – und damit auch einer angemessenen Ruhezeit – gerade aus der kulturhistorischen Betrachtung entspringe die Vorschrift des § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz) vom 1. Juli 1965, in der ein dauerndes Ruherecht festgelegt sei. Auch aus der Verantwortung für die Vergangenheit ergebe sich der Grundgedanke der postmortalen Menschenwürde des Art. 1 GG. Die von der Antragsgegnerin festgesetzte Ruhezeit stehe im Gegensatz zu den Regelungen in den anderen Bundesländern, bei denen eine Mindestruhezeit für Aschenreste von 15 Jahren oder mehr ausdrücklich festgesetzt oder insoweit eine Gleichstellung von Leichen und Aschenresten vorgesehen sei. Die für die Friedhöfe der Antragsgegnerin festgelegte Ruhezeit für Aschenreste habe ursprünglich sogar nur ein Jahr betragen; diese Frist sei laut Auskunft der Antragsgegnerin zwar von der Rechtsaufsicht nicht beanstandet worden, jedoch aufgrund von Bedenken des örtlichen Bestattungsdienstleisters wegen der Pietät gegenüber den Verstorbenen auf zwei Jahre verlängert worden.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, § 18 Abs. 1 Satz 2 der Satzung über die Benutzung der städtischen Friedhöfe Olching (Friedhofssatzung – FS) vom 24. Juni 2016 für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Normenkontrollantrag abzulehnen.

Das Bestattungsgesetz sehe keine einheitliche Mindestruhezeit für Leichen und Aschenreste Verstorbener vor. Die Ruhezeiten für Aschen seien in Art. 10 BestG nicht explizit geregelt und könnten daher frei und unabhängig von einer bestimmten Verwesungszeit oder der Zustimmung des Gesundheitsamtes festgesetzt werden. Das Gesetz über die Feuerbestattung vom 15. Mai 1934 und die zugehörige Verordnung vom 10. August 1938 seien mit Inkrafttreten des Bestattungsgesetzes außer Kraft getreten und daher jedenfalls in Bayern nicht anwendbar. Auch eine ergänzende Heranziehung sei nicht notwendig. Es bestehe keine widersprüchliche oder lückenhafte Regelung, da der bayerische Gesetzgeber die Gleichstellung der Erd- und der Feuerbestattung hinsichtlich der Ruhezeiten in Art. 10 BestG gezielt nicht übernommen habe. Grund dafür sei die unterschiedliche Beschaffenheit der Friedhofsböden und die damit zusammenhängenden Verwesungszeiten von Leichen und Aschenresten. Da Leichen und Aschenreste unterschiedlich schnell verwesten, seien auch unterschiedliche Ruhezeiten gerechtfertigt. Durch das Verbrennen des Leichnams und die Aufbewahrung der Asche in einer Urne sei ein Verwesungsprozess nicht oder nur verkürzt notwendig, so dass gemäß Art. 5 BestG keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere die Gesundheit, zu befürchten seien. Durch die Festlegung der Ruhezeit auf zwei Jahre bei einer Urnenbestattung werde weder die Würde des Verstorbenen noch das sittliche Empfinden der Allgemeinheit verletzt. Angehörige des Verstorbenen könnten das Grab aufgrund eines erworbenen Nutzungsrechts auch über einen längeren Zeitraum als zwei Jahre erhalten und bei mehrfachen Verlängerungen beliebig ausdehnen. Es obliege dem Nutzungsberechtigten und den Angehörigen, durch Aufgabe oder Verlängerung des Nutzungsrechts die Grabstelle über die Ruhezeit hinaus zu erhalten. Auch nach Auflösung der Grabstelle werde mit der Urne würde- und pietätvoll umgegangen; die Urne oder der Inhalt der Urne werde gemäß der Friedhofsatzung in einem anderen – anonymen – Urnengrab dauerhaft aufbewahrt. Die Ruhezeit von zwei Jahren verstoße auch nicht gegen die aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende postmortale Menschenwürde bzw. das postmortale Persönlichkeitsrecht. Unterschiedliche Ruhezeiten für Feuer- und Erdbestattungen seien zulässig; sie hätten ihren Grund darin, dass die Ruhezeit nicht vor endgültiger Verwesung enden dürfe. In der Rechtsprechung anerkannt sei ein über das Leben hinauswirkender Würdeschutz, der allerdings mit Zeitablauf allmählich an Intensität verliere. Der Bundesgerichtshof und auch das Bundesverfassungsgericht gingen davon aus, dass das Schutzbedürfnis in dem Maße schwinde, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasse, und dass im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnehme. Danach werde hier der postmortale Persönlichkeitsschutz nicht verletzt, da zum einen für die Angehörigen die Möglichkeit des Erwerbs eines Nutzungsrechts an der Grabstelle für eine Dauer von zwölf Jahren oder länger bestehe und zum anderen auch nach Ablauf der Ruhezeit ein menschenwürdiger Umgang mit der Urne durch deren dauerhafte Aufbewahrung in einem anonymen Urnengrab gesichert sei. Letzteres widerspreche nicht dem postmortalen Menschenwürdeschutz, da anonyme Urnenbestattungen zulässigerweise auch ohne vorherige Bestattung in einem Reihen- oder Wahlgrab vorgenommen werden könnten. Mit der Festlegung der Ruhezeit auf zwei Jahre werde auch nicht gegen § 168 Abs. 1 StGB verstoßen. Aus dem Umstand, dass Aschenreste ein taugliches Tatobjekt im Sinne der Vorschrift seien, folge noch nicht, dass hinsichtlich der Ruhezeiten eine Gleichstellung von Leichen und Aschen erfolgen müsse. Zudem fehle es an einer Tathandlung, da auch nach Ablauf der Ruhezeit keine unbefugte Wegnahme erfolge. Auch ein Verstoß gegen § 168 Abs. 2 StGB liege nicht vor, wenn wie hier eine Satzung den Eingriff gestatte. Durch die Umbettung in ein anonymes Urnengrab solle der Verstorbene gerade vor einem pietätlosen Verhalten anderer Personen geschützt werden, so dass die Asche auch nicht Gegenstand beschimpfenden Unfugs werde.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Der Antrag, § 18 Abs. 1 Satz 2 der Satzung über die Benutzung der städtischen Friedhöfe Olching (Friedhofssatzung – FS) vom 24. Juni 2016 für unwirksam zu erklären, ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

1. Gegen die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags bestehen keine durchgreifenden Bedenken.

a) Bei der auf Art. 23 Satz 1 und Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GO gestützten Friedhofssatzung der Antragsgegnerin handelt es sich im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. Art. 5 Satz 1 AGVwGO um eine im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift. Der am 23. Juni 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangene Antrag hält auch die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ein.

b) Die Antragstellerin ist für den Antrag auf Unwirksamerklärung des § 18 Abs. 1 Satz 2 FS antragsbefugt, da sie geltend machen kann, durch die Anwendung der Vorschrift zwar nicht schon gegenwärtig, aber möglicherweise in absehbarer Zeit in eigenen Rechten verletzt zu werden (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Sie ist im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin wohnhaft und gehört damit zu denjenigen Personen, die sich auf einem der von der Satzung erfassten Friedhöfe bestatten lassen können (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GO; § 6 Abs. 1 FS). In der mündlichen Verhandlung hat sie auf Befragen des Gerichts erklärt, dass sie jedenfalls nicht ausschließen könne, von der angegriffenen Regelung künftig selbst betroffen zu sein. Die Antragstellerin hält es demnach für möglich, nach ihrem Tod – aufgrund eines zuvor geäußerten letzten Willens oder auf Veranlassung ihrer totenfürsorgeberechtigten Angehörigen – feuerbestattet und in einem Urnengrab oder einer Urnennische beigesetzt zu werden. Dieser zwar nicht sicher feststehende, aber nach allgemeiner Lebenserfahrung auch nicht völlig fernliegende künftige Geschehensablauf genügt hier zur Darlegung der eigenen rechtlichen Betroffenheit, da sich der Kreis der potentiellen Normadressaten angesichts der Ungewissheit über die zum jeweiligen Todeszeitpunkt bestehenden Wünsche und Vorstellungen hinsichtlich der Form der Bestattung nicht genauer eingrenzen lässt.

Die Antragstellerin hat auch ein ihr zustehendes Recht geltend gemacht, das durch die angegriffene Vorschrift möglicherweise verletzt wird. Es bedarf insoweit keiner Entscheidung, ob sich bereits aus der in Art. 5 Satz 1 BestG normierten gesetzlichen Verpflichtung der Friedhofsträger, mit Aschenresten Verstorbener so zu verfahren, dass deren Würde nicht verletzt wird, subjektive Rechte Einzelner ergeben können. Die Antragstellerin kann sich jedenfalls auf den ihr auch nach dem Tod zustehenden Achtungsanspruch berufen, der in der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) wurzelt. Dieses sog. postmortale Persönlichkeitsrecht, das nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht identisch ist mit den Schutzwirkungen des aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts (BVerfG, B.v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94 – NJW 2001, 2957/2959; krit. u. a. Dreier in ders., GG, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Rn. 76 f.), bewahrt den Verstorbenen insbesondere davor, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden; es schützt außerdem den durch die eigene Lebensleistung erworbenen sittlichen, personalen und sozialen Geltungswert (BVerfG, a.a.O; B.v. 9.5.2016 – 1 BvR 2202/13 – NVwZ 2016, 1804 Rn. 56 m.w.N.; BayVerfGH, E.v. 25.9.2012 – Vf. 17-VI-11 – NVwZ-RR 2013, 1; BGH, B.v. 29.10.2014 – XII ZB 20/14 – NJW 2014, 3786 Rn. 31; BVerwG, U.v. 29.6.2017 – 7 C 24.15 – NVwZ 2017, 1862 Rn. 53). Ob und inwieweit die daraus sich ergebenden Individualrechtspositionen in der Zeit nach dem Tod von den nächsten Angehörigen des Verstorbenen gleichsam treuhänderisch wahrgenommen werden können (so BGH, U.v. 4.6.1974 – VI ZR 68/73 – NJW 1974, 1371; BayVerfGH, a.a.O.; Stern, StaatsR III/1, 1988, 1053; ders., StaatsR III/2, 1994, 1308; krit. Enders in Stern/Enders, Grundrechte-Kommentar, 2. Aufl. 2016, Art. 1 Rn. 91), kann hier offenbleiben. Jedenfalls dem Betroffenen muss es zu Lebzeiten möglich sein, sich gegen bereits absehbare Verletzungen seines Persönlichkeitsrechts vorbeugend zur Wehr zu setzen, auch wenn der Verletzungserfolg erst nach seinem Ableben eintritt (vgl. BVerfG, B.v. 28.2.1979 – 1 BvR 317/74 – BVerfGE 50, 256/262; Klinge, Todesbegriff, Totenschutz und Verfassung, 1996, 226). In solchen Fällen kann das aus der Menschenwürde folgende postmortale Persönlichkeitsrecht also bereits „prämortal“, d. h. vor dem Tod des Rechtsinhabers, von diesem geltend gemacht werden.

Dass die Antragstellerin im Falle einer künftigen Urnenbestattung durch die Anwendung der angegriffenen Satzungsbestimmung in ihrem nach dem Tod fortwirkenden personalen Achtungsanspruch verletzt werden könnte, erscheint nach ihrem Sachvortrag möglich. Zwar wird die in § 18 Abs. 1 Satz 2 FS normierte zweijährige Ruhefrist für Urnen in Grabstätten häufig überlagert durch die Vorschrift des § 19 Abs. 2 FS, wonach die Nutzungszeit bei Gräbern mit dem Tag der Beisetzung beginnt und nach zwölf Jahren endet. Hiernach kann bei erstmaliger Belegung einer Grabstätte die von der Antragstellerin als Verstoß gegen das postmortale Persönlichkeitsrecht angesehene Möglichkeit, eine Urne schon nach Ablauf der zweijährigen Ruhefrist aus der Grabstelle zu entfernen, nicht zum Tragen kommen. Die Friedhofssatzung der Antragsgegnerin erlaubt jedoch auch die Bestattung in einem bereits seit längerem bestehenden Familiengrab (§ 17 Abs. 5 FS). Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, so kann sich für die nachträglich aufgenommene Urne eine deutlich kürzere Belegungsdauer als zwölf Jahre ergeben, wenn zu dem betreffenden Zeitpunkt die Nutzungszeit für die Grabstätte bereits weitgehend abgelaufen ist und die nutzungsberechtigten Angehörigen von der Verlängerungsoption des § 20 FS keinen Gebrauch machen. Falls diese zusätzlichen Voraussetzungen bei einer künftigen Urnenbestattung der Antragstellerin vorliegen, kann es somit auch bei ihr schon nach einer Ruhezeit von zwei (oder wenig mehr) Jahren zu einer Umbettung der Urne aus der bisherigen Grabstätte in ein anonymes Erdurnengrab kommen (§ 17 Abs. 11 Satz 3 FS).

c) Für den Normenkontrollantrag fehlt es nicht am Rechtsschutzinteresse. Würde die angegriffene Vorschrift für unwirksam erklärt, hätte dies nicht eine – aus Sicht der Antragstellerin – noch ungünstigere Rechtslage zur Folge. Da die aktuelle Friedhofssatzung der Antragsgegnerin unter Aufhebung der früheren Satzung (§ 36 Satz 2 FS) insgesamt neu erlassen wurde, würde die vorhergehende Bestimmung über eine nur einjährige Ruhefrist für Urnen selbst dann nicht wiederaufleben, wenn die heutige Regelung als von Anfang an ungültig anzusehen wäre. Wenn der gegen § 18 Abs. 1 Satz 2 FS gerichtete Normenkontrollantrag aus den von der Antragstellerin vorgetragenen Gründen Erfolg hätte, könnte dies auch nicht dazu führen, dass für Urnenbestattungen auf Dauer gar keine Ruhefrist mehr vorgeschrieben wäre. Die Antragsgegnerin wäre dann vielmehr nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BestG verpflichtet, für die Aschenreste Verstorbener eine neue (längere) Ruhezeit zu bestimmen.

2. Der Normenkontrollantrag hat aber in der Sache keinen Erfolg, da die angegriffene Vorschrift des § 18 Abs. 1 Satz 2 FS nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Die Festlegung einer Ruhefrist von zwei Jahren bei Urnenbestattungen ist mit der Menschenwürde (a) ebenso vereinbar wie mit sonstigen Grundrechten und verfassungsrechtlichen Vorgaben (b). Einfachgesetzliche Bestimmungen des Bestattungsrechts und des Strafrechts stehen der Regelung ebenfalls nicht entgegen (c).

a) Die in § 18 Abs. 1 Satz 2 FS geregelte zweijährige Ruhezeit, nach deren Ablauf die Grabstätte neu belegt werden kann (§ 18 Abs. 4 FS), hat unter den oben genannten Voraussetzungen (Ablauf bzw. Nichtverlängerung der Nutzungszeit) zur Folge, dass die in Urnennischen oder Erdurnengräbern eingestellten Urnen mit den darin enthaltenen Aschenresten Verstorbener schon wenige Jahre nach der Bestattung – im Extremfall nach nur zwei Jahren – von der Friedhofsverwaltung in ein anonymes Erdurnengrab umgebettet werden (§ 17 Abs. 11 Satz 3 FS). Darin liegt weder unter dem Gesichtspunkt des postmortalen Persönlichkeitsschutzes (aa) noch im Hinblick auf die Wahrung der Totenruhe (bb) ein Verstoß gegen die Menschenwürde.

aa) Der aus der Würde des Menschen als elementarem Menschenrecht (Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 100 BV) folgende postmortale Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht, soll ihn über den Tod hinaus vor Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung oder Ächtung bewahren und davor schützen, in einer die Menschenwürde verletzenden Weise ausgegrenzt, verächtlich gemacht, verspottet oder in anderer Weise herabgewürdigt zu werden (BVerfG, B.v. 9.5.2016, a.a.O., Rn. 56 m.w.N.; BayVerfGH, E.v. 4.7.1996 – Vf. 16-VII-94 – VerfGH 49, 79/92 = NVwZ 1997, 481). Dieser unantastbare Persönlichkeitsschutz ist durch die Begrenzung der Ruhefrist auf zwei Jahre und die damit eröffnete Möglichkeit der Umbettung in ein anonymes Erdurnengrab nicht tangiert. In der Herausnahme einer Urne aus einer – von den Angehörigen nicht weitergeführten – individuellen Grabstelle bzw. Urnennische zum Zweck der Einbringung in ein vom Friedhofsträger bereitgehaltenes Sammelgrab liegt, wenn dies in der nach Art. 5 Satz 2 BestG gebotenen pietätvollen Weise geschieht, kein entwürdigender Umgang mit den Aschenresten des Verstorbenen. Die nach Ablauf der Ruhe- und Nutzungszeit erfolgende Umbettung stellt vielmehr eine notwendige Voraussetzung für den dauerhaften Verbleib der Urne in der öffentlichen Bestattungseinrichtung dar und sichert damit eine würdevolle Aufbewahrung der sterblichen Überreste für die Zeit nach Beendigung der privaten Grabpflege (vgl. Barthel, WiVerw 2017, 28/33).

An dieser rechtlichen Bewertung ändert sich auch dann nichts, wenn der Vorgang der Umbettung bereits zwei Jahre nach der Urnenbestattung stattfindet. Zwar gibt es danach für jene Verstorbenen, deren Urnen in bereits bestehenden, wenig später aufgegebenen Grabstätten beigesetzt wurden, schon nach kurzer Zeit keinen mit ihrem Namen versehenen, eindeutig lokalisierbaren Begräbnis- und Erinnerungsort mehr. Dies kann aber weder als Ausdruck einer Missachtung der Person verstanden werden, noch wird damit der fortbestehende Anspruch des Verstorbenen auf ein würdevolles Gedenken in Abrede gestellt. Anderenfalls dürfte es angesichts der Unverzichtbarkeit der Menschenwürde auch keine freiwilligen anonymen Bestattungen etwa in Form von Seebestattungen (Art. 12 Abs. 1 Satz 3 BestG) oder Bestattungen auf Grabfeldern geben.

bb) Einer Begrenzung der Ruhefrist für Urnen auf zwei Jahre steht auch die – im Kern ebenfalls über Art. 1 Abs. 1 GG bzw. Art. 100 BV geschützte (BVerfG, B.v. 9.5.2016, a.a.O., Rn. 60; BVerwG, U.v. 26.6.1974 – VII C 36.72 – BVerwGE 45, 224/230) – Totenruhe nicht entgegen.

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Das Gebot der Totenruhe besagt, dass in den Leichnam oder in die Asche von Verstorbenen nicht unnötig eingegriffen werden darf und dass die sterblichen Überreste möglichst für einen längeren Zeitraum am Ort der Bestattung verbleiben sollen. Diesem Schutzzweck dienen neben der strafrechtlichen Verbotsnorm des § 168 StGB auch die bestattungsrechtlichen Vorschriften über (Mindest-)Ruhezeiten für Leichen und Urnen, die bei Erd- wie bei Feuerbestattungen eine angemessene Totenehrung ermöglichen und darüber hinaus bei Erdbestattungen eine ausreichende Verwesung gewährleisten sollen (NdsOVG, B.v. 6.7.2012 – 8 LA 111/11 – juris Rn. 9; Gaedke, Hdb. d. Friedhofs- und Bestattungsrechts, 11. Aufl. 2016, 254, 256 f.; vgl. auch Spranger, NVwZ 1999, 856/857). Die Totenruhe begründet allerdings ungeachtet ihres Menschenwürdebezugs kein absolutes, unabänderliches Verbot jeglicher Störung; sie muss sowohl mit dem Willen des Verstorbenen in Einklang gebracht (vgl. BVerfG, B.v. 9.5.2016, a.a.O., Rn. 60; Spranger in ders./Pasic/Kriebel, Hdb. des Feuerbestattungswesens, 2014, 243) als auch mit eventuell gegenläufigen Rechtsgütern oder rechtlich schützenswerten Belangen abgewogen werden und kann daher im Einzelfall auch hinter diesen zurücktreten (vgl. zur Sektion BVerfG, B.v. 18.1.1994 – 2 BvR 1912/93 – NJW 1994, 783; zur Umbettung BayVGH, B.v. 27.7.2005 – 4 ZB 04.2986 – juris Rn. 8; OVG NW, U.v. 29.4.2008 – 19 A 2896/07 – juris Rn. 21 ff.; NdsOVG, a.a.O., Rn. 10; zur Plastination BayVGH, B.v. 21.2.2003 – 4 CS 03.462 – NJW 2003, 1618).

Hieran gemessen kann die nach nur zweijähriger Ruhezeit mögliche Verlegung von Urnen aus einem Erdurnengrab oder einer Urnennische in ein anonymes Gräberfeld auf einem öffentlichen Friedhof nicht als eine Verletzung der verfassungsrechtlich geforderten Totenruhe angesehen werden. Bei einer Feuerbestattung findet nach der Beisetzung kein natürlicher Verwesungsprozess mehr statt, der durch eine Umbettung gestört werden könnte. Da sich die Asche des Verstorbenen in einer fest verschlossenen, mit den Angaben zur Person versehenen Urne (§ 27 BestV) befindet, wird bei der Umsetzung des Totengefäßes in eine andere Grabstelle nicht unmittelbar physisch in die sterblichen Überreste eingegriffen. Die Überführung einer Urne aus einem Erdurnengrab oder einer Urnennische in ein Sammelgrab stellt daher schon äußerlich eine deutlich geringere Beeinträchtigung der Totenruhe dar als die Exhumierung und Umbettung der noch nicht (vollständig) verwesten Teile eines erdbestatteten Leichnams.

Dass die Antragsgegnerin in Anbetracht dieser Unterschiede für Urnenbestattungen eine erheblich kürzere Ruhezeit bestimmt hat als für Erdbestattungen, lässt sich mit der Überlegung rechtfertigen, dass diese Mindestfrist nur dann Auswirkungen hat, wenn es keine totenfürsorgeberechtigten Angehörigen gibt oder diese nicht mehr an der Grabstelle interessiert sind. Wird bei einem schon länger bestehenden Familiengrab, in das die Urne wenige Jahre vor Ablauf der Nutzungszeit eingebracht worden ist, auf die mögliche Verlängerung verzichtet, so besteht erkennbar kein Bedürfnis mehr für einen individuellen Ort der Totenehrung und der Trauerbewältigung. In dieser Lage kann weder von den bisherigen Inhabern eine weitere Aufrechterhaltung der Grabstelle verlangt werden, noch muss die Antragsgegnerin als Friedhofsträger von einer Neubelegung bis auf weiteres absehen. Die verschlossene Urne kann dann vielmehr – gleichsam vorzeitig – dorthin umgebettet werden, wo sie auch bei Ausschöpfung der vollen (mindestens zwölfjährigen) Grabnutzungszeit ihren endgültigen Standort auf dem Friedhof finden würde, nämlich in ein anonymes Erdurnengrab (§ 17 Abs. 11 Satz 3 FS). Auch wenn es sich dabei um ein gemeinsames Urnengrabfeld für alle Friedhöfe desselben Trägers handelt, wie es bei der Antragsgegnerin laut deren Auskunft in der mündlichen Verhandlung der Fall ist, verbleibt die umzubettende Urne doch stets im öffentlich-rechtlichen Gewahrsam und ist damit vor möglichen Störungen der Totenruhe geschützt.

b) Der angegriffenen Regelung stehen auch keine sonstigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen entgegen.

aa) Das aus der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 101 BV) abzuleitende Selbstbestimmungsrecht über postmortale Angelegenheiten (dazu Klinge, a.a.O., 203 ff. m.w.N.), umfasst zwar die Befugnis, für die eigene Person den Ort und die Art der Beisetzung zu bestimmen (vgl. BVerfG, U.v. 28.2.1979 – 1 BvR 317/74 – BVerfGE 50, 256/262; BVerwG, U.v. 26.6.1974 – VII C 36.72 – BVerwGE 45, 224/227; Gaedke, a.a.O., 181 m.w.N.). Es vermittelt aber keinen einklagbaren Anspruch auf Erlass einer bestimmten Satzungsregelung in Bezug auf die Mindestruhezeit. Selbst wenn eine vom Friedhofsträger festgelegte Ruhefrist wie hier einem (möglicherweise) künftig Betroffenen als zu kurz erscheint, wird er dadurch rechtlich nicht gehindert anzuordnen, was nach seinem Tod mit dem Leichnam geschehen soll.

Die Norm des § 18 Abs. 1 Satz 2 FS führt auch nicht zu faktischen bzw. mittelbaren Eingriffen in das Recht auf Selbstbestimmung über postmortale Angelegenheiten, da die Regelung sich nach ihrer Zielsetzung und ihren Wirkungen nicht als funktionales Äquivalent für einen unmittelbaren Eingriff darstellt (vgl. BVerfG, B.v. 26.2.2002 – 1 BvR 670/91 – BVerfGE 105, 279/303). Die Beschränkung der Ruhezeit auf lediglich zwei Jahre verfolgt ersichtlich keinen verhaltenssteuernden Zweck. Sie hat, wie oben dargelegt, auch nicht regelmäßig und typischerweise, sondern nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen zur Folge, dass bereits nach wenigen Jahren eine Umbettung in ein anonymes Erdurnengrab erfolgen kann. Wer sich zu Lebzeiten für eine Feuerbestattung auf einem der Friedhöfe der Antragsgegnerin entscheidet und dabei sicherstellen will, dass die Urne mit seinen sterblichen Überresten dort längere Zeit verbleibt, kann verfügen, in einem Einzelgrab bestattet zu werden; die Urne kann dann frühestens nach Ablauf der vorgeschriebenen Mindestnutzungszeit von zwölf Jahren (§ 19 Abs. 2 FS) aus der Grabstätte entfernt werden.

bb) Mit der unterschiedlichen Länge der Ruhezeiten für Leichen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 FS) und für Urnen (§ 18 Abs. 1 Satz 2 FS) wird nicht gegen das Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV) verstoßen. Im Grundsatz genießen zwar Aschenreste den gleichen Anspruch auf pietätvolle Behandlung und auf Wahrung der Totenruhe wie erdbestattete Leichen (vgl. Gaedke, a.a.O., 373; OVG RhPf, B.v. 4.2.2001 – 7 A 11390/09 – juris Rn. 7; so auch RG, U.v. 5.4.1937 – IV 18/37 – RGZ 154, 269/274; BGH, U.v. 30.6.2015 – 5 StR 71/15 – NJW 2015, 2901 Rn. 12 jeweils mit Blick auf die einfachgesetzliche Rechtslage). Dies zwingt jedoch bei der Bemessung der Mindestruhezeiten nicht zu einer schematischen Gleichbehandlung von Urnen- und Erdbestattungen, da nur für letztere das zusätzliche Erfordernis besteht, eine ausreichende Verwesung zu ermöglichen (Gaedke, a.a.O., 254; vgl. auch Art. 10 Abs. 1 Satz 2 BestG). In den Bestattungsgesetzen einiger Bundesländer sind daher verschieden lange Mindestruhezeiten für Leichen und Aschenreste ausdrücklich vorgesehen (§ 32 Abs. 1 BrbBestG; § 5 Abs. 1 Satz 1 BrFriedhG; § 31 Abs. 1 Satz 1 ThürBestG). Steht die entsprechende Regelungsbefugnis wie in Bayern dem jeweiligen Friedhofsträger zu, darf dieser ebenfalls zwischen den Bestattungsformen unterscheiden und für Urnenbestattungen eine kürzere Ruhezeit festlegen. In der gesetzlichen Ermächtigungsnorm des Art. 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 BestG ist die Möglichkeit einer Ungleichbehandlung bereits angelegt.

cc) Eine zwingende Verpflichtung zur Festlegung einer längeren Ruhezeit bei Urnenbestattungen folgt auch nicht aus dem in der Bayerischen Verfassung verankerten Kulturstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BV). Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat dieser Staatszielbestimmung, deren Verletzung in einem Verfahren bezüglich der Zulassung privater Feuerbestattungsanlagen gerügt worden war (Gröschner, Menschenwürde und Sepulkralkultur in der grundgesetzlichen Ordnung, 1995, 50 ff.), keinen eigenständigen Bedeutungsgehalt neben der Menschenwürde (Art. 100 BV) und dem Gebot einer schicklichen Beerdigung (Art. 149 Abs. 1 Satz 1 BV) beigemessen (BayVerfGH, E.v. 4.7.1996 – Vf. 16-VII-94 u.a. – VerfGH 49, 79/92).

Aufgrund der Schutzpflicht aus Art. 100 BV muss allerdings der Gesetzgeber über den individuellen postmortalen Persönlichkeitsschutz hinaus auch allgemein eine den jeweiligen Pietätsvorstellungen der Gesellschaft und der herrschenden Kultur angemessene Bestattung gewährleisten (BayVerfGH, a.a.O.), während die Gemeinden nach der speziellen Norm des Art. 149 Abs. 1 Satz 1 BV für einen angemessenen und würdigen Umgang mit den sterblichen Überresten zu sorgen haben (vgl. Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Bayerische Verfassung, 2. Aufl. 2017, Art. 149 Rn. 7 m.w.N.; Gaedke, a.a.O., 240 f.). Das in Art. 5 BestG formulierte Gebot, beim Umgang mit Leichen und Aschenresten das „sittliche Empfinden der Allgemeinheit“ nicht zu verletzen, lässt sich hiernach auf die genannten Bestimmungen der Bayerischen Verfassung zurückführen, wohingegen dem Grundgesetz keine verfassungsrechtliche Abstützung des allgemeinen Pietätsgefühls entnommen werden kann (so BVerfG; B.v. 9.5.2016, a.a.O., Rn. 62).

Dass die nach § 18 Abs. 1 Satz 2 FS unter bestimmten Voraussetzungen mögliche Umbettung von Urnen nach nur zwei Jahren aus einem nicht mehr weitergeführten Familiengrab in ein anonymes Erdurnenfeld mit den in der heutigen Gesellschaft vorherrschenden Pietätsvorstellungen oder mit dem allgemeinen Verständnis über einen würdigen Umgang mit der Asche Verstorbener unvereinbar wäre, vermag der Senat nicht festzustellen. Die aufgrund der Länderkompetenz für das Friedhofs- und Bestattungswesen schon von jeher bestehende Regelungsvielfalt in Bezug auf Urnenbestattungen hat sich durch eine Reihe neuerer Bestattungsformen (Friedwälder, Aschenverstreuung oder Urnenbeisetzung auf Privatgrundstücken) nochmals erhöht. Auch die subjektiven Vorstellungen darüber, was (noch) als pietätvoller Umgang mit der durch die Kremation entstandenen Asche anzusehen ist, entwickeln sich dadurch immer stärker auseinander. Angesichts der Tatsache, dass es einen Friedhofs- und Bestattungszwang für die Aschenreste Verstorbener europaweit fast nur noch in Deutschland gibt, wird die Notwendigkeit eines allgemein zugänglichen öffentlichen Orts der Totenruhe auch hierzulande zunehmend in Frage gestellt (vgl. nur Thimet/Hannemann-Heiter in Spranger/Pasic/Kriebel, a.a.O., 232). Ein aus gemeinsamen Grundwerten gespeister, weitgehend unangefochtener Konsens dahingehend, dass eine Urne nach der Bestattung auch dann, wenn zur Grabpflege bereite Angehörige nicht (mehr) vorhanden sind, noch bis zum Ende eines längeren Ruhezeitraums am ursprünglichen Begräbnisort verbleiben müsste, besteht danach erst recht nicht. Weder die aus der Verfassung abzuleitende Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die in der Gesellschaft bestehenden Pietätsvorstellungen noch das damit zusammenhängende Verbot einer Verletzung des sittlichen Empfindens der Allgemeinheit (Art. 5 BestG) stehen somit aus heutiger Sicht der angegriffenen Regelung entgegen.

c) Es sind auch sonst keine einfachgesetzlichen Normen ersichtlich, aufgrund derer eine längere Ruhefrist als zwei Jahre geboten sein könnte.

Die Vorschrift des § 1 Halbs. 1 des Gesetzes über die Feuerbestattung vom 15. Mai 1934 (RGBl I S. 380), wonach die Feuerbestattung der Erdbestattung grundsätzlich gleichgestellt war, und die dazu ergangene Ausführungsbestimmung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 der Verordnung zur Durchführung des Feuerbestattungsgesetzes vom 10. August 1938 (RGBl I S. 1000), wonach die Ruhefrist für Aschenreste mindestens auf den als Ruhefrist bei Erdbestattungen am gleichen Ort vorgesehenen Zeitraum zu bemessen war, sind in Bayern mit Inkrafttreten des Bestattungsgesetzes vom 24. September 1970 (GVBl S. 417) am 1. Januar 1971 außer Kraft getreten (Art. 21 BestG). Da der seither geltende Art. 10 Abs. 1 BestG zur Frage der Ruhefristen eine abschließende landesgesetzliche Regelung trifft, besteht entgegen der Auffassung der Antragstellerin kein Grund, die früheren (reichs-)gesetzlichen Bestimmungen ergänzend heranzuziehen.

Ein rechtliches Hindernis für die mit der angegriffenen Satzungsbestimmung ermöglichte frühzeitige Umbettung von Urnen folgt schließlich auch nicht aus den in § 168 StGB normierten strafrechtlichen Verboten, die Asche eines verstorbenen Menschen unbefugt wegzunehmen (Abs. 1) oder eine Beisetzungsstätte zu zerstören bzw. zu beschädigen (Abs. 2). Die Versetzung einer Urne in ein anderes Grab stellt, wenn sie in einer Satzung des Friedhofsträgers vorgesehen ist, weder ein unbefugtes Handeln dar, noch kann in der Herausnahme der Urne eine Zerstörung oder Beschädigung der – von den Nutzungsberechtigten bereits aufgegebenen – Grabstelle gesehen werden (vgl. Spranger in ders./Pasic/Griebel, a.a.O., 321).

II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache im Hinblick auf die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht abschließend geklärte Frage der Reichweite des postmortalen Würdeschutzes im Bestattungsrecht grundsätzliche Bedeutung hat.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).

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