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Anscheinsbeweis bei Auffahrunfall

Anrechnung der Betriebsgefahr bei ungeklärtem Unfallhergang

LG Hannover – Az.: 6 O 98/10 – Urteil vom 30.03.2011

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 3.116,13 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % -Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.02.2010 aus 2.668,63 Euro sowie seit dem 18.02.2010 aus 447,50 Euro zu zahlen, zuzüglich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 402,82 Euro.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, und zwar für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages und für die Beklagten wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung seitens der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern  nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

Gegenstand des Rechtsstreits sind Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 11.10.2009.

Anscheinsbeweis bei Auffahrunfall
Symbolfoto: Von tommaso79/Shutterstock.com

Die Klägerin befuhr mit ihrem PKW BMW amtliches Kennzeichen … gegen 13.30 Uhr die … Straße in … in Fahrtrichtung … . Sie fuhr auf der dreispurigen Fahrbahn zunächst rechts und wechselte dann in Höhe der Stadtbahnhaltestelle „…“ unter Setzen des linken Fahrtrichtungsanzeigers auf die linke Geradeausspur, um dann vor der dortigen Lichtzeichenanlage anzuhalten, die bereits rot angezeigt hatte. Auf der mittleren Fahrspur fuhr ihr sodann der von dem Beklagten zu 1. geführte und bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherte LKW Mercedes amtliches Kennzeichen … auf. Ob der Fahrspurwechsel zum Zeitpunkt der Kollision bereits beendet und wieviel Zeit seitdem vergangen war, ist streitig. Die herbeigerufene Polizei lokalisierte im Rahmen der gefertigten Verkehrsunfallskizze den Schaden am PKW der Klägerin im Bereich der hinteren linken Seite und vermerkte ansonsten, dass die Suche nach sonstigen Unfallspuren negativ verlief. Mit der Klage vom 09.04.2010 macht die Klägerin Reparaturkosten in Höhe von 5.312,26 Euro zuzüglich Wertminderung, Pauschale und Nutzungsausfall sowie vorgerichtliche Anwaltskosten geltend. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Klagforderung wird auf die Klageschrift vom 09.04.2010 verwiesen.

Die Klägerin behauptet, sie habe den Fahrspurwechsel bereits längere Zeit vor dem Unfall beendet gehabt und ihr Fahrzeug vor der roten Ampel zum Stehen gebracht. Der LKW sei ungebremst auf ihr Fahrzeug hinten aufgefahren, was sie auch bereits beim Blick in den Rückspiegel habe kommen sehen. Die Klägerin ist der Auffassung, dass es sich um einen gewöhnlichen Auffahrunfall handele, für den die Beklagten zu 100 Prozent hafteten.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 6.232,26 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % – Punkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 05.02.2010 aus 5.337,26 EUR sowie seit dem 17.02.2010 aus 895,00 EUR nebst vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren nach Nr. 2300, 7002 und 7008 VV RVG in Höhe von insgesamt 603,92 EUR zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, Die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, der Beklagte zu 1. habe, weil die Ampel rot war, seine Geschwindigkeit bereits reduziert gehabt. Als die Klägerin vor ihm eingeschert sei, habe er eine Gefahrenbremsung eingeleitet, die Kollision jedoch nicht mehr verhindern können. Die Kollision habe noch vor Beendigung des Fahrspurwechsels stattgefunden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, das Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren der … sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.03.2011 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nur teilweise begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 3.116,13 Euro gemäß den §§ 7, 17, 18 StVG, 823 BGB, 115 VVG 1 PflVG.

I.

Die Beklagten haften für die durch den Betrieb des Kraftfahrzeuges begründete Betriebsgefahr.

Ein schuldhafter Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1. im Sinne einer überhöhten Geschwindigkeit, eines zu geringen Abstandes oder mangelnde Aufmerksamkeit kann demgegenüber nicht festgestellt werden.

Die Behauptung der Klägerin, der Beklagte zu 1. sei, wie sie beim Blick in den Rückspiegel bemerkt gehabt habe, offenbar unaufmerksam gewesen und ungebremst auf ihr bereits vor der roten Ampel stehendes Fahrzeug aufgefahren, ist nicht bewiesen. Die Klägerin hat den entsprechenden schriftsätzlichen Vortrag in der mündlichen Verhandlung im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung wiederholt. Ebenso hat der Beklagte zu 1. das schriftsätzliche Vorbringen der Beklagten wiederholt, demzufolge die Klägerin erst kurz vor der Ampel plötzlich die Fahrspur gewechselt habe und er auf das plötzlich vor ihm befindliche, noch fahrende Fahrzeug im hinteren linken Bereich aufgefahren sei.

Glaubhaftigkeit oder einer der Parteien mehr Glaubwürdigkeit zukomme. Tatsächliche Feststellungen, die für oder gegen die jeweilige Unfalldarstellung sprechen, wurden nicht getroffen. Insbesondere wurden im Rahmen der Verkehrsunfallaufnahme Unfallspuren nicht festgestellt. Das gestattet jedoch nach Auffassung des Gerichts nicht den Schluss darauf, dass die Darstellung des Beklagten zu 1. deswegen unglaubhaft sei, weil keine Bremsspuren dokumentiert wurden. Angesichts der Tatsache, dass über die gefahrenen Geschwindigkeiten sowie die Abstände keine Erkenntnisse vorliegen und es überdies geregnet haben soll, kann nicht festgestellt werden, dass Bremsspuren zwingend zu erwarten gewesen wären. Überdies spricht die Beschreibung der Schäden am PKW durch die Polizei sowie die Verkehrsunfallskizze eher für die Schilderung der Beklagten, wonach der Anstoß nicht mittig auf den stehenden PKW sondern im hinteren linken Bereich und damit noch vor Beendigung des Fahrspurwechsels erfolgte.

Soweit die Beklagten sich zum Beweis ihrer Sachverhaltsdarstellung auf ein unfallanalytisches Rekonstruktionsgutachten berufen haben, war dem nicht nachzugehen, weil keine hinreichenden Tatsachen über Geschwindigkeit und Abstand sowie die genauen Positionen der Fahrzeuge bekannt sind. Es ist gerichtsbekannt, dass diesbezügliche Angaben vom Sachverständigen benötigt werden, um tragfähige Schlussfolgerungen zum Unfallhergang zu ziehen. Weiterer Beweis ist nicht angetreten.

Der Anscheinsbeweis für das Verschulden des Auffahrenden kommt hier auch wegen der Situation des vorangegangenen Fahrspurwechsels nicht zum Tragen. Nach dem Urteil des Kammergerichts vom 14.05.2007 kann ein Anscheinsbeweis für das Verschulden des Auffahrenden dann nicht angenommen werden, wenn der Vorausfahrende unmittelbar oder einige Augenblicke zuvor den Fahrstreifen gewechselt hat. Im Falle eines unstreitigen Fahrstreifenwechsels des Vorausfahrenden setzte der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden voraus, dass beide Fahrzeuge unstreitig oder erwiesenermaßen in einer Spur hintereinander gefahren sind, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangenen Fahrzeugbewegungen hätten einstellen können (KG, NZV 2008, 198, Leitsatz). Letzteres kann hier aus den vorstehend dargelegten Gründen nicht festgestellt werden.

 

Demzufolge kommt bei ungeklärtem Unfallhergang nur eine Haftung unter dem Grundsatz der Betriebsgefahr in Betracht. Diese ist bei PKW normalerweise gleich hoch, bei Lastwagen in der Regel höher als bei Personenkraftwagen. Im vorliegenden Fall misst das Gericht der sich aus der Fahrzeugbeschaffenheit des LKW ergebenen höheren Betriebsgefahr jedoch keine für die Quote maßgebliche Bedeutung zu, weil nicht ersichtlich ist, dass diese sich hier relevant ausgewirkt hat. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass das Unfallgeschehen durch einen etwaigen längeren Bremsweg des LKW beeinflusst wurde. Nach dem Vorbringen der Klägerin soll der LKW sogar ungebremst aufgefahren sein. Überdies ist der längere Bremsweg von Lastwagen auch allgemein bekannt und muss von einem PKW-Führer, der kurz vor einem LKW auf dessen Fahrspur wechselt, auch berücksichtigt werden. Insgesamt hält das Gericht daher eine Haftung der Beklagten zu 50 Prozent für angemessen (vgl. dazu auch Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 17 StVG Rn. 18).

II.

Die Höhe des Schadens ist mit 6.232,26 Euro unstreitig. Die Beklagten waren daher in Höhe des hälftigen Betrages von 3.116,13 Euro zu verurteilen. Nach diesem Gegenstandswert berechnen sich auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten zur Höhe von 402,82 €.

Der Zinsanspruch ist begründet unter dem Gerichtspunkt des Verzuges gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, wobei der Verzug jeweils erst mit Ablauf der gesetzten Frist eingetreten ist (§ 188 Abs. 1 BGB).

Hinsichtlich der weitergehenden Forderung war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

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