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Anwaltsvertrag über Internet – Gericht am Kanzleisitz zuständig

LG Bremen – Az.: 4 S 166/21 – Urteil vom 26.11.2021

1.) Auf die Berufung der Klägerin vom 06.07.2021 wird das Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 16.06.2021 (Az. 19 C 391/20) aufgehoben.

2.) Der Rechtsstreit wird an das zuständige Amtsgericht Bremerhaven verwiesen.

3.) Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil des Amtsgerichts Bremerhaven vorbehalten.

4.) Die Revision wird nicht zugelassen.

5.) Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.216,97 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt in der Sache von der Beklagten die Zahlung von Anwaltshonorar. In dem hiesigen Berufungsverfahren streiten die Parteien allein über die Frage, welches Gericht für die Klage zuständig ist.

Das Amtsgericht Bremen hat in erster Instanz folgenden Sachverhalt festgestellt:

Gerichtsstand bei Anwaltsverträgen im Internet
Gerichtsstand bei Anwaltsverträgen im Internet – (Symbolfoto: Von Francesco Carucci/Shutterstock.com)

 „Die Beklagte lebt in der Schweiz, die Klägerin ist eine Rechtsanwältin, die ihren Kanzleisitz in Bremerhaven hat.

Am 18.06.2020 wandte sich die Beklagte an die Klägerin per Email über das Portal „anwaltsauskunft.de“. Die Beklagte erbat Hilfe der Klägerin für ihre nach ihrer Wahrnehmung geschäftsunfähige Mutter, die in Bremerhaven lebt. Die Klägerin nahm eine Recherche zum deutschen Betreuungsrecht vor. Zuvor hatte die Beklagte einen Mandantenfragebogen und eine Vollmacht unterzeichnet. Die Klägerin und Beklagte führten ihre Konversation über Email. Unter dem 22.06.2020 stellte die Klägerin der Beklagten eine Honorarrechnung i.H.v. 2.216,97 € für ihre anwaltliche Tätigkeit.

Am selben Tag teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie das Mandat einstellen wolle. Als Grund nannte sie, dass eine konstruktive Zusammenarbeit nicht erfüllt sei und die Verständigung nicht funktioniert habe. Zu diesem Zeitpunkt war die Rechnung der Klägerin bereits auf dem Postweg an die Beklagte. Die Rechnung bezahlte die Beklagte nicht, ebensowenig die darauffolgende Mahnung.

Die Klägerin leitete daraufhin ein gerichtliches Mahnverfahren ein. Die Beklagte legte gegen den Mahnbescheid durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein.“

Die Klägerin ist der Ansicht, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte sei unter dem Gesichtspunkt des Erfüllungsortes gegeben. Zuständig sei gemäß Art. 5 Nr. 1 LugÜ (welcher Artikel 7 EuGVVO entspricht) das Amtsgericht Bremerhaven, da sich der Erfüllungsort für ihre anwaltliche Tätigkeit am Ort ihrer Kanzlei in Bremerhaven befinde.

Die Klägerin hat deshalb im erstinstanzlichen Verfahren durch Schriftsatz vom 17.02.2021 die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Bremerhaven beantragt.

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin den Betrag in Höhe von 2.216,97 € aus der Rechtsanwaltskostenrechnung vom 22.06.2020 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.07.2020, sowie Mahnkosten in Höhe von 2,50 € zzgl. Zinsen iHv. 5 % Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 25.08.2020 zu zahlen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte rügt erstinstanzlich die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts Bremen mit der Begründung, dass sie vor dem Gericht ihres Wohnsitzes – in der Schweiz – in Anspruch genommen werden müsse.

Das Amtsgericht wies durch gerichtlichen Hinweis vom 29.04.2021 darauf hin, dass es die internationale Zuständigkeit deutscher Gericht für nicht gegeben hält.

Das Amtsgericht Bremen hat durch Urteil vom 16.06.2021 (Az. 19 C 391/20) die Klage als unzulässig abgewiesen.

In den Entscheidungsgründen hat das Amtsgericht ausgeführt:

 „Die Klage ist unzulässig.

Das Amtsgericht Bremen ist für die Klage gegen die Schweizer Beklagte international unzuständig.

Es ist zutreffend, wenn die deutsche Klägerin zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit im Verhältnis zur in der Schweiz wohnhaften Beklagten vorliegend auf das „Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von 2007“ (im Folgenden: LugÜ) abstellt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte jedoch im vorliegenden Fall nicht aus den Bestimmungen des LugÜ. Das Gegenteil ist zutreffend.

Nach dem Luganer Übereinkommen sind vielmehr gerade die Schweizer Gerichte international zuständig.

Soweit die Klägerin eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Bremerhaven aus Art. 5 Abs.1 lit. b) LugÜ ableitet, weil die aus einem anwaltlichen Dienstvertrag resultierende Vergütungspflicht am Sitz der Kanzlei zu erfüllen sei, so geht diese Annahme fehl. Dabei wäre zunächst autonom der Erfüllungsort nach dem LugÜ zu bestimmen. Gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b) Rom I Verordnung ist auf das Vertragsverhältnis deutsches Recht anzuwenden, da die Klägerin als Dienstleisterin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Für das deutsche Recht ist festzustellen, dass für den Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts, also einer Geldschuld, der Wohnsitz des Mandanten entscheidend ist und eben nicht der Ort des Kanzleisitzes (Thomas/Putzo/Hüßtege, Zivilprozessordnung, 40. Auflage 2019, § 29, Rn. 6).

Letztlich können die Fragen nach der zutreffenden Ermittlung des Erfüllungsortes vorliegend indes dahingestellt bleiben.

Denn aus Art. 16 Abs. 2 LugÜ folgt, dass für Verbrauchersachen ausschließlich die Gerichte des Heimatstaates des Verbrauchers zuständig sind. Art. 16 Abs. 2 LugÜ ist vom Wortlaut her unmissverständlich: „Die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher kann nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.“

Im Interesse des Verbraucherschutzes kann der Verbraucher daher nur in seinem Wohnsitzstaat verklagt werden (vgl. Geimer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, Artikel 18 (Artikel 16 LugÜ) EUGVVO, Rn. 1).

Dass Art. 16 Abs.2 LugÜ abschließend ist, hat auch der Bundesgerichtshof (BGH MDR 2021, 253) jüngst betont: „Die Zuständigkeit für Verbrauchersachen ist in Art. 15 bis Art. 17 Lugano-Übk II abschließend geregelt. Der EuGH hat zu den in Kap. II Abschn. 5 der Brüssel-I-VO enthaltenen Regelungen über die Zuständigkeit für Klagen aus individuellen Arbeitsverträgen entschieden, dass diese Regelungen abschließenden Charakter haben und einen Rückgriff auf Art. 6 Nr. 1 der Verordnung verbieten. Es hat dies auf Art. 18 Abs. 1 Brüssel-I-VO gestützt, nach dem lediglich die Regelung in Art. 4 und Art. 5 Nr. 5 der Verordnung unberührt bleiben (EuGH, Urt. v. 22.5.2008 – C – 462/06, NJW-RR 2008, 1658 Rz. 17 ff. – Galaxos-mithklinke u.a./Rouard). Eine entsprechende Regelung enthält Art. 17 Abs. 1 der Brüssel-Ia-VO, die auch insoweit mit dem Inhalt des Lugano-II-Übereinkommens übereinstimmt.“

Die Beklagte wandte sich an die Klägerin nach deren eigenem Vortrag mit der Bitte um Beratung zum deutschen Betreuungsrecht für ihre in Bremerhaven lebende Mutter.

Maßgebend für die Frage, ob eine Person als Verbraucher im vorgenannten Sinne gehandelt hat, ist die Stellung dieser Person innerhalb des konkreten Vertrages verbunden mit dessen Natur und Zielsetzung (EuGH, Urt. v. 25.1.2018 – C-498/16, MDR 2018, 543 = NJW 2018, 1003 Rz. 29 – Schrems/Facebook). Die Zuständigkeit für Verbrauchersachen ist auf Verträge beschränkt, die eine Einzelperson ohne Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit oder Zielsetzung und unabhängig von einer solchen allein zu dem Zweck schließt, ihren Eigenbedarf beim privaten Verbrauch zu decken (EuGH v. 25.1.2018, a.a.O. Rz. 30).

Nach alledem ist die Beklagte daher als Verbraucherin einzuordnen. Die Anfrage der Beklagten bei der Klägerin betraf die rechtlichen Belange ihrer Mutter und lässt sich keiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit oder Zielsetzung zuordnen.

Demgegenüber wurde die Klägerin als Rechtsanwältin gewerblich als Unternehmen i.S.d. LugÜ tätig. Folglich ist der Anwendungsbereich von Art. 15 – 17 LugÜ eröffnet.“

Das Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 16.06.2021 ist der Klägerin am 25.06.2021 zugestellt worden. Die Klägerin hat durch einen am 06.07.2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese begründet.

Die Klägerin rügt Rechtfehler in der angefochtenen Entscheidung und ist der Ansicht, dass zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. Art. 5 Nr. 1b) LugÜ auf den Erfüllungsort der Dienstleistung abgestellt werden müsse. Der zu ermittelnde Erfüllungsort gelte nicht nur für Klagen hinsichtlich der zu erbringenden Dienstleistung, sondern auch für die Gegenleistung.

Da die Klägerin jegliche Tätigkeit in der streitgegenständlichen Angelegenheit in Bremerhaven an ihrem Kanzleisitz ausgeübt habe, sei das Amtsgericht Bremerhaven zuständig.

Daneben sei die Beklagte auch nicht Verbraucherin im Sinne der Vorschriften des LugÜ. Die Beklagte habe die Klägerin mit einem rechtlichen Problem im Zusammenhang mit ihrer pflegebedürftigen Mutter kontaktiert, sodass die Beklagte den Vertrag nicht allein zu dem Zweck geschlossen habe, ihren Eigenbedarf zum privaten Gebrauch zu decken.

Die Klägerin beantragt, das am 16.06.2021 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bremen, Aktenzeichen 19 C 391/20 aufzuheben, die Klage zuzulassen und an das örtlich zuständige Amtsgericht Bremerhaven zu verweisen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beruft sich darauf, dass das Amtsgericht zu Recht festgestellt habe, dass sich die Zuständigkeit aufgrund der Verbrauchereigenschaft der Beklagten allein nach Art. 16 Abs. 2 LugÜ richte.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete, also zulässige Berufung (§§ 517, 519, 520 ZPO) führt zur Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Bremen vom 16.06.2021 und zur Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Amtsgericht Bremerhaven nach §§ 525, 281 ZPO.

Der Antrag der Klägerin auf Verweisung an das zuständige Gericht erster Instanz hat Erfolg.

Eine Verweisung an das zuständige Gericht ist nach § 281 ZPO in jeder Instanz möglich. In der Rechtsmittelinstanz hat sie grundsätzlich durch Urteil unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zu erfolgen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl. § 281 Rdn. 9, 12; MünchKomm/Prütting, ZPO 6. Aufl. § 281 Rdn. 10, 39).

1.

Das Amtsgericht Bremerhaven ist international, örtlich und sachlich zuständig.

1.1

Die Zuständigkeit des Amtsgericht Bremerhaven folgt aus dem besonderen Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge nach Art. 5 Abs. 1 lit. b) LuGÜ.

Zutreffend hat das Amtsgericht festgestellt, dass zur Bestimmung des zuständigen Gerichts aufgrund des Wohnsitzes der Beklagten in der Schweiz, das „Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von 2007“ (LugÜ) maßgeblich ist.

Der vorrangige Sondergerichtsstand für Verbraucherverträge gemäß Art. 16 Abs.1, 15 Abs. 1 LugÜ, der im Falle der Klage gegen einen Verbraucher die Gerichte des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, für international zuständig erklärt, ist nicht eröffnet.

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Zutreffend ist, dass die Beklagte im zuständigkeitsrechtlichen Sinn als Verbraucherin anzusehen ist. Daneben müssen für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Art. 16 LugÜ, Ansprüche aus einem der in Art. 15 Abs. 1 lit. a) bis c) LugÜ genannten Vertragstypen den Gegenstand des Verfahrens bilden.

Da es sich hier weder um einen Kauf einer beweglichen Sache auf Teilzahlung (Art. 15 Abs. 1 lit. a) LugÜ), noch um ein in Raten zurückzuzahlendes Finanzierungsgeschäft (Art. 15 Abs. 1 lit. b) LugÜ) handelt, ist allein die Regelung des Art. 15 Abs. 1 lit. c) LugÜ maßgeblich.

Demnach ist der Anwendungsbereich der Zuständigkeitsvorschriften für Verbrauchersachen eröffnet, wenn der andere Vertragspartner in dem durch das Übereinkommen gebundenen Staat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Staat oder mehrere Staaten ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt, vgl. Art. 15 Abs. 1 lit c) LugÜ.

Die Klägerin hat ihren Kanzleisitz in Bremerhaven und übt ihre berufliche Tätigkeit daher nicht in der Schweiz aus. Ihre berufliche Tätigkeit ist auch nicht im Sinne des Art. 15 Abs.1 Nr. 1c) LugÜ auf die Schweiz ausgerichtet.

Ein „Ausrichten“ gewerblicher oder beruflicher Tätigkeit im Sinne des Art. 15 Abs. 1 lit. c) LugÜ auf den Verbraucherstaat liegt vor, wenn der offenkundige Wille des Vertragspartners festgestellt werden kann, Verbraucher in diesem Staat als Kunden zu gewinnen, er also zu einem Vertragsschluss mit ihnen bereit ist (vgl. Musielak/Voit/Stadler, 18. Auflage 2021, EuGVVO, Art. 17 Rn.8).

Art. 15 Abs. 1 lit. c) LugÜ bezweckt den Ausgleich zwischen dem als schutzwürdig betrachteten Interesse des Verbrauchers, nicht vor einem ausländischen Gericht seine Rechte verfolgen zu müssen und sich deshalb besondere inländische Zuständigkeitsregeln zu sichern, und den Belangen des Unternehmers, der mit Klagen vor den Gerichten anderer Staaten rechnen muss und für den diese mit dem Schutz des Verbrauchers verbundenen Folgen nur zumutbar sind, wenn und weil er sich bewusst für eine Betätigung auch auf diesem fremden Markt entschieden hat (vgl. BGH, Urteil vom 09. Februar 2017 IX ZR 9/16 -, Rn. 14, juris).

Entscheidend ist deshalb, ob bereits vor dem Vertragsschluss mit dem konkreten Verbraucher objektive Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der Unternehmer Geschäfte mit Verbrauchern in dem Wohnsitzstaat des betreffenden Verbrauchers tätigen wollte, und zwar in dem Sinne, dass der Unternehmer zu einem Vertragsschluss mit diesen Verbrauchern bereit war (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2010, C-585/08 und C-144/09, Pammer und Hotel Alpenhof, NJW 2011, 505 Rn. 76 und 92; BGH, Urteil vom 15. Januar 2015 – I ZR 88/14, NJW 2015, 2339 Rn. 14; BGH, Urteil vom 09. Februar 2017 – IX ZR 10/16 –, Rn. 14, juris).

Im elektronischen Geschäftsverkehr setzt ein Ausrichten auf einen Mitgliedstaat zudem voraus, dass der Gewerbetreibende zum Ausdruck gebracht hat, dass er Geschäfte mit Kunden in dem betreffenden Mitgliedstaat schließen will. Die bloße Aufrufbarkeit einer Website im Wohnsitzstaat des Verbrauchers reicht dagegen keineswegs (vgl. MüKoZPO/Gottwald, 5. Aufl. 2017, Brüssel Ia-VO Art. 17 Rn. 10).

Der EUGH hat hierzu eine Liste von Indizien herausgearbeitet, die Anhaltspunkte dafür bieten, dass ein Gewerbetreibender seine Tätigkeit aus den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet hat. Hierunter fallen unter anderem: der internationale Charakter der Tätigkeit, die Marktbedeutung und der Zuschnitt des Unternehmens, die Ausgestaltung von Vertriebs- oder Liefermodalitäten, Ausdrückliche Bezugnahmen auf bestimmte Rechtnormen, die inhaltliche Ausgestaltung der Werbung, eine international erreichbare Internetseite, Anfahrtsbeschreibungen aus einem anderen Mitgliedstaat zum Ort der Niederlassung des Unternehmers oder die Verwendung einer anderen Sprache (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2010, C-585/08 und C-144/09, Pammer und Hotel Alpenhof, NJW 2011, 505 Rn. 76 und 92; BGH, Urteil vom 09. Februar 2017 – IX ZR 10/16 –, Rn. 14, juris).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze fehlt es an dem Merkmal des „Ausrichtens“. Dass die Klägerin ihre anwaltliche Tätigkeit vor dem hier in Rede stehenden Vertragsabschluss auf die Schweiz ausgerichtet hat, ist nicht ersichtlich.

Allein die grenzüberschreitende Zugänglichkeit der Anwaltsseite www.anwaltsauskunft.de, vermag eine solche Ausrichtung nicht zu begründen.

Die Klägerin ist allein in Deutschland zugelassene Rechtsanwältin, welche ihre Tätigkeit nicht in der Schweiz ausübt. Auch war das Begehren der Beklagten darauf gerichtet, dass die Klägerin in einer Betreuungssache in Deutschland tätig wird. Die Beklagte hat hierfür gezielt nach einem Anwalt in Deutschland gesucht, der entsprechend auch, wenn nötig, über den deutschen Rechtsweg tätig wird. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin gezielt auch Mandate aus der Schweiz betreuen will. Der Vertragsabschluss ist letztlich allein dem Umstand geschuldet, dass die Beklagte eine Anwältin für rechtliche Angelegenheiten in Zusammenhang mit ihrer in Deutschland lebenden Mutter aufgesucht hat. Die Annahme des Mandats reicht für sich genommen deshalb nicht aus, um ein „Ausrichten“ zu begründen.

Es liegt damit keine Verbrauchersache im Sinne von Art. 15 LugÜ vor, sodass sich die internationale Zuständigkeit nicht nach Art. 16 Abs. 2 LugÜ, sondern nach der allgemeinen Vorschrift des Art. 5 LugÜ richtet.

1.2

Art. 5 Nr. 1) LugÜ lautet:

Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen durch dieses Übereinkommen gebundenen Staat verklagt werden:

1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;

b) im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung

  • für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;
  • für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;

c) ist Buchstabe b nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a;

Anders als bei Nr. 1 lit. a) ist bei Verträgen über den Verkauf beweglicher Sachen und für die Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen der Erfüllungsort in der Verordnung nunmehr autonom definiert. Er gilt für alle Ansprüche aus dem Vertrag und damit nicht nur für die Lieferung bzw. die Erbringung der Dienste, sondern auch für die Zahlungsverpflichtungen des Käufers oder Dienstleistungsgläubigers (Musielak/Voit/Stadler, 18. Aufl. 2021, EuGVVO Art. 7 Rn. 10).

Sinn und Zweck der Regelung ist es, einen einheitlichen Gerichtsstand für sämtliche Klagen aus dem Kauf bzw. Dienstleistungsvertrag zu schaffen (vgl. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht 2. Aufl. Art. 5 EuGVVO Rn. 10; BGH, Urteil vom 02. März 2006 – IX ZR 15/05 –, Rn. 15, juris).

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die für die örtliche Zuständigkeit bei Honorarklagen von Rechtsanwälten nunmehr darauf abstellt, dass Erfüllungsort für das Honorar gemäß § 269 Abs. 1 BGB in der Regel der Wohnsitz des Mandanten ist (BGHZ 157, 20, 23 f; BGH, Urt. v. 4. März 2004 – IX ZR 101/03, NJW-RR 2004, 932) kommt deshalb für die Anwendung des Art. 5 Nr. 1 Buchst. b LugÜ keine Bedeutung zu (vgl. BGH, Urteil vom 02. März 2006 – IX ZR 15/05 –, Rn. 16, juris; OLG München, Urteil vom 26. Februar 2020 – 15 U 4202/19 –, Rn. 44, juris).

Wie der örtliche Schwerpunkt einer Dienstleistung zu bestimmen ist, die in mehreren Mitgliedsstaaten zu erbringen ist, lässt sich nicht allgemein festlegen. Wird ein Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung eines Mandats beauftragt, ist im Grundsatz davon auszugehen, dass er die hierdurch erforderlich werdende Tätigkeit vom Sitz seiner Kanzlei aus erbringt. Muss der Anwalt einen Teil seiner Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat erbringen, sind für die Bestimmung eines einheitlichen Erfüllungsortes Zeitaufwand und Bedeutung der Tätigkeitsanteile abzuwägen (vgl. OLG München, Urteil vom 26. Februar 2020 – 15 U 4202/19 –, Rn. 43, juris).

Hier liegt der Schwerpunkt der Dienstleistung allein in Deutschland an dem Kanzleisitz der Klägerin in Bremerhaven, da sie ihre anwaltliche Tätigkeit zweifelsfrei von dort erbracht hat.

Zur Entscheidung dieses Rechtsstreits ist demnach das Amtsgericht Bremerhaven berufen, in dessen Bezirk sich der die internationale Zuständigkeit begründende Erfüllungsort befindet. Die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts folgt aus § 23 Nr. 1) GVG.

Nach alledem war antragsgemäß zu verweisen.

2.

Die Kostenentscheidung, auch hinsichtlich der in erster Instanz bereits angefallenen Kosten, der Kosten des Berufungsverfahrens sowie der Verweisungskosten bleibt dem Schlussurteil des Amtsgerichts Bremerhaven vorzubehalten (§ 281 Abs. 3 Satz 1 ZPO).

3.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

4.

Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in §§ 43, 48 GKG, 3 ff. ZPO.

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