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Arbeitslohnrückforderung – Einkunftsminderung erst bei tatsächlichem Abfluss

BFH

Az: VI R 17/03

Urteil vom 04.05.2006


I.

Streitig ist, ob die Verpflichtung zur Rückzahlung von Arbeitslohn schon im Veranlagungszeitraum seines Zuflusses einkünftemindernd zu berücksichtigen ist, auch wenn die Rückzahlung selbst noch nicht geleistet wurde.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1997 bis zum 3. Dezember nichtselbständig tätig. Sein Arbeitgeber überwies ihm irrtümlich nicht nur das anteilige, sondern das gesamte Gehalt für den Monat Dezember 1997 einschließlich einer Sonderzuwendung. Die dem Kläger 1997 insgesamt einschließlich der überzahlten Beträge geleisteten Zahlungen wurden auf der Lohnsteuerkarte bescheinigt. Der Arbeitgeber forderte vom Kläger mit Leistungsbescheid vom 20. Februar 1998 die überzahlten Dienstbezüge und Sonderzuwendungen zurück.

Der Kläger gab in seiner Einkommensteuererklärung für 1997 einen um die Lohnrückforderung gekürzten Bruttolohn an. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) legte stattdessen im streitigen Einkommensteuerbescheid für 1997 den zugeflossenen Arbeitslohn, wie auf der Lohnsteuerkarte bescheinigt, zugrunde und setzte die Einkommensteuer dementsprechend fest.

Mit dem dagegen erhobenen Einspruch machte der Kläger geltend, dass die Rückerstattungsverpflichtung im Streitjahr 1997 anzusetzen sei. Eine Verrechnung außerhalb des Jahres 1997 benachteilige ihn.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 623 veröffentlichten Gründen statt und ließ die Revision zu.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen, hilfsweise dem FA aufzugeben, den Arbeitgeber des Klägers zu veranlassen, die Lohnsteuerkarte und die Lohnsteueranmeldung richtig zu stellen.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Der Hilfsantrag des Klägers war als unzulässig zu verwerfen.

1. Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) alle „Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden“. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist es gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Leistung besteht oder nicht.

Arbeitslohn ist nach ständiger Rechtsprechung jeder mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumte geldwerte Vorteil, der durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst ist. Dabei genügt die tatsächliche Veranlassung der Einnahmen durch das Dienstverhältnis (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 7. Juli 2004 VI R 29/00, BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367; vom 26. Juni 2003 VI R 112/98, BFHE 203, 53, BStBl II 2003, 886; vom 28. Februar 1975 VI R 29/72, BFHE 115, 251, BStBl II 1975, 520, m.w.N.).

Danach bezog der Kläger Arbeitslohn auch in Höhe des vom Arbeitgeber versehentlich zuviel gezahlten und später zurückgeforderten Lohns. Denn auch im rückforderungsbehafteten Umfang war die zugeflossene Zahlung tatsächlich durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst. Das Behaltendürfen ist kein Merkmal einer Einnahme. Ein Zufluss liegt daher auch dann vor, wenn der Empfänger den Betrag später wieder zurückzahlen muss (vgl. BFH-Urteil vom 22. Mai 2002 VIII R 74/99, BFH/NV 2002, 1430).

2. Ausgaben sind nach § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG in dem Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. Der Umstand, dass der Arbeitslohn teilweise zurückzuzahlen ist, darf deshalb erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Rückzahlung berücksichtigt werden, hier also nicht im streitigen Veranlagungszeitraum 1997. Entgegen der Auffassung des FG ist die in einem späteren Veranlagungszeitraum geleistete Rückzahlung des Arbeitslohns auch nicht im Veranlagungszeitraum des Bezugs des Arbeitslohns als rückwirkendes Ereignis zu berücksichtigen.

a) Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. von § 19 Abs. 1 EStG ergeben sich nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2 EStG aus dem Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Nach § 2 Abs. 7 Satz 2 EStG i.V.m. § 25 EStG sind ihre Grundlagen für die Einkommensbesteuerung jeweils für ein Kalenderjahr (Veranlagungszeitraum) nach dem Zufluss und Abfluss von Gütern und nicht –wie die Gewinneinkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG– nach der Veränderung des Vermögensbestandes zu ermitteln. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EStG sind Einnahmen und Ausgaben nach dem kalenderjahrbezogenen Zu- und Abflussprinzip zu erfassen, sofern nicht eine abweichende gesetzliche Ausnahmeregelung greift (vgl. BFH-Urteil vom 26. Januar 2000 IX R 87/95, BFHE 191, 274, BStBl II 2000, 396). Danach gilt das in § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG normierte Abflussprinzip –entgegen der Auffassung der Vorinstanz– auch für zurückgezahlten Arbeitslohn.

b) Der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und das Verbot der Übermaßbesteuerung stehen der Anwendung des Abflussprinzips auf zurückgezahlten Arbeitslohn nicht entgegen. Denn die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ist auf den jeweils zu beurteilenden Einkommensermittlungszeitraum (Veranlagungszeitraum) zu beziehen. Dies folgt aus der auf den jährlichen Besteuerungsabschnitt bezogenen steuerlichen Ermittlungstechnik für die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer in ihrer Ausgestaltung als Jahressteuer (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BStBl II 1997, 518, BVerfGE 96, 1; Eckhoff, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft –DStJG– 11, 28 ff., 32 ff.). Der BFH hat wiederholt entschieden, es sei hinzunehmen, dass es durch das Zu- und Abflussprinzip in § 11 EStG bei einer Zusammenballung von Einnahmen und Ausgaben in einem Veranlagungszeitraum zu steuerlichen Ergebnissen kommen kann, die als Folge der Einkommensteuerprogression oder fehlender tatsächlicher Ausgleichsmöglichkeiten zu steuerlichen Be- oder Entlastungen führen können (vgl. BFH-Urteile vom 2. April 1974 VIII R 76/69, BFHE 112, 348, BStBl II 1974, 540; vom 24. September 1985 IX R 2/80, BFHE 145, 507, BStBl II 1986, 284; vom 17. April 1996 I R 78/95, BFHE 180, 559, BStBl II 1996, 571; in BFHE 191, 274, BStBl II 2000, 396). Eine zeitabschnittsbezogene Steuerermittlung bewirkt typischerweise bei progressiven Steuersätzen Unterschiede der Steuerbelastung zwischen den verschiedenen Abschnitten.

c) Weder die –vom FG allerdings nicht festgestellte– tatsächliche spätere Rückerstattung des überzahlten Lohnbetrages, noch die vom Arbeitgeber geltend gemachte Lohnrückforderung sind als rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) im streitigen Veranlagungszeitraum als Ausgaben einkünftemindernd zu berücksichtigen. Denn ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, also bereits eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen, bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht. Eine steuerliche Vorschrift, die ausnahmsweise eine Änderung des steuererheblichen Sachverhalts rückwirkend zulässt, ist hier nicht ersichtlich. Für die Überschusseinkünfte sind die tatsächlichen Zu- und Abflüsse von Einnahmen und Ausgaben materiell-rechtlich erheblich. Diese tatsächlichen Vorgänge können nicht durch später bewirkte tatsächliche Rückzahlungen und erst recht nicht durch später geltend gemachte Forderungen ungeschehen gemacht werden (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1430 mit Hinweis auf BFH-Beschlüsse vom 26. März 1991 VIII R 55/86, BFHE 166, 21, BStBl II 1992, 479, unter B. III. 4. b bb der Gründe, und vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C. II. 1. d der Gründe).

3. Der Hilfsantrag des Klägers ist unzulässig. Denn dieses auf die Änderung der Lohnsteuerkarte und der Lohnsteueranmeldung abzielende Rechtsschutzbegehren betrifft gegenüber dem ursprünglichen Klagebegehren des Klägers –die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides für 1997– einen anderen Streitgegenstand. Die Änderung des Streitgegenstandes ist indessen eine im Revisionsverfahren nach § 123 Abs. 1 FGO unzulässige Klageänderung (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 123 Rz. 2, m.w.N.).

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