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Auffahrunfall bei Abbiegen in Grundstück – Anscheinsbeweis

Oberlandesgericht Dresden

Az.: 11 U 2948/01

Urteil vom 24.04.2002


Leitsatz:

Wenn ein Autofahrer in ein Grundstück abbiegt und dabei ein nachfolgender Autofahrer auffährt, gelten keine Anscheinsbeweise mehr.


In dem Rechtsstreit wegen Schadensersatzes hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10.04.2002 für Recht erkannt:
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bautzen vom 25.10.2001 – Az.: 3 0 72/01 – wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 9.203,25 EUR (18.000,00 DM) festgesetzt.

Tatbestand:

entfällt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Schmerzensgeldanspruch gemäß §§ 823, 847 BGB, 3 Nr. 1 PflVG, weil sie nicht bewiesen hat, dass der Erstbeklagte die von ihr behaupteten Verletzungen schuldhaft herbeigeführt hat.

Bei dem vorliegend zu beurteilenden Unfall handelt es sich um einen Auffahrunfall. In einem solchen Fall spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass der Auffahrende – hier die Klägerin – unaufmerksam war oder den Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 4 StVO Rdn. 18 m.w.N.).

Andererseits war der umstrittene Unfall aber auch dadurch gekennzeichnet, dass der vorausfahrende Erstbeklagte mit seinem Fahrzeug nach links in das Grundstück eines Autohändlers abbiegen wollte, so dass er gemäß § 9 Abs. 5 StVO zu äußerster Sorgfalt verpflichtet war. Kommt es in einer solchen Situation zu einer Kollision mit einem anderen geradeaus (weiter) fahrenden Fahrzeug, besteht ein Anscheinsbeweis für die Alleinverursachung zu Lasten des Abbiegenden (Jagusch/Hentschel, a.a.O., § 9 Rdn. 44 m.w.N.).

Spricht danach vorliegend gegen beide Unfallbeteiligte ein Anscheinsbeweis, heben sich diese tatsächlichen Vermutungen gegenseitig auf und die damit verbundene Beweiserleichterung entfällt. Das hat zur Folge, dass gegen die Klägerin zwar vorliegend kein Anscheinsbeweis spricht. Sie musste aber den vollen Beweis der Tatsachen erbringen, aus denen sich ergibt, dass der Erstbeklagte die behaupteten Verletzungen schuldhaft herbeigeführt hat. Anders als bei der Gefährdungshaftung nach dem Straßenverkehrsgesetz (§ 7 Abs. 1 StVG) wird bei der verschuldensabhängigen Haftung auf Schmerzensgeld (§§ 823, 847 BGB) die Unfallverursachung bzw. das Verschulden der Beteiligten nicht gleichsam vermutet, mit der Folge, dass einen Entlastungsbeweis führen muss, wer diese Vermutung nicht gegen sich gelten lassen will (§ 7 Abs. 2 StVG). Folglich gibt es für ein Verschulden des Erstbeklagten vorliegend nicht nur keinerlei gesetzliche Vermutung. Auch über den Mitverschuldenseinwand, § 254 BGB, muss sich der Erstbeklagte nicht entlasten, solange nicht die Klägerin dessen Verschulden bewiesen hat. All diese Gesichtspunkte hat der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 10.04.2002 mit den Parteien erörtert und darauf hingewiesen, dass er ein Verschulden des Erstbeklagten an den Verletzungen der Klägerin für nicht erwiesen erachtet, und zwar aus folgenden Gründen:

Als Verkehrsverstöße des Erstbeklagten kommen Zuwiderhandlungen gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO und gegen § 9 Abs. 5 StVO in Frage. Der Beklagte muss also entweder ohne zwingenden Grund überraschend stark gebremst haben oder er hat die beim Abbiegen in ein Grundstück geforderte erhöhte Sorgfalt außer Acht gelassen. Beides ist nicht anzunehmen:

1. Fraglich ist bereits, ob überhaupt eine starke Bremsung stattgefunden hat. Relevante Bremsspuren gab es nicht, wie sich aus den Lichtbildern in der Bußgeldakte ergibt. Darüber hinaus hat der Zeuge W. bei seiner Zeugenvernehmung in erster Instanz eine Vollbremsung in Abrede gestellt; ebenso der Zeuge R. . Dass dieser zuvor bei seiner Vernehmung durch die Polizei noch andere Angaben gemacht hat, reicht nicht aus, um die Behauptung der Klägerin (starke Bremsung) als bewiesen anzusehen.

Darüber hinaus müsste eine etwa erfolgte starke Bremsung für die Klägerin überraschend gewesen sein. Auch das hat sie nicht bewiesen, insbesondere nicht, dass der Erstbeklagte den beabsichtigten Abbiegevorgang nach links in die Grundstückseinfahrt des Autohändlers nicht oder zu spät angezeigt hat. Vielmehr hat der Zeuge W. ausgesagt, der Beklagte habe rechtzeitig links geblinkt, was er insbesondere an der grünen Kontrollleuchte im Tachometer erkannt habe. Ob das stimmt, erscheint zwar zweifelhaft, weil ein Beifahrer wohl eher selten das Tachometer des Fahrers gerade im später relevanten Augenblick beobachtet haben wird. Andererseits war vorliegend die Initiative vom Zeugen ausgegangen, nach links in die Grundstückseinfahrt des Autohändlers abzubiegen. Daher ist es schon vorstellbar, dass er den Abbiegevorgang verfolgt hat. Der Aussage des Zeugen R. muss man – anders als den Angaben des Zeugen W. – entnehmen, dass der Erstbeklagte nicht ordnungsgemäß geblinkt habe. Was der Zeuge angegeben hat, ist aber erstens sehr vage (Aussage im Protokoll vom 27.09.2001, S. 3: „wahrscheinlich zu spät geblinkt“) und im Übrigen widersprüchlich. Im Protokoll der polizeilichen Vernehmung heißt es noch, dass der Erstbeklagte überhaupt nicht geblinkt habe, während der Zeuge vor dem Landgericht davon gesprochen hat, dass der Blinker von jenem zu spät betätigt worden sei. Aus den genannten Gründen konnten die Angaben des Zeugen R. den Senat nicht überzeugen. Der Zeuge war an dem ganzen Geschehen zwar unbeteiligt, was für seine Glaubwürdigkeit spricht. Andererseits wird ein solch unbeteiligter Passant regelmäßig nicht darauf achten, ob ein aus seiner Sicht ganz gewöhnlicher Kraftfahrer seinen Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig betätigt hat, so dass Angaben zu einer solchen Frage entsprechend kritisch zu würdigen sind. Nach alldem ist eine überraschende Bremsung durch den Erstbeklagten auch der Aussage des Zeugen R. nicht zu entnehmen.

Nachdem der Zeuge W. weiter kategorisch in Abrede gestellt hat, dass der Erstbeklagte zum Unfallzeitpunkt mit einem Handy telefoniert habe, kann sich die Klägerin auch in diesem Punkt nicht auf ein Fehlverhalten berufen.

2. Aus all den vorstehenden Erwägungen folgt zugleich, dass dem Erstbeklagten auch im Hinblick auf seine erhöhten Sorgfaltspflichten aufgrund des beabsichtigten Abbiegens in eine Grundstückseinfahrt kein Vorwurf gemacht werden kann. Eine starke und zudem für die Klägerin überraschende Bremsung ist nicht bewiesen. Ebenfalls nicht hinreichend sicher ist, dass der Erstbeklagte überhaupt nicht oder zu spät seinen Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hat. Dass er zum Unfallzeitpunkt telefoniert habe, hat sich nicht bestätigt und weitere Fehler im Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang sind nicht geltend gemacht oder sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

 

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