LG Landshut – Az.: 14 S 2813/18 – Beschluss vom 14.12.2018
I. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Erding vom 22.08.2018, Az. 2 C 3346/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
II. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.
III. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Gründe
I.
Die Beklagte stützt ihre Berufung auf folgende Argumente:
Das Amtsgericht habe der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Gesamtverspätung von über drei Stunden beruhe auf zwei verschiedenen Umständen. Eine Ursache sei ein Gewitter gewesen, was einen außergewöhnlichen Umstand darstelle. Wäre in München zum Zeitpunkt der Landung kein Gewitter gewesen, dann wäre eine Landung noch vor 20:37 Uhr UTC (22: 37 Uhr Ortszeit) möglich gewesen. Dann wäre die ausgleichspflichtige drei Stunden Grenze nicht überschritten gewesen.
Bei Vorliegen von zwei verschiedenen Ursachen, die jeweils für sich gesehen keine Überschreitung der relevanten Grenze von drei Stunden ergeben, komme es nach der Rechtsprechung des EuGH lediglich darauf an, ob eine Verspätung von über drei Stunden, nach Abzug der auf außergewöhnlichen Umständen zurückzuführenden Verspätung verbleibe (EuGH Urteil vom 04.05.2017, Az: C-315/15).
Der hiesige Sachverhalt sei dem Sachverhalt, der dem EuGH-Urteil zugrunde lag, vergleichbar. Wie ein Vogelschlag stelle ein Gewitter einen außergewöhnlichen Umstand dar. Auch die Wetterlage sei für die Fluggesellschaft nicht beherrschbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 13.12.2018 Bezug genommen.
II.
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Kammer macht sich das richtige Urteil des Amtsgerichts voll zu eigen. Die Beklagte ist zur Ausgleichszahlung an den Kläger verpflichtet. Anlässlich der Berufungsbegründung sind noch ergänzend folgende Ausführungen veranlasst:
1. Ursächlich für die mehr als dreistündige Verspätungen waren vorliegend ein knapp zweistündiger verspäteter Abflug in Barcelona und ein Gewitter über dem Flughafen München, der eine Landung in München verhindert hat und ein Ausweichen auf den Flughafen in Nürnberg erforderlich machte.
2. Zunächst ist festzustellen, dass die Verordnung keine Definition des außergewöhnlichen Umstands enthält.
Der EuGH hat in der Entscheidung Wallentin-Hermann vom 22.12.2008, Az.: C-549/07 festgestellt, dass Art 5 Abs. 3 der VO dahingehend auszulegen ist, dass ein bei einem Flugzeug auftretendes technisches Problem, das zur Annullierung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind. Im Urteil McDonagh gegen Ryanair vom 31.01.2013, Az. C-12/11 hat der EuGH dies bestätigt und betont, dass es sich bei den außergewöhnlichem Umständen um Umstände handelt, die „abseits des Gewöhnlichen“ liegen. Es geht um solche Vorkommnisse, die der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens nicht innewohnen und aufgrund ihrer Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind, vgl. für den gesamten Absatz Führich Reiserecht, 7. Auflage 2015, § 40 Rn. 9.
3. Der BGH hat in einer Entscheidung vom 20.12.2016 (NJW 2017, 956) zum Thema außergewöhnliche Umstände ausgeführt, dass es sich um Umstände handelt, die außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Es handelt sich um Umstände, die nicht zum Luftverkehr gehören, sondern als in der Regel von außen kommende besondere Umstände dessen ordnungs- und planmäßige Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Umstände, die im Zusammenhang mit einem dem Luftverkehr störenden Vorfall wie einem technischen Defekt auftreten, können nur dann als außergewöhnlich iSv Art 5 Abs. 3 der VO qualifiziert werden, wenn sie auf ein Vorkommnis zurückgehen, das wie im Erwägungsgrund 14 der VO aufgezählten Ereignisse nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.
4. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist zunächst festzustellen, dass die knapp zweistündige Abflugverspätung keinen außergewöhnlichen Umstand darstellt. Der Kammer ist nicht bekannt, warum sich der Abflug verspätet hat. Die Beklagte hat hierzu nichts vorgetragen, geht aber selbst davon aus, dass der verspätete Abflug für sie beherrschbar war.
5. Weiter ist festzustellen, dass isoliert betrachtet nach diesen Grundsätzen eine Verzögerung, die sich daraus ergibt, dass das Flugzeug aufgrund Gewitters am Zielort nicht landen kann, tatsächlich als außergewöhnlicher Umstand anzusehen ist. Die Wetterlage ist von der Fluggesellschaft nicht beherrschbar.
6. Allerdings liegt hier der spezielle Fall vor, dass das Gewitter überhaupt erst durch die knapp zweistündige Abflugverspätung zum Tragen kam. Wäre die Beklagte planmäßig in Barcelona gestartet, wäre sie noch vor dem Gewitter in München gelandet. Zum Zeitpunkt, als die Landung in München vorgesehen war, war die Wetterlage noch unproblematisch. Das Gewitter zog erst heran. Dies ist unstreitig. Der Umstand, dass gewitterbedingt in München nicht mehr gelandet werden konnte, stellt sich deshalb hier als Auswirkung der Abflugverspätung dar. Es liegt deshalb kein Fall der multikausalen Verspätung vor.
7. Der EuGH hat in der Entscheidung Wallentin-Hermann ausgeführt, dass ein technischer Defekt grundsätzlich nicht unter den Begriff des außergewöhnlichen Umstands fällt, es sei denn er geht auf ein Vorkommnis zurück, der tatsächlich nicht vom Luftfahrtunternehmen zu beherrschen ist. Dies zeigt, dass es bei der Frage, ob ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt oder ein Umstand, der dem Risikobereich der Luftfahrtgesellschaft zuzuordnen ist, letztlich um die Frage geht, worauf die Störung kausal zurückzuführen ist. Ist für den technischen Defekt ein für die Airline nicht beherrschbarer Sabotageakt kausal, dann liegt – obwohl technische Defekte zunächst einmal der Risikosphäre der Luftfahrtgesellschaft zuzuordnen sind – gleichwohl ein außergewöhnlicher Umstand vor.
8. Der Gedanke, dass es auf die Ursache des Vorkommnisses ankommt, muss auch für den umgekehrten Fall gelten. D.h. ein Vorkommnis (hier: Gewitter), das an sich durchaus als außergewöhnlicher Umstand zu beurteilen wäre, kann ausnahmsweise doch dem Risikobereich des Luftfahrtunternehmens zuzuordnen sein, wenn der Umstand allein auf ein Vorkommnis zurückzuführen ist, für das das Luftfahrtfahrtunternehmen haftet (hier: verspäteter Abflug).
9. Die Kammer hat deshalb in einem ähnlichen Fall, in dem es nur deshalb zu einer mehr als dreistündigen Verspätung gekommen ist, weil Fluggäste, nachdem bei dem Fluggerät ein technischer Defekt aufgetreten war und dieser bereits behoben worden war aufgrund zwischenzeitlich eintretender Flugangst das Flugzeug verlassen wollten, entschieden, dass der an sich außergewöhnliche Umstand der Flugangst im konkreten Fall keine Entlastungsmöglichkeit für die Airline eröffnet, weil die Flugangst unmittelbare Auswirkung des technischen Defekts war (Az: 14 S 1211/17 sowie 15 S 843/17). Die Flugangst stellte sich nämlich erst dadurch ein, weil die Passagiere aufgrund des eingetretenen technischen Defekts keinerlei Vertrauen mehr in die Sicherheit des Fluggerätes hatten.
10. Die Kammer bleibt auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten zitierten Entscheidung des EuGH vom 04.05.2017, Az: C-315/15 bei ihrer Rechtsprechung. Nach Ansicht der Kammer ist der Fall, der dem EuGH zugrunde lag auch nicht mit dem hiesigen Fall (und auch nicht mit dem Fall der Flugangst) vergleichbar. Bei dem Fall, der dem EuGH zu Grunde lag, handelte es sich um zwei Ursachen, die völlig unabhängig voneinander waren. Zunächst trat auf dem ersten Flugabschnitt ein technischer Defekt ein. Anschließend kam es auf dem zweiten Flugabschnitt (mit Zwischenlandung) beim Landeanflug zu einem Vogelschlag. Der technische Defekt hatte nichts mit dem Vogelschlag zu tun. Die Gefahr, dass es bei Start oder Landung zu einem Vogelschlag kommt, besteht immer.
Vorliegend ist der Fall anders: das Gewitter konnte sich überhaupt erst auswirken, weil die Beklagte schon knapp zwei Stunden zu spät abgeflogen ist. Es liegt ein einheitlicher Flug vor. Die Kammer meint, dass diese unmittelbare kausale Verknüpfung zwischen den beiden Ursachen im Sinne eines hohen Schutzniveaus dazu führt, dass sich die Beklagte hier nicht auf außergewöhnliche Umstände berufen kann.