Entscheidungen des EuGH zu Verbraucherdarlehen vom 26.03.2020 und vom 09.09.2021
Der Europäische Gerichtshof hat die Rechte der Verbraucher bei Kreditverträgen gestärkt – eine Entscheidung, die für Millionen von Kunden in ganz Europa große Auswirkungen haben könnte. Da es die Menschen in die Lage versetzt, alte Kreditverträge zu widerrufen, selbst wenn diese schon Jahre zurückliegen. Die zweiwöchige Widerrufsfrist sollte für diejenigen, die aus ihren Verträgen aussteigen wollen, kein Problem darstellen. Kunden können den Vertrag auch dann noch widerrufen, wenn er vor Jahren abgeschlossen wurde, sofern sie bis dahin einen Mangel in den Vertragsbedingungen feststellen, denn in dem Fall hat die Widerrufsfrist noch gar nicht begonnen. Lesen Sie im weiteren Hintergründe und Auswirkungen der EuGH Entscheidung.
Widerrufsjoker: Widerruf von Autokrediten und Verbraucherkrediten
Es kommt in der gängigen Praxis nicht selten vor, dass sowohl der Bundesgerichtshof (BGH) als auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) unterschiedlich zueinander in gleichen Fällen verhandeln und Urteile sprechen. Aktuell ist dies der Fall im Kreditwesen. Im Zusammenhang mit dem sogenannten „Widerrufsjoker“ vertreten der BGH als höchste deutsche Gerichtsinstanz sowie auch der EuGH als höchste europäische Gerichtsinstanz unterschiedliche Auffassungen. Aus Sicht des EuGH wären sehr viele Verbraucherkredite aufgrund von fehlerhaften Klauseln durchaus in der Position, seitens des Verbrauchers unbefristet widerrufen zu werden. Diesbezüglich gibt es auch schon Entscheidungen (Aktenzeichen C 66/19 vom 26.03.2020) sowie (Aktenzeichen C-33/20 nebst C-155/20 zzgl. C-187/20 vom 09.09.2021), in denen die Frage des Widerrufsjokers auch weitergehend konkretisiert wurden. Diese Entscheidungen beschäftigen sich in erster Linie mit den Rahmenumständen, unter denen ein Widerruf eines Verbraucherkredits auch zu einem späteren Zeitpunkt noch möglich ist.
Die Entscheidungen beziehen sich dabei einzig und allein auf die sogenannten allgemeinen Verbraucherdarlehen. Darunter werden Verbraucherkredite wie beispielsweise ein Autokauf verstanden. Auf Immobilienfinanzierungen kann dies so in dieser Form nicht angewandt werden.
Aus juristischer Sicht ist die Frage überaus interessant, da ihr ein sogenannter juristischer Patt zugrunde liegt. Aus Sicht des Verbrauchers gilt es aktuell, auf gar keinen Fall übereilte Entscheidungen zu treffen und zunächst erst einmal eine ausführliche Beratung seitens von Verbraucherzentralen oder erfahrenen Rechtsanwälten zu nutzen. Der Sichtweise des EuGH liegen in erster Linie Fehler bei den Widerrufsbelehrungen oder auch bei dem Umfang der erforderlichen Pflichtinformationen zugrunde. Ist dies der Fall, so könnte laut Sichtweise des EuGH ein Verbraucher hieraus ein unbefristetes Widerrufsrecht für den jeweiligen Kredit ableiten.
Welche Kreditverträge können überhaupt widerrufen werden?
Dem reinen Grundsatz nach kann jeder Verbraucherdarlehensvertrag binnen einer Frist von 14 Tagen seitens des Kreditnehmers bzw. Verbrauchers auch widerrufen werden. Sollte die kreditgebende Bank jedoch im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag, speziell bei der Widerrufsbelehrung oder auch bei dem Umfang der Pflichtinformationen im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag einen Fehler begangen haben, so kann sich dadurch die Widerrufsfrist verlängern. Sollte die Bank die erforderlichen Belehrungen nicht nachholen, so startet die 14-tägige Widerrufsfrist erst überhaupt nicht, sodass sie dementsprechend auch nicht verstreichen kann. Durch diese Konstellation ist es für den Verbraucher möglich, auch noch Jahre nach dem eigentlichen Vertragsabschluss einen Widerruf des Kreditvertrages rechtlich wirksam zu erklären. In diesem Zusammenhang wird auch gern von dem sogenannten „Widerrufsjoker“ gesprochen.
Der Teufel liegt im Detail
Im Zusammenhang mit diesem Widerrufsjoker muss sich jetzt aktuell sowohl der EuGH als auch der BGH mit der Frage beschäftigen, welche Formulierungen einen Fehler darstellen. Diese Frage ist indes nicht gänzlich neu, denn bereits seit vielen Jahren führen diese Formulierungen zu Streitigkeiten zwischen den jeweiligen Vertragspartnern.
In dem aktuell anhängigen Fall liegt die sogenannte „Kaskadenverweisung“ zugrunde, welche von einem Gesetz zunächst erst einmal auf ein anderes Gesetz verweist. Auf der Grundlage dieser „Kaskadenverweisung“ erfolgte auch die Berechnung der jeweiligen Widerrufsfrist des Vertrages. Laut Ansicht des BGH (Aktenzeichen XI ZR 434/15 vom 22.11.2016) ist die „Kaskadenverweisung“ in der aktuellen Form ausreichend und findet somit rechtliche Wirksamkeit. Der Widerrufsjoker kommt somit für Verbraucher nicht in Betracht, wenn die Bank eine „Kaskadenverweisung“ als Formulierung vornimmt.
Der EuGH folgt der rechtlichen Ansicht des BGH nicht und hat mit seiner Entscheidung auch der Entscheidung des BGH widersprochen. Laut Ansicht des EuGH ist die „Kaskadenverweisung“ ein Verstoß gegen aktuell geltendes EU-Recht.
Problematisch aus Sicht der kreditgebenden Banken ist jedoch der Umstand, dass in den meisten Kreditverträgen, die seit dem 11. Juni 2010 zwischen der Bank und dem Verbraucher geschlossen wurden, eine derartige „Kaskadenverweisung“ enthalten ist. Aus der Sicht des EuGH wäre es somit für Verbraucher aktuell möglich, auch derartige Kreditverträge nachträglich noch zu widerrufen. Der Grund, warum sich der EuGH überhaupt mit dieser Fragestellung beschäftigt, liegt in dem Umstand, dass das Landgericht Saarbrücken einen Fall an den EuGH zur rechtlichen Überprüfung übermittelt hat. Das Landgericht Saarbrücken wollte die Vereinbarkeit mit dem aktuell geltenden EU-Recht prüfen lassen.Nachdem der EuGH die Überprüfung vorgenommen hatte, wurde der Fall wieder zurück an das Landgericht Saarbrücken verwiesen.
Mit Beschluss vom 31.03.2020 (Aktenzeichen XI ZR 198/19) hat auch der BGH bereits in einem Fall eines Autokaufs auf Kreditbasis festgestellt, dass eine Musterbelehrung, welche von der kreditgebenden Bank in unveränderter Form einfach von dem Gesetzgeber übernommen wurde, den Vorgaben des EuGH entspricht. Der BGH begründete seine Ansicht damit, dass bei einer anderweitigen Entscheidung ein Verstoß gegen einen eindeutig ausformulierten Gesetzeswortlaut erfolgen würde. Dies käme einem Verfassungsverstoß gleich. Diese Auffassung wurde seitens des BGH auch noch einmal mit der Entscheidung vom 27.10.2020 (Aktenzeichen XI ZR 498/19) ausdrücklich bestätigt.
In gewisser Hinsicht gibt der BGH mit dieser Position auch seine grundsätzliche Einstellung zu der Rechtsprechung im Zusammenhang mit der „Kaskadenverweisung“ auf, allerdings nicht in vollumfänglicher Art und Weise. Der BGH bestätigt damit lediglich, dass unter ganz bestimmten Umständen ein simpler Verweis auf die „Kaskadenverweisung“ innerhalb von Pflichtangaben bei allgemeinen Verbraucherkrediten als Fehler angesehen werden könnte.
Seitens des BGH wurde jedoch betont, dass sich dieser Fehler unter Umständen lediglich auf die allgemeinen Verbraucherkredite bezieht und an die Voraussetzung geknüpft ist, dass die kreditgebende Instanz eine von dem Gesetzgeber herausgegebene Musterbelehrung in veränderter Form bei den Pflichtangaben zu dem Kredit an den Kunden bzw. den Verbraucher weitergibt.
Eine abschließende Rechtsprechung gibt es in der aktuellen Lage im Zusammenhang mit der Widerrufsbelehrung sowie der unverändert an den Kunden weitergegebenen Musterbelehrung des Gesetzgebers noch nicht. Aktuell beschäftigen sich derzeitig die unterinstanzlichen Gerichte mit der Frage und es bleibt auch abzuwarten, ob der BGH angesichts künftiger Entwicklungen seine Rechtsposition halten kann. Aktuell ist lediglich davon auszugehen, dass der EuGH sowie der BGH in dieser Frage eine unterschiedliche rechtliche Auffassung vertreten und dass in der gängigen Praxis bei gerichtlichen Entscheidungen in Deutschland der Ansicht des BGH tendenziell häufiger gefolgt wird.
Auch ist noch sehr ungewiss, welche Haltung die kreditgebenden Banken bei dieser Frage einnehmen werden. Experten gehen jedoch nicht davon aus, dass die Banken angesichts der juristischen Pattsituation zwischen dem BGH und dem EuGH nachgeben werden. Fakt ist jedoch, dass der „Widerrufsjoker“ im Fall eines Fehlers der Bank von dem Verbraucher gezogen werden kann. In erster Linie dürfte sich dies jedoch auf Fehler im Zusammenhang mit konkreten Angaben von Verzugszinsen sowie der Vorfälligkeitsentschädigung bei einer vorzeitigen Rücktilgung des Kredits seitens des Verbrauchers handeln.
In der gängigen Praxis dürften jedoch zahlreiche allgemeine Verbraucherkreditverträge im Zusammenhang mit den Pflichtangaben fehlerhaft sein. Durch die Auffassung des EuGH ist somit für Verbraucher stets eine Tür für einen Widerruf geöffnet, was allerdings für den Verbraucher nur wenig hilfreich ist. Die endgültige Haltung des BGH bleibt hier abzuwarten. Eine Aufweichung der Ansichten des BGH gilt aktuell nicht als gesichert. Auch die Haltung der unterinstanzlichen Gerichte ist nur schwerlich abschätzbar, da einige unterinstanzliche Gerichte bereits bei ihren Entscheidungen der Ansicht des EuGH gefolgt sind, während hingegen andere Gerichte eher der Ansicht des BGH folgen.
Ein Widerruf eines allgemeinen Verbraucherkredits ist somit aus Sicht des Verbrauchers nicht als juristischer Selbstläufer anzusehen. Es ist jedoch durchaus wahrscheinlich, dass sich der BGH früher oder später noch einmal mit dieser Frage beschäftigen muss. Verbraucher können jedoch aktuell bereits einen Widerruf eines Verbraucherkredits auf der Grundlage der EuGH Entscheidung formulieren, wenn hierfür die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind.
Voraussetzungen für den Widerruf eines Verbraucherkredits auf der Grundlage der EuGH
- der allgemeine Verbraucherkreditvertrag datiert auf den 11.06.2016 oder später
- der allgemeine Verbraucherkreditvertrag enthält die Formulierung in der Widerrufsbelehrung, dass die Frist für den Widerruf nach dem Vertragsabschluss mit dem Zeitpunkt beginnt, an dem der Verbraucher sämtliche Pflichtangaben auf der Grundlage des § 492 Absatz 2 BGB bekommt.
- wenn Pflichtangaben im Zusammenhang mit der Berechnungsmethodik oder auch Verzugszinsen sowie der Vorfälligkeitsentschädigung entweder gänzlich fehlen oder auch fehlerhaft sind
Kreditvertrag unbedingt juristisch prüfen lassen
In derartigen Fällen ist ein Widerruf des Kredits durchaus erfolgsversprechend und sollte auf jeden Fall rechtsanwaltlich geprüft werden. Wenn Sie von einer derartigen Situation betroffen sind, sollten Sie auf jeden Fall einen erfahrenen Rechtsanwalt aufsuchen und sich einen Beratungstermin geben lassen. Ihnen muss jedoch selbstverständlich auch bewusst sein, dass der Widerruf eines allgemeinen Verbraucherkredits für Sie nicht gänzlich ohne Risiko ist. Sollte die kreditgebende Bank den Widerruf akzeptieren, so wird der allgemeine Verbraucherkredit anschließend rückabgewickelt. Sie müssten dann den Kreditbetrag in der vollen Höhe an die Bank zurückführen, wobei natürlich bereits getätigte Zahlungen Berücksichtigung finden. Sollte die Bank den Widerruf nicht akzeptieren, so müssten Sie in einem Gerichtsprozess die Angelegenheit klären lassen. Diese Vorgehensweise kann sich jedoch in einigen Fällen durchaus lohnen. Diese Angelegenheit sollten Sie jedoch auf gar keinen Fall ohne einen erfahrenen Rechtsanwalt durchführen.
Fazit
Der Widerruf eines Darlehensvertrages kann auch nach Ablauf der Frist noch möglich sein, wenn dieser fehlerhaft ist. Fehler in den Widerrufsbedingungen oder Pflichtangaben können dazu führen das Sie den Vertrag mittels Widerrufsjoker widerrufen und rückabwickeln können. Doch Vorsicht: nicht jede Rückabwicklung ist sinnvoll. Da sich der Widerruf bislang nur auf dem vom EuGH entschiedenen Blickwinkel des Kaskadenverweises bezieht, besteht unter Umständen ein nicht zu unterschätzendes Prozesskostenrisiko. Es ist sicher nicht davon auszugehen, dass alle Banken den Widerruf klaglos ohne weiteres hinnehmen werden.
Weiterhin muss auch die bei einer Rückabwicklung die dann zu begleichende Restschuld bedacht werden. In der Regel wir diese innerhalb von 30 Tagen fällig. Daher sollte man auf jeden Fall keinen Kredit ohne gesicherte Finanzierung der Restforderung widerrufen. Gerne prüfen wir Ihren Kreditvertrag und beraten Sie über die möglichen Risiken.