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Ausgleichsanspruch Fluggast – Verspätung nach Vogelschlag

LG Frankfurt – Az.: 2-14 S 170/18 – Urteil vom 12.06.2018

Auf die Berufung der Kläger wird das am 24.5.2018 verkündete Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main – Az. 30 C 1849/17 (20) – wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils 250,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.10.2016 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird abgesehen (§§ 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO).

II.

Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte und fristgemäß begründete Berufung der Kläger ist in der Sache auch begründet.

Die Kläger können von der Beklagten jeweils eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250,00 € verlangen. Der von der Beklagten am 6.9.2016 ausgeführte Flug von Frankfurt am Main nach Korfu (…..) verzögerte sich um 7 Stunden 50 Minuten.

Wie der EuGH in der Rechtssache C-402/07 (Urteil vom 19. November 2009, NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 – Sturgeon/Condor) auf die Vorlage des Bundesgerichtshofs entschieden und die Große Kammer des EuGH mit Urteil vom 23. Oktober 2012 (C581/10 – Nelson/Lufthansa) bestätigt hat, können nicht nur die Fluggäste annullierter Flüge, sondern auch die Fluggäste verspäteter Flüge den in Art. 7 der VO (EG) 261/2004 (im Folgenden Verordnung genannt) vorgesehenen Anspruch auf Ausgleich geltend machen, wenn sie infolge der Verspätung einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, weil sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftverkehrsunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.

Zudem hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 26.2.2013 (Az. C-11/11- Folkerts/Air France) entschieden, dass es für einen Ausgleichsanspruch gemäß Art. 5, 7 der Verordnung nicht auf eine Abflugverspätung ankommt (Rn. 33). Vielmehr ist allein maßgebend, ob der Fluggast den Zielort mit einer Verzögerung von mehr als 3 Stunden erreicht.

Diese Voraussetzungen liegen nach dem von den Parteien mitgeteilten und insoweit unstreitigen Sachverhalt vor.

Auf einen außergewöhnlichen Umstand i.S.d. § 5 Abs. 3 Verordnung kann sich die Beklagte im Ergebnis nicht berufen.

Der Begriff der außergewöhnlichen Umstände, der weder in Art. 2 noch in sonstigen Vorschriften der Verordnung definiert ist, bedeutet nach seinem Wortlaut, dass die gegebenenfalls zu einem Wegfall der Ausgleichspflicht führenden Umstände außergewöhnlich sind, d.h. nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Es sollen Ereignisse erfasst werden, die nicht zum Betrieb des Luftverkehrsunternehmens gehören, sondern als – jedenfalls in der Regel von außen kommende – besondere Umstände dessen ordnungs- und plangemäße Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Dementsprechend führen außergewöhnliche Ereignisse nicht per se zum Wegfall der Ausgleichspflicht. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn sich ihre Folgen für die planmäßige Durchführung des Flugplans des Luftverkehrsunternehmens auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn von diesem alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Dies macht zugleich deutlich, dass ein bestimmtes außergewöhnliches Ereignis wie beispielsweise ein Erdbeben oder ein Orkan nicht schon für sich genommen zur Entlastung des Luftverkehrsunternehmens führt, sondern nur dann, wenn die hierdurch hervorgerufenen Bedingungen für die Durchführung eines geplanten Flugs auch bei Aufbietung aller möglichen und zumutbaren Mittel nicht in der Weise verändert oder sonst beeinflusst werden können, dass ein hiervon betroffener Flug planmäßig durchgeführt werden kann (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2008, C-549/07, NJW 2009, 347 Rn. 22 = RRa 2009, 35 – Wallentin-Hermann/Alitalia; BGH, Urteil vom 21. August 2012 – X ZR 138/11, BGHZ 194, 258 Rn. 11; Urteil vom 24. September 2013 – X ZR 160/12, juris; BGH, Urteil vom 13. November 2013 – X ZR 115/12 -, Rn. 13, juris).

Ein solcher außergewöhnlicher Umstand kann zwar in dem von der Beklagten behaupteten Vogelschlag, der das Fluggerät auf einem Vorflug betroffen hat, liegen (vgl. EuGH, Urteil vom 04. Mai 2017 – C-315/15 -, juris).

Allerdings kann sich die Beklagte auf diesen Haftungsausschluss nicht berufen, weil sie nicht alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Verzögerung ergriffen hat (Art. 5 Abs. 3 Verordnung).

Ausgleichsanspruch Fluggast - Verspätung nach VogelschlagGrundsätzlich muss das Luftverkehrsunternehmen alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, um zu vermeiden, dass es durch Umstände – wie den im Streitfall zu beurteilenden Vogelschlag – genötigt ist, einen Flug zu annullieren, oder der Flug nur mit einer großen Verspätung durchgeführt werden kann, deren Folgen für den Fluggast einer Annullierung gleichkommen. Allerdings machen die Vielzahl denkbarer außergewöhnlicher Umstände sowie die Unübersehbarkeit des Ausmaßes und der Dauer der hierdurch verursachten Beeinträchtigungen es unmöglich, von den Luftverkehrsunternehmen zu verlangen, für jede denkbare Störung des Luftverkehrs in einer Weise gerüstet zu sein, die es erlaubt, durch den Einsatz zusätzlicher Flugzeuge und gegebenenfalls auch zusätzlichen Personals dafür zu sorgen, dass Annullierungen und diesen in den Folgen gleichkommende große Verspätungen stets vermieden werden können. Denn dies erforderte einen unwirtschaftlichen Aufwand, der von den Luftverkehrsunternehmen zu Lasten der Verbraucher über die Beförderungspreise gedeckt werden müsste und im Übrigen Art. 5 Abs. 3 Verordnung im Wesentlichen seines Anwendungsbereichs beraubte. Wenn die Fluggastrechteverordnung nach Erwägungsgrund 1 ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherstellen soll und Erwägungsgrund 12 das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten anspricht, die durch eine Annullierung – und eine ihr in den Folgen gleichkommende Ankunftsverspätung – entstehen und gegebenenfalls durch eine Ausgleichszahlung verringert werden sollen, will der Verordnungsgeber lediglich sicherstellen, dass die Luftverkehrsunternehmen auch unter außergewöhnlichen Umständen alle ihnen in dieser Situation zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ausschöpfen, um ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Fluggästen möglichst uneingeschränkt nachzukommen und Annullierungen oder große Verspätungen zu vermeiden. Welche Maßnahmen einem Luftverkehrsunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer erheblichen Verspätung eines Fluges führen oder Anlass zu seiner Annullierung geben, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls; die Zumutbarkeit ist situationsabhängig zu beurteilen (EuGH, Wallentin-Hermann/Alitalia, aaO Rn. 40, 42; Urteil vom 12. Mai 2011 – C-294/10, NJW 2011, 2865 = RRa 2011, 125 – Eglītis und Ratnieks/Air Baltic Rn. 30; BGH, Urteil vom 12. Juni 2014, Az. X ZR 121/13, R. 19 f, zit. nach juris).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Beklagte nicht alles Zumutbare getan, um die Verzögerung des streitgegenständlichen Fluges zu vermeiden. Wie sich aus den Angaben der Zeugin …. in ihrer schriftlichen Vernehmung in einem Parallelverfahren vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main (Az. 29 C 194/17 (81)) ergibt, hat die Beklagte die Beschaffung eines Subcharter für den streitgegenständlichen Flug nicht in Erwägung gezogen. Mit ihrem anderslautenden Vortrag in der ersten Instanz kann die Beklagte nicht gehört werden, weil sie sich mit den hiermit in Widerspruch stehenden Angaben der Zeugin ….. nicht auseinandersetzt. Die Beklagte hat ihren Vortrag, nachdem sie mit der schriftlichen Aussage der Zeugin …….. im Parallelverfahren konfrontiert wurde, in der Berufungsinstanz auch nicht wiederholt.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts in der angefochtenen Entscheidung geht das Berufungsgericht im Einklang mit den Ausführungen des Amtsgerichts in dem Parallelverfahren davon aus, dass es der Beklagte zumutbar war, ab dem Bekanntwerden des Umstandes, dass das Fluggerät repariert werden musste, sich um einen eventuellen Subcharter zu bemühen. Insofern war es angezeigt, bereits im Zeitpunkt der Mitteilung, dass das Fluggerät repariert werden musste, sich um Subcharter auch für den streitgegenständlichen Flug zu bemühen. Denn die Reparaturdauer konnte in diesem Zeitpunkt nicht sicher abgeschätzt werden. Die Reparaturbedürftigkeit stand ab 13.10 UTC des 5.9.2016 fest, weil nach den Angaben der Zeugin …… die Beschädigung des Fluggeräts durch die Cockpitcrew des Fluges ……………….. festgestellt wurde und nach einem solchen Ereignis die gesetzlich vorgeschriebene „Birdstrike-Inspection“ durchzuführen ist. Selbst wenn zunächst die Hoffnung bestand, dass die Reparatur bis zum Morgen des 6.9.2016 fertigzustellen, war diese Hoffnung aber keine gesicherte Erkenntnis, weshalb es angezeigt war, bereits von vornherein mit Subcharteranfragen zu beginnen und nicht erst ab einem Zeitpunkt, indem der Misserfolg der Reparatur vor dem geplanten Abflug des streitgegenständlichen Fluges feststand. Diese Maßnahme war auch deshalb erforderlich, weil die Verordnung gemäß dem Erwägungsgrund 1 darauf abzielt, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung zu tragen. Wenn – wie die Zeugin ……. schildert – Subcharteranfragen mit Schwierigkeiten verbunden waren, wäre es gerade angezeigt gewesen, mit entsprechenden Anfragen frühzeitig zu beginnen, um die Gründe, die die Zeugin …….. veranlasst hat, von Subcharteranfragen überhaupt abzusehen, zu vermeiden. Die Beklagte hätte die ihr zur Verfügung stehende Zeit zur Vorbereitung eines Subcharters nutzen müssen, was sie aber nicht getan hat. Wegen dieses Verhaltens kann sie sich auf einen außergewöhnlichen Umstand nicht berufen.

Die Höhe der Ausgleichsleistung ergibt sich aus der Entfernung zwischen Abflugsort und Endziel (Art. 7 Abs. 1 lit. a Verordnung).

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1 288 Abs. 1 BGB, nachdem die Beklagte zur Zahlung der Ausgleichsleistung bis zum 27.10.2016 aufgefordert wurde.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte als unterlegene Partei zu tragen (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung besteht nicht, nachdem die Beschwer für eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung vom 21. Juni 2018 nicht erreicht wird.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Es liegt eine Einzelfallentscheidung vor. Eine Vorlage an den EuGH kommt nicht in Betracht weil es grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts ist, zu beurteilen, ob im vorliegenden Fall angenommen werden kann, dass das Luftfahrtunternehmen die der Situation angemessenen Maßnahmen getroffen hat (EuGH, Urteil vom 04. Mai 2017 – C-315/15 -, Rn. 30, juris).

 

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