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Ausgleichsleistungsanspruch eines Fluggastes wegen großer Flugverspätung am Endzielflughafen

AG Hannover, Az.: 406 C 5693/16, Urteil vom 21.12.2016

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) ein Betrag in Höhe von 352,28 EUR sowie an die Klägerin zu 2) ein Betrag in Höhe von 600,- EUR nebst jeweils Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2016 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des durch das Urteil zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Die Kläger buchten über das Reisebüro T. am 03.02.2016 bei der T. GmbH unter der dortigen Buchungsnummer 1527321248/6 eine Pauschalreise auf die Kapverdischen Inseln. Die Kläger sollten mit Flügen der Beklagten auf dem Hinweg befördert werden.

Die Kläger sollten am 02.03.2016 von München nach Gran Canaria mit dem Flug Nummer X3 2238, Abflug 5:50 Uhr, Ankunft 9:30 Uhr sowie dem weiteren Flug am 02.03.2016 von Gran Canaria nach Boa Vista, Flugnummer X3 2288, Abflug 10:30 Uhr, Ankunft 12:00 Uhr befördert werden. Die Kläger erhielten von der Beklagten in München ausgegebene Bordkarten für beide Flugabschnitte. Der Flug von München nach Gran Canaria verspätete sich aufgrund einer außerplanmäßigen Zwischenlandung in Teneriffa um 2:25 Stunden, sodass die Kläger Gran Canaria erst um 11:55 Uhr erreichten. Da der Anschlussflug bereits um 11:21 Uhr gestartet war, konnten die Kläger erst am nächsten Morgen um 9:00 Uhr nach Boa Vista befördert werden. Die Kläger erreichten den Zielort erst am 03.03.2016 um 14:15 Uhr.

Die Kläger haben die Beklagte zur Zahlung eines Ausgleichsanspruchs in Höhe von jeweils 600 EUR mit Schreiben vom 30.03.2016 aufgefordert. Mit Schreiben vom 07.04.2016 hat die Beklagte die Ansprüche zurückgewiesen.

Dem Kläger zu 1) wurde durch die T. GmbH eine Reisepreisminderung in Höhe von 247,20 EUR gezahlt.

Die Entfernung zwischen Hannover und Boa Vista beträgt 8.440,42 km.

Die Kläger sind der Ansicht, die Beklagte habe auf Gran Canaria eine Ersatzcrew bereit zu halten gehabt, damit dort die Maschine im Falle eine Verspätung des Zubringerfluges übernommen und an den Zielort weitergeflogen werden könne.

Die Kläger beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 352,28 EUR und an die Klägerin 600,- EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 27.03.2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass am Abflugtag die Maschine zunächst planmäßig enteist worden sei, dann jedoch habe warten müssen und aufgrund dessen ein zweites Mal enteist werden müssen. Dies habe dazu geführt, dass die Maschine witterungsbedingt mit einer Verspätung von 47 Minuten abgeflogen sei. Da an dem Tag eine Übung der spanischen Luftwaffe vorgesehen gewesen sei, sei der Pilot in einem sogenannten „High-Speed-Flug“ nach Gran Canaria geflogen, um die eingetretene Verspätung aufzuholen und nicht in die Anflugbeschränkung aufgrund des Luftwaffenmanövers zu geraten. Da sich die Landeanflüge sämtliche Maschinen auf Gran Canaria aufgrund des schlechten Wetters verzögert hätten, hätten sich zum Anflugzeitpunkt bereits mehrere Flugzeuge in der Warteschleife befunden. Nach kurzer Zeit in der Warteschleife habe sich der Pilot entschieden, den Landeanflug abzubrechen und eine Zwischenlandung auf Teneriffa einzulegen, um das Flugzeug neu auftanken zu lassen. Das Flugzeug habe Teneriffa mit genau der zulässigen Resttreibstoffmenge erreicht. Nach der Zwischenlandung auf Teneriffa sei der Flug dann nach Gran Canaria fortgesetzt worden. Auf Gran Canaria habe kein Ersatzflugzeug zur Verfügung gestanden, um die Kläger an den Zielort zu transportieren.

Die Beklagte hat zum Beweis der Behauptungen das Zeugnis von Frau W. sowie ein Sachverständigengutachten angeboten.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist begründet. Dem Kläger zu 1) steht ein Anspruch auf Zahlung in Höhe von 352,28 EUR zu. Der Klägerin zu 2) steht ein Anspruch in Höhe von 600,- EUR zu.

1. Den Klägern steht jeweils ein Anspruch aus Art. 7 Abs. 1 lit. c) VO (EG) Nr. 261/2004 in Höhe von 600,- EUR gegen die Beklagte zu.

Ausgleichsleistungsanspruch eines Fluggastes wegen großer Flugverspätung am Endzielflughafen
Symbolfoto: Mangostar/Bigstock

a) Den Klägern steht analog Art. 5 Abs. 1 lit. c) VO (EG) Nr. 261/2004 ein Ausgleichsanspruch zu, da die Kläger durch die Beklagte auf dem Flug München nach Gran Canaria verspätet befördert wurden und ihr Endziel in Boa Vista mit einer Verspätung von über 26 Stunden erreicht haben. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist auch in diesen Fällen der großen Verspätung ein Ausgleichsanspruch zu gewähren (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – C-402/07 u.a., RRa 2009, 282 – Sturgeon; Urt. v. 12.05.2011– C-294/10, RRa 2011, 125 – Eglitis/Air Baltic; Urt. v. 23.10.2012 – C-581/10 u.a., RRa 2012, 272 – Nelson/Lufthansa; Urt. v. 26.02.2013, C-11/11, RRa 2013, 78 – Folkerts/Air France; Beschl. vom 18.04.2013, C-413/11 – Ahmed/ Germanwings; Urt. v. 18.09.2014 – C-487/12, RRa 2014, 291 – Henning/ Germanwings).

1) Die Kläger haben vorliegend über eine bestätigte Buchung für beide Flüge bei der Beklagten verfügt.

2) Es lag auch eine große Verspätung vor, die zu einem entsprechenden Ausgleichsanspruch führt. Zwar haben die Kläger das Zwischenziel auf Gran Canaria lediglich mit einer Verspätung von 2:25 Stunden und damit unterhalb der Grenze der großen Verspätung erreicht, jedoch haben sie ihr Endziel mit einer Verspätung von 26 Stunden und damit überhalb der Grenze der großen Verspätung erreicht. Für die Berechnung der Verspätung kommt es allein auf das Endziel an (EuGH, Urt. v. 26.02.2013, C-11/11, RRa 2013, 78 – Folkerts/Air France; Urt. v. 18.09.2014 – C-487/12, RRa 2014, 291 – Henning/ Germanwings; BGH, Beschl. v. 30.07.2013 – X ZR 111/12, RRa 2013, 237; Beschl. v. 30.09.2014 – X ZR 126/13, RRa 2015, 19). Werden beide Flüge durch dasselbe Luftfahrtunternehmen erbracht, kann ohne weiteres auf die Verspätung am Endziel abgestellt werden (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 19.07.2016 – X ZR 138/15, DAR 2016, 583 Rdn. 29 mwN).

b) Der Ausgleichsanspruch beträgt gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. c) VO (EG) Nr. 261/2004 pro Person 600,- EUR, da die Entfernung zwischen dem Start- und Endflughafen über 1.500 km beträgt.

c) Die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Ausgleichsleistung ist nicht gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 entfallen.

1) Die Beklagte hat vorliegend behauptet, dass der Ausgleichspflicht als außergewöhnliche Umstände entgegenstünden, dass die Verspätung darauf beruhe, dass es bereits am Abflughafen aufgrund der Witterungsverhältnisse zu einer Verspätung gekommen sei, die dann dazu geführt habe, dass eine Landung auf Gran Canaria nicht möglich gewesen sei, da aufgrund des schlechten Wetters und eines anstehenden Manövers der spanischen Luftwaffe sich mehrere Flugzeuge im Luftraum befunden hätten und der Treibstoff im Flugzeug der Beklagten nicht gereicht hätte, um sicher auf Gran Canaria zu landen. Die Kläger haben diesen Vortrag der Beklagten bestritten.

2) Es kann dahingestellt bleiben, ob die dargelegten Umstände einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 darstellen. Jedenfalls hat die Beklagte nicht bewiesen, dass entsprechende Umstände vorgelegen haben.

aa) Die Beklagte hat sich zum Beweis der von ihr vorgetragenen Tatsachen auf das sachverständige Zeugnis von Frau W. berufen. Zudem hat die Beklagte Beweis mittels eines Sachverständigengutachtens angetreten.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 07.09.2016 darauf hingewiesen, dass es die Aussage der Zeugin W. nicht als geeignetes Beweismittel ansieht.

Diesbezüglich hat die Beklagte vorgetragen, dass die Zeugin als Zeuge vom Hörensagen benannt werde. Sie schöpfe ihr Wissen daraus, dass sie im „operational management“ tätig und damit betreut sei, Flugverspätungen bzw. Flug Annullierungen nachzugehen und die Ursachen zusammenzutragen. Hierzu habe sie persönlichen Kontakt mit den am Geschehen unmittelbar beteiligten Personen wie Dutymanager, Flight Dispatcher, Trafficcontroller, Crewplane, Flugplaner, Flugzeugtechniker und natürlich auch dem fliegenden Personal. Darüber hinaus stünden ihr auch eine Vielzahl von schriftlichen Informationen zur Verfügung.

bb) Dem Beweisantritt der Beklagten war nicht nachzugehen, da er nicht den Voraussetzungen des § 373 ZPO entspricht. Danach setzt ein Zeugenverweis voraus, dass sowohl der Zeuge als auch die Tatsachen, über welche die Vernehmung des Zeugen stattfinden soll, benannt werden.

Grundsätzlich ist es auch möglich, einen Zeugen vom Hörensagen als Beweismittel zu vernehmen (BGH, Beschl. vom 09.06.2011 – IX ZR 38/10). In diesem Fall kann der Zeuge über den Umstand vernommen werden, den er selber vom Hörensagen gehört hat. Insoweit setzt ein zulässiger Beweisantritt allerdings voraus, dass schlüssig dargelegt wird, aufgrund welcher Umstände der Zeuge von den zu bekundeten Tatsachen Kenntnis erlangt hat, zum Beispiel weil sich die fragliche Person bei dem Beweis über innere Tatsachen über ihre Absichten, Vorstellung und Wissen geäußert hat (Damrau, in: MünchKomm-ZPO, 5. Auflage 2016, § 373 Rdn. 3).

Vorliegend könnte die Zeugin W. nicht direkt zu den eingetretenen Umständen vernommen werden, sondern lediglich über Umstände, die ihr von dritter Seite zugetragen worden sind. Insoweit müsste im Rahmen des Beweisantrittes durch die Beklagte jeweils dargelegt werden, über welches konkrete Gespräch der Zeugin mit einem Mitarbeiter der Beklagten Beweis erhoben werden soll. Hingegen ist es nicht ausreichend, die Zeugin pauschal für sämtliche Tatsachen, die sich während eines Fluges ereignet haben, zu benennen. Dem Gericht ist aus zahlreichen weiteren Verfahren bekannt, dass sich die Beklagte zum Beweis ihrer Tatsachen allein auf das Zeugnis der Zeugin W. beruft. Die Beklagte trägt selbst vor, dass die Zeugin für Flüge auf den Flughäfen Erdingen, Nürtingen, Düsseldorf, Frankfurt, Köln oder Hamburg ebenfalls benannt wird. Dies sei erforderlich, da die betroffenen Personen, die die unmittelbare Wahrnehmung gemacht hätten, im Schichtbetrieb arbeiten würden und dementsprechend nicht den gesamten Vorgang wahrnehmen könnten. Aus diesem Vortrag ergibt sich bereits, dass durch die Zeugin in der Beweisaufnahme die Aufgabe übernommen werden soll, die eigentlich durch die Beklagte zu erbringen wäre. Diese könnte ohne weiteres die schriftlichen Aussagen und Dokumente, auf die sich die Zeugin W. in den Aussagen bezieht, selbst in den Prozess einführen. Es ist prozessual nicht möglich, Urkunden durch einen pauschalen Hinweis auf die Vernehmung einer Zeugin in den Prozess einzuführen, indem die Zeugin dann in ihrer Vernehmung die Urkunden vorliest. Es kann dahingestellt bleiben, ob generell ein mittelbarer Beweis über Urkunden, die der Beklagten selbst zur Verfügung stehen, durch einen Zeugen erbracht werden können. Jedenfalls würde solch einer Beweisaufnahme voraussetzen, dass die einzelnen Dokumente, über die durch die Zeugin Beweis erhoben werden soll, bereits im Beweisantrag genannt werden. Nur dann wäre es dem Gericht möglich einzugrenzen und zu entscheiden, über welche Dokumente und gegebenenfalls Aussagen, die diese Zeugin vom Hörensagen gehört hat, Beweis erhoben werden soll. Nur dann könnte geprüft werden, ob die Indiztatsachen durch den Gegenpartei bestritten wird. Ein globaler Beweisantrag durch die Benennung einer Zeugin für sämtliche Tatsachen erfüllt diese Voraussetzungen nicht.

cc) Auch der Beweisantritt hinsichtlich des Sachverständigengutachtens war nicht nachzugehen. Auch dies bezüglich ist nicht nachvollziehbar, über welche Tatsache genau ein Sachverständigengutachten eingeholt werden soll. Das Gericht erachtet es vorliegend auch nicht als erforderlich an, von Amts wegen die Einholung eines Gutachtens anzuordnen, da sich die von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen nicht für eine Begutachtung eignen.

2. Dem Kläger zu 1) war nur ein Anspruch in Höhe von 352,28 EUR zuzusprechen, da dieser bereits selbständig die Zahlung auf die Minderungsansprüche durch das Reiseunternehmens in Höhe von 247,72 EUR gemäß Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 261/2004 verrechnet hat.

II. Die nebenprozessualen Entscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

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