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Ausgleichsleistungsanspruch Fluggast wegen Flugannullierung

LG Köln – Az.: 11 S 11/17 – Urteil vom 05.12.2017

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 04.01.2017, 117 C 220/16, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Ausgleichsansprüche aufgrund einer Flugannullierung.

Der Kläger verfügte über eine bestätigte Buchung des von der Beklagten durchzuführenden Fluges … am 01.07.2016, Abflugzeit 19:50 Uhr von Berlin (Tegel) nach Köln/Bonn. Planmäßige Ankunftszeit war 21:00 Uhr. Die Beklagte annullierte den Flug und beförderte den Kläger stattdessen mit einem Ersatzflug, der um 23:22 Uhr in Köln/Bonn landete. Planmäßige Ankunftszeit des Ersatzfluges war 22:20 Uhr. Die Änderung der Flugverbindung wurde dem Kläger weniger als sieben Tage vor Abflug mitgeteilt.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 250,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 20.07.2016 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass ein Anspruch nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) sublit. iii) VO (EG) Nr. 261/2004 (Fluggastrechteverordnung) ausgeschlossen sei. Die Vorschrift sei einschränkend dahingehend auszulegen, dass ein Gesamtzeitverlust von 3 Stunden zu verlangen sei.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Eine einschränkende Auslegung des Art. 5 Abs. 1 lit. c) sublit. iii) Fluggastrechteverordnung sei wegen des eindeutigen Wortlauts nicht möglich. Auch sei eine Vergleichbarkeit zu der Rechtsprechung zur sog. großen Verspätung zu Fällen der Annullierung nicht gegeben. Das Amtsgericht hat die Berufung zugelassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter und wiederholt und vertieft insoweit ihre vorgebrachte Rechtsansicht, dass Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung einschränkend auszulegen sei. Darüber hinaus macht sie geltend, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Fluggast den Zielflughafen lediglich wegen einer Verspätung des Ersatzfluges nicht innerhalb von zwei Stunden nach der ursprünglichen Ankunftszeit erreicht hat, auf die planmäßige und nicht auf die tatsächliche Ankunftszeit des Ersatzfluges abzustellen sei. Dies ergebe sich bereits zwingend aus dem Wortlaut und der grammatikalischen Konstruktion des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung.

Die Beklagte beantragt, die Klage unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Köln vom 04.01.2017 – 117 C 220/16 – abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Ausgleichsleistungsanspruch Fluggast wegen Flugannullierung
(Symbolfoto: Gumpanat/Shutterstock.com)

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.

Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung ist nicht dahingehend auszulegen, dass ein Anspruch auf Leistung einer Ausgleichszahlung auch dann entfällt, wenn der Fluggast bis zur Ankunft einen Gesamtzeitverlust von weniger als drei Stunden erleidet (so auch LG Düsseldorf, Urt. v. 17.02.2017 – 22 S 258/16, n.v., zitiert nach Bl. 123 d.A.; a.A.: LG Hannover, Urt. v. 09.02.2015 – 14 S 53/14, Rn. 12 ff., zitiert nach juris). Einer solchen Auslegung steht der eindeutige Wortlaut der Vorschrift entgegen, der zwischen einer Zeitverschiebung vor der planmäßigen Abflugzeit (eine Stunde) und nach der planmäßigen Ankunftszeit (zwei Stunden) unterscheidet. Auch der EuGH berücksichtigt diese Differenzierung (vgl. EuGH, Urt. v. 23.10.2012 – C-581/10 und C 629/10, Rn. 31, zitiert nach juris) und stellt demnach nicht auf einen Gesamtzeitverlust ab. In Anbetracht dessen ist es verfehlt, unter Rekurs auf die zur großen Verspätung ergangene Rechtsprechung des EuGH die differenzierende Regelung des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung zu übergehen.

Eine extensive Auslegung des Ausnahmetatbestandes des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii Fluggastrechteverordnung lässt sich auch nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz begründen. Entgegen der Ansicht der Berufung ist auch ein Fluggast, dessen Flug annulliert wird, nicht besser gestellt als ein Fluggast, dessen Flug verspätet abfliegt. Ein Fluggast, dem bis zu sieben Tage vor dem geplanten Abflug ein Alternativflug angeboten wird, muss auch eine Abflugzeit akzeptieren, die bis zu einer Stunde früher als die ursprünglich geplante ist, und angesichts dieser Zeitverschiebung gegebenenfalls auch seinen Tagesablauf vor dem Flugbeginn neu disponieren, während dies einem Fluggast im Falle einer bloßen Verspätung nicht zugemutet wird. Im Falle einer Flugannullierung steht der Fluggast einzelfallabhängig auch insoweit schlechter, als er nicht lediglich auf dem ursprünglichen Ausgangsflughafen (oder im Flugzeug) länger warten, sondern sich mitunter auch die Rahmenbedingungen des Ersatzfluges (z.B. der Ausgangsflughafen) von dem annullierten Flug unterscheiden (LG Düsseldorf, Urt. v. 17.02.2017 – 22 S 258/16, n.v., zitiert nach Bl. 123 ff. d.A).

Mit der Ansicht der Kammer steht überdies im Einklang, dass Vorschriften der Fluggastrechteverordnung, die den Fluggästen Ansprüche einräumen, weit auszulegen sind (EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – C 402/07 und C 432/07, Rn. 45, zitiert nach juris). Anerkannt ist ferner, dass Ausnahmen von Rechten der Fluggäste in Art. 5 Fluggastrechteverordnung angesichts des Ziels der Fluggastrechteverordnung, die Rechte von Fluggästen zu stärken, als Ausnahmevorschrift eng auszulegen sind (EuGH, Urt. v. 22.12.2008 – C-549/07, Rn. 17 m.w.N., zitiert nach juris).

Das streitgegenständliche Angebot der Beklagten zur Ersatzbeförderung erfüllte nicht die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung. Maßgebend hierfür ist entgegen der Ansicht der Berufung nicht, ob die planmäßige Ankunftszeit der Ersatzbeförderung die in der Norm genannten Zeiten einhält, sondern ob der Fluggast tatsächlich innerhalb dieser Zeiten befördert wurde. Dies war vorliegend nicht der Fall.

Soweit die Beklagte für ihre Auffassung den Wortlaut der Vorschrift und insbesondere die darin verwendete Zeitform anführt, vermag dies nicht zu überzeugen. Aus der Verwendung des Wortes „ermöglichen“ lässt sich semantisch nicht folgern, dass es nicht darauf ankomme, ob der angebotene Ersatzflug tatsächlich auch innerhalb von zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit lande. Vielmehr ist die Verwendung des Wortes „ermöglichen“ sprachlich schon vor dem Hintergrund nachvollziehbar, als ein Luftfahrtunternehmen einen Fluggast nicht zur Wahrnehmung des angebotenen Ersatzfluges zwingen kann (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 16.06.2016 – 2-24 S 208/15, Rn. 28, zitiert nach juris). Das Wort „ermöglichen“ hat auch für sich genommen keine eindeutige dahingehende Bedeutung, dass aus ihm nicht hergeleitet werden könne, ob das ermöglichte Ereignis tatsächlich eingetreten ist. Im Gegenteil wird das Wort regelmäßig auch in dem Sinne verwendet, dass jemand die Voraussetzungen für ein dann tatsächlich eingetretenes Ereignis geschaffen hat.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Verwendung des Präsens im Verordnungstext. Der Ansicht der Beklagten, dass ein Bezug des Wortes „ermöglichen“ auf eine tatsächlich innerhalb des genannten Zeitraums erfolgte Landung zwingend die Verwendung des Futur I („ermöglichen wird“) erfordert hätte, kann die Kammer nicht folgen. Zum einen verkennt die Beklagte dabei, dass das Präsens nicht nur benutzt wird, um eine Zeit auszudrücken, sondern es auch dem Ausdruck einer allgemeinen Gültigkeit dienen kann (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8. Aufl., 2015, S. 36). Es ist also geradezu das klassische Tempus für gesetzliche Regelungen. Zum anderen kann aber das Präsens tatsächlich auch zum Ausdruck zukünftiger Ereignisse verwendet werden (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, a.a.O.; Duden, Bd. 4, Die Grammatik, 9. Aufl., 2016, Rn. 723; sog. futurisches Präsens). Entgegen der Ansicht der Beklagten ist dies auch nicht nur bei einer bereits festgelegten zukünftigen Handlung der Fall, sondern auch dann, wenn der Zukunftsbezug schon durch den weiteren Zusammenhang angezeigt wird (Duden, Bd. 4, Die Grammatik, 9. Aufl., 2016, Rn. 723). Dies ist hier – wie nachfolgend ausgeführt sei – der Fall. Der hier entscheidende Satz des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung kann also sprachlich ohne Weiteres in dem Sinne ausgelegt werden, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen dem Fluggast ein Angebot zur anderweitigen Beförderung übermitteln muss, das es ihm dann auch tatsächlich ermöglicht, sein Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen. Die grammatikalische Konstruktion des Satzes steht dem entgegen der Ansicht der Berufung nicht entgegen. Hierzu musste die Kammer auch nicht, wie von der Berufung beantragt, ein sprachwissenschaftliches Gutachten einholen. Bei der Auslegung von Gesetzestexten handelt es sich um eine originäre richterliche Aufgabe. Über die notwendigen sprachwissenschaftlichen Kenntnisse verfügt die Kammer.

Im Ergebnis sprechen Sinn und Zweck der Regelung und der Fluggastrechteverordnung maßgeblich dafür, dass es für die Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung auf den tatsächlichen Ankunftszeitpunkt ankommt. Für eine Privilegierung des Luftverkehrsunternehmens durch die Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung in Fällen, in denen lediglich die theoretische Möglichkeit bestanden hätte, nicht mehr als zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel anzukommen, besteht nach dem Verordnungszweck kein Grund (LG Frankfurt, Urt. v. 16.06.2016 – 2-24 S 208/15, Rn. 29, zitiert nach juris). Wenn sich die Annullierung tatsächlich dergestalt auswirkt, dass der Fluggast über zwei Stunden später am Endziel ankommt, kompensiert der Ersatzflug die Annullierung nicht im von Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung vorgesehenen Maße. Für den Fluggast ist nicht die geplante Ankunft des angebotenen Ersatzflugs am Endziel entscheidend, sondern die tatsächliche Ankunft am Endziel. Dies berücksichtigt die Fluggastrechteverordnung, indem u.a. der Schaden ausgeglichen werden soll, der in einem Zeitverlust der betroffenen Fluggäste besteht und der angesichts seines irreversiblen Charakters nur mit einer Ausgleichszahlung ersetzt werden kann. Dieser Schaden entsteht auch den Fluggästen annullierter Flüge, wenn diese bei der in Anspruch genommenen Ersatzbeförderung vor dem Erreichen ihres Zielorts eine längere Beförderungszeit als die ursprünglich von dem Luftfahrtunternehmen angesetzte hinnehmen müssen (zum Vorstehenden EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – C 402/07 und C 432/07, Rn. 49 ff. m.w.N., zitiert nach juris). Dieser zu kompensierende Zeitverlust bliebe außer Betracht, wenn im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) Fluggastrechteverordnung nicht auf die tatsächliche Ankunft am Endziel, sondern auf die hypothetisch mögliche Ankunft am Endziel nach dem Flugplan abgestellt würde.

Soweit die Berufung ferner einwendet, ein Fluggast könne nach Art. 8 Abs. 1 lit. a) Fluggastrechteverordnung von dem Flug Abstand nehmen und sein Beförderungsentgelt erstattet verlangen, mag es sein, dass ein solcher Fluggast durch eine Verspätung des angebotenen Ersatzfluges nicht beeinträchtigt ist und daher auch keine Ausgleichszahlung zu erhalten hat. So liegt der hier zu entscheidende Fall aber nicht. Der Kläger hat die Ersatzbeförderung tatsächlich in Anspruch genommen

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 97 Abs. 1 ZPO und §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war im Hinblick auf das oben zitierte Urteil des LG Hannover zuzulassen. Zwar ist zwischenzeitlich offenbar eine Entscheidung des BGH zu Auslegungsfragen des Art. 5 Abs. 1 lit. c) sublit. iii) FluggastVO ergangen (BGH, Urteil vom 10.10.2017, X ZR 73/16). Die Gründe dieser Entscheidung sind aber noch nicht veröffentlicht.

Berufungsstreitwert: 250,00 EUR

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