AG Frankfurt – Az.: 29 C 1297/12 (46) – Urteil vom 02.08.2012
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von EUR 400,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.07.2012 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt als Fluggast eines Luftbeförderungsunternehmens aus eigenem Recht Ausgleichsleistungen in Höhe von EUR 400,00 pro Person gemäß § 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/01, ABl. Nr. L 46. S. 1 (fortan: „EG-Verordnung“) sowie Rechtshängigkeitszinsen,
Der Kläger buchte – ausweislich der … Individuell ausgestellten Buchungsbestätigung (Internet) / Rechnung vom 11.08.2011 (Bl. 4 dA) für sich selbst unter der Flugnummer … für den 11.01.2012 einen Flug von Gran Canaria nach Frankfurt am Main mit der planmäßigen Abflugzeit (Ortszeit) um 16:50 Uhr und der planmäßigen Ankunftszeit (Ortszeit) in Frankfurt am Main um 22:35 Uhr.
Der Flug wurde – soweit entscheidungserheblich unstreitig – nicht planmäßig durchgeführt. In Gran Canaria kam es – unstreitig – zu einer Abflugverzögerung, deren Dauer zwischen den Parteien im Streit steht. Die Luftbeförderung führte im Übrigen nicht nach Frankfurt am Main, sondern nach Köln, von wo aus die Weiterbeförderung nach Frankfurt am Main im Rahmen eines Bustransfers erfolgte. Verglichen mit der auf der Buchung ausgewiesenen Ankunftszeit kam der Kläger mehr als 5 Stunden später in Frankfurt am Main an.
Der Kläger behauptet, die Abflugverspätung in Gran Canaria habe 3 Stunden und 3 Minuten betragen. Der Kläger sei letztendlich gegen 05:00 Uhr in Frankfurt am Main angekommen.
Im Übrigen habe die Beklagte es unterlassen, eine Sondergenehmigung zur Landung nach 23:00 Uhr zu beantragen.
Der Kläger ist der Ansicht, maßgeblich sei allein die Ankunftsverspätung in Frankfurt am Main.
Das Nachtflugverbot sei kein außergewöhnlicher Umstand, da es sich dabei um eine um täglichen Flugbetrieb gewöhnliche Folgeerscheinung handele.
Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von EUR 400,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt eine Aussetzung des Verfahrens gem. § 148 ZPO analog im Hinblick auf die beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Vorabentscheidungsverfahren, verbundene Rechtssache C-436-11 und C-437/11.
Die Beklagte beantragt, die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der Flug sei mit einer Abflugverspätung von lediglich 2 Stunden und 59 Minuten gestartet und in Köln mit einer Ankunftsverzögerung von lediglich 2 Stunden und 25 Minuten gelandet.
Die Verspätung beruhe auf einem außergewöhnlichen Umstand. Nach pünktlichem Start des Fluggerätes habe dieses wegen einer eingetretenen Verzögerung nach Köln-Bonn ausweichen müssen, da eine Landung in Frankfurt am Main aufgrund der dort herrschenden Nachtflugbeschränkungen zwischen 23:00 Uhr lokal und 05:00 Uhr lokal nicht möglich gewesen sei. Die Nachtflugbeschränkung beruhe auf behördlicher Anordnung uns sei von der Beklagten nicht zu beeinflussen.
Die Beklagte ist der Ansicht, eine erhebliche Abflugverspätung im Sinne der EG-Verordnung habe nicht vorgelegen. Die für den Bodentransport zwischen Köln-Bonn und Frankfurt am Main erforderliche Zeitspanne sei der Ankunftsverzögerung nicht hinzuzurechnen.
Die Klage sei mangels Vorlage einer bestätigten Buchung im sinne der EG-Verordnung bzw. eines substantiierten Vortrags hierzu unschlüssig.
Nach der vorgerichtlichen Ablehnung der Ansprüche hätte die Beauftragung eines Rechtsanwalts keine zweckentsprechende Maßnahme der Rechtsverfolgung mehr dargestellt. Vielmehr hätte sogleich unbedingter Klageauftrag erteilt werden müssen.
Die Beklagte sei nach Art. 5 Abs. 3 der EG-Verordnung leistungsfrei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des jeweiligen Parteivorbringens wird verwiesen auf die gewechselten Schriftsätze, insbesondere des Klägers vom 06.06.2012 (Bl. 1 dA) und vom 26.07.2012 (Bl. 30 dA) sowie der Beklagten vom 20.07.2012 (Bl. 23 dA), einschließlich der jeweiligen Anlagen.
Die Klageschrift ist der Beklagten ausweislich des Empfangsbekenntnisses (Bl. 11 dA) am 06.07.2012 zugestellt worden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt am Main folgt zunächst aus der rügelosen Einlassung zur Hauptsache.
Im Übrigen folgt die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt am Main aus § 29 ZPO, denn Frankfurt am Main war Abflug- und Ankunftsort im Rahmen der hier streitgegenständlichen Nur-Flug-Buchung und zudem planmäßiger Ankunftsort der hier streitgegenständlichen Beförderung von Gran Canaria nach Frankfurt am Main.
Gemäß der Entscheidung des EuGH vom 09.07.2009 ist Art. 5 Nr. 1, lit. B zweiter Gedankenstrich der Verordnung EG Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass im Fall einer Beförderung von Personen im Luftverkehr von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage eines mit einer einzigen Luftfahrtgesellschaft, dem ausführenden Luftfahrtunternehmen, geschlossenen Vertrags für eine auf diesen Beförderungsvertrag und die Verordnung Nr. 261/2004 gestützte Klage auf Ausgleichszahlungen nach Wahl des Klägers das Gericht des Ortes des Abflugs oder das des Ortes der Ankunft des Flugzeugs entsprechend der Vereinbarung dieser Orte in dem Vertrag zuständig ist.
In Anwendung dieser Grundsätze hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 18.01.2011 (Aktenzeichen X ZR 71/10, veröffentlicht bei JURIS) entschieden, dass für den Fall, dass ein Ausgleichsanspruch nach der EG-Verordnung gegen ein Luftverkehrsunternehmen geltend gemacht werden soll, mit dem der Fluggast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, unabhängig vom Vertragsstatut Erfüllungsort im Sinne des § 29 ZPO sowohl der Ort des vertragsgemäßen Abflugs als auch der Ort der vertragsgemäßen Ankunft des Flugzeugs ist.
Hierzu hat der Bundesgerichtshof in der angeführten Entscheidung ausgeführt, was folgt (hier zitiert nach JURIS):
„Das Erfordernis „aus einem Vertragsverhältnis“ ist weit auszulegen (Stein/Jonas/Roth, aaO, § 29 Rn. 5) und schon dann erfüllt, wenn die Streitigkeit im Zusammenhang mit einem Vertrag steht und aus dem Vertragsverhältnis herrührt (MünchKomm/Patzina, aaO, § 29 Rn. 11). Bei den von den Klägern geltend gemachten Mindestrechten im Falle der Annullierung eines Flugs handelt es sich zwar um gesetzliche Ansprüche, die nicht aus dem Beförderungsvertrag folgen, den der Fluggast etwa mit dem Luftfahrtunternehmen abgeschlossen hat. Vielmehr richten sich die dem Fluggast eingeräumten Ansprüche gegen das ausführende Flugunternehmen, mit dem vertragliche Beziehungen nicht notwendigerweise bestehen müssen (BGH, Urteil vom 12. November 2009 – Xa ZR 76/07, RRa 2010, 34 Rn. 18; Urteil vom 28. Mai 2009 – Xa ZR 113/08, RRa 2009, 242 Rn. 9; Urteil vom 30. April 2009 – Xa ZR 78/08, RRa 2009, 239 Rn. 13). Dennoch handelt es sich um einen Anspruch auf vertraglicher Grundlage, denn Voraussetzung für die Anwendung der Verordnung ist gemäß deren Art. 3 Abs. 2 Buchst. a, dass die Fluggäste über eine bestätigte Buchung verfügen, was regelmäßig das Bestehen eines Beförderungsvertrags voraussetzt – sei es mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen, sei es mit einem anderen Unternehmen, für das jenes die Beförderungsleistung erbringt (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 – Xa ZR 61/09, RRa 2010, 90 Rn. 22; Urteil vom 12. November 2009 – Xa ZR 76/07, RRa 2010, 34 Rn. 18).“
Die von der Beklagten erhobene Rüge der Prozessvollmacht greift nicht durch. Der Kläger legte mit Schriftsatz vom 26.07.2012 eine Vollmacht vom 31.05.2012 (Bl. 33 dA) zugunsten der Hauptbevollmächtigten vor.
Eine Rechtsgrundlage, aufgrund der gegen den Willen einer Partei ein Verfahren im Hinblick auf eine zu erwartende Leitentscheidung ausgesetzt werden könnte, steht nicht zur Verfügung.
Ganz unabhängig von der Frage, ob und in welchem Umfang die zu erwartenden Leitentscheidungen in den Vorlageverfahren überhaupt eine Relevanz für den vorliegenden Rechtsstreit haben, gibt die zu erwartende Leitentscheidung dem Gericht nicht die Möglichkeit, das vorliegende Verfahren nach § 148 ZPO auszusetzen. In den benannten Vorlageverfahren geht es nicht um dasselbe Rechtsverhältnis im Sinne von § 148 ZPO. Dass dort möglicherweise dieselbe Rechtsfrage eine Rolle spielt, genügt nach bisher herrschender Ansicht für eine Aussetzung gem. § 148 ZPO nicht. Rechtsverhältnis im Sinne von § 148 ZPO bedeutet, dass es um eine konkrete, das heißt auf einem bestimmten Sachverhalt aufbauende, Beziehung geht. Die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage stellt kein vorgreifliches Rechtsverhältnis dar.
§ 148 ZPO regelt die Situation, dass zwei Gerichte oder ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde gleichzeitig über ein und dasselbe Rechtsverhältnis zu entscheiden haben, von dessen Feststellung der Ausgang der Verfahren abhängt. Dann kann das eine Gericht das bei ihm anhängige Verfahren aussetzen und die Entscheidung des anderen Gerichts bzw. der Verwaltungsbehörde abwarten. Ihm kommt dabei ein Ermessen zu, das unter anderem davon abhängt, in welcher Zeit mit einer klärenden Entscheidung zu rechnen ist und wie weit die eigenen Sachverhaltsfeststellungen schon vorangeschritten sind. Um eine derartige Konstellation geht es aber im Hinblick auf eine zu erwartende Leitentscheidung betreffend eine möglicherweise auch in diesem Verfahren maßgebliche Rechtsfrage nicht.
Dass es aus verfahrensökonomischen Gründen zur Vermeidung weiterer, unverhältnismäßiger Kosten zweckmäßig sein könnte, die Entscheidung(en) in den Vorlageverfahren abzuwarten, reicht für eine Aussetzung (gegen den Willen der Klägerseite) gem. § 148 ZPO nicht aus.
Im übrigen sprechen vorliegend noch nicht einmal Gründe der Verfahrensökonomie für eine Aussetzung, weil es auf die streitigen Fragen zur Auslegung der EG-Verordnung bei Fällen erheblicher Verzögerungen überhaupt nicht ankommt, denn es liegt kein Fall einer Verzögerung vor, sondern eine Nichtbeförderung im Sinne der EG-Verordnung.
Auch eine Vorlageverpflichtung nach Art. 234 Abs. 3 EG greift nicht ein, da eine solche nur dann besteht, wenn ein Rechtsstreit vor einem einzelstaatlichen Gericht anhängig ist, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können. In einem solchen Fall ist das Gericht zur Anrufung des EuGH verpflichtet, wenn eine Vorfrage in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht entscheidungserheblich ist. Vorliegend ist aber zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung die Berufung zuzulassen, so dass das Amtsgericht seinerseits nicht zur Vorlage verpflichtet war.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ausgleichsleistungen in Höhe von insgesamt EUR 400,00 gem. Artt. 5 Abs. 1 c), 7 Abs. 1 b) der EG-Verordnung in Verbindung mit dem zugrunde liegenden Luftbeförderungsvertrag.
Der Kläger ist als Fluggast aus eigenem Recht anspruchsberechtigt. Die Beklagte ist als ausführendes Luftfahrtunternehmen passivlegitimiert.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Ausgleichsanspruch in Höhe von insgesamt EUR 400,00 pro Person/Fluggast zu, denn der gebuchte Flug wurde nicht planmäßig durchgeführt. Der Kläger wurde unstreitig weder zu den vertraglich vereinbarten Zeiten noch auf der vertraglich vereinbarten Strecke befördert und erreichte das vertraglich vereinbarte Endziel, den Flughafen Frankfurt am Main, nach einer anderweitigen Beförderung unter Einsatz eines Bodentransportes von Köln nach Frankfurt am Main erst mit einer Verzögerung von mehr als 5 Stunden.
Der sachliche Anwendungsbereich der EG-Verordnung ist vorliegend eröffnet, da es sich bei der streitgegenständlichen Luftbeförderung um einen Flug im Sinne der EG-Verordnung handelte, der von einem Luftbeförderungsunternehmen mit Sitz im Gemeinschaftsgebiet ausgeführt wurde und zum Gemeinschaftsgebiet, nämlich planmäßig nach Frankfurt am Main und tatsächlich nach Köln, führte.
Die verfahrensgegenständliche Abweichung der tatsächlich durchgeführten Beförderung von der ursprünglich vertraglich vereinbarten Beförderung ist rechtlich als Nichtbeförderung/Annullierung im Sinne der EG-Verordnung einzuordnen, nicht aber als Verzögerung, so dass es im Ergebnis nicht entscheidungserheblich darauf ankommt, ob die von der Rechtsprechung entwickelten Schwellenwerte für eine erhebliche Abflugverzögerung erreicht worden sind und ob zu der Verzögerung die Zeiten des Bodentransports hinzuzurechnen sind oder nicht.
Bei der Abgrenzung zwischen einer Verspätung und einer Nichtbeförderung/Annullierung ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen. Dabei sind bestimmte Indizien heranzuziehen, wie zum Beispiel die Beförderung mit einer anderen Fluggesellschaft, die Beförderung auf einem anderen Flugzeug, die Vergabe einer neuen Flugnummer, die Wiederaushändigung des Gepäcks, ein erneutes Einchecken, das heißt das erneute Zuteilen von Sitzplätzen und/oder einer neuen Bordkarte.
Ein Luftbeförderungsvertrag ist nach herrschender Meinung ein (relatives) Fixgeschäft, wonach der Luftfrachtführer, vorliegend also die Beklagte, eine Beförderung zur vereinbarten Zeit schuldet. Wird ein nach Datum, Uhrzeit und Flugnummer konkretisierter Flug nicht durchgeführt und werden Fluggäste beispielsweise an einem anderen Kalendertag mit anderem Personal befördert, ist dies schon nicht mehr die vertraglich geschuldete Leistung, sondern eine Ersatzbeförderung.
Eine Verspätung schlägt immer dann in eine Nichtbeförderung um, wenn die bestimmte oder vertraglich vereinbarte Flugzeit unangemessen überschritten wird. Wann das der Fall ist, ist im Einzelfall zu bestimmen. Einen Anhaltspunkt gibt insoweit die Regelung des Art. 6 I lit. c iii i.V. mit Art. 8 I der VO: Nach fünf Stunden hat der Fluggast das Recht, vom Luftbeförderungsvertrag zurückzutreten und eine vollständige Erstattung des Flugpreises zu verlangen. Eine um fünf Stunden später durchgeführte (Weiter-) Beförderung kann also nicht mehr als verspätete Beförderung des vereinbarten Flugs angesehen werden, sondern als Nichtbeförderung.
Vorliegend war eine Luftbeförderung von Gran Canaria nach Frankfurt am Main zu einer bestimmten Uhrzeit vereinbart. Tatsächlich wurde – nach eigenem Vorbringen der Beklagten – eine um mehr als 2 Stunden bzw. nahezu 3 Stunden („2 Stunden 59 Minuten“, Schriftsatz der Beklagten vom 20.07.2012, Bl. 23 dA) verzögerte Luftbeförderung von Gran Canaria nach Köln durchgeführt. Eine solche Beförderung ist eine anderweitige Beförderung, so dass nicht mehr eine Verspätung im Rechtssinne, sondern eine Nichtbeförderung im Sinne der EG-Verordnung vorliegt.
Diese Auslegung befindet sich im Einklang mit dem Wortlaut und mit der Ratio der EG-Verordnung, die in Artikel 8, auf den sich die Beklagte ausdrücklich bezieht, Vorgaben in Bezug auf eine anderweitige Beförderung macht. Aus Art. 8 Abs. 3 EG-Verordnung ergibt sich zweifelsfrei, dass eine Beförderung, die zu einem anderen als dem auf dem Flugschein ausgewiesenen Flughafen führt, eine anderweitige Beförderung darstellt. Im Falle einer anderweitigen Beförderung im Sinne von Art. 8 der EG-Verordnung ist normativ eine Anspruchskürzung vorgesehen. Nach Art. 7 Abs. 2 der EG-Verordnung kann das ausführende Luftbeförderungsunternehmen die Ausgleichszahlungen um 50% kürzen, wenn im Rahmen einer anderweitigen Beförderung das Endziel – in Abhängigkeit von der Flugstrecke – nicht später als 2 bis 4 Stunden erreicht wird. Aus dieser Verzahnung von Art. 7 der EG-Verordnung und Art. 8 der EG-Verordnung ergibt sich zweifelsfrei, dass anderweitige Beförderungen im Sinne von Art. 8 der EG-Verordnung strukturell Nichtbeförderungen sind. Auf die Privilegierung/den Anreiz in Art. / Abs. 2 der EG-Verordnung kann sich die Beklagte vorliegend im Hinblick darauf, dass – selbst nach ihrem eigenen Vorbringen – das Endziel Frankfurt am Main nicht später als 3 Stunden erreicht wurde, nicht berufen.
Bei dieser Sachlage kommt es auf die Relevanz der obergerichtlichen Rechtsfortbildung betreffend die Gleichsetzung einer erheblichen Verspätung mit einer Nichtbeförderung nicht entscheidungserheblich an.
Der Ausgleichsanspruch ist nicht entsprechend Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ausgeschlossen. Die Nichtbeförderung geht nicht auf außergewöhnliche Umstände im Sinne dieser Vorschrift zurück. Die Beklagte hat etwaige Entlastungsgründe im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung weder hinreichend substantiiert dargelegt, noch in zulässiger Weise unter Beweis gestellt.
Dass vorliegend Nachtflugbeschränkungen am Flughafen Frankfurt am Main eine Landung in Frankfurt am Main unmöglich machten, kann dabei als wahr unterstellt werden. Dies beruht aber nicht etwa auf einer plötzlichen und unvorhergesehenen, schlechterdings unvorhersehbaren und gleichsam willkürlichen behördlichen (Einzelfall-) Entscheidung, sondern darauf, dass die Beklagte nicht innerhalb des vorgesehenen Slots zu laden beabsichtigte, sondern mit einer Verzögerung, bedingt durch die – eingeräumte – Abflugverzögerung in Gran Canaria von mehr als zwei Stunden.
Planmäßig sollte der Flug weniger als eine halbe Stunde (25 Minuten) vor Eintritt der Nachtflugbeschränkungen landen. Dass auf der hier streitgegenständlichen Strecke eine Abflugverzögerung von 2 Stunden 59 Minuten in einer Weise aufgeholt werden könnte, dass eine Landung in Frankfurt am Main noch vor 23:00 Uhr möglich gewesen wäre, ist weder dargetan, noch sonst ersichtlich. Auf eine Strecke von weniger als 3500km mit einer planmäßigen Flugzeit von 4:45h hätten dazu 2 ½ Stunden aufgeholt werden müssen, was jedenfalls bei üblichen Witterungsverhältnissen und dem Einsatz üblicher Passagiermaschinen nicht möglich erscheint.
Wäre das streitgegenständliche Flugzeug tatsächlich pünktlich oder jedenfalls mit einer Verzögerung von weniger als 25 Minuten gestartet, hätte – übliche Flugzeiten einmal unterstellt – in Frankfurt am Main gelandet werden können. Dass sich die Nachtflugbeschränkungen überhaupt auf den verfahrensgegenständlichen Flug in der Weise auswirken konnten, dass keine Landeerlaubnis mehr erteilt wurde, beruht allein darauf, dass der Flug – aus unbekannten Gründen – mit einer Abflugverzögerung von über 2 Stunden / nahezu 3 Stunden von Gran Canaria abging.
Gemäß Art. 5 Abs. 3 der EG-Verordnung entfällt die Ausgleichszahlung in Fällen, in denen das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die Annullierung trotz zumutbarer Maßnahmen auf außergewöhnliche, unvermeidbare Umstände zurückzuführen ist. Auch wenn ein solcher außergewöhnlicher Umstand vorgelegen hat, muss das Luftfahrtunternehmen allerdings substantiiert darlegen und nachweisen, dass der außergewöhnliche Umstand für den annullierten Flug überhaupt relevant geworden ist.
Welche Gründe hier im Einzelnen zu der Abflugverspätung in Gran Canaria führten, ist unbekannt. Das reicht aber nicht ansatzweise aus für eine Entlastung.
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 3 der EG-Verordnung eng auszulegen. Vorkommnisse, die Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und im Rahmen der eigenen Dispositionen, beispielsweise auch durch die Einplanung einer hinreichenden Zeitreserve beherrschbar sind, stellen grundsätzlich keine Entlastungsgründe dar.
Daran würde sich im Ergebnis auch nichts ändern, wenn die Abflugverspätung – wofür es allerdings keine Anhaltspunkte gibt – auf einem außergewöhnlichen Umstand beruhen würde. Artikel 5 Abs. 3 der EG-Verordnung ist nämlich dahin auszulegen, dass das Luftfahrtunternehmen, da es alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen hat, um außergewöhnliche Umstände zu vermeiden, die mit dem etwaigen Eintritt außergewöhnlicher Umstände verbundene Möglichkeit von Verspätungen bei der Flugplanung angemessen berücksichtigen muss. Es muss daher eine gewisse Zeitreserve vorsehen, um den Flug insgesamt möglichst bald nach dem Wegfall der außergewöhnlichen Umstände durchführen zu können. Da vorliegend die planmäßige Ankunftszeit in Frankfurt am Main nur 25 Minuten vor Eintritt der Nachtflugbeschränkungen liegt, muss die Zeitreserve zwischen dem Vorflug und dem streitgegenständlichen Flug umso größer sein, um etwaige Verzögerungen auffangen zu können.
Der Zinsausspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung wird zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zugelassen.