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Aussetzung Zivilverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Strafverfahrens

Streit um Aussetzung: Zivilverfahren auf Eis bis zum Strafurteil?

Das Oberlandesgericht Brandenburg bestätigte den Beschluss des Landgerichts Potsdam und wies die sofortige Beschwerde der Beklagten zurück. Die Entscheidung betont, dass eine Aussetzung des Zivilverfahrens nicht gerechtfertigt sei, auch wenn den Beklagten die Akteneinsicht im parallel laufenden Strafverfahren verwehrt blieb. Der Beschluss verdeutlicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung zwischen den Vorteilen einer zusätzlichen Erkenntnis im Strafverfahren und der Verzögerung des Zivilprozesses.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 12 W 20/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Bestätigung des Landgerichtsbeschlusses: Das Oberlandesgericht lehnte die Beschwerde ab und bestätigte die Entscheidung des Landgerichts Potsdam.
  2. Keine Aussetzung des Zivilverfahrens: Trotz fehlender Akteneinsicht für die Beklagten im Strafverfahren wurde eine Aussetzung des Zivilverfahrens nicht als notwendig erachtet.
  3. Abwägung im Gerichtsprozess: Das Gericht muss zwischen dem Erkenntnisgewinn im Strafverfahren und der Verzögerung des Zivilprozesses abwägen.
  4. Unabhängigkeit von Straf- und Zivilverfahren: Das Zivilverfahren muss nicht aufgrund von Entwicklungen im Strafverfahren pausiert werden.
  5. Keine Rechtsbeschwerde zugelassen: Das Oberlandesgericht ließ keine Rechtsbeschwerde zu.
  6. Vorwurf der Schmiergeldzahlungen: Der Fall beinhaltete Vorwürfe von Schmiergeldzahlungen durch den früheren Geschäftsführer der Klägerin.
  7. Bedeutung der Waffengleichheit: Die Entscheidung berücksichtigt den Grundsatz der Waffengleichheit, sieht diesen aber nicht als beeinträchtigt an.
  8. Komplexität des Falles: Das Gericht erkennt die Komplexität des Falls an, sieht jedoch keinen Grund für eine Verfahrensaussetzung.

Die Schnittstelle zwischen Straf- und Zivilrecht: Ein juristischer Überblick

Zivilrecht
(Symbolfoto: Gorodenkoff /Shutterstock.com)

Im Spannungsfeld der deutschen Rechtsordnung stehen oft zwei zentrale Rechtsgebiete: das Strafrecht und das Zivilrecht. Beide Bereiche, obwohl unterschiedlich in ihren Verfahren und Zielsetzungen, können sich in bestimmten Fällen überschneiden und beeinflussen. Ein solcher Fall tritt auf, wenn ein laufendes Strafverfahren direkte Auswirkungen auf ein paralleles Zivilverfahren hat. Hier entsteht die Frage, inwieweit ein Zivilverfahren ausgesetzt werden sollte, bis ein entscheidendes Strafverfahren seinen rechtskräftigen Abschluss gefunden hat. Diese Fragestellung berührt nicht nur die Prinzipien der Rechtssicherheit und des fairen Verfahrens, sondern stellt auch das Verhältnis von Strafverfolgung und zivilrechtlichen Ansprüchen in den Vordergrund.

Besonders interessant wird es, wenn höhere Instanzen wie das Oberlandesgericht Brandenburg involviert sind, deren Urteile oft wegweisend für die Handhabung solcher Fälle sind. Die Rollen von Klägerin und Beklagter sowie die Entscheidungen in Bezug auf Beschwerden gegen vorangegangene Urteile bieten aufschlussreiche Einblicke in die Funktionsweise unseres Rechtssystems. Der folgende Abschnitt beleuchtet ein konkretes Urteil, das diese spannende Schnittstelle zwischen Straf- und Zivilrecht illustriert und wichtige Erkenntnisse für Juristen, Rechtssuchende und Interessierte bietet. Lassen Sie uns eintauchen in die Details dieses faszinierenden Falles.

Der Streit um die Aussetzung eines Zivilverfahrens

Im Zentrum des aktuellen Falles steht die Auseinandersetzung zwischen der Klägerin, einer Firma zuständig für die Lagerung, Sicherung und Verwertung von Abfällen, und den Beklagten. Die Klägerin fordert von den Beklagten eine Rückzahlung von 5.152.157,44 € aufgrund von behaupteten Schmiergeldzahlungen, die der frühere Geschäftsführer der Klägerin von den Beklagten erhalten haben soll. Diese Zahlungen sollen zwischen 2015 und 2019 erfolgt sein und hätten zu einer bevorzugten Behandlung der Beklagten bei Auftragsvergaben geführt. Parallel dazu läuft ein Strafverfahren gegen den ehemaligen Geschäftsführer der Beklagten zu 1 bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin unter dem Aktenzeichen 365 Js 15676/17.

Konflikt um Akteneinsicht und Fairness im Verfahren

Die Beklagten beantragten eine Aussetzung des Zivilverfahrens nach § 149 Abs. 1 ZPO, da ihnen die Einsicht in die Ermittlungsakte des Strafverfahrens verwehrt wurde. Sie argumentieren, dass die Klägerin aus der Ermittlungsakte zitiere und somit einen Wissensvorsprung habe. Dies würde den Grundsatz der Waffengleichheit verletzen und ein faires Verfahren gefährden. Das Landgericht wies die Anträge der Beklagten zurück, woraufhin diese sofortige Beschwerde einlegten. Sie betonten, dass ohne Einsicht in die Akten eine angemessene Reaktion auf die Klageschrift nicht möglich sei.

Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg

Das Oberlandesgericht Brandenburg befasste sich mit der Beschwerde und stellte fest, dass die sofortige Beschwerde der Beklagten zwar statthaft und zulässig, aber in der Sache unbegründet sei. Der Senat erklärte, dass die vom Landgericht vorgenommene Abwägung zwischen dem Nutzen einer Aussetzung und der Verzögerung des Zivilprozesses unzureichend war. Allerdings sah das Gericht keinen Grund für eine Aussetzung des Verfahrens, da die Beklagten nicht ausreichend darlegten, warum die fehlende Akteneinsicht ihre Verteidigungsfähigkeit beeinträchtigt. Zudem wurde angemerkt, dass die Aussetzung eines Verfahrens nach § 149 ZPO nicht dazu dient, fehlende Erkenntnismöglichkeiten einer Partei auszugleichen.

Keine Rechtsbeschwerde und Implikationen für die Zukunft

Das Gericht wies die Beschwerde der Beklagten zurück und erlaubte keine Rechtsbeschwerde, da keine grundsätzliche Bedeutung für die Rechtsordnung erkennbar war. Diese Entscheidung verdeutlicht, dass die Aussetzung eines Zivilverfahrens während eines parallel laufenden Strafverfahrens keine Selbstverständlichkeit darstellt, insbesondere wenn das Strafverfahren längere Zeit in Anspruch nimmt und kein direkter Zusammenhang zwischen den Erkenntnissen des Strafverfahrens und den Ansprüchen im Zivilverfahren besteht.

Der vorliegende Fall bietet somit wichtige Einblicke in die Abwägungsprozesse bei der Entscheidung über eine Verfahrensaussetzung und betont die Bedeutung der Waffengleichheit und des fairen Verfahrens im deutschen Rechtssystem. Das Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg stellt einen wichtigen Orientierungspunkt für ähnliche Fälle in der Zukunft dar und unterstreicht die Notwendigkeit einer detaillierten Prüfung der Umstände jedes einzelnen Falles.

Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt


Was bedeutet die „Aussetzung eines Zivilverfahrens“ und unter welchen Umständen kann sie angeordnet werden?

Die „Aussetzung eines Zivilverfahrens“ bezeichnet den Stillstand eines Verfahrens, der durch das Gericht angeordnet wird. Dies kann aus zwei Hauptgründen geschehen:

  • Wenn die Entscheidung des Prozesses ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, über das ein besonderer Rechtsstreit anhängig ist, oder von der Entscheidung einer Verwaltungsbehörde (oder des Verwaltungsgerichts) abhängt. In diesem Fall wird das Verfahren bis zur Entscheidung des anderen Prozesses oder der Verwaltungsbehörde ausgesetzt.
  • Wenn sich im Laufe des Rechtsstreits der Verdacht einer strafbaren Handlung ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist. In diesem Fall wird das Verfahren bis zur Erledigung des Strafverfahrens ausgesetzt.

Die Aussetzung eines Zivilverfahrens kann auch dann angeordnet werden, wenn bereits vor dem Zivilverfahren der Verdacht einer Straftat bestand. Die Entscheidung zur Aussetzung liegt im Ermessen des Zivilgerichts und kann im Interesse von Prozessökonomie und einheitlichen Prozessergebnissen dazu führen, dass der Wille der Parteien, ein Verfahren fortzusetzen, in zeitlich begrenztem Umfang suspendiert wird.

Die Wirkung der Aussetzung entspricht der der Unterbrechung, d.h., dass der Lauf einer jeden Frist aufhört und nach Beendigung der Aussetzung die Fristen wieder neu zu laufen beginnen. Gemäß § 150 ZPO darf das Gericht die von ihm verhängte Aussetzung eigenmächtig aufheben. Nach § 149 Abs. 2 S. 1 ZPO ist das ausgesetzte Verfahren nach Ablauf eines Jahres fortzusetzen, wenn eine Partei dies beantragt.

Inwiefern beeinflusst der „rechtskräftige Abschluss eines Strafverfahrens“ die Entscheidungen in einem parallel laufenden Zivilverfahren?

Der rechtskräftige Abschluss eines Strafverfahrens kann das parallel laufende Zivilverfahren in mehreren Aspekten beeinflussen.

Zunächst ist zu beachten, dass der Zivilrichter grundsätzlich nicht an rechtskräftige Strafurteile gebunden ist. Das bedeutet, dass der Zivilrichter die Voraussetzungen der Haftpflicht unabhängig von einer möglichen Verurteilung durch den Strafrichter beurteilen soll.

Trotzdem kann das Strafverfahren präjudiziell wirken, da sich der Zivilrichter in der Praxis häufig stark am Strafverfahren orientiert oder sogar darauf stützt. Die im Straf- und Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse können einen erheblichen Einfluss auf die zivilrichterliche Entscheidung haben.

Es gibt auch Fälle, in denen das Zivilverfahren bis zum Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt werden kann. Dies liegt im Ermessen des Gerichts und erfordert eine Abwägung zwischen der Förderung des Zivilprozesses und dem Vorteil des zusätzlichen Erkenntnisgewinns.

Darüber hinaus kann ein rechtskräftiges Strafurteil nicht unberücksichtigt bleiben, wenn es einen engen rechtlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Zivilverfahren gibt. In solchen Fällen muss sich das Zivilgericht mit den Feststellungen des Strafurteils auseinandersetzen, soweit diese für die eigene Beweiswürdigung von Bedeutung sind.

Es ist jedoch zu beachten, dass die Verwendung von Informationen aus der Ermittlungsakte oder der Anklageschrift in einem parallel laufenden Zivilverfahren eine Strafbarkeit nach § 353d StGB auslösen kann.

Schließlich kann ein rechtskräftiges Strafurteil auch die Beweisführung im Zivilverfahren beeinflussen. So kann beispielsweise ein Geständnis im Strafverfahren auch im Zivilverfahren Bedeutung haben.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die spezifischen Auswirkungen des Abschlusses eines Strafverfahrens auf ein parallel laufendes Zivilverfahren von vielen Faktoren abhängen können, einschließlich der Art der beteiligten Straftat, der spezifischen Umstände des Falles und der jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 12 W 20/22 – Beschluss vom 02.08.2022

Die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 1 gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 25.05.2022, Az. 6 O 184/21, wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin, zuständig für die Lagerung, Sicherung und Verwertung von Abfällen an vier Standorten im Land Brandenburg, nimmt die Beklagten auf Rückzahlung zu viel gezahlter Vergütung bzw. Schadensersatz in Höhe von 5.152.157,44 € mit der Begründung in Anspruch, der Beklagte zu 3 – früherer Geschäftsführer der Klägerin – habe in den Jahren 2015 bis 2019 von den Beklagten zu 1 und 2 Schmiergeldeinnahmen in erheblichem Umfang erhalten und als Gegenleistung die Beklagte zu 1 und damit auch die Beklagte zu 2 als deren Subunternehmerin bei Vergabe von Aufträgen ohne sachliche Rechtfertigung bevorzugt. Bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin ist unter dem Aktenzeichen 365 Js 15676/17 ein unter anderem gegen den früheren Geschäftsführer der Beklagten zu 1 geführtes Ermittlungsverfahren anhängig.

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Auf Antrag der Beklagten hat das Landgericht zunächst mit Beschluss vom 15.02.2022 das Verfahren für die Dauer von einem Jahr, jedoch nicht länger als bis zur Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft Neuruppin ausgesetzt. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin ist mit Beschluss des erkennenden Senats vom 05.05.2022 (12 W 12/22) verworfen worden, nachdem zwischenzeitlich die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abgeschlossen sind und Anklage vor dem Landgericht Neuruppin unter anderem auch gegen den früheren Geschäftsführer der Beklagten zu 1 erhoben worden ist.

Die Beklagten zu 1 und 2 haben mit Schriftsätzen vom 14.04.2022 bzw. 02.05.2022 erneut beantragt, das Verfahren nach § 149 Abs. 1 ZPO solange auszusetzen, bis das bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin gegen den ehemaligen Geschäftsführer der Beklagten zu 1 und den Geschäftsführer der Beklagten zu 2, K… H… A…, geführte Strafverfahren zum Aktenzeichen 365 Js 15676/17 abgeschlossen ist. Zur Begründung haben sie sich im Wesentlichen darauf berufen, dass ihnen bislang von der Staatsanwaltschaft keine Akteneinsicht in die Ermittlungsakte gewährt worden sei, während die Klägerin umfassend auf der Grundlage des aktuellen Stands der Ermittlungsakte vortrage. Die Klägerin ist den Aussetzungsanträgen entgegengetreten.

Mit Beschluss vom 25.05.2022 hat das Landgericht die Aussetzungsanträge der Beklagten zu 1 und der Beklagten zu 2 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen der Aussetzung lägen aus den fortbestehenden Gründen des Beschlusses des Senats vom 05.05.2022 nicht vor. Hinzu trete, dass den Beklagten mittlerweile eine Anklageschrift vorliege, das Ermittlungsverfahren mithin weiter fortgeschritten sei, was den Beklagten voraussichtlich die Erwiderung auf die Klage noch erleichtern werde.

Gegen diesen ihren Prozessbevollmächtigten am 31.05.2022 zugegangenen Beschluss hat die Beklagte zu 1 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie weiterhin begehrt, das Verfahren nach § 149 Abs. 1 ZPO bis zum Abschluss des gegen den früheren Geschäftsführer der Beklagten zu 1 geführten Strafverfahrens auszusetzen. Sie beruft sich weiterhin darauf, dass sie auf vielfache Anträge bislang keine Einsicht in die gegenständliche Ermittlungsakte erhalten habe, während die Klägerin extensiv aus der Ermittlungsakte zitiere und hieraus ihre eigenen Schlüsse ziehe. Sie habe damit einen Kenntnisvorsprung gegenüber der Beklagten zu 1, der nach dem Grundsatz der Waffengleichheit nur durch eine Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluss des gegen den ehemaligen Geschäftsführer geführten Strafverfahrens behoben werden könne. Bei einer unterbliebenen Aussetzung liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens auf der Hand. Die anwaltlichen Vertreter der Klägerin berieten diese auch im Strafprozess und hätten daher auch Kenntnis von der Ermittlungsakte, während die anwaltlichen Vertreter der Beklagten zu 1 diese ausschließlich in zivilrechtlicher Hinsicht berieten.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 03.06.2022 nicht abgeholfen und dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 1 ist gemäß §§ 252, 567 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache bleibt sie ohne Erfolg.

Der Senat geht bei interessengerechter Auslegung des Beschwerdebegehrens davon aus, dass die Aussetzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens gegen den früheren Geschäftsführer begehrt wird und nicht nur bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens, da bereits Anklage erhoben wurde.

Gemäß § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn sich im Verlauf eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zum Abschluss des Strafverfahrens anordnen. Die Vorschrift findet auch dann Anwendung, wenn der Verdacht der Straftat bereits vor dem oder zu Beginn des Verfahrens besteht (vgl. BGH NJW 2018, 2267 Rn. 13). Das Gericht muss bei der Entscheidung über die Aussetzung, die in seinem Ermessen liegt, die Förderung des Zivilprozesses gegenüber dem Vorteil des zusätzlichen Erkenntnisgewinns abwägen, wobei die Ermessenserwägungen nachprüfbar dargelegt werden müssen. Für das Beschwerdegericht muss aufgrund der Begründung des Aussetzungsbeschlusses nachprüfbar sein, dass das Gericht den Vorteil einer gründlicheren Klärung im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz im Strafprozess aufgrund der konkreten Umstände des Falles gegen den Nachteil der Verzögerung einer Entscheidung im Zivilprozess abgewogen hat (vgl. BGH MDR 2010, 280, Rn. 10). Dabei ist das Vorliegen eines Aussetzungsgrundes vom Beschwerdegericht uneingeschränkt zu überprüfen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 12; BGH NJW-RR 2006, 1289 Rn. 6; Brandenburgisches OLG – 7. Zivilsenat – Beschluss vom 18.02.2019 – 7 W 9/19 -, juris Rn. 7; OLG München, Beschluss v. 22.08.2017 – 13 W 1171/17, BeckRS 2017, 121638 Rn. 15).

Gemessen an diesen Maßstäben ist der angegriffene Beschluss des Landgerichts bereits fehlerhaft, da er nicht erkennen lässt, inwieweit das Landgericht bei seiner Ermessensentscheidung die gebotene Abwägung zwischen besseren Erkenntnismöglichkeiten des Strafverfahrens und einer Verzögerung des Zivilrechtsstreits vorgenommen hat. Die Bezugnahme in den – ohnehin äußerst knappen – Gründen auf die „fortbestehenden Gründe des Beschlusses des Senats vom 05.05.2022 (12 W 12/22), denen die Kammer folge“, ist unverständlich, da sich der Senat seinerzeit in dem Beschluss zum Vorliegen eines Aussetzungsgrundes aufgrund der eingetretenen prozessualen Überholung der sofortigen Beschwerde der Klägerin gegen den Aussetzungsbeschluss nicht geäußert hat. Ob die sofortige Beschwerde der Klägerin seinerzeit in der Sache Erfolg gehabt hätte, konnte deshalb offen bleiben. Auf welche „fortbestehenden Gründe“ das Landgericht abstellt, bleibt unklar. Hinzu kommt, dass das Landgericht in seinem Beschluss vom 15.02.2022 zunächst eine Aussetzung des Verfahrens angeordnet hat und dabei in den Beschlussgründen ausgeführt hat, es werde gegebenenfalls neu zu prüfen sein, ob nach Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen eine weitergehende Aussetzung veranlasst sein könnte. Dass eine solche Prüfung stattgefunden hat, lässt sich dem angegriffenen Beschluss nicht entnehmen.

In der Sache liegt jedoch ein Aussetzungsgrund nicht vor, so dass die sofortige Beschwerde zurückzuweisen ist.

Aus § 149 Abs. 2 ZPO folgt, dass eine Aussetzung in der Regel zu unterbleiben hat, wenn abzusehen ist, dass das Strafverfahren länger als 1 Jahr dauern wird (vgl. BGH NJW 2018, 2267 Rn. 18; Brandenburgisches OLG – 7. Zivilsenat – a.a.O. Rn. 16; OLG München a.a.O. Rn. 19; so auch der Senat im Beschluss vom 26.01.2010 – 12 W 62/09, NJW-RR 2010, 787, 788). Zwischen den Parteien steht nicht im Streit, dass das Strafverfahren voraussichtlich länger als 1 Jahr dauern wird. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage zum Landgericht Neuruppin erhoben. Ob bereits eine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen worden ist, ist nicht bekannt. Angesichts der Komplexität des Verfahrens ist nicht damit zu rechnen, dass dieses innerhalb eines Jahres rechtskräftig abgeschlossen sein wird. Es müssen somit gewichtige Gründe im Sinne des § 149 Abs. 2 S. 2 ZPO vorliegen, die für eine Aussetzung trotz der damit verbundenen Verzögerung des Zivilrechtsstreits sprechen. Solche gewichtigen Gründe sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Beklagte zu 1 beruft sich sowohl in ihrem Aussetzungsantrag als auch in der Beschwerdebegründung allein darauf, dass ihr noch keine Einsicht in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten gewährt worden sei. Unabhängig davon, ob dies zutrifft, reicht dies nicht aus, um eine Aussetzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des gegen den früheren Geschäftsführer der Beklagten zu 1 geführten Strafverfahrens zu rechtfertigen. Die Aussetzung nach § 149 ZPO dient nicht dazu, fehlende Erkenntnismöglichkeiten einer Partei auszugleichen (vgl. Senat, Beschluss v. 26.01.2010 a.a.O.). Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Beklagte zu 1 ohne Einsichtnahme in die Akten daran gehindert sein soll, sachgerecht auf das Vorbringen in der Klageschrift zu erwidern. Der Beklagten zu 1 sind die den Klagevorwürfen zugrunde liegenden Tatsachen größtenteils bekannt. Sie hat die Möglichkeit, über ihren ehemaligen Geschäftsführer dazu konkret Stellung zu nehmen. Da die jetzigen Geschäftsführer der Beklagten zu 1 nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Klägerin die Lebensgefährtin und der Schwiegersohn des ehemaligen Geschäftsführers H… sind, dürften dabei auch keine großen Schwierigkeiten bestehen. Welche Erkenntnismöglichkeiten im Strafverfahren zusätzlich gewonnen werden könnten, die für den hier vorliegenden Rechtsstreit von Bedeutung sind, ist nicht ersichtlich.

Der Senat verkennt dabei nicht, dass bei Identität des Sachverhalts sowohl des Strafverfahrens als auch des Zivilverfahrens eine Aussetzung regelmäßig geboten ist (vgl. BGH a.a.O. Rn. 16). Im Streitfall besteht jedoch die Besonderheit, dass das Strafverfahren nicht allein den in diesem Rechtsstreit streitgegenständlichen Sachverhalt zum Gegenstand hat, sondern darüber hinaus weitere Sachverhalte mit mehreren Beschuldigten umfasst, die nicht Gegenstand der Klage sind, so dass zu erwarten sein wird, dass ein Großteil etwaiger in dem Strafverfahren gewonnener neuer Erkenntnisse für den hiesigen Rechtsstreit nicht relevant sind.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da das Beschwerdeverfahren nur einen Bestandteil des Hauptverfahrens darstellt und die Kosten des Beschwerdeverfahrens einen Teil der Kosten des Rechtsstreits bilden, die unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens die nach §§ 91 ff. ZPO in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat (vgl. BGH, Beschluss v. 09.03.2021 – II ZB 16/20, NJW-RR 2021, 638 Rn. 23 m.w.N.).

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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