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Behandlungsfehler: nicht rechtzeitig diagnostizierter Schlaganfall

Landgericht München I

Az.: 9 O 5889/99

Urteil vom 15.10.2003


In dem Rechtsstreit erlässt das Landgericht München I, 9. Zivilkammer, im schriftlichen Verfahren in dem Schriftsätze bis zum 03.09.2003 eingereicht werden konnten, folgendes Endurteil:

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 159.482,76 zu bezahlen nebst Zinsen aus EUR 100.000,– vom 19.05.1998 bis zum 23.04.2001 in Höhe von 4 % sowie aus EUR 100.000,– seit dem 24.04.2001 und aus EUR 59.482,76 seit dem 09.05.2003 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab dem 01.10.2003 eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von EUR 100,– zu bezahlen, fällig jeweils am Monatsersten und verzinslich mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz.

III. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeglichen weiteren materiellen und jeglichen künftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, der auf seiner Behandlung durch den Beklagten, am 13.01.1997 beruht, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen.

IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

V. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt 7/20 der Kläger und 13/20 der Beklagte.

Der Kläger trägt 7/20 der außergerichtlichen Kosten der Streithelferin des Beklagten. Im übrigen trägt diese ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen der Folgen eines nicht rechtzeitig diagnostizierten Schlaganfalls.

Der 1957 geborene, gesetzlich krankenversicherte Kläger, von Beruf Maschinenbauingenieur erlitt am 13.01.1997 einen (ersten) Schlaganfall (transiente ischämische Attacke, TIA). Nachdem er gegen 10 Uhr, Auffälligkeiten an sich festgestellt hatte, begab er sich gegen 12 Uhr zu seiner Hausärztin, der Streithelferin des Beklagten, die ihn untersuchte und daraufhin sofort an den Beklagten, einen Arzt für Neurologie und Psychiatrie, überwies.

Am Nachmittag des 13.01.1997 stellte sich der Kläger beim Beklagten vor. Nach Anamneseerhebung, bei welcher der Kläger jedenfalls das Auftreten von Sprach- und Gefühlsstörungen angab, neurologischer Befunderhebung und nicht bildgebender Dopplersonographieuntersuchung stellte der Beklagte die Verdachtsdiagnose einer komplizierten Migräne. Zur Abklärung sollte an einem späteren Tag bei einem Radiologen eine Kernspintomographie (NMR) des Schädels angefertigt werden. Die Verdachtsdiagnose, eines Schlaganfalls wurde nicht gestellt.

Der Kläger fuhr wieder nach Hause und begab sich gegen 18 Uhr nochmals zu seiner Hausärztin, die jedoch unter Hinweis auf die Vorstellung beim Beklagten nichts veranlasste. Am nächsten Morgen (14.01.1997) erlitt der Kläger auf Grund einer Carotisdissektion gegen 4 Uhr einen zweiten Schlaganfall der noch von der herbeigerufenen Notärztin festgestellt wurde. Der Kläger wurde sofort in die „…“ des Städtischen Krankenhauses … verbracht, wo er vom 14.01.1997 bis 29.01.1997 in stationärer Behandlung war.

Im Anschluss wurde der Kläger stationär behandelt in neurologischen Kliniken in München vom 29.01.1997 bis 22.05.1997 und in Bad Aibling vom 22.05.1997 bis 21.07.1997. Vom 04.08.1997 bis 13.02.1998 war er im Städtischen Krankenhaus … Tagesklinik, aufgenommen.

Der Kläger wirft dem Beklagten im Wesentlichen vor, dieser sei den sich aufdrängenden Zeichen für einen erlittenen Schlaganfall nicht nachgegangen, was einen groben Behandlungsfehler darstelle. Neben Sprach- und Gefühlsstörungen habe der Kläger dem Beklagten auch von Koordinationsschwierigkeiten und aus dem Mund gelaufener Spucke berichtet. Erforderlich sei die sofortige Einleitung einer geeigneten Prophylaxe unter sofortiger Krankenhauseinweisung gewesen. Stattdessen sei lediglich ein CT-Termin für den 16.01.1997 vermittelt worden. Die Verdachtsdiagnose einer komplizierten Migräne sei nicht vertretbar gewesen. Bei hinreichender Abklärung der Zeichen des bereits erlittenen Schlaganfalls sei der zweite Schlaganfall vom 14.01.1997 zu verhindern gewesen. Es sei nämlich davon auszugehen, dass bei einer Einweisung in ein Krankenhaus eine sofortige Antikoagulation nach der entsprechenden Diagnostik mit einer damals gerechtfertigten Indikation durchgeführt worden wäre. Dem Beklagten sei deshalb auch eine mangelnde (Sicherungs-) Aufklärung vorzuwerfen.

Der Kläger verweist hierzu auf die von ihm eingeholten schriftlichen Gutachten des Prof. … vom 07.07.2002 (Anl. K 45 zu Bl. 291/292 d.A.), 16.05.2003 (Anl. K 46 zu Bl. 350/351 d.A.) und 20.06.2003 (Anl. K 47 zu Bl. 360 d.A.), auf die wegen ihres Inhalts Bezug genommen wird.

Der Kläger trägt vor, er habe auf Grund des dem Beklagten vorgeworfenen Verhaltens einen Dauerschaden erlitten, der sich im Laufe der Jahre noch verschlechtern könne. Bei ihm liege eine rechtsseitige Hemiplegie (Halbseitenlähmung) mit Facialisparese (Gesichtslähmung) rechts, armbetonter Hemiparese und einer schweren Störung der Feinmotorik rechts vor. In seiner rechten Hand bestehe wegen einer kompletten Plegie der Handmuskulatur keine Funktion, sie könne nur als Beschwerhand eingesetzt werden. Das Gehen sei auf Grund einer spastischen Gangstörung nur mühevoll möglich. Er leide zudem unter neurophysiologischen Ausfällen wie einer Sprechapraxie, die sich in der Spontansprache durch einen leicht beeinträchtigten Wortabruf und vereinzelte phonetische Fehlproduktionen auszeichne. Nach wie vor sei eine krankengymnastische und ergotherapeutische Weiterbehandlung nötig.

Wegen der genauen Einzelheiten, des klägerischen Vortrags zu den gesundheitlichen Folgen wird Bezug genommen auf den Entlassungsbericht des Städtischen Krankenhauses … vom 29.01.1997 (Anl. K 3), den Behandlungsbericht (Zwischenbefund) des Gesundheitszentrums … vom 04.10.2000 (Anl. K 16), die Information zur ergotherapeutischen Behandlung der Praxis … in … vom 14.04./04.10.2000 (Anl. K 17), die Berichte der Neurologischen Klinik … aus dem Dezember 2000 (Anl. K 41, K 49), das Schreiben von PD … vom 16.06.2003 (Anl. K 48 zu Bl. 361/363 d.A.) das nervenfachärztliche Gutachten von Dr. med. … vom 15.05.1998 (Anl. K 50), die allgemeinmedizinische Stellungnahme von Dr. … vom 27.06.2003 (Anl. K 51 zu Bl. 370/371 d.A.) sowie den neuropsychologischen Befund des Krankenhauses … vom 01.07.2003 (Anl. K 52).

Der Kläger sei wegen der Folgen der beiden Schlaganfälle mittlerweile berufsunfähig und durch Bescheid der BfA vom 27.08.1998 (Anl. K 6) verrentet. Auf Grund seiner Behinderung könne er auch seinen bisherigen Freizeitbeschäftigungen wie Kfz- und Haushaltsreparaturen, Radfahren und sonstigen sportlichen Aktivitäten nicht mehr nachgehen.

Als bezifferten materiellen Schaden macht der Kläger insgesamt DM 133.622,49 (€ 68.320,09) geltend; dieser Betrag setzt sich zusammen aus Zuzahlungen und Behandlungskosten in Höhe von DM 3.776,76, Fahrt- und Reisekosten von DM 678,30, Kosten einer „Petö Therapie“ in Ungarn von DM 1.050,65 nebst Reisekosten von DM 1.881,–, sowie entgangenem Verdienst für das Jahr 1998 in Höhe von DM 1.208,77 netto, für das Jahr 1999 von DM 64.148,39 brutto und für das Jahr 2000 von DM 60.878,62 brutto. Wegen der Einzelheiten seines diesbezüglichen Vorbringens wird Bezug genommen auf die Schriftsätze vom 17.04.2001 (Bl. 158/176 d.A.) unter I – V, S. 2 – 11, und vom 25.04.2003 (Bl. 344/347 d.A.).

Der Kläger ist der Auffassung, ihm müsse ein Schmerzensgeld in Höhe von zumindest € 200.000,– zugesprochen werden, von dessen förmlicher Beantragung er allein aus Kostengründen absehe, in dessen Unterschreitung aber gleichwohl eine Beschwer gesehen werde. Daneben sei auch ein immaterieller Vorbehalt auszusprechen und eine Schmerzensgeldrente seit 13.01.1997 zu gewähren. Weiterhin verlangt der Kläger eine Geldrente gemäß § 843 BGB zum Ausgleich des künftigen Erwerbsschadens, über die das Gericht von Amts wegen unter Abwägung aller Umstände und nach der Darlegung des bisherigen Verdienstentgangs entscheiden könne; wegen der Einzelheiten der diesbezüglichen Begründung wird Bezug genommen auf den klägerischen Schriftsatz vom 17.04.2001 (Bl. 158/176 d.A.), unter VIII, S. 17 f.

Der Kläger beantragt:

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld nach Ermessen des Gerichts zu bezahlen, mindestens jedoch DM 350.000,00 zzgl. 4 % Zinsen hieraus vom 1.4.05.1998 bis 30.04.2000 und mit 5 % Zinsen über dem Basiszins seit 01.05.2000.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 133.622,49 = EUR 68.320,09 nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

III. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für die Zeit ab 13.01.1997 bis 30.03.2001 DM 17.150,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,

und eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von DM 350,00, zahlbar jeweils drei Monate im Voraus, beginnend mit dem 01.04.2001, fällig jeweils am 01.04., am 01.07., am 01.10. und am 01.01. und verzinslich mit 5 % über dem Basiszins ab 01.04., 01.07., 01.10, und. 01.01.

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IV. Es wird festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger jegliche immateriellen und materiellen Schäden zu ersetzen hat, die auf seiner Behandlung durch den Beklagten vom 13.01.1997 beruhen, soweit materielle Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind und nicht von vorstehendem Antrag Ziff. II erfasst sind.

Der Beklagte und seine Streithelferin beantragen Klageabweisung.

Sie bringen vor, der Beklagte habe von der Verdachtsdiagnose einer komplizierten Migräne ausgehen dürfen, zumal der Kläger Kopfschmerzen, eine frühere Migräne und eine entsprechende Erkrankung seiner Mutter angegeben habe. Die Verdachtsdiagnose des Beklagten sei in jedem Fall vertretbar gewesen, weil damals keine Anhaltspunkte für eine (sehr seltene) Gefäßdissektion erkennbar gewesen seien. Es habe keine Notwendigkeit zur notfallmäßigen Kernspintomographie noch am selben Tag bestanden. Damit habe sich auch keine Notwendigkeit der sofortigen Einleitung einer geeigneten Prophylaxe oder einer sofortigen Krankenhauseinweisung ergeben. Es sei ausreichend gewesen, beim Radiologen einen NMR-Termin am nächsten Tag zu vereinbaren, was auch geschehen sei. Im Übrigen sei auch für den Fall, dass der Beklagte die Gefäßdissektion hätte vorhersehen können, eine wirksame kurzfristige Therapie nicht möglich gewesen, sodass keine Kausalität vorliege. Wenn die Antikoagulationstherapie vorliegend im Städtischen Krankenhaus … zum Einsatz kam, so ändere dies nichts an der Umstrittenheit/Fraglichkeit/Nichtgeeignetheit dieser Therapie, wobei auf die Sicht ex ante abzustellen sei.

Der Beklagte verweist zur Widerlegung des Vorwurfs eines groben Behandlungsfehlers auch auf die von ihm erhalten schriftlichen Gutachten des Prof. … vom 05.03.2001, 21.05.2002 (Anl. B 5 zu Bl. 284/287 d.A.) und 04.06.2002 (Anl. B 6), auf die wegen ihres Inhalts Bezug genommen wird. Nach dem Stand der Wissenschaft bestehe derzeit keine klare und eindeutige Indikation für eine frühe Antikoagulation bei einer Dissektion der A. Carotis interna, somit sei das Tun des Beklagten nicht als Behandlungsfehler zu beanstanden. Es handle sich um einen einfachen Fehler der diagnostischen Einordnung.

Der Höhe nach tritt der Beklagte den Ansprüchen des Klägers im Wesentlichen mit seinen Ausführungen im Schriftsatz vom 02.07.2003 (Bl. 364/366 d.A.) entgegen, auf den wegen seines Inhalts Bezug genommen wird.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß den Beschlüssen vom 19.01.2000 (Bl. 59, 62 d.A.) durch uneidliche Einvernahme der Zeugen …, … und … (Streithelferin des Beklagten). Im Termin vom 19.01.2000 sind auch die Parteien persönlich zum Sachverhalt angehört worden. Das Gericht hat weiter Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 25.05.2000 (Bl. 75/78 d.A.) und Beschluss vom 06.12.2000 (Bl. 137/139 d.A.) durch Einholung schriftlicher Gutachten des Sachverständigen Prof. … sowie gemäß Beweisbeschluss vom 10.04.2001 (Bl. 154/156 d.A.), Beschluss vom 04.01.2002 (Bl. 250/251 d.A.) und Beschluss vom 03.07.2002 (Bl. 289 d.A.) durch Hinzuziehung von Prof. … als weiterer Sachverständiger im Sinne von § 412 ZPO, der zur Erläuterung der erstatteten Gutachten auch mündlich angehört worden ist.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der Sitzung vom 19.01.2000 (Bl. 58/69 d.A.), auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. … vom 03.09.2000 (Bl. 85/98 d.A.) und 31.12.2000 (Bl. 141/144 d.A.), auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. … vom 28.09.2001 (Bl. 193/232 d.A.), 02.04.2002 (Bl. 254/278 d.A.) und 30.10.2002 (Bl. 297/331 d.A.) sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 21.05.2003 (Bl. 352/358 d.A.) nebst den vom Sachverständigen im Termin übergebenen Publikationen (zu Bl. 359 d.A.).

Der Beklagte hatte den Sachverständigen mit Schriftsatz vom 18.09.2000 (Bl. 101/104 d.A.) als befangen abgelehnt. Das Ablehnungsgesuch ist durch Beschluss der Kammer vom 29.09.2000 (Bl. 107/110 d.A.) als unbegründet zurückgewiesen worden; die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Beklagten vom 23.10.2000 (Bl. 113/115 d.A.) hat das OLG München mit Beschluss vom 08.11.2000 (Bl. 122/127 d.A.) zurückgewiesen.

Der Kläger, der Beklagte und dessen Streithelferin haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.

Entscheidungsgründe:

Es war wie aus der Urteilsformel ersichtlich zu entscheiden. Die Klage ist nur im tenorierten Umfang zulässig und begründet, im Übrigen war sie teils als unzulässig und teils als unbegründet abzuweisen.

A.

Auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte durch einen groben Behandlungsfehler den zweiten Schlaganfall des Klägers im Rechtssinn verursacht hat.

I.

Der Beklagte hat den Kläger dadurch fehlerhaft behandelt, dass er es unterlassen hat, eine weitere Abklärung seiner Verdachtsdiagnose einer komplizierten Migräne zu veranlassen und den Kläger zu diesem Zweck in eine Klinik zu überweisen.

1.

Zwar können Diagnoseirrtümer nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden. Auch unter Beachtung des dem Arzt bei der Diagnose zustehenden Beurteilungsspielraums liegt jedoch dann ein Behandlungsfehler vor, wenn das diagnostische Vorgehen und die Bewertung der durch diagnostische Hilfsmittel gewonnenen Ergebnisse für einen gewissenhaften Arzt nicht mehr vertretbar erscheinen (OLG Hamm, Urt. v. 02.04.2001, Az. 3 U 160/00, VersR 2002, 578). Einen Behandlungsfehler stellt es insbesondere dar, wenn der Diagnoseirrtum auf der Unterlassung elementarer Befunderhebungen beruht oder die Überprüfung einer ersten Arbeitsdiagnose im weiteren Behandlungsverlauf fehlerhaft versäumt wird (vgl. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 07.05.1996, Az. 8 U 5/96, VersR 1997/1358).

2.

Dem Beklagten ist nach diesen Grundsätzen ein Diagnosefehler vorzuwerfen.

a) Dem Beklagten ist dadurch ein Diagnoseirrtum unterlaufen, dass er lediglich die Verdachtsdiagnose einer komplizierten Migräne, nicht jedoch auch die eines Schlaganfalls gestellt hat, wie er sich unstreitig schon am 13.01.1997 ereignet hatte und dann am 14.01.1997 wiederholt hat.

b) Das Stehen bleiben bei der Verdachtsdiagnose Migräne (und damit der Ausschluss eines Verdachts auf ein ischämisches Geschehen) stellt sich für einen gewissenhaften Arzt als nicht mehr vertretbar dar.

Der gerichtlich bestellte Sachverständigen Prof. … hat festgestellt, dass die Annahme einer komplizierten Migräne an erster Stelle der Verdachtsdiagnosen sehr unwahrscheinlich war (Gutachten vom 28.09.2001, S. 13; 02.04.2002, S. 13). Diese falsche Verdachtsdiagnose habe den Blick auf das akute Krankheitsgeschehen beim Kläger verstellt (02.04.2002, S. 13; Anhörung vom 21.05.2003, Prot., S. 3 u.).

c) Die (falsche) Arbeitsdiagnose einer Migräne hat der Beklagte im weiteren Verlauf behandlungsfehlerhaft nicht weiter abgeklärt, indem er es unterlassen hat, durch Einweisung in eine geeignete Klinik die gebotenen Befunderhebungen zu veranlassen.

Der Sachverständige … führt dazu aus, man könne vom Beklagten zwar nicht verlangen, dass er die Carotisdissektion hätte erkennen und behandeln müssen; er habe jedoch die akute Situation der Erkrankung des Klägers nicht erkannt und es daher unterlassen, ihn in ein Krankenhaus einzuweisen (02.04.2002, S. 17; vgl. 30.10.2002, S. 25 M.). Weil auf Grund der Vorgeschichte eine besondere Situation vorlag, hätten umgehend weitere apparative Untersuchungen in einer kompetenten Klinik durchgeführt werden müssen (02.04.2002, S. 13, 19), insbesondere habe man an den worst case einer transienten ischämischen Attacke (TIA) denken müssen, wobei ambulant die Gewährleistung einer hinreichenden Diagnostik nicht möglich sei (Anhörung, S. 3 f.).

Die Verdachtsdiagnose einer Migräne hätte in einer Reihe anderer Diagnosen diskutiert werden können, wenn sich Zweifel an einer TIA ergeben hätten, was aber vorausgesetzt hätte, dass zunächst die entsprechenden Untersuchungen durchgeführt worden wären (28.09.2001, S. 15). Auch bei Annahme einer Migräne habe der Beklagte differentialdiagnostisch weiterdenken müssen (Anhörung, S. 4 M.).

Eine solche weitere Diagnostik hätte, da der Zeitfaktor bei der Behandlung eines Schlaganfalls entscheidend ist auch so schnell wie möglich erfolgen müssen (Anhörung, S. 4 M.), nämlich taggleich noch am 13.01.1997 (Anhörung, S. 5). Die unkommentierte Anordnung eines CT und/oder MRT sei bei Untersuchungen des Hirns nicht zielführend (Anhörung, S. 4 M.).

d) Somit bewertet der Sachverständige die Nichtveranlassung der Erhebung von erforderlichen Kontrollbefunden folgerichtig als behandlungsfehlerhaft (02.04.2002, S. 20), da der Beklagte unstreitig die vom Sachverständigen geforderten Maßnahmen nicht eingeleitet hat. Es kommt nicht entscheidend auf die Frage an, für welchen Tag die vom Beklagten angeordnete Untersuchung vorgesehen worden ist, da dies unstreitig nicht der 13.01.1997 war.

e) Diese Bewertung deckt sich mit der in den Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen …. Auch dieser kommt zu dem Ergebnis, dass der Beklagte am 13.01.1997 gegen die berufsfachlich gebotene Sorgfalt verstoßen hat (03.09.2000, S. 14). Den Beklagten sei ein vorwerfbarer Diagnosefehler unterlaufen (a.a.O.), denn es sei schwierig, der Differentialdiagnose einer komplizierten Migräne zu folgen, auch wenn man davon ausgehe, dass der Kläger nur von Sprachstörungen und Taubheitsgefühlen berichtet hat (03.09.2000, S. 12), weshalb auch das Ergebnis der Zeugeneinvernahme keiner näheren Würdigung unterzogen werden muss. Der Beklagte habe die noch am 13.01.1997 gebotenen weiteren Untersuchungsmaßnahmen unterlassen; eine Kernspinuntersuchung habe sofort durchgeführt, eine geeignete Prophylaxe (konsequente Blutverdünnung) ebenfalls sofort am 13.01.1997 eingeleitet werden müssen (03.09.2000, S. 12, 14). Dazu wäre die unverzügliche Einweisung des Klägers in eine Stroke Unit erforderlich gewesen, die der Beklagte habe veranlassen müssen (31.12.2000, S. 4).

f) Auch die vom Kläger eingeholten Gutachten des … stellen einen derartigen Behandlungsfehler fest. Das entscheidende Versäumnis des Beklagten habe in der ausschließlichen späten Verordnung zur Kernmagnetischen Resonanz-Untersuchung ohne Einleitung einer dem aktuellen Kenntnisstand entsprechenden Prophylaxe gelegen. Dieses Handeln habe nicht dem Stand des Wissens im Jahre 1997 über das Management von transienten zerebralen Durchblutungsstörungen (TIA) entsprochen (07.07.2002, ad 1 a.E.; vgl. 16.05.2003, S. 3.).

Die vom Beklagten eingeholten Gutachten von … sehen ebenfalls ausdrücklich ein fehlerhaftes Verhalten des Beklagten, ordnen dies jedoch nicht als „Behandlungsfehler“ ein, sondern als einen „Fehler der diagnostischen Einordnung“ bzw. „Diagnosefehler“ (21.05.2002). Auch diese Gutachten enthalten indes keine Anhaltspunkte, die einen solchen Fehler unter Anwendung der oben dargestellten Kriterien der Rechtsprechung zu Diagnoseirrtümern als nicht vorwerfbar erscheinen lassen würden, und stellen daher die Bewertung des Verhaltens des Beklagten als pflichtwidrig nicht in Frage.

III.

Dieser Fehler stellt einen groben Behandlungsfehler dar.

1.

Ein grober Behandlungsfehler setzt einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse voraus, sowie die Feststellung, dass ein Fehler vorliegt, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 19.06.2001, Az VI ZR 286/00, NJW 2001, 2794, m.w. Nachw.).

Mit der Bewertung als grob fehlerhaft ist die Rechtsprechung im reinen Diagnosebereich (Verkennung der objektiven Befunde) zurückhaltender als im Therapiebereich (vgl. Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl., Rdnr. B 2 65.). Die Bewertung als grob fehlerhaft ist jedoch bei Behandlungsfehlern durch Nichterheben von Diagnose- und Kontrollbefunden stets dann angezeigt, wenn es in erheblichem Ausmaß an der Erhebung einfacher/ grundlegender Diagnose- und Kontrollbefunde fehlt (Geiß/Greiner, Rdnr. B 266). Dabei ist nach Auffassung der Kammer auch zu berücksichtigen, welche Folgen die Nichterhebung von Kontrollbefunden mit sich bringen kann, da sich der Umfang der Sorgfaltspflichten und damit das Maß der Pflichtwidrigkeit immer auch an der Schwere der vorhersehbaren Rechtsgutgefährdung orientiert (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 60. Aufl., § 276 Rdnr. 17).

2.

Nach diesen Grundsätzen ist hier davon auszugehen, dass die unterlassene Krankenhauseinweisung einen groben Behandlungsfehler darstellt (vgl. insoweit auch OLG .Naumsburg, Urt. v. 13.03.2001, Az. 1 U 76/00, unter I 2.1 c, NJW-RR 2002, 312 [314]). Dass der Beklagte den Kläger nicht zur Erhebung der gebotenen Befunde unverzüglich (taggleich) in eine geeignete Klinik überwiesen hat, stellt sich als schlechthin unverständliche und nicht nachvollziehbare Abweichung von elementaren Behandlungsregeln dar, insbesondere im Hinblick darauf, welche katastrophalen Folgen ein Schlaganfall haben kann. Einer solchen Möglichkeit ist stets nachzugehen, wenn aus ärztlicher Sicht Anhaltspunkte vorliegen, die einen entsprechenden Verdacht rechtfertigen; auch muss die Abklärung unverzüglich erfolgen, da der Zeitfaktor bei der Behandlung eines ischämischen Geschehens – wie bereits festgestellt – entscheidend ist.

Diese Einschätzung der Kammer beruht auf den Feststellungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen und wird auch im Ergebnis, nämlich in der Bewertung des Fehlers als grob, wie erforderlich (vgl. BGH, Urt. v. 28.05.2002, Az. VI ZR 42/01, NJW 2002, 2944) von den Sachverständigen bestätigt.

a) Der Sachverständige … kann in Beantwortung der vom Gericht gestellten Frage nach einem groben Behandlungsfehler, der die entsprechende Definition der Rechtsprechung beigefügt war, „nicht umhin und muss den vorliegenden Fehlerkomplex als groben Behandlungsfehler werten“ (02.04.2002, S. 20). Dies tut er unter Berücksichtigung der Aktenlage und der in der Literatur niedergelegten Erkenntnisse bzw. Behandlungsregeln (a.a.0.), wobei er auch darauf abstellt, dass die schweren Folgen bei richtigem Vorgehen möglicherweise anders ausgesehen hätten (30.10.2002, S. 30 u.). Dies ist nach den bereits dargestellten Kriterien eine zulässige Erwägung, da sich die Sorgfaltsanforderungen jedes ärztlichen Verhaltens auch nach den möglichen Folgen eines Fehlers bemessen, und somit der vom Sachverständigen angesprochene Gesichtspunkt auch bei der gebotenen Betrachtung ex ante beachtlich ist. Es ist für die Kammer selbstverständlich, dass ein Unterlassen von Befunderhebungen eher als nicht nachvollziehbar einzustufen ist, wenn ein Schlaganfall ausgeschlossen werden soll, als dies beim Verdacht einer vergleichsweise harmlosen Erkrankung der Fall wäre (vgl. LG München I, Urt. v. 28.05.2003, Az. 9 O 14993/99, nicht rkr., unter I 1 c bb, S. 18, NJW-RR 2003, 1179. [1181]). Auch nachdem Ergebnis der mündlichen Anhörung haben sich für den Sachverständigen keine Umstände ergeben, die zu einer Abweichung von den Wertungen in seinen bisherigen Gutachten führen würden (Anhörung, S. 5).

b) Auch der Sachverständige … führt auf die entsprechende Frage des Gerichts aus, es bleibe nicht nachvollziehbar, dass der Beklagte den Kläger nicht sofort zu Kollegen weitergeleitet hat, die kompetent in der Lage seien, sog. Schlaganfälle sicher zu diagnostizieren und auch nachhaltig zu behandeln (31.12.2000, S. 4).

Prof. … äußert sich nicht verbindlich zu der Frage, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt; er widerspricht jedoch der entsprechenden Einschätzung der gerichtlich bestellten Sachverständigen auch nicht, sondern deutet durch seine Äußerungen zur Frage des Gesamtmanagements eher an, dass er die Frage wohl ebenso beurteilt wie diese (16.05.2003, S. 3 f.).

c) Prof. … sieht dagegen ausdrücklich nur einen einfachen Fehler der diagnostischen Zuordnung, eine Nachlässigkeit, und keine nicht nachvollziehbare unverzeihliche Entscheidung (21.05.2002). Diese Einschätzung wird als solche nicht näher begründet; den Ausführungen von … jedoch zu entnehmen, dass diese Bewertung wohl im Zusammenhang steht mit seiner Ansicht, dem Kläger sei vorliegend durch die falsche Diagnose (nur) eine Behandlung vorenthalten worden, deren Wert wissenschaftlich nicht belegt sei. Auf diese Auffassung, der sich das Gericht nicht anschließt, wird bei der Frage der Kausalität noch ausführlicher einzugehen sein. Die Bewertung des vorliegenden Behandlungsfehlers als grob jedoch sieht die Kammer durch diese Überlegungen nicht berührt, da sie nicht unmittelbar die Schwere der Pflichtwidrigkeit betreffen. Die bloße abweichende Wertung durch den Privatgutachter des Beklagten, allein ohne eine tragfähige Begründung vermag die Überzeugung der Kammer nicht zu erschüttern, die diese auf der Grundlage der schriftlichen Ausführungen beider gerichtlich bestellter Sachverständiger und nach Anhörung von Prof. … gebildet hat. Für die Kammer verbleiben auch unter Berücksichtigung der Einwände des Beklagten keine vernünftigen Zweifel am Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers.

III.

Der zweite Schlaganfall des Klägers am 14.01.1997 ist ursächlich auf die fehlerhafte Behandlung durch den Beklagten zurückzuführen (haftungsbegründende Kausalität).

1.

Da vorliegend von einem groben Behandlungsfehler auszugehen ist, greift insoweit eine Beweiserleichterung zu Gunsten des Klägers ein als Ausgleich dafür, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen gerade durch den Fehler besonders verbreitert bzw. verschoben worden ist (Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., Rdnr. 515; Geiß/Greiner, Rdnr. B 251). Dies führt dazu, dass der Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler (unterlassener Krankenhauseinweisung) und Primärschädigung (Schlaganfall vom 14.01.1997) vermutet wird, da sich vorliegend gerade das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Behandlungsfehler als grob erscheinen lässt (vgl. Geiß/Greiner, Rdnr. B 257; vgl. auch OLG Naumburg, NJW-RR 2002, 312 [314], unter I 2.2).

2.

Die Widerlegung dieser Kausalitätsvermutung ist dem Beklagten nicht gelungen. Eine Mitverursachung durch den Patienten, welche die Aufklärung der Schädigungsursache in gleicher Weise wie ein grober Behandlungsfehler beeinträchtigt (Geiß/Greiner, Rdnr. B 261), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ebenso steht nicht fest, dass der Primärschaden in gleicher Weise auch bei rechtzeitiger sachgerechter Behandlung eingetreten wäre (Geiß/Greiner, Rdnr. B 264).

Die Kausalitätsvermutung wäre daher nur dann widerlegt, wenn der Beklagte hätte beweisen können, dass eine (Mit-) Ursächlichkeit der unterlassenen Krankenhauseinweisung für den zweiten Schlaganfall gänzlich unwahrscheinlich ist (Geiß/Greiner, Rdnrn. B 258 ff.); dies ist jedoch nicht der Fall.

a) Der diesbezügliche Vortrag des Beklagten geht im Wesentlichen dahin, dass auch bei Einlieferung in ein Krankenhaus und Erhebung weiterer Befunde als Prophylaxe gegen einen zweiten Schlaganfall lediglich eine Antikoagulationstherapie (Behandlung mit gerinnungshemmenden Substanzen wie z.B. Heparin) in Betracht gekommen wäre, eine solche Behandlung jedoch weder indiziert gewesen wäre noch wissenschaftlich belegt geeignet, die eingetretene Schädigung zu verhindern.

Der Beklagte untermauert diese Auffassung durch die von ihm vorgelegten Gutachten des …. Dieser führt aus, es bestehe nach dem Stand der Wissenschaft im Moment keine klare und eindeutige Indikation für eine frühe Antikoagulation bei einer Dissektion der A. carotis interna, und kommt zu der Schlussfolgerung, dass eine am 13.01.1997 eingeleitete Antikoagulationstherapie nur mit außerordentlich geringer Wahrscheinlichkeit einen Schlaganfall verhindert hätte und das sehr wahrscheinlich durch die Antikoagulation bedingte Blutungsrisiko genauso hoch gewesen wäre wie der therapeutische Nutzen (05.03.2001, S. 5; vgl. 04.06.2002, S. 4 u.).

b) Dieses Vorbringen kann im Ergebnis die Kausalitätsvermutung nicht widerlegen, da das Gericht auf Grund der Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen … deren Ergebnis sich mit dem von … deckt, davon überzeugt ist, dass bei unverzüglicher Krankenhauseinweisung rechtzeitig eine Antikoagulationstherapie mit gerechtfertigter Indikation vorgenommen worden und jedenfalls nicht gänzlich ungeeignet gewesen wäre, den beim Kläger eingetretenen zweiten Schlaganfall zu verhindern.

Prof. … kommt zum Ergebnis, Prof. … sei zwar zuzugestehen, dass Metaanalysen aus den letzten Jahren keine Indikation für eine routinemäßige Anwendung von Antikoagulantien beim akuten Schlaganfall oder Transitorisch Ischämischen Attacken ergeben haben. Es gebe aber unter speziellen Aspekten auf Grund empirischer Ansätze (vgl. hierzu 02.04.2002, S. 3 ff.) unter strikter Beachtung individueller Kontraindikationen die Indikation und Empfehlung für die Durchführung, einer Antikoagulantien-Behandlung, auch einer Heparin-Behandlung bei speziellen Indikationen, auf die auch in der aktuellen Literatur hingewiesen werde (28.09.2001, insbes. S. 22 o., 24 M., 28), und zwar auch von Prof. … selbst (Empfehlung der Vollheparinisierung u. a. bei – wie hier – Carotisdissektion, vgl. Anhörung, S. 3 M.).

Bei einer taggleichen Einlieferung des Klägers in das Städtische Krankenhaus … (mit …) könne man davon ausgehen, dass nach der entsprechenden Diagnostik, welche die Carotisdissektion jedenfalls möglicherweise aufgezeigt hätte (vgl. Anhörung, S. 4 f.; relativierend gegenüber 02.04.2002, S. 13 M.), eine sofortige Antikoagulation mit einer damals auf Grund der Empfehlungen gerechtfertigten Indikation durchgeführt worden wäre, wie sie ja tatsächlich am nächsten Tag (nach dem kompletten Schlaganfall) erfolgt ist (28.09.2001, S. 28 f.; 30.10.2002, S. 21 M., 27 M.; Anhörung, S. 2). Ob sich damit der Schlaganfall vom 14.01.1997 hätte vermeiden lassen, sei schwer zu beantworten, jedoch nicht ausgeschlossen und nicht so negativ zu sehen, wie dies … beurteile; es lasse sich auf Grund der empirischen Grundlage der Empfehlungen nicht beantworten, mit welcher Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit der zweite Schlaganfall zu verhindern gewesen wäre (28.09.2001, S. 29 f.; vgl. 02.04.2002, S. 16 M.). Ein Blutungsrisiko, wie Prof. … es darstellt, sieht Prof. … nicht, da es aus Studien keine Hinweise darauf gebe, dass die Gabe von Heparin bei Carotisdissektionen zu gravierenden Blutungen geführt hätte (30.10.2002, S. 20 o.; Anhörung, S. 3 o. ); im konkreten Fall des Klägers ist es auch nach seinem totalen Schlaganfall bei der vorgenommenen Heparin-Behandlung nicht dazu gekommen (28.09.2001, S. 29 o.; 30.10.2002, S. 21 M).

Der Sachverständige … hatte ebenfalls bereits ausgeführt, dass eine am 13.01.1997 eingeleitete Antikoagulantien-Therapie geeignet gewesen wäre, den Eintritt des Schlaganfalls zu verhindern (31.12.2000, S. 4 a. E.; 03.09.2000, S. 14 u.), sodass zwischen den gerichtlich bestellten Sachverständigen auch zu dieser Frage kein Widerspruch festzustellen ist.

c) Damit aber lässt sich nicht zur Überzeugung des Gerichts feststellen, dass auch bei einer Krankenhauseinlieferung des Klägers ein für ihn besserer Verlauf gänzlich unwahrscheinlich gewesen wäre, denn mit der Antikoagulation stand eine indizierte, tatsächlich zu erwartende und jedenfalls nicht völlig ungeeignete Prophylaxe gegen einen weiteren Schlaganfall zur Verfügung. Es ist dabei ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass in diesem Zusammenhang aus rechtlicher Sicht keine wissenschaftlich gesicherte Eignung, der Therapie im Sinne der evidenzbasierten Medizin zu fordern war. Da die Beweislast beim Beklagten liegt, der eine gänzlich fehlende Eignung hätte beweisen müssen, genügt die von – Prof. … ausführlich dargestellte – empirisch belegte Indikation der Antikoagulationstherapie bei Carotisdissektion, um dem Einwand des Beklagten entgegen zu treten. Somit ist diesem die Widerlegung der Kausalitätsvermutung auf Grund des groben Behandlungsfehlers nicht gelungen.

IV.

Von vorstehendem Sachverhalt ist auszugehen auf Grund der überzeugenden Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen, insbesondere des gemäß § 412 Abs. 1 ZPO als „Obergutacher“ hinzugezogenen Sachverständige … .

Das Gericht hat keinen Zweifel an der fachlichen Kompetenz des Sachverständigen …, des vormaligen Direktors einer neurologischen Universitätsklinik sowie an der Richtigkeit seiner Ausführungen; es macht sich daher den Inhalt seiner Gutachten nach eingehender Überprüfung und Würdigung in vollem Umfang zu eigen. Der Sachverständige hat unter Heranziehung zutreffender Anknüpfungstatsachen und sorgfältiger Auswertung der Behandlungsunterlagen sowie der Vorgutachten von Prof. … seine Gutachten erstellt, in denen er den Behandlungsverlauf und den medizinischen Problemstand gut verständlich wiedergibt und die von Gericht und Parteien gestellten Fragen und Nachfragen in einem lückenlosen, logisch begründeten Gedankengang, präzise, widerspruchsfrei und nachvollziehbar beantwortet.

Dabei hat er sich auch äußerst ausführlich und überzeugend mit den von den Parteien vorgelegten Argumenten und Privatgutachten auseinander gesetzt, insbesondere mit den ihm widersprechende Gutachten des Prof. …, denen er unter detaillierter Auswertung und Darstellung der wissenschaftlichen Diskussion umfangreiche, aber gut verständliche Entgegnungen gegenüber stellt (28.09.2001, unter IV, S. 18 ff.; 02.04.2002, unter I; jeweils mit zahlreichen Zitaten, insbesondere aber 30.10.2002). Hinsichtlich der wesentlichen Argumente, mit denen der Sachverständige seine von Prof. … abweichende Auffassung begründet, kann auf die oben wiedergegebene Zusammenfassung der Begutachtung verwiesen werden. Vor allem zur Frage der Antikoagulationstherapie, der Prof. … in der späteren Begutachtung ganze bis ins wissenschaftliche Detail gehende Ergänzungsgutachten gewidmet hat, hat die Begutachtung aus Sicht der Kammer zu einer umfassenden Klärung geführt.

In der mündlichen Anhörung, in der sowohl auf die Problematik der Kausalität (Antikoagulationstherapie) als auch auf den Behandlungsfehlervorwurf umfassend eingegangen worden ist, konnten schließlich alle eventuell noch offenen Punkte geklärt werden. Nicht zuletzt der Hinweis auf den inneren Widerspruch der Gutachten Prof. … gegenüber seinen Publikationen hat dabei die Kammer in ihrer Auffassung zur Kausalitätsfrage bekräftigt. Zu berücksichtigen ist schlussendlich auch, dass das Ergebnis der Begutachtung von Prof. … mit dem des ursprünglich vom Gericht hinzugezogenen Sachverständigen Prof. … übereinstimmt.

Das Gericht hat daher keine Veranlassung, eine weitere sachverständige Aufklärung in Betracht zu ziehen, und geht auf Grund der nachvollziehbaren und aus den dargelegten Gründen überzeugenden Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen vom Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers des Beklagten aus, der im Rechtssinn den Schlaganfall vom 14.01.1997 verursacht hat.

V.

Damit steht zugleich fest, dass der Behandlungsfehler des Beklagten, ursächlich war für die Hirnschädigung des Klägers und alle gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die diese mit sich bringt. Es kann dabei im Ergebnis offen bleiben, nach welchem Maßstab die Kausalitätsfrage insoweit zu beurteilen ist.

1.

Während zum Beweis der haftungsbegründenden Kausalität (bis zum Primärschaden) gemäß § 286 ZPO die volle Überzeugung des Gerichts erforderlich ist, gilt für die haftungsausfüllende Kausalität (Sekundärschäden) das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO (Geiß/Greiner, Rdnrn. B 192, 229). Im Rahmen des § 287 ZPO kann es bereits ausreichend sein, wenn der Sekundärschaden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die Primärschädigung zurückzuführen ist (OLG Hamm, Urt. v. 09.09.1993, Az. 6 U 587/89, unter II 2, NJW-RR 1994, 481 [482] = NZV 1994, 189 = DAR 1994, 155; vgl. BGH, Urt. v. 07.07.1970, Az. VI ZR 233/69, NJW 1970, 1970 = VersR 1970, 924; zuletzt BGH, Urt. v. 28.01.2003, Az. VI ZR 139/02, unter II 2, NJW 2003, 1116).

Eine solche mindestens überwiegende Wahrscheinlichkeit ist allerdings grundsätzlich auch in Fällen erforderlich, in denen ein grober Behandlungsfehler vorliegt. Denn die Beweiserleichterung, die sich aus einem solchen ergibt, betrifft nur die haftungsbegründende Kausalität und reicht damit nur bis zum Primärschaden; für den Sekundärschaden verbleibt es bei der Beweislast des Geschädigten, allerdings wie sonst auch mit dem erleichterten Beweismaß des § 287 ZPO (Geiß/Greiner, Rdnr. B 262, vgl. aber auch Rdnr. 263).

Nach diesen Grundsätzen wäre die haftungsausfüllende Kausalität zu bejahen, wenn man die konkreten Ausprägungen des Hirnschadens des Klägers als sekundäre Folgen der Primärschädigung ansieht. Dass insofern eine (weit) überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Ursachenzusammenhang gegeben ist, ergibt sich schon daraus, dass derartige (Dauer-) Folgen nach der transienten ischämischen Attacke vom 13.01.1997 unstreitig noch nicht eingetreten sind, sondern sich erst nach dem totalen Schlaganfall vom 14.01.1997 ergeben haben. Jedenfalls eine Mitursächlichkeit des zweiten Schlaganfalls, der noch zu verhindern gewesen wäre, für diese nach der Lebenserfahrung typischen Schlaganfallfolgen wie Halbseitenlähmung und Sprachstörungen ist daher mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Die gerichtlich bestellten neurologischen Sachverständigen ziehen einen Zusammenhang zwischen dem totalen Schlaganfall und der Hirnschädigung des Klägers an keiner Stelle in Zweifel. Auch dürfte sich im vorliegenden Fall wegen, der typischen Verbundenheit von Sekundär- und Primärschaden die Beweislastumkehr durch den groben Behandlungsfehler ausnahmsweise auch auf den Sekundärschaden erstrecken (vgl. Geiß/Greiner, a.a.O.), sodass bereits deswegen von einer Kausalität auszugehen wäre.

2.

Wegen des engen Zusammenhangs der Schädigung mit dem konkreten Schadensbild scheint es jedoch ohnehin überzeugender, die Ausprägung des Schadens nicht dem Begriff der Sekundärschädigung, sondern schon der Primärschädigung zuzurechnen. Diese besteht nach richtiger Auffassung bei Fällen wie diesem in der Hirnschädigung mit all ihren gesundheitlichen Begleiterscheinungen (vgl. BGH, Urt. v. 21.07.1998, Az. VI ZR 15/98, NJW 1998, 3417 = VersR 1998, 1153; Geiß/Greiner, Rdnr. B 229).

Danach ist eine Kausalität des Behandlungsfehlers für die beim Kläger eingetretenen Schadensfolgen ebenfalls gegeben. Weil nach dieser Auffassung die Primärschädigung das gesamte, gesundheitliche Schadensbild als Ausprägung des Hirnschadens umfasst und damit im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität zu beurteilen ist, reicht auch die Beweislastumkehr auf Grund des groben Behandlungsfehlers so weit.

Der Beklagte haftet daher vorliegend für alle Ausprägungen des durch den Schlaganfall vom 14.01.1997 eingetretenen Hirnschadens des Klägers.

B.

Rechtlich ergeben sich hieraus folgende Schlussfolgerungen:

I.

Der zulässige Schmerzensgeldantrag des Klägers (Anträge I und III) ist nur zum Teil begründet.

Der Kläger kann von dem Beklagten aus § 847 Abs. 1 BGB a.F. die Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe eines einmaligen Kapitalbetrags von € 100.000,– sowie einer monatlichen Rente in Höhe von € 100,– verlangen. Die Beeinträchtigungen, die mit der auf den Behandlungsfehler zurückzuführenden Hirnschädigung verbunden sind, rechtfertigen nach Ansicht der Kammer ein Schmerzensgeld in dieser Höhe. Dabei liegen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die Höhe der Entschädigung muss sich in einer angemessenen Beziehung zu Art und Dauer der Verletzung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände befinden (im Einzelnen Palandt-Thomas, § 847 Rdnr. 11; Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 21. Aufl. 2002, S. 10 ff.). Dabei sind im Rahmen der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgelds hier vor allem folgende Faktoren von Bedeutung:

1.

Im vorliegenden Fall ist ein erheblicher gesundheitlicher Dauerschaden eingetreten, der sich wie folgt darstellt:

a) Der Kläger leidet unter einem Zustand nach Mediateilnfarkt linkshemisphärisch bei Spontandissektion der A. carotis int. rechts. Neurologische Ausprägungen dieses Zustands sind vor allem eine sensomotorische Halbseitenproblematik mit Facialisparese (Lähmung des Gesichtsnervs) rechts, spastischer Tonuserhöhung des rechten Arms und Beins, zentraler Parese des rechten Beins und des Arms mit einer Plegie (motorischen Lähmung) der Hand- und Fingermuskulatur, schwerer Störung der Feinmotorik rechts, Hypästhesie (herabgesetzter Empfindlichkeit) im Bereich der rechten Körperhälfte, sowie eine spastische Gangstörung mit Außendrehung des rechten Beins und neuropsychologische Ausfälle. In psychischer Hinsicht liegen insbesondere vor eine depressive Stimmungslage und deutliche innere Anspannung sowie eine emotionale Labilität (zum Vorstehenden vgl. Schreiben der Neurologin … vom 16.06.2003, Anl. K 48, ferner Anl. K 51).

Der Kläger leidet an einer deutlichen Wortfindungsstörung und verlangsamter Sprechweise. Die Muskulatur ist durch die halbseitige Lähmung rechts deutlich vermindert im Vergleich zur linken Seite und in ihrer Funktion deutlich eingeschränkt; zusätzlich ist von einem allgemeinen Muskulaturrückgang auf Grund geringerer Bewegungsmöglichkeiten auszugehen. Der Kläger besucht zweimal pro Woche eine krankengymnastische Behandlung und einmal pro Woche eine Ergotherapie (vgl. Stellungnahme der Allgemeinärztin … vom 27.06.2003, Anl. K 51).

Die oben angesprochenen neuropsychologischen Ausfälle stellen sich wie folgt dar: Beim Kläger liegt eine reduzierte Kommunikationsfähigkeit bei Restsymptomen einer Aphasie und Sprechapraxie vor. Es kommt zu Wortabrufstörungen mit nicht immer erfolgreichem Suchverhalten sowie zu fragmentarischen Sätzen und Sprechpausen, besonders in Telefongesprächen. Aus neuropsychologischer Sicht ist es plausibel, dass der Kläger u. a. seine Firma im Umgang mit Kunden nach außen nicht mehr angemessen repräsentieren und seine fachliche Kompetenz nicht mehr adäquat darstellen kann. Seine handmotorischen Fähigkeiten machen es dem Kläger unmöglich, mit der rechten Hand zu schreiben, was er durch das Schreiben am Keyboard seines PCs kompensiert; beim Lesen versteht der Kläger Texte schlechter als vor seiner Erkrankung (Neuropsychologischer Befund des KMB vom 01.07.2003, Anl. K 52).

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist mit 80 % zu bewerten (vgl. Gutachten des Neurologen Dr. … vom 15.05.1998, Anl. K 50, S. 12).

b) Zu diesen Feststellungen kommt das Gericht auf der Grundlage der vom Kläger vorgelegten Befundberichte, insbesondere der oben zitierten aktuellen Befunde, die in Verbindung mit der insoweit ausreichenden eigenen Sachkunde der erkennenden Arzthaftungskammer eine ergänzende Begutachtung zum Zustand des Klägers entbehrlich erscheinen lassen. Gegen die vorgelegten Unterlagen hat der Beklagte durchgreifende, spezifizierte Einwendungen nicht vorgebracht, sondern sich im Wesentlichen auf ein einfaches Bestreiten beschränkt, so dass konkreten Einwänden nicht durch eine weitere Beweisaufnahme nachzugehen war. Die Kausalität des behandlungsfehlerhaft herbeigeführten Schlaganfalls für das Schadensbild des Klägers steht wie dargestellt (s.o. unter A V) fest; ein Vergleich der älteren mit den neueren Befunden lässt keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass das heutige Schadensbild nicht auf den Schlaganfall zurückzuführen wäre (vgl. insoweit auch Anl. K AB, „Diagnose“). Damit steht der Umfang der schädigungsbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers zur Überzeugung der Kammer fest.

c) Der vorliegende Gesundheitsschaden führt zu einer erheblichen Herabsetzung der Lebensqualität des zur Zeit des Schlaganfalls erst 39-jährigen und bei Schluss der mündlichen Verhandlung 45 Jahre alten Klägers, der vor dem schädigenden Ereignis in einer verantwortungsvollen Stellung tätig war. Seine weitgehende Erwerbsunfähigkeit (MdE von 80 %) macht ihm, gerade durch die vorliegende Handlähmungs-, Sprech- und Leseproblematik, eine berufliche Tätigkeit im bisherigen Umfang unmöglich, sodass er nun nur noch in geringerem Umfang und in einer nicht vergleichbaren Stellung beschäftigt werden kann (vgl. insoweit v.a. Anl. K 52, S. 2). Auch körperliche Freizeitaktivitäten sind beim vorliegenden Schädigungsbild weitgehend ausgeschlossen. Auf Grund seines noch nicht hohen Alters wird der Kläger voraussichtlich noch relativ lange unter den Folgen des Behandlungsfehlers leiden.

2.

Im Rahmen der Genugtuungsfunktion sind vorliegend vor allem folgende Faktoren zu berücksichtigen:

a) Anlass der Verletzungshandlung war eine ärztliche Heilbehandlung, die mit der Zielrichtung vorgenommen wurde, dem Patienten zu helfen, so dass ein geringeres Schmerzensgeld als etwa bei einem Verkehrsunfall gerechtfertigt erscheint. Andererseits liegt hier aber auch ein grober Behandlungsfehler vor, was wiederum schmerzensgelderhöhend wirkt, da im Rahmen der Genugtuungsfunktion auch das Maß der Pflichtwidrigkeit zu berücksichtigen ist.

b) Die wirtschaftlichen Verhältnisse geben im vorliegenden Fall keinen Anlass, vom üblichen Rahmen der Schmerzensgeldzumessung in die eine oder die andere Richtung abzuweichen.

c) Eine Schmerzensgelderhöhung wegen Hinauszögerung der Schadensregulierung durch die Haftpflichtversicherung des Beklagten (vgl. Hacks/Ring/Böhm, S. 13, m. w. Nachw.; OLG Naumburg, Urt. v. 28.11.2001, Az. 1 U 161/99, VersR 2002, 1295 [1296] ), wie sie der Kläger fordert (Schriftsatz vom 27.06.2003, Bl. 361/363 d. A., – S. 2 f.), ist vorliegend nicht geboten.

Typisch für diesen mittlerweile allgemein anerkannten Erhöhungstatbestand ist folgende Konstellation: Die volle Haftung oder eine Quote ist dem Grunde nach unstreitig oder die Haftung des Schädigers wird bei einer Beweisaufnahme (eindeutig) festgestellt; der Schaden ist erheblich; die Verzögerung der Regulierung ist schuldhaft, beruht auf wirtschaftlicher Machtstellung, wird als schmerzlich empfunden, macht den Verletzten verächtlich, ohnmächtig, machtlos. In einer solchen Konstellation kommt eine Erhöhung des Schmerzensgelds um wohl mindestens 25 % in Betracht.

Eine solche Konstellation ist hier jedoch nicht gegeben. Die Haftung des Beklagten war nicht dem Grunde nach unstreitig und hat sich erst aus der vom Gericht durchgeführten Beweisaufnahme ergeben. Die Begutachtung von Prof. …., die bereits Ende 2000 einen groben Behandlungsfehler feststellte, musste auf Grund des vom Beklagten vorgelegten Gutachtens von Prof. …vom 05.03.2001 als zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht ausreichend angesehen werden, da Prof. … sowohl die Schwere des Behandlungsfehlers verneinte als auch eine gänzliche Unwahrscheinlichkeit des Kausalverlaufs darlegte, so dass eine weitere Begutachtung anzuordnen war. Die Ausschöpfung der dem Beklagten prozessual zustehenden Rechte stellt sich nicht als schuldhafte Regulierungsverzögerung dar, da seine Versicherung auf der Grundlage des von ihr eingeholten Privatgutachtens durchaus davon ausgehen durfte, den Prozess noch gewinnen zu können. Erst die weitere Begutachtung hat zu einer endgültigen Klärung geführt, nachdem der Obergutachter Prof. … unter Aufbietung großer wissenschaftlicher Sorgfalt die Kammer davon überzeugt hat, dass sowohl ein grober Behandlungsfehler als auch eine nicht gänzlich unwahrscheinliche Kausalität vorliegen. Es wäre übertrieben und mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs schwer zu vereinbaren, in einer solchen Situation eine Schmerzensgelderhöhung wegen verzögerlichen Regulierungsverhaltens auszusprechen.

3.

Der vorliegende Dauerschaden rechtfertigt unter Berücksichtigung all dieser Umstände aus Sicht der Kammer ein hohes Schmerzensgeld. Dabei ist auch zu beachten, dass nicht nur die Spätfolgen in die Bemessung des Schmerzensgeld einzugehen haben, sondern dieses auch einen immateriellen Ausgleich für die über ein‘ halbes Jahr dauernde stationäre Behandlung des Klägers darstellen soll.

4.

Neben einem (hohen) Kapitalbetrag war vorliegend auch – wie beantragt – eine zusätzliche Schmerzensgeldrente zuzusprechen.

Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Schaden zu dauernden Nachteilen geführt hat (Palandt-Thomas, § 847 Rdnr. 12), insbesondere wenn sich die Beeinträchtigungen des Geschädigten immer wieder erneuern und immer wieder als schmerzlich empfunden werden (vgl. BGH, Urt. v. 06.07.1955, Az. GZS 1/55, BGHZ 18, 149 [167] = NJW 1955, 1675; vgl. auch Notthoff, VersR 2003, 966).

Hier liegt ein derartiger besonders schwerer Dauerschaden vor, der durchaus mit dem Verlust eines wichtigen Gliedes gleichzusetzen ist (s.o. unter 1).

Für die Zeit vor dem Tag, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht (03.09.2003), war eine Schmerzensgeldrente, anders als beantragt, jedoch nicht zuzusprechen, da dies nicht ihrem Sinn entspricht, durch regelmäßige Zahlungen einen Ausgleich für das sich immer erneuernde Leiden zu schaffen; vielmehr ist insoweit der Kapitalbetrag ausreichend.

5.

Bei der konkreten Festlegung eines Schmerzensgeldbetrags war schließlich zu berücksichtigen (Art. 3 Abs. 1 GG), dass sich der Betrag in das Gesamtgenüge der von den Gerichten zugesprochenen Schmerzensgeldbeträge und -renten einfügen soll, wenngleich hierbei der anerkennenswerten Tendenz Rechnung getragen werden darf, insbesondere für schwere Gesundheitsschaden höhere Beträge zuzusprechen, als dies früher üblich war.

a) Die Größenordnung, die sich der Kläger als Mindestbetrag vorstellt (€ 200.000,–), kam dabei nicht in Betracht. Eine solche Größenordnung ist bisher äußerst schweren Schädigungen wie einem apallischen Syndrom oder einer Querschnittslähmung vorbehalten (vgl. Backs/ Ring/Böhm, lfd. Nrn. 2946 – 2954; LG München I, NJW-RR 2003, 1179). Die vom Kläger in Bezug genommene Entscheidung über DM 350.000,– (Schriftsatz vom 17.04.2001, Bl. 158/176 d. A., S. 15 u.) ist nicht voll vergleichbar und kann nur als Anhaltspunkt dienen; sie betrifft ein 14-jähriges Mädchen mit Tetraspastik, bei der also alle vier Gliedmaßen beeinträchtigt sind, wobei dort auch noch eine Peronaeuslähmung (sowie eine um 10 % höhere MdE) vorliegt.

b) Als weitere Anhaltspunkte oder Vergleichsgrößen können nach Auffassung der Kammer unter den (vergleichsweise wenigen) zugänglichen Urteilen zu Halbseitenproblematiken insbesondere folgende Entscheidungen dienen:

(1) Einen Kapitalbetrag von DM 100.000,– und DM 100,– monatliche Rente erhielt 1986 ein neunjähriger Schüler, der nach einer offenen Schädelhirnverletzung acht Wochen stationär behandelt wurde und als Dauerschäden eine beinbetonte motorische Halbseitensymptomatik an der rechten Körperhälfte mit hirnorganischem Psychosyndrom einschließlich u. a. Sprachstörungen zurückbehielt, was zu einer MdE von 65 % führt (Hacks/Ring/Böhm, lfd. Nr. 2889 = LG Darmstadt, Urt. v. 13.03.198 6, Az. 4 0 541/84).

Dies entspricht nach inflationsbedingter Indexberichtigung (vgl. Hacks/Ring/Böhm, S. 15 f.) etwa € 70.000,– nebst € 70,– Rente.

(2) DM 150.000,– und DM 250,– monatliche Rente wurden einer 12-jährigen Schülerin zugesprochen, die nach einem schweren Schädelhirntrauma fünf Wochen bewusstlos und in Lebensgefahr war sowie drei Monate stationär behandelt wurde, und als Dauerschaden eine deutliche spastische Hemiparese links zurückbehalten hat, daneben u. a. auch unter einem posttraumatischem Psychosyndrom mit allgemeiner Verlangsamung, Unkonzentriertheit und vermehrten Kopfschmerzen sowie Wesensveränderung und erheblicher Hirnleistungsschwäche leidet sowie auf dem rechten Auge erblindet ist (Hacks/Ring/Böhm, lfd. Nr. 2506 = OLG Bamberg, Urt. v. 07.05.1991, ZfS 1991, 260).

Inflationsbereinigt entspricht dies ca. € 95.000,– zuzüglich € 160,– monatlicher Rente.

(3) DM 200.000,– und DM 600,– monatliche Rente wurden einem Mädchen zuerkannt, das nach einer schweren Hirnschädigung auf Grund eines ärztlichen Behandlungsfehlers bei der Geburt an einer schweren residuellen Störung des Gehirns mit einer deutlich linksbetonten, zentralen Koordinationsstörung leidet, die eine Entwicklungsverzögerung der motorischen Funktionen beinhaltet und ein artikuliertes Sprachvermögen nicht zulässt; daneben liegt ein vermindertes Kopfwachstum vor, ein zerebrales Anfallsleiden kann sich einstellen (Hacks/ Ring/Böhm, lfd. Nr. 2924 = OLG Schleswig, Urt. v. 24.02.1993, VersR 1994, 310).

Der hier zuerkannte Kapitalbetrag entspricht heute etwa € 115.000,–, die Rente ca. € 350,–.

Neben der Inflationsbereinigung ist jeweils noch eine normativ zu begründende Erhöhung der Vergleichsbeträge vorzunehmen, die in der Vergangenheit zugesprochen wurden. Auch unter Berücksichtigung eines derartigen Zuschlags kann jedoch nicht verkannt werden, dass der Fall des Klägers vor allem im Altersvergleich, aber auch bei den verbliebenen Symptomen, in seiner Schwere nicht ganz an die oben zitierten Fälle heranreicht, insbesondere nicht an den letzten. Auch wurde in keinem der zitierten Fälle ein immaterieller Vorbehalt ausgesprochen.

6.

Die Kammer sieht daher unter nochmaliger Abwägung aller Umstände und unter besonderer Würdigung der Tatsache, dass hier ein grober Behandlungsfehler vorliegt, einen Kapitalbetrag von € 100.000,– (bei vom Kläger beantragten immateriellem Vorbehalt) als gerade noch vertretbar an.

Daneben erscheint eine monatliche Rente in Höhe von € 100,– angemessen und ausreichend. Dies entspricht kapitalisiert etwa einem Betrag von € 17.000,– (vgl. Anl. 9 z. BewG) und damit etwa einem Sechstel des zuerkannten Kapitalbetrags, der nach Auffassung der Kammer beim vorliegenden – noch nicht „schwersten“ – Dauerschaden im Vordergrund stehen sollte.

II.

Die zulässige Klage auf Zahlung von materiellem Schadensersatz (Antrag II) ist ebenfalls nur zum Teil begründet.

Der Kläger kann von dem Beklagten aus positiver Forderungsverletzung des bestehenden Behandlungsvertrags sowie aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung seiner Gesundheit die Zahlung materiellen Schadensersatzes in Höhe von € 59.482,76,– verlangen. Das Vorbringen des Beklagten (vgl. Schriftsatz vom 02.07.2003, Bl. 3.64/366 d. A.) ist größtenteils nicht geeignet, Abzüge an den vom Kläger geltend gemachten Schadensposten zu rechtfertigen.

1.

Die geltend gemachten Zuzahlungen und Behandlungskosten in Höhe von DM 3.776,76 (€ 1.931,03) stellen einen auch in dieser Höhe ansatzfähigen Schadensposten dar. Ausreichende Anhaltspunkte für eine diesbezügliche gerichtliche Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO liegen auf Grund der ausführlichen Darstellung im klägerischen Schriftsatz vom 17.04.2001 (Bl. 158/176 d. A.), unter I und II, S. 2 – 4, sowie der als Anlagen vorgelegten zugehörigen Belege vor.

Soweit eingewandt wird, dass ein Kleinbetrag für eine krankengymnastische Behandlung (DM 50,25) nicht belegt ist, ist dies vor dem Hintergrund des anzulegenden Beweismaßes unbehelflich. Die Beanstandung der Erforderlichkeit und Kausalität weiterer Behandlungen verfängt ebenfalls nicht; auch Behandlungen außerhalb der Schulmedizin dürfen von einem Verletzten mit einem derart schweren Schadensbild in – wie hier – angemessenem Umfang für erforderlich gehalten werden.

2.

Gleiches wie für die Behandlungskosten gilt für die Fahrtkosten in Höhe von DM 678,30 (€ 346,81), deren Notwendigkeit und Angemessenheit ebenfalls nachvollziehbar ist (vgl. Schriftsatz, unter III, S. 6 f.).

3.

Der Kläger kann auch Ersatz der Kosten (einschließlich Reisekosten) für die „Petö Therapie“ in Ungarn in Höhe von insgesamt DM 2.931,65 (€ 1.498,93) verlangen. Beim vorliegenden Krankheitsbild ist die Notwendigkeit eines stationären Kuraufenthalts im Ausland, auch vor dem Hintergrund depressiver Einflüsse, für die Kammer ohne Weiteres nachvollziehbar. Es handelt sich keineswegs, wie der Beklagte vorbringt, „erkennbar“ um eine nicht erforderliche und anerkannte Therapie. Anlass, Verlauf und Erfolg der Therapie hat der Kläger ausführlich dargestellt sowie die Kosten näher aufgeschlüsselt und belegt (unter II, S. 5 f.). Daher sieht sich die Kammer in der Lage die Erforderlichkeit der Kosten in Anwendung von § 287 ZPO sowohl dem Grund als auch der – durchaus bescheidenen – Höhe nach zu bejahen.

4.

Den Verdienstausfallschaden für das Jahr 1998 mit DM 1.208,77 (€ 618,03) netto hat der Kläger auf der Grundlage einer Vielzahl von Belegen im Einzelnen berechnet (unter IV, S. 7 ff.). Die nur sehr geringe geltend gemachte Summe muss für das Jahr nach dem Schlaganfall auch ohne Weiteres als realistisch angesehen werden, so dass auch sie gemäß §§ 287 ZPO, 252 BGB als ersatzfähiger Schaden angesetzt werden kann.

5.

Von dem für das Jahr 1999 geltend gemachten Verdienstentgang in Höhe von DM 64.148,39 (€ 32.798,55) brutto kann der Kläger, von dessen weitgehender Berufsunfähigkeit nach dem gesamten Ergebnis der Beweisaufnahme (s.o. B I) und im Übrigen schon nach dem Rentenbescheid vom 27.08.1998 (Anl. K 37) auszugehen ist, im Rahmen der Schadensschätzung nach §§ 287 ZPO, 252 BGB aus Rechtsgründen nur DM 55.754,79 (€ 28.506,97) ansetzen.

Auch insoweit liegen zwar keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die angegebenen (Schriftsatz vom 25.04.2003, Bl. 344/347 d. A.) und urkundlich belegten Berechnungsgrundlagen des Klägers unzutreffend wären. Der Geltendmachung des vollen Brutto-Betrags steht jedoch entgegen, dass der Berechnung des ersatzfähigen Schadens die modifizierte Bruttolohnmethode zu Grunde zu legen ist (vgl. Palandt-Heinrichs, § 252 Rdnr. 10; BGH, Urt. v. 28.09.1999, Az. VI ZR 165/98, NJW 1999, 3711 = VersR 2000, 65). Danach sind vom Bruttolohn des Klägers folgende Abzüge zu machen:

a) Wegen des Forderungsübergangs auf den Sozialversicherungsträger sind die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung abzuziehen (vgl. Palandt-Heinrichs, § 252 Rdnr. 12). In der Pflegeversicherung besteht die Beitragspflicht dagegen fort; mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass diese den Kläger trifft und er als Verletzter Ersatz verlangen kann (vgl. a.a.O., Rdnr. 12 a.E.).

Die Höhe des Arbeitnehmeranteils zur Krankenversicherung wird gemäß § 287 ZPO auf 6,95 % geschätzt (vgl. Lohnabrechnung vom 20.11.1998, Anl. K 7); die des – indes nicht abzuziehenden – Arbeitnehmeranteils zur Pflegeversicherung dürfte 0,85 % betragen haben (vgl. Schreiben der KKH vom 09.01.1998, Anl. K 34).

b) Abzuziehen sind auch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, da der Verletzte nicht beitragspflichtig ist und etwa entstehende Nachteile erst zu ersetzen sind, wenn sie sich konkret auswirken (a.a.O., Rdnr. 13); insoweit sind Schäden vom materiellen Feststellungsantrag erfasst.

c) Ebenfalls abzuziehen sind die Rentenversicherungsbeiträge, da insoweit der Anspruch auf den Sozialversicherungsträger übergeht (a.a.O., Rdnr. 14).

Der Rentenversicherungsbeitrag betrug bis März 1999 noch 20,3 % des Bruttolohns (§ 1 BSG 1998), ab April 1999 nur noch 19,5 % (§1 BSG 1999), wovon jeweils die Hälfte auf den Arbeitnehmeranteil entfällt. Damit ergibt sich über das ganze Jahr ein mittlerer Beitrag von 19,7 % und ein mittlerer Arbeitnehmeranteil, von 9,85 % des Bruttolohns.

d) Steuerrechtliche Vor- und Nachteile des Geschädigten, der zwar einerseits auf Grund seiner unfallbedingten Einkommensverluste ein geringeres zu versteuerndes Einkommen und damit eine geringere Steuerlast hat, andererseits aber auch die Schadensersatzleistungen für Einkommensverluste als Einkommen versteuern muss, können gegeneinander aufgehoben werden, sodass diese Beträge nicht im Einzelnen errechnet werden müssen (BGH, NJW 1999, 3711, unter II 2 b aa, m. w. Nachw.). Eine exakte Berechnung der Vor- und Nachteile erübrigt sich insoweit im Hinblick auf die Regelung des § 287 ZPO {BGH, Urt. v. 06.11.1989, Az. II ZR 235/88, unter 2 a, VersR 1990, 95 [96] = NJW 1990, 571).

Diese vereinfachte Handhabung findet ihre Grenze, wenn der Geschädigte schadensbedingt weitergehende steuerliche Vorteile erlangt. Insoweit sind Steuervorteile grundsätzlich schadensmindernd anzurechnen, soweit nicht der Zweck der Steuervergünstigung einer solchen Entlastung des Schädigers entgegensteht (st. Rspr., vgl. BGH, NJW 1999, 3711, unter II 2 b aa, m. w. Nachw.). Es obliegt aber bei der modifizierten Bruttolohnmethode grundsätzlich dem Schädiger die Darlegung, welche Vorteile sich der Geschädigte anrechnen lassen muss (BGH, Urt. v. 15.11.1994, Az. VI ZR 194/93, BGHZ 127, 391 [395] = NLW l995, 389). Dieser Darlegungslast ist der Beklagte vorliegend nicht nachgekommen, da er auf keine besonderen Ersparnisse des Klägers hingewiesen und deren Abzug verlangt hat. Ein Abzug war insoweit daher nicht veranlasst.

Vom Bruttolohn des Klägers abzuziehen sind mithin die Arbeitnehmeranteile der Beiträge für die gesetzliche Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Diese belaufen sich für das Jahr 1999 auf 6,95 % (s.o. unter a), 3,25 % (§ 174 Abs. 1 AVG) und 9,85 % (s.o. unter c) des Bruttolohns, mithin insgesamt 20,05 % von DM 41.863,33, also DM 8.393,60. Dieser Betrag kann von der vom Kläger ansonsten zutreffend errechneten Brutto-Einkommensdifferenz von DM 64.148,39 abgezogen werden, sodass sich für das Jahr 1999 ein ersatzfähiger Verdienstausfallschaden von DM. 55.754,79 (€ 28.506,97) ergibt.

6.

Für das Jahr 2000 können die obigen Ausführungen sinngemäß übertragen werden. Nach den soeben dargestellten Grundsätzen sind hier vom Bruttolohn 19,95 % abzuziehen (Arbeitnehmeranteil zur Rentenversicherung um 0,1 Prozentpunkte geringer als 1999), sodass sich ein Abzugsposten von DM 8.890,72 (€ 4.545,75) ergibt. Damit verbleiben von den vom Kläger – wie oben nachvollziehbar – geltend gemachten DM 60.878,62 (€ 31.126,74) noch DM 51.987, 90 (€ 26.580,99).

Der gesamte materielle Schadensersatzanspruch des Klägers errechnet sich nach alledem mit DM 116.338,17 (€ 59.482,76).

III.

Der umfassende klägerischen Feststellungsantrag (Antrag IV) ist zum Teil bereits unzulässig, nämlich soweit er bisherige immaterielle Schaden betrifft. Soweit er zulässig ist, hat er auch in der Sache Erfolg.

1.

Soweit der Kläger Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für zukünftige Schäden nach Schluss der mündlichen Verhandlung begehrt, ist sein Antrag zulässig und begründet.

a) Der Feststellungsantrag für zukünftige Schäden ist zulässig, insbesondere liegt das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) vor (vgl. Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 25. Aufl., § 256 Rdnrn. 13 ff.), da bei dem geltend gemachten und festgestellten Dauerschaden auch künftige Schäden nicht ausgeschlossen sind, sondern vielmehr eine nicht ganz fern liegende Wahrscheinlichkeit für ihren Eintritt besteht. Eine Bezifferung der nicht mit dem Leistungsantrag geltend gemachten materiellen Zukunftsschäden ist wegen der Ungewissheit ihres Eintritts und ihrer Höhe noch nicht möglich. Auch weitere immaterielle Schäden sind bei einer möglichen weiteren Verschlechterung des Zustands denkbar.

b) Der insoweit zulässige Feststellungsantrag ist auch begründet, da der Kläger wie oben festgestellt vom Beklagten den Ersatz seiner materiellen und immateriellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung verlangen kann. Für die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige immaterielle Schäden, die der Kläger neben dem Schmerzensgeld begehrt (immaterieller Vorbehalt), genügt die bloße Möglichkeit, dass künftig weitere noch nicht erkenn- und voraussehbare Leiden auftreten (Palandt-Thomas, § 847 Rdnr. 18), was hier durchaus möglich erscheint.

2.

Soweit der Kläger die Feststellung der Ersatzpflicht auch für den Zeitraum vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung begehrt, ist sein Antrag hinsichtlich der immateriellen Schäden unzulässig. Hinsichtlich der materiellen Schäden ist der Antrag zulässig und begründet.

a) Der Feststellungsantrag war hinsichtlich der bisherigen immateriellen Schäden als unzulässig abzuweisen, da insoweit kein berechtigtes Interesse an einer Feststellung besteht (§ 256 Abs. 1 ZPO). Das zugesprochene Schmerzensgeld umfasst alle zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegenden immateriellen Schäden, sodass daneben für eine Feststellung der Ersatzpflicht kein Räum bleibt; der Kläger ist vielmehr gehalten, seine immateriellen Beeinträchtigungen im Prozess vorzutragen und einer abschließenden Entscheidung zuzuführen, soweit er eine Entschädigung dafür begehrt.

Im. Übrigen, also hinsichtlich der bisherigen materiellen Schäden, ist der Feststellungsantrag zulässig. Die Überlegungen zum immateriellen Schaden können hier nicht in vollem Umfang übertragen werden. Die Feststellungsklage ist nämlich insgesamt zulässig, wenn nur eine teilweise Bezifferung möglich wäre, weil der anspruchsbegründende Sachverhalt noch in der Entwicklung ist (Thomas/Putzo-Reichold, § 25 6 Rdnr. 14). Hier ist im Zweifel großzügig zu verfahren, um keinen erhöhten Prozessaufwand durch Teilberechnungen nicht abgeschlossener Sachverhalte herauszufordern {LG München 2, Urt. v. 24.09.2003, Az. 9 O 7188/00, unter B III 1, S. 26). Da eine solche noch nicht abgeschlossene Schadensentwicklung hier denkbar ist, liegt das erforderliche Feststellungsinteresse vor; den bereits mit dem Leistungsantrag geltend gemachten materiellen Schaden hat der Kläger ausdrücklich beim Feststellungsantrag ausgenommen.

b) Soweit der Feststellungsantrag zulässig ist, führt er aus den bereits ausführlich dargelegten Gründen auch in der Sache zum Erfolg, da der Beklagte dem Kläger Ersatz seiner materiellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung schuldet. Soweit die bezifferte Klage wegen materieller Ansprüche Erfolg hatte oder abgewiesen wurde, sind diese Ansprüche selbstverständlich nicht von dem Feststellungsausspruch erfasst (vgl. Antrag IV a.E., § 308 Abs. l ZPO), was in der Urteilsformel mit dem Begriff „weiteren materiellen Schaden“ zum Ausdruck gebracht wird.

IV.

Die vom Kläger angeregte Zuerkennung einer Geldrente für seinen zukünftigen Erwerbsschaden gemäß § 843 BGB vom Amts wegen kommt auf Grund von § 308 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht (vgl. Palandt-Thomas, § 843 Rdnr. 14). Eine Vorschrift, die insoweit ein Abweichen von der Antragsbindung gemäß § 308 Abs.1 ZPO gestattet, liegt nicht vor. Der Kläger wäre daher gehalten, einen eventuellen Anspruch aus § 843 BGB im Wege der Leistungsklage geltend zu machen, wenn er einen entsprechenden Ausspruch begehrt. In der Vorliegenden Konstellation kann eine solche Ersatzpflicht zwar dem Grunde nach über den Feststellungsausspruch erfasst sein; eine Entscheidung zur Höhe und entsprechende Verurteilung auf künftige Leistung kann jedoch aus den genannten Gründen hier nicht erfolgen.

C.

Nebenentscheidungen

I.

1.

Die. zugesprochenen Verzugszinsen aus dem Schmerzensgeld in Höhe von 4 % ergeben sich aus §§ 284 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB in der vor dem 01.05.2000 anzuwendenden Fassung (Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB), da eine Fälligkeit nach diesem Datum nicht ersichtlich ist. Daher konnten die neuen Verzugsvorschriften und damit der höhere Verzugszins von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz insoweit auch ab dem 01.05.2000 keine Anwendung finden. Mit der vom Kläger vorgetragenen und unstreitigen Anspruchsablehnung vom 14.05.1998 (Anl. K 2, Eingang 18.05.1998) ist wegen ernsthafter Erfüllungsverweigerung Verzug und damit Verzinsungspflicht ab dem 19.05.1998 eingetreten.

Jedoch können nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. Prozesszinsen in jetzt geltender Höhe ab dem Tag nach der Zustellung des Schriftsatzes vom 17.04.2001 (Bl. 158/176 d. A.) verlangt werden, in dem erstmalig ein Schmerzensgeld beantragt wird; die Zustellung ist ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 23.04.2001 erfolgt.

2.

Die antragsgemäß zugesprochenen Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hinsichtlich der materiellen Schäden ergeben sich ebenfalls aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Schriftsatz vom 25.04.2003 (Bl. 344/347 d. A.) ist ausweislich des Empfangsbekenntnisses dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 08.05.2003 zugestellt worden.

3.

Die Schmerzensgeldrente ist gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB ab Fälligkeit nach § 288 Abs. I Satz 1 BGB zu verzinsen.

4.

Soweit danach ein Zinsanspruch nicht besteht, war die Klage als unbegründet abzuweisen. Auch soweit eine Hauptforderung nicht besteht, war die Klage hinsichtlich der Zinsen als unbegründet abzuweisen.

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 1 ZPO. Im Umfang seines Unterliegens hat der Kläger danach neben den anteiligen Kosten des Rechtsstreits auch anteilig die außergerichtlichen Kosten der Streithelferin des Beklagten zu tragen. Der Umfang des Unterliegens bemisst sich nach den jeweiligen Streitwerten; der (unzulässige) Feststellungsantrag hinsichtlich der immateriellen Schäden für die Vergangenheit wurde dabei mit € 10.000,– angesetzt.

IIII.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 i.V.m. §§ 108 Abs. 1 Satz 1, 717 Abs. 2 ZPO, da jeweils die Grenzbeträge des § 708 Nr. 11 ZPO überschritten sind.

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