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Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung – Täuschung durch Verschweigen von Vorerkrankungen

OLG Koblenz – Az.: 10 U 108/12 – Beschluss vom 11.06.2012

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 21. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung eine Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Am 11. Dezember 2003 stellte die Klägerin einen Antrag auf Abschluss einer fondsgebundenen Rentenversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitszusatzversicherung bei der Beklagten. Die dabei gestellten Gesundheitsfragen verneinte die Klägerin bis auf die Angabe einer Skoliose, die sie seit Geburt ohne Beschwerden habe. Die Frage nach Untersuchungen, Beratungen oder Behandlungen in den letzten fünf Jahren wegen Krankheiten, Beschwerden oder Störungen verneinte die Klägerin. Die Beklagte nahm den Antrag mit Versicherungsschein vom 9. Januar 2004 an, mit einer Einschränkung wegen Wirbelsäulenerkrankungen.

Im November 2009 beantragte die Klägerin Leistungen bei der Beklagten, da sie seit November 2008 wegen Morbus Fabry berufsunfähig sei. Im Rahmen der Leistungsprüfung holte die Beklagte bei Ärzten Arztberichte für den Zeitraum 1999 bis 2003 ein. Mit Schreiben vom 2. Februar 2010 erklärte die Beklagte den Rücktritt vom Versicherungsvertrag und mit Schreiben vom 9. März 2010 die Anfechtung des Versicherungsvertrages.

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe die Gesundheitsfragen nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch beantwortet. Es liege keine Pflichtverletzung vor. Die Untersuchung der Schilddrüse habe keinen Befund ergeben. Auch die Untersuchung des Stuhls wegen Darmproblemen sei ohne Befund gewesen. Erschöpfungszustände und Müdigkeit hätten bei Antragstellung bereits dreieinhalb Jahre zurück gelegen. Die Beklagte hätte auch bei Kenntnis dieser Erkrankungen den Antrag in der abgeschlossenen Form zu gleichen Konditionen angenommen. Der Rücktritt sei verfristet, da das neue Versicherungsvertragsgesetz anzuwenden sei. Die Diagnose Morbus Fabry sei zudem erst viel später gestellt worden. Im Jahre 2007 sei Morbus Fabry noch ausgeschlossen worden und insoweit hätten die Behandlungen in den Jahren 1999 bis 2003 nichts mit der späteren Erkrankung an Morbus Fabry zu tun. Die Beklagte sei zur Leistung verpflichtet.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu der bei der Beklagten abgeschlossenen Start-Ziel-Rentenpolice Nr. … in Form des Nachtrags vom 4. April 2009 unverändert fortbesteht,

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 14.478,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 536,23 € seit dem 1. Oktober 2008, 1. November 2008, 1. Dezember 2008, 1. Januar 2009, 1. Februar 2009 1. März 2009, 1. April 2009, 1. Mai 2009, 1. Juni 2009, 1. Juli 2009, 1. August 2009, 1. September 2009, 1. Oktober 2009, 1. November 2009, 1. Dezember 2009, 1. Januar 2010, 1. Februar 2010 1. März 2010, 1. April 2010, 1. Mai 2010, 1. Juni 2010, 1. Juli 2010, 1. August 2010, 1. September 2010, 1. Oktober 2010, 1. November 2010 und 1. Dezember 2010 zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie ab dem 1. Januar 2011 für den Zeitraum, in dem bedingungsgemäß Berufsunfähigkeit vorliegt, längstens bis zum Ablauf der Versicherung am 1. Dezember 2028 die vertraglich garantierte Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 536,23 €, zahlbar jeweils monatlich im Voraus zu zahlen,

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zuzüglich der zu der vertraglich garantierten Berufsunfähigkeitsrente die hierauf entfallende, nicht garantierte Überschussbeteiligung zu zahlen,

5. die Beklagte zu verurteilen, an sie seit Eintritt der Berufsunfähigkeit ab 1. Oktober 2008 bis zum 1. Dezember 2010 gezahlte Versicherungsbeiträge in Höhe von 3.162,52 € zurückzuzahlen,

6. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin zu der bei ihr unterhaltenen Start-Ziel-Rentenpolice nebst Berufsunfähigkeitszusatzversicherung VS-Nr. …, seit dem 1. Oktober 2008 für den Zeitraum, in dem bedingungsgemäß Berufsunfähigkeit vorliegt, längstens bis zum Ablauf der Versicherung am 1. Dezember 2028 Beitragsbefreiung in Höhe der monatlichen Versicherungsbeiträge für die Hauptversicherung, für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Beitragsbefreiung und für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung in Höhe von monatlich jeweils 117,13 € zu gewähren,

7. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin hinsichtlich der nicht anzurechnenden Rechtsanwaltsgebühren für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 1.641,96 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit gegenüber den Rechtsanwälten …[A] freizustellen,

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, für den vorliegenden Rechtsstreit sei altes Recht anwendbar, da der Versicherungsfall vor dem 1. Januar 2009 eingetreten sei. Die Klägerin habe gefahrerhebliche Umstände durch die Verneinung der Gesundheitsfragen verschwiegen. Im Hinblick auf die Vielzahl der Behandlungen, die Schwere der Behandlungen und die Nähe der letzten Behandlung zur Antragstellung sei auch Arglist anzunehmen. Sie hätte diesen Antrag in Kenntnis der Umstände nicht angenommen. Das ergebe sich aus den vorgelegten Risikogrundsätzen. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 30. November 2011 vorgetragen, dass sie dem vermittelnden Vertreter der Beklagten alle Erkrankungen mitgeteilt habe.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe den Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrag gemäß §§ 22 VVG a.F., §§ 123, 142 BGB wirksam angefochten. Die Klägerin habe die Beklagte über gefahrerhebliche Umstände arglistig getäuscht. Der Versicherungsfall, für den die Klägerin Versicherungsleistungen begehre, sei im November 2008 eingetreten, so dass das Versicherungsvertragsgesetz a. F. anwendbar sei. Die Klägerin habe bei Antragstellung wahrheitswidrig alle Gesundheitsfragen, mit Ausnahme einer Skoliose, verneint, obwohl sie im Zeitraum 1999 bis 2003 18mal beim Arzt, überwiegend wegen Darmproblemen, Schilddrüsenproblemen und Erschöpfungszuständen gewesen sei. Diese Umstände seien auch gefahrerheblich, was sich aus den von der Beklagten vorgelegten Risikogrundsätzen ergebe. Die Klägerin habe auch arglistig gehandelt. Für eine Arglist würden der Umfang der verschwiegenen Umstände und die Tatsache, dass Krankheiten wiederholt hätten behandelt werden müssen, sprechen. Ein weiteres Indiz sei die zeitliche Nähe der Antragstellung zur letzten Behandlung. Noch im Oktober 2003 habe sich die Klägerin wegen der Schilddrüsenuntersuchung und der Besprechung des Ergebnisses in ärztlicher Behandlung befunden, mithin nicht einmal zwei Monate vor Antragstellung. Dass diese Untersuchungen nach Auffassung der Klägerin nicht zu einem Befund geführt hätten, sei unerheblich, da sie ausdrücklich auch nach Untersuchungen und Beratungen gefragt worden sei. Der Vortrag im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 30. November 2011 sei verspätet und daher nicht zu berücksichtigen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags geltend macht, die mit Schriftsatz vom 30. November 2011 erklärte Streitverkündung Herrn …[B] gegenüber sei rechtsfehlerhaft vollständig unberücksichtigt geblieben. Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe die Klägerin bei Antragstellung nicht über gefahrerhebliche Umstände arglistig getäuscht.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des Urteils der 4. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 21. Dezember 2011 die Beklagte wie folgt zu verurteilen:

1. festzustellen, dass die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu der bei der Beklagten abgeschlossenen Start-Ziel-Rentenpolice Nr. … in Form des Nachtrags vom 4. April 2009 unverändert fortbesteht,

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 14.478,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 536,23 € seit dem 1. Oktober 2008, 1. November 2008, 1. Dezember 2008, 1. Januar 2009, 1. Februar 2009 1. März 2009, 1. April 2009, 1. Mai 2009, 1. Juni 2009, 1. Juli 2009, 1. August 2009, 1. September 2009, 1. Oktober 2009, 1. November 2009, 1. Dezember 2009, 1. Januar 2010, 1. Februar 2010 1. März 2010, 1. April 2010, 1. Mai 2010, 1. Juni 2010, 1. Juli 2010, 1. August 2010, 1. September 2010, 1. Oktober 2010, 1. November 2010 und 1. Dezember 2010 zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie ab dem 1. Januar 2011 für den Zeitraum, in dem bedingungsgemäß Berufsunfähigkeit vorliegt, längstens bis zum Ablauf der Versicherung am 1. Dezember 2028 die vertraglich garantierte Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 536,23 €, zahlbar jeweils monatlich im Voraus zu zahlen,

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zuzüglich der zu der vertraglich garantierten Berufsunfähigkeitsrente die hierauf entfallende, nicht garantierte Überschussbeteiligung zu zahlen,

5. die Beklagte zu verurteilen, an sie seit Eintritt der Berufsunfähigkeit ab 1. Oktober 2008 bis zum 1. Dezember 2010 gezahlte Versicherungsbeiträge in Höhe von 3.162,52 € zurückzuzahlen,

6. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin zu der bei ihr unterhaltenen Start-Ziel-Rentenpolice nebst Berufsunfähigkeitszusatzversicherung VS-Nr. …, seit dem 1. Oktober 2008 für den Zeitraum, in dem bedingungsgemäß Berufsunfähigkeit vorliegt, längstens bis zum Ablauf der Versicherung am 1. Dezember 2028 Beitragsbefreiung in Höhe der monatlichen Versicherungsbeiträge für die Hauptversicherung, für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Beitragsbefreiung und für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung in Höhe von monatlich jeweils 117,13 € zu gewähren,

7. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin hinsichtlich der nicht anzurechnenden Rechtsanwaltsgebühren für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 1.641,96 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit gegenüber den Rechtsanwälten …[A] freizustellen,

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Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Der Senat hat mit Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO vom 3. Mai 2012 darauf hingewiesen, dass die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe, auch die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordere, die Berufung auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe und eine mündliche Verhandlung nicht geboten sei.

Er hat ausgeführt:  „Der Klägerin stehen keine Ansprüche gegen die Beklagte aus §§ 1 VVG a.F., 1 Abs. 1, Abs. 3 BUZ zu. Die Beklagte hat den Vertrag über die Berufsun-fähigkeitszusatzversicherung wirksam wegen arglistiger Täuschung gemäß §§ 123 BGB, 22 VVG a.F. angefochten.

Die Beklagte war zur Anfechtung berechtigt, weil die Klägerin sie bei Abschluss des Versicherungsvertrages arglistig getäuscht hat. Der Senat ist mit dem Landgericht davon überzeugt, dass die Klägerin mit wissentlich falschen Angaben von Tatsachen auf die Entscheidung der Beklagten über die Annahme ihres Versicherungsvertrages Einfluss nehmen wollte, wobei sie sich bewusst war, dass die Beklagte ihren Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, falls sie wahrheitsgemäße Angaben mache.

Die Arglistanfechtung setzt zunächst notwendig voraus, dass der Antragsteller und spätere Versicherungsnehmer Gesundheitsfragen objektiv unzutreffend beantwortet hat, indem er entweder anzeigepflichtige Umstände verschwiegen oder falsche Angaben gemacht hat. Dies steht zur Darlegungs- und Beweislast des Versicherers. Vorliegend ergibt sich aus dem unstreitigen Sachverhalt, dass die Gesundheitsfrage Nr. 3 in dem Antragsformular vom 11.12.2003 objektiv falsch beantwortet wurden. Soweit die Klägerin erstmals in dem nach dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 30. November 2012 behauptet hat, dem Versicherungsagenten gegenüber über jährlichen Durchfall, Erkältung, Abgeschlagenheit und die Schilddrüsendiagnostik ohne Befund berichtet zu haben, hat das Landgericht diesen Vortrag zutreffend als verspätet zurückgewiesen, so dass dessen Zulassung nach 531 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht kommt. Daher ist weiterhin von einer objektiven Falschbeantwortung durch die Klägerin und nicht etwa von einer (teilweisen?) Offenbarung gegenüber dem Agenten auszugehen. Entgegen der Darstellung der Klägerin in der Berufungsbegründung hat das Landgericht im Übrigen die Streit-verkündung nicht vollständig unberücksichtigt gelassen, sondern – zutreffend – die Zustellung der Streitverkündungsschrift an den Empfänger verfügt.

Der Frage 3. nach Untersuchungen, Behandlungen oder Beratungen ist bereits für sich genommen mit wünschenswerter Klarheit zu entnehmen, dass der Versicherer ohne Einschränkungen nach jeglicher Untersuchung, Behandlung und Beratung fragt, unabhängig davon, ob dabei eine Krankheit festgestellt wurde. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungs-rechtliche Spezialkenntnisse, der die Fragen verständig würdigt, aufmerksam durchsieht und ihren erkennbaren Sinnzusammenhang berücksichtigt (vgl. zu diesem Auslegungsmaßstab für AVB, der auch auf formularmäßige Antragsfragen anzuwenden ist, BGHZ 123, 83 ff. Rn 14 in juris; BGH VersR 2002, 1503 f. Rn 10 in juris; BGHZ 152, 262 ff. Rn 17 in juris; BGHZ 153, 182 ff. Rn 19 in juris), wird dem entnehmen, dass Untersuchungen und Beratungen anzugeben sind und dass vor diesem Hintergrund jegliche Behandlung ohnehin mitgeteilt werden muss. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist eine Beschränkung auf Untersuchungen, die zur Diagnose einer Erkrankung führten, der Formulierung der Frage nicht zu entnehmen.

Voraussetzung für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung ist weiter, dass der Versicherungsnehmer mit der wissentlich falschen Angabe von Tatsachen bzw. dem Verschweigen anzeigen- und offenbarungspflichtiger Umstände auf die Entschließung des Versicherers, seinen Versicherungsantrag – hier Berufsunfähigkeitszusatzversicherung – anzunehmen, Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angaben mache. Dabei gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht gemacht zu werden pflegt, auf den Willen des Versicherers Einfluss einzuwirken. Denn häufig werden unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand auch aus falsch verstandener Scham, aus Gleichgültigkeit, aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass die erlittenen Krankheiten bedeutungslos seien. Deshalb muss der Versicherer entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen, dass der Versicherungsnehmer mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, der Versicherer werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur mit erschwerten Bedingungen annehmen, wenn der Versicherungsnehmer die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde. Da es sich bei dem Bewusstsein des Versicherungsnehmers um eine innere Tatsache handelt, kann in der Praxis der Beweis meist nur durch einen Indizienbeweis geführt werden. Dies bedeutet, dass in der Regel, wenn schwere, chronische und/oder immer wieder auftretende Erkrankungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen ver-schwiegen worden sind oder solche, die ihm offensichtlich als erheblich für das versicherte Risiko erscheinen mussten, ein solches Bewusstsein anzunehmen ist. Dagegen kann beim Verschweigen leichterer Erkrankungen oder solcher, die vom Versicherungsnehmer als solche angesehen werden, der Beweis häufig als nicht geführt angesehen werden (in Anknüpfung an BGH VersR 1985, 156, 157; VersR 1987, 91; Senat NVersZ 1999, 72 f.; NVersZ 1999, 472 f. Urteil vom 20. April 2001 NVersZ 2001, 503).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht zu Recht ein arglistiges Verschweigen der Vorerkrankungen und der daraus folgenden ärztlichen Behandlungen angenommen.

Nach der zur Akte gereichten ärztlichen Stellungnahme vom 20. Januar 2010 (Bl. 95 ff d. A.) war die Klägerin seit dem 15. Februar 1999 mehr als 30 mal bei der Ärztin …[C] in Behandlung. Die Klägerin hat Frau …[C] wiederholt wegen Reizmagens, Gastroenteritis, Gastritis, Erschöpfungszuständen und Struma-Problemen aufgesucht. Wegen der gastroenterologischen Beschwerden erfolgte zwei Mal eine Überweisung zum Facharzt für Gastroenterologie. Ferner erfolgte im Jahr 2002 eine Überweisung zum Facharzt für Hals-, Nasen- Ohrenerkrankungen. Am 6. April 2000 wurde die Klägerin wegen eines Erschöpfungszustandes und einer Depression behandelt. Sowohl am 29. Mai 2000 als auch am 13. Juli 2000 erhielt die Klägerin eine IMAP-Injektion, ein Langzeit-Antipsychotikum. Im August 2003, d.h. nur vier Monate vor Antragstellung, diagnostizierte Frau …[C] einen psychophysischen Erschöp-fungszustand, eine Gastritis und eine Refluxösophagitis. Am 22. September 2003 wurde die Klägerin wegen gastrointestinalen Motilitätsstörungen, Reizmagens und rez. Enteritis behandelt. In der Zeit vom 17. Oktober 2003 bis 30. Oktober 2003 erfolgte bei der Klägerin eine Schilddrüsendiagnostik.

Weil die beim Versicherungsnehmer stattgefundenen inneren Vorgänge sich dem Versicherer nicht ohne weiteres erschließen, ist es, sobald das Vorliegen objektiv unzutreffender Angaben des Versicherungsnehmers feststeht, dessen Sache, plausibel darzulegen, weshalb es zu den Falschangaben gekommen ist. Gelingt ihm das nicht, so ist von Arglist auszugehen (BGH NVersZ 1999, 392 f. m.weit.Nachw.). Ein „Vergessen“ der zahlreichen Erkrankungen und Arztbe-suche bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen ist schlichtweg nicht vorstellbar. Die Klägerin hat das Verschweigen der genannten Untersuchungen, Behandlungen und Beschwerden aber auch nicht anderweitig nachvollziehbar erklärt. Wer aber nachhaltige Beschwerden und wiederholte Arztbesuche nicht offenbart, weiß, dass er mit seinem Verschweigen Einfluss auf die Entscheidung des Versicherers über den Abschluss einer Berufsun-fähigkeitsversicherung nimmt.

Der Versicherer muss seine Grundsätze der Risikoprüfung dabei nur dann substantiiert darlegen, wenn die Gefahrerheblichkeit nicht ohnehin auf der Hand liegt. Der Versicherer ist also nur dann gehalten, seine Risikoprü-fungsgrundsätze offen zu legen, wenn es sich um eine Gesundheitsstörung handelt, die offenkundig als leicht einzuordnen, nicht wiederholt aufgetreten ist und deshalb von vornherein keinen Anhalt dafür bietet, dass sie für die Risikoeinschätzung des Versicherers hinsichtlich des auf Dauer angelegten Versicherungsvertrages von Bedeutung sein könnte (BGH VersR 2009, 529 mit weit. Nachw.).

Die Gefahrerheblichkeit der Gesundheitsstörungen, wegen derer sich die Klägerin in den letzten fünf Jahren vor Antragstellung in ärztliche Behandlung begeben hat, liegt ausgehend von diesen Grundsätzen auf der Hand. Insbesondere die wiederholte Behandlung wegen psychophysischer Erschöpfungszustände in Verbindung mit erheblichen, wiederholten gastro-enterologischen Beschwerden ist bei einem berufstätigen erst 40 Jahre alten Versicherungsnehmer ersichtlich für die Übernahme der mit einer Berufs-unfähigkeits-Zusatzversicherung abgesicherten Risiken erheblich.

Die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin bestanden bereits im Jahr 1998, darüber hinaus aber auch während der letzten fünf Jahre vor Antragstellung. Ausweislich des Reha-Entlassungsberichts …[Z] vom 26.03.2009 (Anlage B7, BL. 106 ff d. A.) hat die Klägerin dort berichtet, dass sie seit „Jahrzehnten…Panikattacken mit Überforderungsgefühlen“ kenne. Sie habe über viele Jahre „Antidepressiva eingenommen und auch Imapspritzen erhalten“. Zusammenfassend ist das Vorliegen einer leichten, nicht wiederholt auftretenden und deshalb für die Risikoprüfung von vornherein bedeu-tungslosen Störung zu verneinen, mit der Folge, dass die Beklagte den Vertrag über die Berufsunfähigkeitsversicherung wirksam angefochten hat.“

 

Die Klägerin hat Einwendungen gegen die Zurückweisung der Berufung erhoben.

Sie macht geltend, der Klägerin sei kein arglistiges Verhalten vorzuwerfen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16. Januar 2011 sei nicht ersichtlich gewesen, dass das Gericht von objektiv falschen Angaben ausgehen würde. Diese Annahme sei auch unzutreffend. Grippale Infekte seien nicht anzeigepflichtig. Die Rückenschmerzen seien im Zusatzfragebogen mit Angabe der bestehenden Skoliose mitgeteilt worden. Zu der Schilddrüse liege ein Gesundbericht gemäß Anlage B 6, Arztbrief Dr. med. …[D] vor. Auch zu den Darmproblemen würden keine pathologischen Befunde vorliegen. Damit seien diese auch nicht anzugeben gewesen. Müdigkeit und Abgeschlagenheit seien Umstände, die 90 % der berufstätigen Bevölkerung treffen würden. Bei der Klägerin sei ärztlich das Vorliegen einer Morbus-Fabry-Erkrankung zunächst ausgeschlossen und erst viel später diagnostiziert worden. Es bestehe kein Zusammenhang zu den angeblichen Erkrankungen und Beschwerden der Klägerin, auf die sich die Beklagte berufe. Der Kausalitätsgegenbeweis könne durch die Beklagte nicht geführt werden. Zwar habe die Klägerin möglicherweise fahrlässig gehandelt, weil sie auf die Vorgehensweise des Maklers vertraut habe. Keineswegs habe sie aber vorsätzlich oder gar arglistig gehandelt. Das Landgericht hätte im Hinblick auf die im Schriftsatz vom 30. November 2011 vorgenommene Streitverkündung hin in die Beweisaufnahme eintreten müssen.

Die Berufung ist nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Der Senat hält an seinem Hinweis fest und verweist auf diesen auch zur Begründung seiner abschließenden, auf einstimmiger Überzeugungsbildung beruhenden Entschei-dung (§ 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird zugleich Bezug genommen. Änderungen und Ergänzungen der Feststellungen sind nicht geboten.

Das Landgericht hat den erstmals im Schriftsatz vom 30. November 2012 enthaltenen Vortrag, die Klägerin habe dem Versicherungsagenten gegenüber über jährlichen Durchfall, Erkältung, Abgeschlagenheit und die Schilddrüsendiagnostik ohne Befund berichtet, zutreffend als verspätet zurückgewiesen, so dass dessen Zulassung nach § 531 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht kommt. Die Beklagte hat sowohl vorgerichtlich als auch in der Klageerwiderung die Anfechtung des Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrages mit den Behandlun-gen, Untersuchungen und Beratungen der Klägerin im Zeitraum 1999 bis 2003 begründet. Der erstmals nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 30. November 2011 gehaltene Vortrag, die Klägerin habe dem Zeugen Sch. gegenüber, der den Vertrag vermittelt habe, über jährlichen Durchfall, Erkältung, Abgeschlagenheit und Schilddrüsendiagnostik ohne Befund berichtet, ist daher vom Landgericht zu Recht als verspätet zurückgewiesen worden. Entgegen der Darstellung der Klägerin im Schriftsatz vom 1. Juni 2012 enthält die Klageschrift keinen Hinweis darauf, dass die Klägerin Herrn …[B] gegenüber, durch den der Vertrag vermittelt worden ist, Angaben über ihren Gesundheitszustand gemacht habe, die dieser nicht in das Antragsformular aufgenommen habe. Vielmehr hat die Klägerin lediglich darauf hingewiesen, dass es wegen der Erkrankungen/Beschwerden, die nicht angegeben worden seien, es nicht zum Eintritt der Berufsunfähigkeit gekommen sei und die Beklagte auch in Kenntnis dieser Umstände Versicherungsschutz in genau demselben Umfang und zu gleichen Konditionen gewährt hätte, wie es policiert worden sei.

Zwar gibt es, worauf der Senat bereits im Beschluss vom 3. Mai 2012 hingewiesen hat, keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht gemacht zu werden pflegt, auf den Willen des Versicherers Einfluss zu nehmen. Deshalb muss der Versicherer entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen, dass der Versicherungsnehmer mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, der Versicherer werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur mit erschwerten Bedingungen annehmen, wenn der Versicherungsnehmer die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde.

Hier hat das Landgericht aber zutreffend den Indizienbeweis dafür, dass die Klägerin die Vorerkrankungen und die daraus folgenden ärztlichen Behandlungen arglistig verschwiegen hat, als geführt angesehen. Der Vortrag der Klägerin, es sei für die Klägerin nicht erkennbar gewesen, dass das Gericht von objektiv falschen Angaben ausgehen würde, weil dies durch die Beklagte ausschließlich mit Umständen begründet worden sei, die außerhalb des Abfragezeitraums von fünf Jahren liegen würden, ist unzutreffend. Wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt, war die Klägerin seit dem 15. Februar 1999, das heißt, in dem hier maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum mehr als 30mal bei der Ärztin …[C] in Behandlung, und zwar wegen Reizmagens, Gastroenteritis, Gastritis, Erschöpfungszuständen und Stromaproblemen. Dabei erfolgte zweimal eine Überweisung zum Facharzt für Gastroenterologie. Im Jahr 2002 erfolgte eine Überweisung zum Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen. Am 6. April 2000 wurde die Klägerin wegen eines Erschöpfungszustandes und einer Depression behandelt. Sowohl am 29. Mai 2000 als auch am 13. Juli 2000 erhielt die Klägerin – unstreitig – ein Langzeit-Antipsychotikum, eine IMAP-Injektion. Nur vier Monate vor Antragstellung im August 2003 diagnostizierte Frau …[C] einen psycho-physischen Erschöpfungszustand, eine Gastritis und eine Refluxösophagitis. Am 22. September 2003 wurde die Klägerin wegen gastrointestinalen Motilitätsstörungen, Reizmagens und einer rez. Enteritis behandelt. In der Zeit vom 17. Oktober 2003 bis 30. Oktober 2003 erfolgte bei der Klägerin eine Schilddrüsendiagnostik.

Die Klägerin hat auch nicht plausibel darzulegen vermocht, weshalb es zu den Falschangaben gekommen ist. Die Gefahrerheblichkeit der Gesundheitsstörungen, insbesondere die wiederholte Behandlung wegen psycho-physischer Erschöpfungszustände in Verbindung mit erheblichen, wiederholten gastroentereologischen Beschwerden liegt auf der Hand. Insoweit wird zur Vermeidung von weiteren Wiederholungen erneut auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 3. Mai 2012 verwiesen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Der Wert des Streitgegenstands für das Berufungsverfahren wird auf 50.672,26 € festgesetzt.

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