Hessisches Landessozialgericht
Az.: L 7 AL 15/09
Urteil vom 19.06.2009
Vorinstanz: Sozialgericht Frankfurt, Az.: S 26 AL 58/06, Urteil vom 24.11.2008
Entscheidung:
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. November 2008 sowie der Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2006 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Kostenübernahme für eine Reise zu einem Vorstellungsgespräch in Irland.
Der 1970 geborene Kläger war ab 1. Juli 2005 arbeitslos gemeldet. Am 16. August 2005 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von Reisekosten für ein Vorstellungsgespräch bei einer Firma in Dublin, Irland, am 22. August 2005. Der Kläger war dann von April 2006 bis Januar 2008 bei dieser Firma sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Mit Bescheid vom 31. Oktober 2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Widerspruch des Klägers vom 24. November 2005 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2006 mit der Begründung zurückgewiesen, für die Gewährung von Reisekosten ins Ausland sei keine rechtliche Grundlage vorhanden, auch nicht für ein Vorstellungsgespräch in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union.
Hiergegen hat der Kläger am 24. Januar 2006 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben und geltend gemacht, die Rechtsauffassung der Beklagten verstoße gegen Europarecht. Demgegenüber ist die Beklagte der Auffassung, dass das Gesetz bei der Aufnahme einer Beschäftigung im Ausland ausdrücklich die Übernahme von Mobilitätshilfen vorsehe, nicht jedoch bei Reisen zu Vorstellungsgesprächen.
Mit Urteil vom 24. November 2008 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Aus der Regelung von § 53 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – SGB III sei im Umkehrschluss zu schließen, dass, wenn das Gesetz nicht auch Leistungen für ein Vorstellungsgespräch im Ausland vorsehe, dies vom Gesetzgeber auch nicht gewollt sei. Eine solche Auslegung sei auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten schlüssig. Die Grundfreiheit der Freizügigkeit stehe grundsätzlich nur Arbeitnehmern, nicht aber Arbeitsuchenden zu. Rein hypothetische berufliche Aussichten der Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat, z. B. wie hier durch eine Bewerbung, genügten nicht, um einen hinreichend engen Bezug zu Artikel 39 EG-V herzustellen.
Gegen dieses dem Kläger am 18. Dezember 2008 zugestellte Urteil hat er am 14. Januar 2009 bei dem Hessischen Landessozialgericht die von dem Sozialgericht Frankfurt am Main zugelassene Berufung eingelegt.
Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die seit 1. Januar 2009 geltende Neufassung von § 45 SGB III.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. November 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen sowie auf den der Akten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Nach § 45 SGB III in der bis 31. Dezember 2008 geltenden Fassung können Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitsuchende sowie Ausbildungsuchende zur Beratung und Vermittlung unterstützende Leistungen erhalten, soweit der Arbeitgeber gleichartige Leistungen nicht oder voraussichtlich nicht erbringen wird. Als unterstützende Leistungen können Kosten
1 …
2. im Zusammenhang mit Fahrten zur Berufsberatung, Vermittlung, Eignung der Feststellung und zu Vorstellungsgesprächen (Reisekosten)
übernommen werden.
Im Rahmen des Ermessens können die Zweckmäßigkeit, die Erfolgsaussicht und der Kostenaufwand berücksichtigt und abgewogen werden.
Nach Auffassung der Beklagten gilt diese Vorschrift nicht für Reisekosten ins Ausland. Nach ihren Dienstanweisungen (45.05) können solche Kosten soweit im Einzelfall notwendig und sinnvoll zur Beschäftigungsaufnahme im europäischen Ausland ggf. im Rahmen der „Freien Förderung“ übernommen werden (ebenso: Behrens, Neue Regelungen zur Erstattung von Bewerbungs- und Reisekosten, info also 2003, 209 ff. s. auch Winkler in: Gagel, SGB III, § 53 Rdnr. 21a). In dem für das Jahr 2005 gültigen Merkblatt für die Individualförderung nach § 10 SGB III sei jedoch eine Kostenübernahme für Reisekosten ins Ausland nicht vorgesehen.
Die Rechtsprechung hat eine Kostenübernahme zu Vorstellungsgesprächen im Ausland abgelehnt, wenn der Arbeitsuchende die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit geplant hat (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. September 2002 – L 5 AL 3492/01) oder der Arbeitslose nach Abschluss seines Studiums noch nicht als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen ist (Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. November 2006 – L 1 AL 189/04). Ziel der Übernahme von Reisekosten zu einem Vorstellungsgespräch sei es, einen möglichst hohen Beschäftigungsstand im Bundesgebiet zu erreichen. Deshalb könnten nur Leistungen zur Förderung einer Beschäftigungsaufnahme im Inland erbracht werden. Die Erstattung von Reisekosten zu einem Vorstellungsgespräch ins Ausland sei deshalb ausgeschlossen (Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 11. Dezember 2007 – S 13 AL 17/07).
Demgegenüber ist der Senat der Auffassung, dass § 45 SGB III die Erstattung von Reisekosten für ein Vorstellungsgespräch im EU-Ausland nicht ausschließt.
Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 11. Januar 2007 – ITC – C – 208/05) stehen die Artikel 39, 49 und 50 EG-V einer nationalen Regelung wie § 421g Abs. 1 S. 2 SGB III entgegen, nach der die Zahlung der einem privaten Arbeitsvermittler von einem Arbeitsuchenden für seine Vermittlung geschuldeten Vergütung voraussetzt, dass die von diesem Vermittler vermittelte Beschäftigung im Inland sozialversicherungspflichtig ist. Eine solche Regelung stelle ein Hemmnis dar, denn sie könne Arbeitsuchende davon abhalten, in einem anderen Mitgliedstaat Arbeit zu suchen. Sie sei deshalb nach Artikel 39 EG-V grundsätzlich verboten. Das Recht der Arbeitnehmer, eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufzunehmen und auszuüben, ohne diskriminiert zu werden, könne nämlich nur dann seine volle Wirkung entfalten, wenn auch die Vermittler, wie z. B. ein privater Arbeitsvermittler, ein entsprechendes Recht haben, den Arbeitnehmern zu helfen, unter Beachtung der Bestimmungen über die Freizügigkeit einen Arbeitsplatz zu erlangen. Das Argument, die Regelung solle die Vermittlung verbessern und die Arbeitslosigkeit in Deutschland verringern sowie das deutsche Sozialversicherungssystem schützen, sei nicht als Rechtfertigungsgrund anzuerkennen. Im Übrigen liege ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit im Sinne der Artikel 49 und 50 EG-V vor, da die Regelung von § 421g SGB III eine auf den Ort der Erbringung der Dienstleistung abzustellende Beschränkung darstelle.
Hieran anknüpfend wird in der Literatur (Rademacker in: Hauck/Noftz, SGB III, 2009, § 45, Rdnr. 16) die Auffassung vertreten, dass § 45 SGB III keine Einschränkung auf die Gewährung von Reisekosten im Inland enthalte. Zwar werde durch eine Vermittlung einer Beschäftigung im Ausland regelmäßig kein die Beitragspflicht zur deutschen Sozialversicherung begründendes Beschäftigungsverhältnis angestrebt. Der generelle Ausschluss der Förderung von Reisekosten in das EU-Ausland verletze jedoch die in Artikel 39 EG-V garantierte Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Gemeinschaft. Dieses Recht sei zwar nur mittelbar betroffen, weil dem Arbeitnehmer die Aufnahme einer Beschäftigung außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht untersagt werde. Mit dem Recht der Freizügigkeit sei es jedoch unvereinbar, wenn ein Mitgliedstaat einen eigenen Staatsbürger deshalb weniger günstig behandele, weil er von den Möglichkeiten Gebrauch mache, die ihm die Freizügigkeitsbestimmungen des EG-V eröffneten. Eine solche Ungleichbehandlung widerspreche den Grundsätzen, auf denen der Status eines Unionsbürgers beruhe, nämlich der Garantie gleicher rechtlicher Behandlung bei Ausübung der Freizügigkeit (Hinweis auf: EuGHE I 2002, 6191 Rdnr. 30, 35).
Der Senat hält diese Auffassung für zutreffend und schließt sich ihr an.
Im Übrigen hat auch das Bundessozialgericht zu der Vorschrift des § 421l SGB III entschieden, dass eine Inlandstätigkeit keine Anspruchsvoraussetzung für den Erhalt des Existenzgründungszuschusses ist. Der Inlandseffekt sei bereits dadurch sichergestellt, dass nur Existenzgründer gefördert werden könnten, die in einem engen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit in der vorausgesetzten Beziehung zum inländischen Arbeitsmarkt gestanden haben. Es sei auch unter Beachtung von Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) kein ausreichender sachlicher Grund zu erkennen, die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit im Ausland trotz des auch mit ihr verbundenen Inlandseffekts nicht zu fördern. Dagegen lasse sich auch nicht einwenden, dass bei einer Existenzgründung im Ausland der Binnenwirtschaft dienliche weitere Folgeeffekte (wie Einstellung von Arbeitnehmern oder Investitionen durch den Existenzgründer) ausblieben. Denn es lasse sich nicht feststellen, dass solche Folgeeffekte zu den Anspruchsvoraussetzungen gehörten (BSG, Urteil vom 27. August 2008 – B 11 AL 22/07 R, m.w.Nw.).
Die weiteren Voraussetzungen von § 45 SGB III sind erfüllt. Die Antragstellung (§ 324 Abs. 1 SGB III) erfolgte vor Antritt der Reise. Eine Reisekostenerstattung durch die Firma K., D., erfolgte nach den vorgelegten Schreiben vom 22. August 2005 und 21. Oktober 2005 nicht.
Da es sich bei den Leistungen nach § 45 SGB III um Ermessensleistungen handelt, war die Beklagte lediglich zur Neubescheidung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verurteilen.
Mit Wirkung ab 1. Januar 2009 wurden die Hilfen bei der Anbahnung und Aufnahme einer Beschäftigung in § 45 SGB III neu geregelt. Dabei sieht § 45 Abs. 2 SGB III n.F. nunmehr auch eine Förderung vor für die Anbahnung oder die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweiz.
In der Begründung wird hierzu ausgeführt (BR-Drucksache 755/08): „Mit der Unterstützung der Anbahnung oder Aufnahme einer Beschäftigung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, eines Vertragsstaates des Europäischen Wirtschaftsraums oder in der Schweiz können alle Potenziale zur Vermittlung von Arbeit- und Ausbildungsuchenden, die auf dem inländischen Arbeitsmarkt chancenlos sind, ausgeschöpft werden. Gleichzeitig wird die Europäische Beschäftigungsstrategie der Europäischen Kommission in der Gesetzesnorm zum Vermittlungsbudget verankert, sowie die Unterstützung bei grenzüberschreitender Vermittlung bzw. Arbeitsaufnahme in Nachbarstaaten fortgeführt.“ Dieser Begründung kann entnommen werden („Europäische Beschäftigungsstrategie wird fortgeführt“), dass bereits nach altem Recht die Anbahnung einer Beschäftigung und damit auch die Kostenerstattung – nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf das Inland beschränkt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Angesichts der ab 1. Januar 2009 geltenden Neuregelung von § 45 SGB III hat der Senat die Revision nicht zugelassen. Die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.