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Dieselskandal – Herstellerhaftung – Anrechnung Fahrleistung

OLG Rostock – Az.: 5 U 130/18 – Urteil vom 11.02.2021

Auf die Berufung des Klägers wird – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen – das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 20.09.2018, Az. 4 O 57/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.085,53 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus

– 14.353,06 € für den Zeitraum ab dem 25.04.2018 bis zum 04.06.2018,

– 13.353,82 € für den Zeitraum ab dem 05.06.2018 bis zum 28.01.2019,

– 10.878,53 € für den Zeitraum ab dem 29.01.2019 bis zum 15.01.2021 und

–   9.085,53 € ab dem 16.01.2021

zuzüglich vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.04.2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des VW Passat mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer … zu zahlen.

Die weitergehende Klage abgewiesen.

1. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 64 % und die Beklagte 36 % zu zahlen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte als Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer vermeintlich unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

Der Kläger kaufte am 22.03.2012 von einem Autohaus einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Passat 2,0 l, Erstzulassung am 03.02.2011, mit Dieselmotor des Typs EA 189 zu einem Kaufpreis von 24.902,78 €. Zu diesem Zeitpunkt wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 25.000 km auf. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 (nachfolgend: VO 715/2007/EG) mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.

In dem Fahrzeug war eine Motorsteuergerätesoftware installiert, die erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1 schaltet, einen NOx-optimierten, also stickoxidoptimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. So werden mehr Stickoxide in den Motor zurückgeführt, wo sie erneut am weiteren Verbrennungsvorgang beteiligt werden, bevor sie das Emissionskontrollsystem erreichen. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typengenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand.

Im September 2015 räumte die Beklagte öffentlich die Verwendung der entsprechenden Software ein. Gegen sie erging unter dem 15. Oktober 2015 ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrtbundesamts (KBA) mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typengenehmigung, der auch das Fahrzeug des Klägers betrifft. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG aus und gab der Beklagten zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typengenehmigung auf, die Abschalteinrichtung zu beseitigen sowie geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Hierzu wurde am Klägerfahrzeug bei einem autorisierten Partner der Beklagten ein für den Kläger kostenloses Software-Update durchgeführt, nach dem der Pkw nur noch in einem adaptierten Modus 1 betrieben wird.

Vorprozessual beauftragte der Kläger seine erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten mit der Interessenwahrnehmung. Diese forderten die Beklagte mit Schreiben vom 12.10.2017 unter Fristsetzung bis zum 26.10.2017 zur Erstattung des vollen gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs auf. Ebenfalls forderten sie die Abgabe einer Freistellungserklärung im Hinblick auf Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.899,24 €, die anhand einer 2,0 Geschäftsgebühr errechnet wurden. Wegen des genauen Inhalts dieses Schreibens wird auf die Anlage K 36 zur Klageschrift Bezug genommen. Da die Rechtsschutzversicherung des Klägers die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beglich, ermächtigte sie ihn, die gezahlten Rechtsanwaltskosten in eigenem Namen geltend zu machen.

Der Kläger hat daraufhin mit der Beklagten am 24.04.2018 zugestelltem Schriftsatz Klage erhoben. Zu diesem Zeitpunkt wies das streitgegenständliche Fahrzeug einen Kilometerstand von 138.000 km auf, am 04.06.2018 145.000 km, am 28.01.2019 160.069 km und schließlich zum Zeitpunkt des Schlusses der Berufungsverhandlung am 15.01.2021 199.669 km.

Der Kläger hat behauptet, für seine Kaufentscheidung sei wesentlich gewesen, dass es sich um ein umweltfreundliches Auto handele und die Abgaswerte auch im realen Straßenverkehr erreicht würden. Mit der Ausstellung der Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug habe die Beklagte zugesichert, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt der Herstellung mit der Typgenehmigung sowie mit sämtlichen in der EU geltenden Rechtsvorschriften übereinstimme. Dies sei aufgrund des Einbaus der Motorsteuergerätesoftware, die eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, nicht der Fall gewesen. Das Fahrzeug sei infolgedessen nicht zulassungsfähig und verfüge über keine wirksame Typgenehmigung. Er habe befürchten müssen, dass das KBA die Typgenehmigung ganz oder teilweise widerrufe mit der Folge einer Betriebsuntersagung durch die Zulassungsbehörde. Bei Kenntnis vom Vorhandensein der aus seiner Sicht unzulässigen Abschalteinrichtung hätte er den Vertrag nicht abgeschlossen. Trotz des erfolgten Software-Updates hafte dem Fahrzeug ein erheblicher merkantiler Minderwert an.

Die Software habe die Beklagte eingesetzt, um kostenerhöhende Anpassungen der Entwicklung zu umgehen. In der Abwägung zwischen der Einhaltung immer strengerer gesetzlicher Vorschriften und der Gewinnmaximierung habe sie letzterem den Vorrang gegeben. Der Einsatz der Software gehe auf einen Entschluss aus dem Jahr 2006 zurück, der unter anderem durch die damaligen Leiter der Motorenentwicklungsabteilung sowie der Abteilung für Niedrigstemissionsmotoren und Abgasnachbehandlung der Beklagten getroffen worden sei. Der spätere Entwicklungsvorstand der Beklagten sei bereits im Jahr 2011 hierüber informiert gewesen und habe im Jahr 2012, noch als Leiter der Motorenentwicklung, die Verbesserung der Software genehmigt. Ebenso hätten der Verantwortliche für das Qualitätsmanagement und die Produktsicherheit, der Leiter Typprüfung der Beklagten, die Leitung der Abteilung Typengenehmigung sowie der Vorstand der Beklagten, insb. dessen Vorsitzender, und weitere Abteilungen in ihrem Konzerngeflecht in zurechenbarer Weise von dem Vorhandensein der Software Kenntnis gehabt. Das einfache Bestreiten der Beklagten im Hinblick auf die behauptete ihr zurechenbare Kenntnis sei aufgrund einer sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht ausreichend.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte könne Nutzungsersatz nicht beanspruchen aufgrund des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes. Zudem würde die Vorteilsausgleichung die Beklagte unbillig entlasten. Im Falle der Anrechnung eines Nutzungsersatzes sei für den erworbenen Pkw als langlebiges Dieselfahrzeug mit einer Gesamtlaufleistung von mindestens 300.000 bis 500.000 km zu rechnen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, ihr sei eine unerlaubte Handlung nicht zur Last zu legen. Aufgrund der Rückführung der Abgase beim Durchfahren des NEFZ in den Motor ohne Einwirkung auf die emissionsmindernden Einrichtungen habe es sich bei der eingesetzten Software nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung gehandelt. Die Typgenehmigung sei unverändert wirksam und durch das KBA auch nicht aufgehoben worden. Auf die Emissionswerte im normalen Fahrbetrieb komme es nach gesetzgeberischer Entscheidung nicht an, da die maßgeblichen Abgaswerte zum Zwecke der Vergleichbarkeit ausschließlich unter bestimmten Laborbedingungen gemessen würden. Die Aufhebung der Typgenehmigung habe nicht gedroht, weil die Beklagte die mit dem KBA abgestimmte technische Lösung im Rahmen des Zeit- und Maßnahmenplans erfolgreich umgesetzt habe. Die Übereinstimmungsbescheinigung sei richtig gewesen, weil mit dieser lediglich bestätigt werde, dass das konkrete Fahrzeug mit dem genehmigten Fahrzeugtyp in jeder Hinsicht übereinstimmt.

Trotz umfangreicher Untersuchungen lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass einzelne Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts der Beklagten an der Entwicklung der Software beteiligt waren, deren Entwicklung und Verwendung in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten oder auch nur Kenntnis von deren Verwendung zum Zeitpunkt der Ausstellung der Übereinstimmungsbescheinigung für das streitgegenständliche Fahrzeug am 21.01.2011 bzw. des Kaufvertragsschlusses des Klägers gehabt hätten.

Zudem fehle es an einem Schaden des Klägers. Wegen der Kostenfreiheit des Software-Updates und der mangels behördlicher Maßnahmen durchgängig gegebenen Nutzbarkeit des Fahrzeugs fehle es an jeglichen wirtschaftlichen Nachteilen. Ein durch die streitgegenständliche Software bedingter Wertverlust der betroffenen Fahrzeuge lasse sich, jedenfalls nach Durchführung des Software-Updates, nicht feststellen.

Im Falle eines unterstellten Schadensersatzanspruchs müsse sich der Kläger nach Ansicht der Beklagten einen Ersatz für seine jahrelange Nutzung des Fahrzeugs anrechnen lassen. An einem Annahmeverzug der Beklagten fehle es. Ein solcher sei weder durch das vorgerichtliche Schreiben vom 12.10.2017 noch durch den Inhalt der Klageschrift begründet worden. Denn der Kläger habe einen deutlich überhöhten Betrag, nämlich den gesamten Kaufpreis ohne Abzug von Nutzungsersatz, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs gefordert. Für die Berechnung eines klägerseitigen Nutzungsersatzes sei von einer Gesamtfahrleistung des Fahrzeugs von 250.000 km auszugehen.

Im Übrigen wird wegen der tatsächlichen Feststellungen und der erstinstanzlichen Anträge auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Dieselskandal – Herstellerhaftung – Anrechnung Fahrleistung
(Symbolfoto: Von Ralf Maassen (DTEurope)/Shutterstock.com)

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dem Kläger stünden weder deliktische noch vertragliche oder quasivertragliche Ansprüche gegen die Beklagte zu. Insbesondere scheide ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 StGB mangels Täuschungshandlung der Beklagten aus. Durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs sei dem Kläger gegenüber keine aktive Täuschung erfolgt, weil er das Fahrzeug nicht direkt von der Beklagten erworben habe. Die Angaben in der Prospektwerbung der Beklagten seien nicht falsch und die für das Fahrzeug ausgestellte Übereinstimmungsbescheinigung tauge bereits deshalb nicht als aktive Täuschungshandlung, weil sie dem Kläger erst nach Kaufvertragsabschluss zusammen mit dem Fahrzeug übergeben worden sei. Auch eine Täuschung durch Unterlassen scheide aus. Zwar stehe aufgrund der bestandskräftigen Bescheide des KBA, nämlich des Rückrufbescheides vom 14.10.2015 und der Freigabebestätigung vom 03.06.2016, fest, dass es sich bei der verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG gehandelt habe, allerdings bestehe eine Aufklärungspflicht der Beklagten als Fahrzeughersteller lediglich im Hinblick auf wertbildende Faktoren des Fahrzeugs von ganz besonderem Gewicht, was hinsichtlich der zwar unzulässigen, aber allein durch ein vom KBA freigegebenes Software-Update zu beseitigenden Abschalteinrichtung nicht anzunehmen sei. Aufgrund der Durchführung des Software-Updates am Klägerfahrzeug drohe ihm keine Betriebsuntersagung durch die Zulassungsbehörde. Eine auf die Abschalteinrichtung zurückzuführende Wertminderung sei jedenfalls nach Durchführung des Software-Updates nicht ersichtlich.

Auch eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB scheide aus. Um eine Ausuferung der Haftung nach § 826 BGB zu vermeiden, sei der Haftungsumfang nach Maßgabe des Schutzzwecks der konkret verletzten Verhaltensnormen zu beschränken. Die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verletzte Verordnung (EG) Nr. 715/2007, nämlich deren Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Nr. 10, diene jedoch nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, weshalb der geltend gemachte Vermögensschaden weder in den Schutzbereich des § 826 BGB noch des § 823 Abs. 2 BGB falle. Auch im Rahmen des § 826 BGB scheide eine Täuschung durch Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung aus.

Wegen der Einzelheiten der Begründung und der weiteren durch das Landgericht abgelehnten Anspruchsgrundlagen wird auf das Urteil vom 20.09.2018 Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung unter Weiterverfolgung seiner erstinstanzlichen Anträge. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Fehlerhaft habe das Landgericht eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2, 31 BGB und nach § 826 BGB abgelehnt. Eine aktive Täuschungshandlung der Beklagten liege zum einen im Ausstellen einer falschen Übereinstimmungsbescheinigung durch den damaligen Leiter der Abteilung Typprüfung der Beklagten, der um die Unrichtigkeit gewusst habe und dessen Verhalten der Beklagten nach § 31 BGB zurechenbar sei, weil er für die Beklagte wesensmäßige Funktionen ausgeübt habe. Zum anderen liege eine aktive Täuschungshandlung auch in konkludenter Form vor, nämlich durch das Inverkehrbringen der Kraftfahrzeuge mit der Vorspiegelung der EG-Konformität. Hierdurch habe die Beklagte zur Verkehrsanschauung beigetragen, die betreffenden Kraftfahrzeuge erfüllten alle gesetzlichen Voraussetzungen. Deshalb komme es auf die Erwägungen des Landgerichts zu einer Täuschung durch Unterlassung und einem Fehlen der Aufklärungspflicht bzw. einer Garantenstellung nicht an. Die Frage der EG-Konformität stelle im Übrigen einen wertbildenden Faktor für den Kauf eines Kraftfahrzeuges von ganz besonderem Gewicht dar, weil kein Käufer einen Pkw kaufen würde, bei dem von vornherein feststeht, dass dieser nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht.

Das Landgericht habe ebenfalls das Vorliegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung im Sinne von § 826 BGB verkannt. Die erforderliche besondere Verwerflichkeit des Handels der Beklagten folge daraus, dass sie zum Zwecke der Gewinnmaximierung das Zulassungsverfahren unter Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften betrieben und damit die betroffenen Verkehrskreise über die nicht vorhandene Gesetzeskonformität ihrer Fahrzeuge getäuscht habe. Sie habe zielgerichtet durch die Manipulation erreicht, dass eine Vielzahl von Verbrauchern erhebliche finanzielle Mittel einsetzt, um Kraftfahrzeuge mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu erwerben und hierbei von vornherein einkalkuliert, dass ihre Manipulation nicht entdeckt werde. Dabei habe die Beklagte billigend in Kauf genommen, dass bei Feststellung der Manipulation die Käufer potentieller Fahrzeuge mit tatsächlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Nachteilen rechnen müssten.

Der Kläger ist weiter der Auffassung, er müsse sich eine Nutzungsentschädigung nicht anrechnen lassen. Jedenfalls sei hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs für die Berechnung einer Nutzungsentschädigung von einer Gesamtlaufleistung von 500.000 km auszugehen.

Die im Rahmen der begehrten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend gemachte Geschäftsgebühr von 2,0 sei trotz der Tatsache, dass der außergerichtliche Schriftverkehr sich im Wesentlichen auf die Rücktrittserklärung gegenüber dem Händler beschränkte, im Hinblick auf die Komplexität und Schwierigkeit der juristischen Materie sowie der Aufklärung des tatsächlichen Sachverhaltes gerechtfertigt. Wegen der begehrten Feststellung des Annahmeverzuges verweist der Kläger auf sein vorgerichtliches Rücknahmeverlangen mit Schreiben vom 27.10.2017.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Schwerin vom 20.09.2018, Aktenzeichen 4 O 57/18,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 24.902,78 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.10.2017 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des VW Passat mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer … zu zahlen;

2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des VW Passat mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer … seit 27.10.2017 in Annahmeverzug befindet;

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.899,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.10.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Eine aktive Täuschung des Klägers durch die Beklagte scheitere bereits am fehlenden Kontakt der Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages. Deswegen habe die Beklagte nicht auf das Vorstellungsbild des Klägers einwirken können. Der Kläger habe zudem keine Aufklärung über die in seinem Fahrzeug verbaute Motorsteuerungssoftware erwarten können. Die Beklagte habe nämlich annehmen dürfen, dass der Kläger kein Interesse an der Mitteilung technischer Details der Funktionsweise des Motors bzw. der Motorsteuerungssoftware hatte. Zudem sei das Fahrzeug uneingeschränkt nutzbar gewesen und weiterhin nutzbar. Die EG-Typgenehmigung liege weiterhin wirksam vor und das streitgegenständliche Fahrzeug werde von dieser erfasst. Die Beklagte wiederholt zudem ihre Auffassung, dass die streitgegenständliche Software als bloße innermotorische Maßnahme keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Ein Schaden des Klägers fehle insbesondere deshalb, weil Auswertungen der Restwertentwicklung von Dieselfahrzeugen zeigten, dass Fahrzeuge mit dem Motortyp EA 189 keine schlechtere Restwertentwicklung aufwiesen als andere, ursprünglich nicht mit einer Umschaltlogik ausgestattete Dieselfahrzeuge. Auch in einem eventuell ungewollten Vertragsschluss sei kein Schaden zu erblicken, weil die vom Kläger bei Abschluss des Kaufvertrages vorausgesetzte Gebrauchstauglichkeit des Fahrzeugs jederzeit gegeben gewesen sei. Für eine Kenntnis der Beklagten von der vermeintlich unzulässigen Umschaltlogik komme es allein auf die Kenntnis eines ihrer Organe an, welche der Kläger nicht schlüssig dargelegt habe. Unerheblich sei, auf welcher Arbeitsebene die Entscheidung über die Entwicklung und Verwendung der Software gefallen sei. Auch weiterhin seien ihre internen Ermittlungen nicht abgeschlossen und das bisherige Ermittlungsergebnis stelle sich noch so dar, wie erstinstanzlich vorgetragen. Eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich eines fehlenden Schädigungsvorsatzes ihrer Organe treffe sie nicht. Weiterhin fehle es an der erforderlichen Kausalität zwischen der vermeintlichen Täuschung und dem Kauf des Fahrzeugs durch den Kläger, weil er bereits nicht dargelegt habe, sich über die Stickoxidemissionen des Fahrzeugs im Prüfstand Gedanken gemacht zu haben. Bei Unterstellung eines Schadensersatzanspruchs des Klägers müsse er sich eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen, für deren Berechnung von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Pkw von 200.000 bis 250.000 km auszugehen sei.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete, Berufung des Klägers hat in der Sache teilweise Erfolg. Ihm steht ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu, gerichtet auf Erstattung des Kaufpreises von 24.902,78 € für den streitgegenständlichen Pkw, allerdings nur unter Abzug einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 15.817,25 €.

1. Die Beklagte haftet dem Kläger aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB.

a) Das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger stellt sich als sittenwidrig dar.

Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, Rn. 15; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 -, Rn. 29, jeweils zitiert nach juris). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, a.a.O.).

aa) Die in dem Dieselmotor des streitgegenständlichen Fahrzeugs verbaute Umschaltlogik stellte sich, unabhängig von der Frage, ob eine Bindung der Gerichte an den Inhalt des bestandskräftigen Bescheides des KBA vom 15.10.2015 besteht, entgegen der Ansicht der Beklagten als unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007/EG dar. Dies hat der Bundesgerichtshof für den Motor der hier relevanten Baureihe EA 189 zwischenzeitlich geklärt (BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 17; BGH, Beschluss vom 08.01.2019 – VIII ZR 225/17 -, Rn. 12 ff.; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19, Rn. 11; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rn. 18, jeweils zitiert nach juris).

Es handelt sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht um eine rein innermotorische Maßnahme. Vielmehr verringert sie als Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG entgegen Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007/EG die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems, weil die Software ermittelt, ob das Fahrzeug im Prüfstand oder im Echtbetrieb läuft und lediglich im ersten Fall die Abgasrückführung aktiviert, was unmittelbar die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems beeinträchtigt (BGH, Beschluss vom 08.01.2019, a.a.O., Rn. 12; OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 – 5 U 1318/18 -, Rn. 31, juris; so nun auch EuGH, Urteil in der Rechtssache C-693/18, Pressemitteilung des Gerichtshofs der Europäischen Union Nr. 170/2020 vom 17.12.2020). Es handelt sich auch nicht um eine ausnahmsweise nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007/EG zulässige Abschalteinrichtung, weil die hierfür erforderlichen engen Voraussetzungen nicht vorliegen. Sie ist weder erforderlich, den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, noch arbeitet sie nicht länger als zum Anlassen des Motors erforderlich oder sind ihre Bedingungen im Wesentlichen in den Emissionsprüfverfahren enthalten (BGH, Beschluss vom 08.01.2019, a.a.O., Rn. 13 ff.; vgl. auch EuGH, a.a.O.).

bb) Das Verhalten der Beklagten stellte sich auch im Verhältnis zum Kläger als besonders verwerflich dar.

Die Beklagte brachte den Motor mit der unzulässigen Software in den Verkehr, ohne die Typengenehmigungsbehörden darauf hinzuweisen. Auf diese Weise spiegelte sie konkludent und der Wahrheit zuwider vor, dass der Motor ohne eine derartige unzulässige Einrichtung betrieben wird, und erschlich die Typengenehmigung durch eine Täuschung der zuständigen Behörde (BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 18; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19 – , Rn. 11). Damit hat die Beklagte die Gefahr geschaffen, dass bei einer Entdeckung der Software eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung hätte erfolgen können (BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 19 ff; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, Rn. 11).

Die besondere Verwerflichkeit im Verhältnis zu einer Person, die ein derart bemakeltes Fahrzeug – auch als Gebrauchtfahrzeug – erwirbt, folgt neben dem dem Erwerber aufgebürdeten Risiko einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung daraus, dass die Beklagte mit dem Ziel handelte, auf der Grundlage einer offensichtlich strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typengenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde – des KBA – eine Erhöhung ihres Gewinns zu erreichen, verbunden mit einer Gesinnung, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen als auch im Hinblick auf die insoweit dem Schutz von Gesundheit und Umwelt dienenden Vorschriften gegenüber gleichgültig zeigt (BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 22 ff; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19 -, Rn. 11).

Dabei stand das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Beklagte gerade auch dann, wenn sich der Kläger keine Gedanken über die Rechtsbeständigkeit der Typgenehmigung und die Einhaltung der Abgasgrenzwerte gemacht haben sollte, wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung des Käufers, hier des Klägers, gleich und stellte sich als sittenwidrig dar (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 25; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19 -, Rn. 11). Auf den beklagtenseits geltend gemachten fehlenden unmittelbaren Kontakt zwischen den Parteien bis zum Abschluss des Kaufvertrages kommt es danach nicht an.

Die für die Abgasmanipulation verantwortlichen Personen der Beklagten haben mit der Abschaltvorrichtung ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden und Verbrauchern geschaffen, um sich insoweit einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, weil man entweder noch nicht über eine Technik verfügte, um die gesetzlichen Abgasvorschriften einzuhalten, oder weil man aus Gewinnstreben die Entwicklung und den Einbau der notwendigen Vorrichtungen unterließ (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19 -, Rn. 12). Einen anderen Beweggrund für die Verwendung der Software hat die Beklagte auch im vorliegenden Rechtsstreit weder geltend gemacht noch ist ein solcher ersichtlich.

b) Das besagte sittenwidrige Verhalten ist der Beklagten zuzurechnen.

Es ist von einer Kenntnis der Beklagten von den Tatumständen, die die Sittenwidrigkeit begründen, auszugehen. Nach dem Klägervortrag hatten zumindest einzelne Mitglieder des damaligen Vorstands, namentlich dessen Vorsitzender, und weitere Mitglieder der höheren Leitungsebene der Beklagten im Sinne des § 31 BGB Kenntnis von Existenz und Zweck der Software. Dies hat die Beklagte nicht hinreichend detailliert, mithin nicht wirksam bestritten. Denn sie trifft insoweit eine sekundäre Darlegungslast (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 39 ff; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19 -, Rn.13 ff.; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 367/19 -, Rn. 17 ff; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20 –, Rn. 23, juris).

Der Beklagten ist entgegen ihrer Auffassung nicht nur die Kenntnis und das Verhalten des Vorstands, sondern auch der weiteren verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB zuzurechnen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 33, 43). So hat der Kläger konkret die Kenntnis u.a. des vormaligen Leiters der Abteilung Motorenentwicklung vor dem hier streitgegenständlichen Vertragsschluss vorgetragen. Bei diesem handelte es sich bereits aufgrund seiner herausgehobenen Position innerhalb der Beklagten als weltweit tätiger Automobilherstellerin um deren Repräsentant im Sinne des § 31 BGB (BGH, Urteil vom 25.05.2019, a.a.O., Rn. 33).

Daneben hat sich der Kläger auch auf eine Kenntnis des Vorstandes der Beklagten, namentlich des damaligen Vorstandsvorsitzenden, berufen.

Der klägerische Vortrag ist ausreichend zur Auslösung einer sekundären Darlegungslast der Beklagten. Hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis einzelner Vorstandsmitglieder, insb. des damaligen Vorstandsvorsitzenden, erst Recht von verfassungsmäßig berufenen Vertretern, ergeben sich daraus, dass es sich angesichts der Gesamtumstände bei dem Einbau der Abschalteinrichtung um eine grundlegende Strategieentscheidung mit erheblichen Risiken für den Gesamtkonzern wie die einzelnen Beteiligten handelte.

Ihrer sekundären Darlegungslast ist die Beklagte im vorliegenden Fall nicht nachgekommen. Hierfür reicht die Mitteilung, auch weiterhin lägen keine Erkenntnisse für eine Kenntnis eines ihrer Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts von der Entwicklung und Verwendung der Software vor, nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 39).

c) Durch das sittenwidrige Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit der unzulässigen Abschalteinrichtung entstand dem Kläger ein Schaden, der in dem Abschluss des Kaufvertrags als ungewollte Verbindlichkeit zu sehen ist. Bereits die allgemeine Lebenserfahrung rechtfertigt die Annahme, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwirbt, wie hier nach dem übereinstimmenden Parteivortrag der Kläger, bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 49 ff. i.V.m. Rn. 19 ff.; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19 -, Rn. 16).

Dieser Schaden ist auch nicht durch das später durchgeführte Software-Update entfallen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 58).

Demnach kommt es auf einen vermeintlichen Minderwert des streitgegenständlichen Pkw nicht an.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts fehlt es auch nicht an dem erforderlichen Schutzzweckzusammenhang. Der vom Kläger geltend gemachte Schaden fällt nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck des § 826 BGB, ohne dass es auf den Schutzzweck der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union und der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV) ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 367/19 -, Rn. 23).

d) Des Weiteren lag der erforderliche Schädigungsvorsatz der für die Beklagte handelnden verfassungsmäßigen Vertreter, insb. des Leiters der Motorenentwicklung, und des Vorstandes, die nach dem als unstreitig zu behandelnden Vortrag des Klägers Kenntnis von der sittenwidrigen strategischen Unternehmensentscheidung hatten, vor. Es folgt bereits aus der Lebenserfahrung, dass ihnen bewusst war, niemand werde in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis ein entsprechend belastetes Fahrzeug erwerben. Der Einwand, die Verantwortlichen hätten darauf vertraut, dass die Manipulation unentdeckt bleibe, ist unerheblich, weil der Schaden nicht in einer – tatsächlich nicht erfolgten – Betriebsuntersagung, sondern in dem ungewollten Vertragsschluss liegt (BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 60 ff.; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19 -, Rn. 18).

e) Der Kläger muss sich auf seinen Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises gegen die Beklagte aus §§ 826, 249 Abs. 1 BGB entgegen seiner Ansicht die von ihm gezogenen Nutzungen, nämlich mit einem Betrag von 15.817,25 €, anrechnen lassen.

Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB. Die Vorteilsausgleichung stellt sich weder als unbillige Entlastung der Beklagten dar noch steht ihr das unionsrechtliche Effizienzgebot entgegen, weil das Unionsrecht die nationalen Gerichte nicht daran hindert, Sorge dafür zu tragen, dass der Schutz der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Anspruchsberechtigten führt (BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 76; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19 -, Rn. 34). Der Nutzungsersatz ist auch nicht auf die Zeit bis zum Rücknahmeverlangen des Klägers mit Schreiben vom 12.10.2017 zu begrenzen. Entschied sich der Kläger für die weitere ihm zumutbare Nutzung, hat er die daraus gezogenen Vorteile auszugleichen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 70), und zwar bis zur Rückgabe des Fahrzeugs (OLG Koblenz, a.a.O., Rn. 108).

Für die Berechnung des anzurechnenden Nutzungsvorteils geht der Senat von einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 300.000 km für den streitgegenständlichen VW Passat mit 2,0 l – Dieselmotor aus. Maßgeblich für diese Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO ist, dass es sich um ein Fahrzeug der gehobenen Mittelklasse mit im Vergleich zu übrigen Modellen der Kernmarke der Beklagten gesteigertem Verkaufspreis handelt mit entsprechend erhöhten Erwartungen an Gesamtfahrleistung und -lebensdauer (vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 25.06.2020 – 1 U 1719/19 –, Rn. 81, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24.06.2020 – 4 U 147/19 –, Rn. 78, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 17.06.2020 – 4 U 38/19 –, Rn. 33, juris; OLG Hamm, Urteil vom 14.01.2020 – I-34 U 37/19 –, Rn. 98, juris).

Unter Zugrundelegung der anerkannten Formel zur Bemessung des Nutzungsvorteils (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19 -, Rn. 35) ergibt sich nachstehende Berechnung:

Nutzungsvorteil = 24.902,78 € x (199.669 km – 25.000 km)

(300.000 km – 25.000 km).

Der so errechnete Nutzungsvorteil in Höhe von 15.817,25 € ist vom gezahlten Kaufpreis von 24.902,78 € abzuziehen. Hinsichtlich der den sich ergebenden Betrag von 9.085,53 € übersteigenden Forderung unterliegt die Klage der Abweisung.

f) Im Hinblick auf die mit der Berufung ebenfalls weiterverfolgten Zinsen auf die Hauptforderung ist die Berufung des Klägers teilweise unbegründet. Denn ihm stehen lediglich Prozesszinsen gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB ab Rechtshängigkeit zu, da es an einem vorangehenden Schuldnerverzug, sei es nach § 286 Abs. 1 Satz 1, sei es nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 BGB fehlt.

Das Schreiben der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 12.10.2017 stellte keine verzugsbegründende Mahnung dar, weil der Kläger damit die ihm obliegende Gegenleistung der Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nicht – wie erforderlich (BGH, Urteil vom 20.07.2005 – VIII ZR 275/04 –, Rn. 28, juris; BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 86) – in einer den Annahmeverzug begründenden Art und Weise anbot. Denn er forderte die vollständige Erstattung des Kaufpreises, ohne einen Abzug für die zwischenzeitliche Nutzung des Fahrzeugs seit dem Jahr 2012 vorzunehmen, bot also die Herausgabe nicht zu den von ihm geschuldeten Bedingungen an. Auch in der Folge hat sich der Kläger gegen die Anrechnung eines Nutzungsersatzes gewehrt und damit durchgängig die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als er hätte beanspruchen können. Aus diesem Grund scheidet auch ein Schuldnerverzug nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB der Beklagten aus (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 86). Ebenfalls nicht in Betracht kommt ein Verzug nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB. Insbesondere ist der Streitfall mit den unter der Bezeichnung „fur semper in mora“ erörterten Sachverhaltskonstellationen nicht vergleichbar (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19 -, Rn. 22).

Ein weitergehender Zinsanspruch besteht auch nicht gemäß § 849 BGB. Deliktszinsen nach § 849 BGB können nämlich nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält. In diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19 -, Rn. 20 ff.).

Die danach allein geschuldeten Prozesszinsen ab dem 25.04.2018 sind jedoch nicht lediglich aus dem in der Hauptsache zuerkannten Betrag angefallen, weil ein Teil der Fahrleistung zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit und dem Schluss der Berufungsverhandlung angefallen ist. Der zu verzinsende Betrag lag demnach zum Zeitpunkt des Zinsbeginns höher und hat sich sukzessive auf den Betrag von 9.085,53 € ermäßigt (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19 -, Rn. 38).

Für den Zeitraum vor dem Schluss der Berufungsverhandlung, nämlich zunächst ab dem 25.04.2018 bis zum 04.06.2018, sodann ab dem 05.06.2018 bis zum 28.01.2019 und schließlich ab dem 29.01.2019 bis zum 15.01.2021, ist ein Betrag in Höhe von zunächst 14.353,06 €, sodann 13.353,82 € und schließlich 10.878,53 € zu verzinsen. Im Anschluss ist nur noch die zuerkannte Hauptforderung zu verzinsen.

Die zu verzinsenden Beträge bis zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung ergeben sich daraus, dass das Fahrzeug Kilometerstände zur Klageeinreichung von 138.000 km, am 04.06.2018 von 145.000 km, am 28.01.2019 von 160.069 km und schließlich am 15.01.2021 von 199.669 km aufwies. Aufgrund dieser unstreitigen Kilometerstände können die für die Zeit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu verzinsenden Beträge, getrennt nach einzelnen Zeitabschnitten, näher bestimmt und tenoriert werden, wobei innerhalb der jeweiligen Zeiträume mangels näherer Anhaltspunkte von einer in etwa gleichmäßigen Erbringung der Fahrleistung auszugehen ist. Angesichts dessen kann zur Berechnung der Prozesszinsen mit den jeweiligen Mittelwerten zwischen den Beträgen, welche dem Kläger zugesprochen worden wären, wenn er zu Beginn des jeweiligen Zeitraums mit dem Fahrzeug nicht mehr gefahren wäre und dem Betrag, welcher ihm zum Ende des jeweiligen Zeitraums zuzusprechen gewesen wäre, gerechnet werden (vgl. zu dieser Berechnung OLG Frankfurt, Urteil vom 24.09.2020 – 26 U 69/19 –, Rn. 43, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 03.09.2020 – 26 U 59/19 –, Rn. 48, juris). Nach der dargestellten Berechnungsformel für die Berechnung des Nutzungsersatzes wären dem Kläger zum Zeitpunkt der Klageeinreichung 14.670 €, zum 04.06.2018 14.036,11 € und zum 28.01.2019 12.671,53 € zuzusprechen gewesen mit der Folge der aufgeführten Mittelwerte.

2. Der mit der Berufung weiterverfolgte Klageantrag zu 2. ist unbegründet.

Nach dem bereits Dargestellten begründete das Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 12.10.2017 keinen Annahmeverzug der Beklagten. Auch in der Folge hat der Kläger die von ihm geschuldete Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nicht zu den Bedingungen angeboten, von denen er sie im Hinblick auf den im Wege der Vorteilsausgleichung geschuldeten und vom Kaufpreis in Abzug zu bringenden Nutzungsersatz hätte abhängig machen dürfen. Im Gegenteil hat er durchgängig die vollständige Rückerstattung des Kaufpreises verlangt.

3. Der Klageantrag zu 3. auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist zulässig.

Der Kläger ist insbesondere prozessführungsbefugt. Er behauptet zwar keinen eigenen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, da sein Erstattungsanspruch unstreitig nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf seine Rechtsschutzversicherung übergegangen ist. Allerdings liegen die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft vor, weil seine Versicherung ihn zur Einziehung der Forderung in eigenem Namen ermächtigt hat. Er hat aufgrund des Versicherungsverhältnisses mit den daraus folgenden Nebenpflichten auch ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Geltendmachung dieser für ihn fremden Forderung. Schutzwürdige Interessen der Beklagten stehen dem nicht entgegen.

Der Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten, der ebenfalls aus § 826 BGB folgt, besteht jedoch nur in Höhe von 1.029,35 €.

Im Verhältnis zur Beklagten als Schädigerin ist lediglich der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit zugrunde zu legen, welche der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht (BGH, Urteil vom 18.07.2017 – VI ZR 465/16 –, Rn. 7, juris). Danach ist hier ein Gegenstandswert bis zur Wertstufe von 16.000 € anzusetzen, weil es auf den Zeitpunkt der Vornahme der anwaltlichen Tätigkeit für das Entstehen der Geschäftsgebühr ankommt gemäß Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 der Anlage 1 zum RVG (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 24.09.2020, a.a.O., Rn. 48).

Im Hinblick auf die Höhe der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist lediglich eine solche in Höhe von 1,3 ersatzfähig. Eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war. Im Streitfall ist bereits zweifelhaft, ob das Abfassen des Anwaltsschreibens vom 12.10.2017 überdurchschnittlich schwierig oder überdurchschnittlich umfangreich war. Entscheidend ist jedenfalls, dass die vorgerichtlichen Bevollmächtigen des Klägers gerichtsbekannt eine Vielzahl von Geschädigten des sog. Abgasskandals vertritt, so dass sich die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die große Zahl der Mandate relativiert (vgl. zur Bedeutung dieses Gesichtspunkts OLG Frankfurt, Urteil vom 24.09.2020 – 26 U 69/19 –, Rn. 51 m.w.N.; OLG Koblenz, a.a.O., Rn. 119).

Unter weiterer Berücksichtigung der Auslagen nach Nr. 7002 VV RVG sowie Nr. 7008 VV RVG ergibt sich der ersatzfähige Betrag. Dieser ist ebenfalls erst ab Rechtshängigkeit zu verzinsen. Ein Verzug insoweit ist aufgrund des vorprozessualen Schreibens vom 12.10.2017 bereits deshalb nicht eingetreten, weil der Kläger bezüglich der Rechtsanwaltskosten lediglich Freistellung begehrte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

 

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