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Disagio – Verzicht auf anteilige Erstattung

Urteil: BGH

Az.: XI ZR 70/93

vom: 16.11.1993

Vorinstanz: OLG München; LG München I.


Leitsätze: »Ein Verzicht auf anteilige Erstattung von Disagio bei vorzeitiger Beendigung eines Darlehensvertrages liegt nicht schon darin, daß der Darlehensnehmer die Abrechnung der Bank unbeanstandet läßt.«


Tatbestand:
Die Kläger verlangen von der beklagten Bank die Erstattung anteiligen Disagios wegen vorzeitiger Rückzahlung eines Darlehens.
Die Beklagte gewährte den Klägern im August 1985 ein Hypothekendarlehen von 220.000 DM mit einer Zinsfestschreibung bis 30. September 1995. Der Auszahlungskurs betrug 91, 75%, der Nominalzins 6, 75%. Das Darlehen war nach der Schuldurkunde für eine nach dem Hypothekenbankgesetz gebildete Deckungsmasse für Schuldverschreibungen der Bank bestimmt. Solange das Darlehen zur Deckungsmasse gehörte, sollte das Kündigungsrecht aus § 247 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. ausgeschlossen sein. Als sich den Klägern eine günstigere Finanzierungsmöglichkeit bot, fragten sie mit Schreiben vom 27. Dezember 1989 bei der Beklagten an, ob sie mit einer vorzeitigen Ablösung des Darlehens einverstanden sei. Die Beklagte machte daraufhin mit Schreiben vom 23. Mai 1990 ein Rücknahmeangebot, mit dem sich die Kläger einverstanden erklärten. Die Kläger zahlten das Darlehen zurück.
Die Kläger haben unter Berufung auf das Senatsurteil vom 29. Mai 1990, BGHZ 111, 287 ff. die Auffassung vertreten, daß das von der Beklagten einbehaltene Disagio den laufzeitabhängigen Zinsen zuzurechnen sei, und anteilige Erstattung verlangt.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Klageanspruch weiter.


Entscheidungsgründe:
Die Revision der Kläger führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung ausgeführt: Zwar sei davon auszugehen, daß das Disagio einen laufzeitabhängigen Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzins darstelle und deshalb bei vorzeitiger Beendigung des Darlehensvertrages vom Darlehensnehmer aus § 812 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. BGB auch dann zurückverlangt werden könne, wenn der Darlehensvertrag – wie im vorliegenden Fall – insoweit keine ausdrückliche Regelung enthalte.
Der Bereicherungsanspruch der Kläger scheitere jedoch daran, daß sich die Parteien wirksam auf den Verbleib des Disagios bei der Beklagten geeinigt hätten. Die Kläger hätten nämlich das Rücknahmeangebot vom 23. Mai 1990, das einen stillschweigenden Verzicht auf die Erstattung anteiligen Disagios enthalte, akzeptiert. In diesem Angebot habe die Beklagte die volle Darlehenssumme eingesetzt, also auch das Disagio. Damit sei für die Kläger erkennbar klargestellt gewesen, daß das Disagio bei der Beklagten verbleiben sollte. Auf einen inneren Verzichtswillen, den die Kläger möglicherweise nicht gehabt hätten, weil ihnen ihr Recht im Augenblick der Abgabe ihrer Einverständniserklärung nicht bewußt gewesen sei, komme es nicht an.
II. Diese Ausführungen halten nicht in allen Punkten der revisionsrechtlichen Prüfung stand.
1. Nicht zu beanstanden ist die auf das Senatsurteil vom 29. Mai 1990, BGHZ 111, 287 ff. gestützte Auffassung des Berufungsgerichts, daß im vorliegenden Fall das Disagio einen laufzeitabhängigen Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzins darstelle und deshalb bei vorzeitiger Beendigung des Darlehensvertrages vom Darlehensnehmer aus § 812 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. BGB anteilig auch dann zurückverlangt werden könne, wenn – wie hier – der Darlehensvertrag insoweit keine ausdrückliche Regelung enthält. Auch die Be klagte sieht das nicht anders.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Recht gegen die Auslegung der zwischen den Parteien über die vorzeitige Ablösung des Darlehens getroffenen Vereinbarung, daß damit die Kläger stillschweigend auf Erstattung des Disagios verzichtet hätten (§ 397 BGB).
a) Die Auslegung individueller rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen ist allerdings Aufgabe des Tatrichters und in der Revisionsinstanz nur begrenzt nachprüfbar. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Wertung der Parteivereinbarung bindet im vorliegenden Falle das Revisionsgericht jedoch nicht, denn sie beruht auf der Verletzung anerkannter Auslegungsregeln, insbesondere des Grundsatzes einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Beurteilung.
b) Bei der Prüfung, ob die Kläger auf die Erstattung des Disagios verzichtet haben, hat das Berufungsgericht den von den Klägern im Zusammenhang mit der Kreditablösung geäußerten Vertragserklärungen eine Tragweite beigemessen, die ihnen auch aus der Sicht der Beklagten nicht zukommt und die mit den nach § 157 BGB maßgeblichen Grundsätzen von Treu und Glauben nicht zu vereinbaren ist. Ein stillschweigender Forderungsverzicht, der hier allein in Betracht kommt, kann danach nicht angenommen werden.
Um einen stillschweigenden Forderungsverzicht zu bejahen, bedarf es auf Seiten des Gläubigers eines rechtsgeschäftlichen Aufgabewillens. Da ein Verzicht auf Rechte im allgemeinen nicht zu vermuten ist, muß ein unzweideutiges Verhalten festgestellt werden, das vom Erklärungsgegner als Aufgabe des Rechts verstanden werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 20. Mai 1981 – IVb ZR 570/80, FamRZ 1981, 763 und vom 18. April 1989 – X ZR 85/88, WM 1989, 1180, 1182). Wenn es sich um Rechte handelt, die dem Gläubiger unbekannt sind und mit deren Bestehen er nicht einmal rechnet, wird ein konkludenter Verzicht regelmäßig ausgeschlossen sein (Staudinger/Kaduk BGB 12. Aufl. § 397 Rdn. 20 m.w.Nachw.; vgl. auch Senatsurteil aaO S. 294). Das hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet.
Als die Parteien im Mai 1990 wegen der vorzeitigen Ablösung des Kredits miteinander korrespondierten, bestand für die Kläger kein Anlaß zum Forderungsverzicht. Die im Darlehensvertrag nicht geregelte Frage, ob das Disagio anteilig zu erstatten war, spielte bei der Ablösungsvereinbarung keine Rolle. Wenn die Kläger die Abrechnung der Beklagten unbeanstandet ließen, so rechtfertigt dies – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht die Annahme eines Forderungsverzichts, auch wenn in der Abrechnung die volle restliche Darlehenssumme eingesetzt war. Über das Schicksal des Gegenanspruchs der Kläger ist der Abrechnung der Beklagten nichts zu entnehmen. Ein etwa zu erstattendes Disagio konnte von ihr schon deshalb rechnerisch nicht berücksichtigt werden, weil dessen Höhe von dem noch offenen Zeitpunkt der Darlehensrückzahlung abhing. Im übrigen fällt entscheidend ins Gewicht, daß beide Parteien unstreitig einen Erstattungsanspruch der Kläger überhaupt nicht in Erwägung zogen, so daß die Beklagte nicht davon ausgehen konnte, daß die Kläger bei der Vereinbarung über die vorzeitige Ablösung des Darlehens im Bewußtsein eines entsprechenden Anspruchs die Schuld erlassen wollten. Die Frage, ob und inwieweit ein beiderseitiger Rechtsirrtum über die Pflicht zur Disagioerstattung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Fehlens der Geschäftsgrundlage eine Anpassung der zwischen Bank und Kreditnehmer getroffenen Aufhebungsvereinbarung an die wahre Rechtslage begründen könnte, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung; denn die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich Ansprüche ergeben, die ihr bei Kenntnis und Berücksichtigung der Pflicht zur Disagiorückerstattung von den Klägern billigerweise auch eingeräumt worden wären (vgl. BGHZ 99, 333).
c) Da der Sachverhalt hinreichend geklärt ist und weitere für die Auslegung der Vereinbarung erhebliche Umstände nicht vorliegen, kann der erkennende Senat die Tragweite der Erklärung der Kläger durch eigene Auslegung bestimmen. Diese Auslegung führt – wie dargelegt – zu dem Ergebnis, daß die Kläger auf die Erstattung des Disagios nicht verzichtet haben.

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