OLG Frankfurt – Az.: 6 U 127/20 – Urteil vom 14.09.2021
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund der Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über die Rückabwicklung des Kaufvertrages über ein Reitpferd.
Der Beklagte betreibt einen Zucht- und Ausbildungsstall für Reitpferde unter der Bezeichnung „A“. Die Klägerin erwarb am 20.1.2015 vom Beklagten den Hengst „B“ zum Preis von € 65.000. Zuvor hatte sie das Pferd am 10.1. und am 11.1.2015 besichtigt und reiterlich erprobt. Am 20.1.2015 fand in der Tierklinik Stadt1 eine Ankaufsuntersuchung statt (Anlage K75). Im Anschluss wurde das Pferd der Klägerin übergeben.
In der Folgezeit zeigten sich Probleme mit der Anlehnung des Hengstes beim Beritt. Die von der Klägerin konsultierte Tierärztin C diagnostizierte laut Rechnung vom 2.4.2015 einen offenen rechten Maulwinkel sowie ein Überbein der linken Lade (Anlage K2).
Im Juli 2017 brachte die Klägerin das Pferd dem Beklagten zurück. Dort lebte es fortan. Mit Anwaltsschreiben vom 10.10.2017 setzte die Klägerin erfolglos eine Frist zur Nacherfüllung (Anlage K7). Mit Anwaltsschreiben vom 25.10.2017 trat sie vom Kaufvertrag zurück (Anlage K9).
Die Klägerin hat behauptet, das Pferd habe bereits bei Übergabe ein Überbein der Lade sowie Vernarbungen in der Mundhöhle gehabt. Diese Vorerkrankungen seien der Grund für die Probleme bei der Anlehnung. Das Pferd könne nicht mit Gebiss geritten werden. Die Reitweise der Klägerin oder ihrer Angehörigen seien hingegen nicht ursächlich für irgendwelche körperlichen Beschwerden des Pferdes B sei als Dressurpferd ungeeignet.
Der Beklagte hat behauptet, B sei ein talentiertes Dressurpferd. Es sei ohne Mängel und Vorerkrankungen übergeben worden. Etwaige Rittigkeitsprobleme seien allein auf die reiterliche Einwirkung nach der Übergabe zurückzuführen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass das Pferd bei Gefahrübergang nicht mangelbehaftet gewesen sei. Der Klägerin habe daher kein Recht zum Rücktritt zugestanden. Auf eine bloße „Unrittigkeit“ könne die Klägerin die geltend gemachten Ansprüche nicht stützen.
Gegen diese Beurteilung wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Im Berufungsverfahren wiederholen und vertiefen die Parteien ihr Vorbringen. Die Klägerin trägt vor, das Pferd leide unter chronischen Verletzungen der Maulhöhle, nämlich an einem vernarbten Maulwinkel, der bei leichtester Beanspruchung aufplatze, sowie an einer pathologischen Zubildung auf der Lade. Eine langfristige Nutzung als Dressurpferd sei deshalb ausgeschlossen, was sich bereits innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang gezeigt habe.
Nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils forderte die Klägerin den Beklagten zur Herausgabe des Pferdes auf. Der Beklagte berief sich im Hinblick auf Unterhaltskosten auf ein Zurückbehaltungsrecht (Anlagen K84-86). Die Klägerin hinterlegte beim Amtsgericht Stadt2 zur Absicherung der vom Beklagten behaupteten Ansprüche einen Betrag in Höhe von € 40.000. Bei Abholung am 30.11.2020 erbrachte sie eine weitere Zahlung in Höhe von € 10.780,56 (Anlage K87). Mit Schreiben vom 8.12.2020 erklärte sie gegenüber dem Beklagten erneut den Rücktritt. Für eine weitere Untersuchung in der Tierklinik Stadt1 fiel ein Betrag von € 1.526,84 (Anlage K90), für den Transport ein Betrag von € 870 an (Anlage K89). Im Januar 2021 verkaufte die Klägerin das Pferd zum Preis von € 10.000 weiter (Anlage K91).
Die Klägerin hat im Berufungsrechtszug zunächst ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt. Mit Schriftsatz vom 21.5.2021 hat sie ihre Anträge neu gefasst.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin € 111.630,41 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus € 65.000 seit dem 24.11.2017 aus € 33.453,01 ab Rechtshängigkeit sowie aus € 3.177,40 ab Zustellung des Schriftsatzes vom 21.5.2021 zu zahlen;
2. den Beklagten zu verurteilen, der Auszahlung des beim AG Stadt2 – Hinterlegungsstelle – zu dem Az. … – hinterlegten Betrag von € 40.000 an die Klägerin zuzustimmen.
Der Beklagte stimmt der mit Schriftsatz vom 21.5.2021 vorgenommenen Klageänderung nicht zu. Er beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Antrag zu 2. stellt eine im Berufungsrechtszug unzulässige Klageänderung dar. Weder hat der Beklagte der Klageänderung zugestimmt, noch ist sie sachdienlich (§§ 533, 263 ZPO). Bei dem Anspruch auf Freigabe handelt es sich um einen weiteren Streitgegenstand. Die Klägerin hat die im Antrag genannte Summe hinterlegt, weil der Beklagte die Herausgabe des Pferdes im Hinblick auf Haltungs-, Pensions- und Ausbildungskosten (einschließlich Schmied- und Tierarztkosten) verweigert hatte. Der Prozess würde durch die Zulassung des neuen Klagegrunds mit weiterem Streitstoff belastet, der nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war. Es müsste geklärt werden, ob dem Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht zusteht. Entgegen der Ansicht der Klägerin war das Pferd nicht mehr „zur Nacherfüllung“ beim Beklagten. Durch den mit Schreiben vom 25.10.2017 erklärten Rücktritt hat die Klägerin zum Ausdruck gebracht, an einer weiteren Vertragserfüllung kein Interesse mehr zu haben. Auf die grundsätzliche Frage, ob der Nacherfüllungsanspruch nur bei einem berechtigten Rücktritt erlischt, kommt es im Streitfall nicht an (vgl. dazu OLG Naumburg NJW-RR 2015, 1399 Rn. 15 m.w.N.).
2. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 440, 437 Nr. 2, 325, 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB in Höhe des Kaufpreises unter Anrechnung des selbst erzielten Erlöses und in Höhe weiterer Aufwendungen für Unterhalt, Tierarztkosten und Transport zu (Antrag zu 1.). Das Pferd „B“ ist im Zeitpunkt der Übergabe nicht mit einem Mangel im Sinne der §§ 434 Abs. 1, 90a BGB behaftet gewesen.
a) Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die Parteien einen Verbrauchsgüterkauf gemäß § 474 BGB geschlossen haben. Das Tier steht insoweit einer beweglichen Sache gleich. Die Klägerin ist Verbraucherin im Sinne des § 13 BGB. Entgegen der Ansicht des Beklagten steht dem nicht entgegen, dass sie mehr als fünf Pferde hält. Sie hat das streitgegenständliche Pferd unstreitig für private Zwecke erworben.
b) Das Pferd wies zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs keinen Sachmangel (§ 434 Abs. 1, § 90a BGB) auf.
aa) Eine Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB) – insbesondere hinsichtlich der „Rittigkeit“ oder der Geeignetheit für eine bestimmte Turnierklasse – haben die Parteien nicht getroffen. Eine Beschaffenheitsvereinbarung setzt voraus, dass der Verkäufer in vertragsgemäß bindender Weise die Gewähr für das Vorhandensein einer Eigenschaft der Kaufsache übernimmt und damit seine Bereitschaft zu erkennen gibt, für alle Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen (BGH, Urt. v. 20.3.2019 – VIII ZR 213/18, Rn. 22). Daran fehlt es. Eine schriftliche Vereinbarung über den Kauf liegt nicht vor. Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe dem Beklagten übermittelt, dass es sich bei dem gesuchten Pferd um ein Dressurpferd handeln müsse, das auch zum Einsatz in Prüfungen der schweren Klasse (S) geeignet ist. Auf einem ihr daraufhin zugeleiteten Verkaufsvideo sei das Dressurpferd mit überragenden sportlichen Perspektiven dargestellt worden, unter anderem auch unter Hinweis auf Platzierungen in der Klasse M (mittelschwer). Er habe auch mitgeteilt, dass es sich um ein Pferd für den Spitzensport handele. Damit ist eine Beschaffenheitsvereinbarung nicht schlüssig dargelegt. Aus dem Umstand, dass der Beklagte das Pferd mit sportlichen Perspektiven angepriesen hat, lässt sich nicht ableiten, dass er die Gewähr dafür übernehmen wollte, dass sich diese Perspektiven realisieren. Es liegt in der Natur der Sache, dass Entwicklungsprognosen bei einem lebenden Tier unsicher und letztlich spekulativ sind und ein Verkäufer ohne ausdrückliche Absprache hierfür keine Gewähr übernimmt.
bb) Es kann auch nicht angenommen werden, dass sich das Pferd für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung nicht eignet (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB).
(1) Bei der vertraglich vorausgesetzten Verwendung geht es um die konkrete Nutzung der Kaufsache durch den Käufer, die die Parteien übereinstimmend unterstellt haben (BGH, Urt. v. 20.3.2019 – VIII ZR 213/18, Rn. 25). Die Parteien haben übereinstimmend vorgetragen, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Pferd um ein Dressurpferd handelt, das in Turnieren zum Einsatz kommen sollte. Weitergehende Absprachen sind nicht ersichtlich. Der Verkäufer eines Tiers hat, sofern eine anderslautende Beschaffenheitsvereinbarung nicht getroffen wird, (lediglich) dafür einzustehen, dass es bei Gefahrübergang nicht krank ist und sich auch nicht in einem Zustand befindet, aufgrund dessen bereits die Sicherheit oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass es alsbald erkranken wird und infolgedessen für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung nicht mehr einsetzbar wäre (BGH, Urt. v. 27.5.2020 – VIII ZR 315/18, Rn. 25).
(2) Unter einem krankhaften Zustand sind klinische Erscheinungen zu verstehen, wie etwa Lahmheit, pathologisch eingeschränkte Beweglichkeit oder offensichtliche Schmerzen (BGH, Urt. v. 27.5.2020 – VIII ZR 315/18, Rn. 39). Es gehört hingegen nicht zur üblichen Beschaffenheit eines Tiers, dass es in jeder Hinsicht einer biologischen oder physiologischen „Idealnorm“ entspricht. Tiere unterliegen als Lebewesen einer ständigen Entwicklung und sind – anders als Sachen – mit individuellen Anlagen ausgestattet. Daraus können sich unterschiedliche Risiken ergeben. Der Käufer eines lebenden Tiers kann daher redlicherweise nicht erwarten, dass er auch ohne besondere Beschaffenheitsvereinbarung ein Tier mit „idealen“ Anlagen erhält. Bloße Widersetzlichkeiten („Rittigkeitsmängel“) stellen daher regelmäßig keine Abweichung von der Sollbeschaffenheit dar. Probleme bei der Rittigkeit können natürliche oder gesundheitliche Ursachen haben. Sie sind daher für sich gesehen keine Abweichung von der vertraglichen Sollbeschaffenheit. Insbesondere kann der Käufer nicht erwarten, dass er bestimmte Turniererfolge erzielen kann. Die Eignung für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung wird bei Reitpferden auch nicht schon dadurch beeinträchtigt, dass aufgrund von Abweichungen von der „physiologischen Norm“ eine (lediglich) geringe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass das Tier zukünftig klinische Symptome entwickeln wird, die seiner Verwendung als Reitpferd entgegenstehen (BGH, Urt. v. 27.5.2020 – VIII ZR 315/18, Rn. 26, 27, 40).
cc) Das Pferd „B“ war zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs weder krank noch aus anderen Gründen als Reit- und Dressurpferd schlechthin ungeeignet.
(1) Unstreitig zeigten sich nach der Übergabe von „B“ Probleme mit der Anlehnung des Pferdes beim Beritt. Bei einer tierzahnärztlichen Untersuchung am 2.4.2015 wurden ein offener rechter Maulwinkel sowie ein Überbein der linken Lade diagnostiziert (Anlage K2). Die Klägerin behauptet im Berufungsrechtzug, das Pferd leide an Vorschädigungen im Maul. Es bestünde eine Knochenhautentzündung im Bereich der linken Lade; ferner seien Narben im Bereich der rechten Maulspalte, sowie eine sich als Überbein darstellende Weichteilschwellung vorhanden. Dabei handele sich um chronische Gesundheitsschäden, deren Entstehung schon lange vor die Zeit des Gefahrübergangs am 20.1.2015 zurückreiche. Die Schäden führten bei normaler reiterlicher Einwirkung zu einer Schmerzreaktion in der Form, dass sich das Pferd nicht nach rechts stellen lasse und die für die Dressur unabdingbare Anlehnung nicht herzustellen sei.
(2) Die genannten Probleme können zumindest teilweise einen Sachmangel darstellen, sofern sie bei Gefahrübergang bereits vorlagen. Die Probleme mit der Anlehnung des Pferdes stellen jedoch nach den oben dargestellten Grundsätzen für sich genommen keinen Mangel dar. Es handelt sich um ein Rittigkeitsproblem, das – wie die Klägerin auf S. 3 der Klageschrift selbst einräumt – neben medizinischen Gründen auch auf natürlichen Ursachen beruhen kann und daher keinen klinischen Befund darstellt. Die nach Übergabe diagnostizierten Schäden im Bereich des Mauls stellen sich hingegen als krankhafter Zustand dar und kommen damit als Sachmangel in Betracht.
(3) Nach § 476 BGB a.F. (jetzt: § 477 BGB) wird bei einem Verbrauchsgüterkauf in den Fällen, in denen sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang ein Sachmangel zeigt, vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar. Die Vermutung gilt gemäß § 90a Satz 3 BGB auch beim Kauf von Tieren. Die Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin setzt voraus, dass sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang eine Mangelerscheinung des erworbenen Pferds zeigt. Dies hat die Klägerin als Käuferin zu beweisen (BGH, Urt. v. 27.5.2020 – VIII ZR 315/18, Rn. 53). Der Verkäufer hat gegebenenfalls darzulegen und nachzuweisen, dass der Sachmangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch nicht vorhanden war, weil er seinen Ursprung in einem Handeln oder Unterlassen nach diesem Zeitpunkt hat und dem Verkäufer damit nicht zuzurechnen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 4.6.2015 – C-497/13, Rn. 73 ff. – Faber; BGH, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15, Rn. 55).
(4) Das Landgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme zu Recht festgestellt, dass die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zwar zum Teil bestehen, dem Beklagten jedoch der Gegenbeweis gelungen ist, wonach sie zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch nicht vorlagen. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Klägerin hat das Landgericht auch keinen entscheidungserheblichen Vortrag oder erhebliche Beweisantritte übergangen.
(a) Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat festgestellt, dass sich innerhalb der sechs Monate nach Gefahrübergang im Rahmen der tierärztlichen Untersuchungen vom 4.3., 24.4., 19.5. und vom 5.6.2015 folgende Befunde ergaben: Offener Mundwinkel rechts bzw. beidseitig, knöcherne Veränderung an der linken Lade, Hautläsion im Bereich des linken Unterkiefers. Hierbei handelt es sich um krankhafte Veränderungen des Normalzustandes, die als Mangelerscheinung angesehen werden können.
(b) Nach den Ausführungen des Sachverständigen und einer Würdigung sämtlicher Umstände des Falls ist jedoch davon auszugehen, dass der Sachmangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch nicht vorhanden war (§ 286 I ZPO).
(aa) Die Klägerin hatte das Pferd unmittelbar am Tag der Übergabe (20.1.2015) von der Tierklinik Stadt1 untersuchen lassen. Dort sind weder offene Mundwinkel noch Vernarbungen noch Entzündungen noch ein Überbein festgestellt worden, obwohl das Maul Gegenstand der Untersuchung war. Auch auf den Röntgenbildern der Tierklinik Stadt1 sind keine signifikanten Befunde erkennbar (vgl. Untersuchungsprotokoll Anlage K75, Bl. 147, 151 d. A. und gerichtliches Sachverständigengutachten S. 19). Entgegen der Ansicht der Klägerin kann auch nicht angenommen werden, dass die betroffenen Maulbereiche nicht Untersuchungsgegenstand waren. Nach den Feststellungen des Gerichtssachverständigen wurde der betroffene Bereich bei der Eingangsuntersuchung routinemäßig im Rahmen der standardisierten Kaufuntersuchung erfasst (GA S. 16).
(bb) Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat hinsichtlich der Mundwinkel außerdem festgestellt, dass sich aus den tiermedizinischen Fakten keine eindeutigen Hinweise ergeben, dass vor dem 20.1.2015 in oder an der Maulhöhle Veränderungen vorlagen, die das Aufplatzen der Maulwinkel ursächlich erklären könnten. Stattdessen werfe die reiterliche Einwirkung nach Gefahrübergang Fragen auf. Es gebe keine nachvollziehbaren gesundheitlichen Gründe dafür, dass bei normaler Reiteinwirkung das Aufplatzen der Mundwinkel nicht zu verhindern gewesen wäre.
(cc) Hinsichtlich der Veränderungen am linken Unterkiefer (Lade, Diastema) seien von den nach Gefahrübergang untersuchenden Tierärzten und der Tierzahnärztin C in erster Linie akute Veränderungen beschrieben worden. Die angeblichen knöchernen Veränderungen seien nicht eindeutig und allenfalls als undeutliche und geringfügige Knochenunruhe im Bereich der Knochenoberfläche wahrzunehmen. Sie seien akuter Natur. Solche Veränderungen (Knochenhautentzündung) könnten innerhalb kurzer Zeit (2-4 Wochen) entstehen. Auch dieser anatomische Bereich werde durch die reiterliche Einwirkung beeinflusst. Komme es zu solchen Entzündungen, Veränderungen oder Verletzungen, müsse ursächlich eine reiterliche Einwirkung als wesentliche Option angenommen werden (GA S. 22, 23). Ein Überbein sei nach Auswertung des Bildmaterials nicht feststellbar (GA S. 23).
(dd) Das Landgericht hat aufgrund dieser Feststellungen des Sachverständigen und weiterer Umstände zu Recht die Überzeugung gewonnen, dass die Mangelerscheinungen ihre Ursache nicht in einer schon bei Gefahrübergang gegebenen Vorschädigung haben (§ 286 I ZPO). Der Sachverständige hat die Entzündungen, offenen Stellen und knöchernen Veränderungen als akute Zustände beschrieben. Er hat damit chronische Veränderungen verneint. Er führt die Verletzungen auf die reiterliche Einwirkung nach Gefahrübergang zurück.
(ee) Indiziell gegen einen bei Gefahrübergang angelegten Sachmangel spricht schließlich auch, dass die Klägerin noch im April 2017, mehr als zwei Jahre nach Gefahrübergang, offenbar von einem gesunden Pferd ausging. Sie wollte es aus anderen, nicht auf Mängeln im Sinne des § 434 BGB beruhenden Gründen bei dem Beklagten in Kommission geben. In ihrer E-Mail vom 10.4.2017 heißt es, B sei „einfach nicht unser Pferd“. Er sei aber wirklich in Top Form („Haut und Maul sind gesund“) und er sehe besser aus denn je. Ihr Mann brauche aber eher ein Pferd „zum Anpacken“ und ihre Tochter sei noch nicht weit genug, um es „auf seinem Level vorzustellen“ bzw. um ein so großes Pferd zu bedienen (Anlage B2). Diese Ausführungen lassen nur den Schluss zu, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt selbst von einem gesunden Pferd ausging und die Rittigkeitsprobleme letztlich auf die fehlende Harmonie zwischen Reiter und Pferd zurückführt. Entgegen den mündlichen Ausführungen der Klägerseite in der Berufungsverhandlung kann die E-Mail nicht so verstanden werden, dass das Pferd nur zwischenzeitlich nach kompletter Schonung und Ausheilung akuter Blessuren in einem guten Zustand war, ein Reiten „mit Gebiss“ aber weiterhin nicht möglich war. Dagegen spricht, dass die Klägerin in der E-Mail nur individuelle reiterliche Gründe anführte.
(5) Mit ihrem erstmals im Berufungsverfahren erhobenen Einwand, der Gutachter habe das Pferd nicht selbst untersucht, kann die Klägerin nach § 531 III Nr. 3 ZPO nicht mehr gehört werden. Sie hatte innerhalb der vom Landgericht gesetzten Ausschlussfrist ausreichend Gelegenheit, Einwendungen gegen das Gutachten zu erheben. Der Einwand verfängt auch in der Sache nicht. Das Gutachten wurde im Oktober 2019 erstellt. Es ist nicht ersichtlich, wie eine körperliche Untersuchung nach fast fünf Jahren zutage fördern soll, dass die behaupteten Mängel schon zum Zeitpunkt der Übergabe vorlagen bzw. angelegt waren. Der Gutachter hat sich daher mit den ärztlichen Befunden und Röntgenbildern auseinandergesetzt, die zum Teil unmittelbar vor der Übergabe oder wenige Monate danach erstellt wurden. Die Röntgenbilder betrafen drei verschiedene Zeitpunkte. Insbesondere auf den Röntgenbildern der Tierklinik Stadt1, die die Eingangsuntersuchung durchführte, waren keine signifikanten Befunde erkennbar, die auf eine chronische Veränderung schließen lassen (GA S. 19).
(6) Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, das Landgericht habe dem Sachverständigen die falschen Beweisfragen gestellt. Soweit die erste Beweisfrage auf eine Verschlechterung des Zustands nach dem Verkauf abstellt, orientiert sie sich an der entsprechenden Behauptung des beweispflichtigen Beklagten. Die Beweisfragen des Landgerichts umfassten auch die Behauptung des Beklagten, die knöchernen Verletzungen hätten ihre Ursache in der reiterlichen Einwirkung während der Besitzzeit durch die Klägerin. Der Sachverständige hat sich entgegen der Ansicht die Klägerin auch mit der Frage befasst, ob der Sachmangel schon vor Gefahrübergang vorhanden war.
(7) Die Klägerin ist auch mit ihrem erstmals im Berufungsverfahren erhobenen Einwand ausgeschlossen, die gesundheitliche Problematik von „B“ sei schon auf dem Verkaufsvideo des Beklagten aus dem Jahr 2012 erkennbar. Die auf der Erkrankung beruhenden Verhaltensweisen zeigten sich bereits dort (Anlagen K 78, 80, 81). Die Klägerin hat nicht dargelegt, warum sie das Video erst im Berufungsrechtszug übermittelt hat. Das Verkaufsvideo wurde bereits in der Klageschrift erwähnt. Das Video ist im Übrigen als Beweismittel auch ungeeignet, um die Feststellung der fehlenden Mangelhaftigkeit zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs zu widerlegen. Der Umstand, dass das Pferd keine Maultätigkeit zeigt und Widerstände leistet, beim Versuch nach rechts gestellt zu werden, kann auf unterschiedlichen Ursachen beruhen. Selbst wenn eine Erkrankung die Ursache sein sollte, kann nicht angenommen werden, dass diese Erkrankung noch bei Gefahrübergang – drei Jahre nach Aufnahme des Videos – bestand.
(8) Die Feststellung der fehlenden Mangelhaftigkeit zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs wird entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht dadurch erschüttert, dass die Klägerin bereits bei der Erprobung vor dem Kauf feststellte, dass das Pferd rechts etwas steif ist und sich nicht in gleicher Weise nach rechts wie nach links stellen ließ. Die Klägerin hat in der Klageschrift (S. 3) selbst dargelegt, dass ein solches Verhalten bei (noch) nicht gleichmäßig gymnastizierten Pferden durchaus normal ist. Es lässt also keine Rückschlüsse auf eine chronische Erkrankung zu. Soweit die Klägerin ihren Ehemann sowie weitere, zum Teil professionelle Reiter (D und E) als Zeugen für die Behauptung anbietet, das Pferd habe bereits bei Übergabe eine Vorschädigung im Maul und eine Knochenhautentzündung im Bereich der linken Lade aufgewiesen, ist nicht ersichtlich, wie die Zeuge ohne bildliche Diagnostik diesen Befund erhoben haben sollen. Bei der tierärztlichen Untersuchung am Tag der Übergabe waren solche Schäden jedenfalls nicht feststellbar. Soweit die Zeugen Vernarbungen im Bereich der Maulspalte bekunden sollen, kommt es darauf nicht entscheidend an, weil solche Verletzungen nach den Ausführungen des Sachverständigen auf reiterlicher Einwirkung beruhen. Sie sprechen daher nicht für eine chronische Erkrankung. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass mit der Art eines solchen Mangels schon die Vermutung des § 476 BGB a.F. unvereinbar ist. Denn es handelt sich um einen Sachmangel der jederzeit eintreten kann und keinen wahrscheinlichen Rückschluss auf eine Erkrankung bei Gefahrübergang zulässt. Es kommt deshalb auch nicht auf das Zeugnis der Tierärztin C an, die nach dem Vortrag der Klägerin am 2.4.2015, also mehr als drei Monate nach der Übergabe, Vernarbungen diagnostiziert hat.
(9) Soweit die Klägerin im Berufungsrechtszug ein Schreiben von Frau C vom 12.8.2020 vorlegt, kann sie damit nach § 531 III Nr. 3 ZPO nicht mehr gehört werden. Das Schreiben steht auch inhaltlich der Feststellung der fehlenden Mangelhaftigkeit nicht entgegen. Die Zahnärztin führt aus, sie habe bei der ersten Untersuchung eine Schwellung der Unterkieferlade festgestellt. Ferner sei der linke Mundwinkel chronisch verletzt gewesen. Ursächlich sei höchstwahrscheinlich die reiterliche Einwirkung. Das komme vor, wenn das Pferd eine „steife Seite“ habe. Damit setzt sich die Ärztin nicht in Widerspruch zu den Feststellungen des Gerichtssachverständigen. Soweit der Mundwinkel „chronisch“ verletzt war, führt sie dies auf die reiterliche Einwirkung zurück. Gemeint sind also wiederholte Verletzungen. Auf eine bei Gefahrübergang angelegte Erkrankung lässt sich die Verletzung damit nicht zurückführen. Soweit Frau C ausführt, es könne passieren, dass chronisch offene Mundwinkel nie mehr belastbar sind und eine Unterkieferlade nicht mehr zur Ruhe komme, handelt es sich um allgemeine Ausführungen. Sie stehen den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigengutachtens nicht entgegen. Der Sachverständige konnte einen chronischen Befund gerade nicht feststellen.
(10) Ohne Erfolg behauptet die Klägerin, das Pferd sei bereits nach einem Verkauf im Jahr 2012 wegen vergleichbarer Mangelerscheinungen zurückgegeben worden. Die Klägerin hat für ihre Behauptung keinen Beweis angetreten. Es trifft auch nicht zu, dass der Beklagte die Behauptung mit Schriftsatz vom 29.3.2018 teilweise eingeräumt hat.
(11) Entgegen der Ansicht der Klägerin musste das Landgericht nicht Beweis über die Behauptung erheben, das Pferd sei in ihrer Besitzzeit niemals mit harter Hand geritten worden, sondern mit ihm sei sehr vorsichtig umgegangen worden. Hierbei handelt es sich um Umstände, die subjektiv geprägt und daher einem Beweis nicht zugänglich sind. Insbesondere führt die Klägerin selbst aus, dass das Pferd „B“ besonders empfindlich war. Es lässt sich daher nicht objektiv beurteilen, welche reiterliche Einwirkung hart oder vorsichtig ist. Dies hängt von dem jeweiligen Pferd und weiteren Umständen ab. Eine besondere Empfindlichkeit stellt sich bei einem lebenden Tier nach den oben genannten Grundsätzen noch nicht als Sachmangel dar.
dd) Auch sonst ist nicht erkennbar, dass „B“ nicht als Dressurpferd reitbar und bei Turnieren von vornherein nicht einsetzbar war. Vielmehr hat das Pferd – vor und nach Gefahrübergang – unstreitig an Turnieren, wenn auch in niedriger Klasse, teilgenommen (Bl. 128 d.A.). Der Umstand, dass das Pferd nach der Rückgabe an den Beklagten bei einer Turniervorstellung (Klasse M) an letzter Stelle gewertet wurde, lässt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht darauf schließen, dass das Pferd über einen Gesundheitsmangel verfügt, der schon bei Gefahrübergang angelegt war.
3. Da kein Sachmangel vorliegt, kann die Klägerin weder Rückerstattung des Kaufpreises, noch Erstattung von Tierarzt– und Unterhaltungskosten verlangen. Sie hat auch keinen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.
4. Den nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klägerseite vom 6.9.2021 hat das Gericht zur Kenntnis genommen und seinen Inhalt erwogen. Soweit der Schriftsatz neuen Vortrag enthält, konnte dieser allerdings nicht mehr berücksichtigt werden. Gründe für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sind nicht ersichtlich.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
6. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht auf einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich nicht.