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Duldungspflicht des Eigentümers eines überbauten Grundstücks nach Abriss des Überbaus

LG Frankfurt (Oder) – Az.: 16 S 125/17 – Urteil vom 14.11.2018

Die Berufung des Beklagten gegen das am 13.7.2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Strausberg, Az.: 24 C 382/16, wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die klagende Gemeinde begehrt vom Beklagten die Beseitigung eines in der DDR erfolgten Überbaus.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Flurstücks der Flur der Gemarkung. Der Beklagte erwarb das benachbarte Flurstück durch notariellen Kaufvertrag vom 14.03.2011 (Bl. 19 ff. d. A.). In der Anlage 1 zum Kaufvertrag wird auf einen Überbau auf das Nachbarflurstück hingewiesen. Beide Flurstücke gehörten in der DDR zu einem Gelände, das in der Rechtsträgerschaft des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR stand und zu Sportzwecken genutzt wurde. In den 1970er Jahren wurde über die Flurstücksgrenze hinweg ein als Café genutztes einstöckiges Gebäude errichtet, das sich in etwa zur Hälfte auf beiden Flurstücken befand, unmittelbar an ein als Sporthalle genutztes Gebäude auf dem jetzigen Beklagtengrundstück angrenzte und mit diesem fest verbunden war. Nach dem Erwerb des Flurstücks ließ der Beklagte die auf diesem Flurstück befindliche Hälfte des einstöckigen Gebäudes ganz überwiegend abreißen. Verblieben sind lediglich die auf dem Grundstück der Klägerin befindliche Hälfte des Gebäudes sowie ein kleiner Rest auf dem Flurstück. Dem Begehren der Klägerin, die auf dem Flurstück verbliebene Gebäudehälfte ebenfalls abzureißen, widersprach der Beklagte. Er beruft sich auf eine Duldungspflicht der Klägerin gemäß § 912 BGB.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin die Beseitigung des Restgebäudes durch den Beklagten, hilfsweise die Untersagung seiner Nutzung durch den Beklagten sowie die Duldung des Abrisses durch die Klägerin. Das Amtsgericht hat den Beklagten auf den Hauptantrag der Klägerin durch das angefochtene Urteil, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen gemäß § 540 Absatz. 1 Nr. 1 ZPO im Übrigen Bezug genommen wird, antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte sei als Zustandsstörer gemäß § 1004 Abs. 1 BGB zur Beseitigung des Restbauwerkes verpflichtet. Ein Duldungsanspruch gemäß § 912 BGB stehe ihm nicht zur Seite. Sinn und Zweck dieser Regelung sei die Erhaltung wirtschaftlicher Werte. Der Duldungsanspruch entfalle, wenn das überbebaute Gebäude beseitigt werde. Bei einem Teilabriss komme es nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 17.1.2014 – V ZR 292/12 – Rn. 24) darauf an, ob den noch vorhandenen Gebäuderesten eine selbstständige wirtschaftliche Bedeutung zukomme. Eine solche sei vorliegend nicht mehr gegeben.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, mit der er seine bereits in erster Instanz erhobene Rüge der sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts wiederholt. Er ist weiterhin der Auffassung, dass die Klägerin das vorhandene Restgebäude nach § 912 BGB zu dulden habe. Dem verbliebenen Restbaukörper komme ein zu schützender wirtschaftlicher Wert zu. Dies ergebe sich aus der Intaktheit des verbliebenen Baukörpers, seiner gegenwärtigen Nutzung als Lagerfläche, insbesondere aber aus seinem, des Beklagten, Vorhaben, in dem Gebäude einen Pflegestützpunkt einrichten zu lassen.

Der Beklagte beantragt sinngemäß, das Urteil des Amtsgerichts Strausberg vom 13. Juli 2017, Az. 24 C 382/16, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil mit näherer Darlegung

II.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

1. Ohne Erfolg rügt der Beklagte erneut die sachliche Unzuständigkeit des Amtsgerichts. Dieser Einwand ist gemäß § 513 Abs. 2 ZPO in der Berufungsinstanz ohne Bedeutung.

2. Zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung hat das Amtsgericht einen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten gemäß § 1004 Abs. 1 BGB auf Beseitigung des Restbauwerkes auf dem Flurstück angenommen. Zwischen den Parteien steht nicht im Streit, dass das in der DDR über die Grundstücksgrenze hinweggebaute Gesamtgebäude des vormaligen Cafés dem jetzigen Grundstück des Beklagten zuzurechnen ist. Dies ergibt sich auch aus der räumlich-funktionellen Zuordnung des Gebäudes zur seinerzeitigen Sporteinrichtung auf dem jetzigen Beklagtengrundstück. Der Beklagte ist daher Eigentümer des gesamten Gebäudes geworden und als Zustandsstörer zur Beseitigung des Überbaus verpflichtet, da die Klägerin insoweit keine Duldungspflicht in entsprechender Anwendung des § 912 BGB trifft.

a) Mit der Aufteilung der zunächst einheitlich durch das Ministerium für Staatssicherheit genutzten Fläche in zwei Grundstücke unterschiedlicher Eigentümer ist zunächst eine Duldungspflicht der Klägerin hinsichtlich des auf ihrer Grundstücksfläche vorhandenen Gebäudeteiles begründet worden. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass die Regelung des § 912 BGB nach einer Grundstücksteilung auf einen zuvor vorgenommenen Eigengrenzüberbau entsprechend anwendbar ist, auch wenn der Überbau in der DDR erfolgt ist (vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2013 – V ZR 199/12 – juris Rn. 5).

b) Diese zunächst in entsprechender Anwendung des § 912 Abs. 1 BGB entstandene Duldungspflicht der Klägerin ist jedoch, wie vom Amtsgericht zutreffend angenommen, mit dem Abriss der auf dem Grundstück des Beklagten befindlichen Gebäudehälfte beendet worden. Zu Recht hat das Amtsgericht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Bezug genommen, nach der die Duldungspflicht nach § 912 Abs. 1 BGB endet, wenn das überbaute Gebäude teilweise abgerissen wird und die Gebäudereste keine selbstständige wirtschaftliche Bedeutung mehr haben (BGH, Urteil vom 17.1.2014 – V ZR 292/12 – juris Rn. 24). Abweichend von der vom Beklagten in der Berufungsinstanz aufgegriffenen Annahme des Amtsgerichts, bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Bedeutung komme es auf den Wert des Restgebäudes an, ist demgegenüber nach Auffassung der Kammer allein darauf abzustellen, ob der Abriss des Restgebäudes zu einer Wertminderung eines auf dem eigenen Grund des Beklagten errichteten Gebäudes führt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die Kammer folgt, beruht die Vorschrift des § 912 BGB auf dem Rechtsgedanken, dass die mit der Beseitigung eines Überbaus verbundene Zerschlagung wirtschaftlicher Werte vermieden werden soll, die dadurch entsteht, dass sich der Abbruch eines überbauten Gebäudeteils meist nicht auf diesen beschränken lässt, sondern zu einer Beeinträchtigung und Wertminderung auch des bestehen bleibenden, auf eigenem Grund gebauten Gebäudeteils führt. Der mit § 912 BGB verfolgte Regelungszweck lässt sich daher nicht durch eine dem Wortsinn verhaftete Auslegung der Vorschrift sachgerecht verwirklichen, sondern nur durch eine Auslegung, die diesen Zweck der Vorschrift in den Blick nimmt (BGH, Urteil vom 15.7.2016 – V ZR 195/15 – Rn. 26 ff. mit weiteren Nachweisen aus seiner Rechtsprechung). Nach diesen für die Entstehung der Duldungspflicht aufgestellten, in gleicher Weise aber auf den Fortbestand der Duldungspflicht übertragbaren Grundsätzen kommt es nicht auf den Wert an, den das Gebäude auf dem überbauten Grundstück für den Überbauenden hat, sondern darauf, ob und inwieweit sich der Wert des über die Grundstücksgrenze hinweggebauten Gebäudes auf dem Grundstück des Überbauenden verringert, wenn der auf das Nachbargrundstück hinausreichende Gebäudeteil abgerissen wird. Es ist daher nicht maßgeblich, welcher Restwert dem Gebäudeteil auf dem Grundstück der Klägerin nach Auffassung des Beklagten zukommt und wie sich dieser Wert durch weitere Investitionen vergrößern ließe, sondern einzig und allein darauf, ob der Abriss des Überbaus auf dem Grundstück der Klägerin ein Gebäude auf dem Grundstück des Beklagten im Wert mindert. Letzteres lässt sich verneinen, nachdem der Beklagte die Gebäudehälfte auf seinem eigenen Grundstück nahezu vollständig abgerissen hat und der auf seinem Grundstück verbliebenen gänzlich untergeordneten Restbebauung keinerlei selbstständige Bedeutung mehr zukommt.

3. Den Anspruch der Klägerin auf Erstattung ihrer vorgerichtlichen Anwaltskosten hat das Amtsgericht ebenfalls zutreffend zugesprochen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Wertfestsetzung ergibt sich gemäß §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO nach der geschätzten Wertminderung, die das klägerische Grundstück durch den Überbau erleidet. Anlass für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO besteht nicht. Der Rechtsfall lässt sich aufgrund der vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze entscheiden, ohne dass insoweit weitergehende Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären sind.

 

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