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Ehegattentestament: Wertausgleich bei Verfügung entgegen bindendem Berliner Testament

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein, Az.: 3 U 5/08, Teilurteil vom 31.08.2010

Auf die Berufung des Klägers wird das am 26. Oktober 2007 verkündete Schlussurteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte zu 1) wird als Gesamtschuldnerin neben der Beklagten zu 2) verurteilt, an den Kläger 172.177,03 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Mai 2007 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Der Beklagten zu 1) bleibt die Beschränkung der Haftung auf den Nachlass … vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten zu 1) wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung von 120 % des aus dem Urteil gegen sie vollstreckbaren Betrages abzuwenden, es sei denn, der Kläger leistet vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagten zu 1) und 2) als Miterbinnen nach seiner am 18. August 2009 verstorbenen Schwester einen Zahlungsanspruch in Höhe von 172.177,03 € geltend. Ursprünglich hatte der Kläger von seiner Schwester die Zahlung von insgesamt 300.000,00 € verlangt. Diese hatte den Anspruch des Klägers in Höhe von 127.822,97 € (= 250.000,00 DM) anerkannt. Das Landgericht hat ein entsprechendes Anerkenntnisurteil am 31. August 2007 erlassen.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien erster Instanz einschließlich ihrer dortigen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils unter Einbeziehung sämtlicher dortiger Bezugnahmen verwiesen.

Ehegattentestament: Wertausgleich bei Verfügung entgegen bindendem Berliner Testament
Symbolfoto: Von Iakov Filimonov/Shutterstock.com

Das Landgericht hat die Klage, soweit sie über den anerkannten Betrag hinausgeht, abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger seinen Zahlungsanspruch weder auf § 2287 BGB noch auf § 826 BGB noch auf § 2325 BGB stützen könne. Ein Anspruch aus § 2287 BGB sei nicht gegeben, da die Erblasserin den Kläger durch die Übertragung des Hausgrundstücks A… an die Beklagte, d.h. an die inzwischen verstorbene Schwester des Klägers, nicht entgegen einer bindend gewordenen wechselbezüglichen Verfügung durch Schenkung beeinträchtigt habe. Das gemeinschaftliche Testament der Erblasserin und ihres Ehemannes von 1977 habe die wechselbezüglichen Verfügungen des Testaments von 1943 im Grundsatz nicht ändern, sondern nur ergänzen sollen. Bei der Anordnung, dass die Beklagte das Grundstück A.. unter der Bedingung der Auskehrung des hälftigen Verkehrswertes an den Kläger erhalten sollte, handele es sich nicht um eine wechselbezügliche Verfügung. Es liege insofern eine Teilungsanordnung gemäß § 2048 BGB und kein Vorausvermächtnis vor. Teilungsanordnungen könnten aber gerade nicht vertragsmäßig und damit wechselbezüglich, sondern nur einseitig getroffen werden. Dass es sich um eine Teilungsanordnung handele, ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem vorgetragenen Willen der Erblasser. Mangels Bindung an die Teilungsanordnung sei die Erblasserin nach dem Tod ihres Ehemannes nicht daran gehindert gewesen, über die Immobilie A…. eine anderweitige Verfügung zu treffen.

Ein Anspruch aus § 826 BGB scheide aus, da der Kläger eine sittenwidrige Schädigung oder ein kollusives Zusammenwirken der Erblasserin mit der Beklagten nicht dargelegt habe.

Der Kläger habe auch keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch gemäß § 2325 Abs. 1 BGB. Ein solcher Anspruch ergebe sich weder aus der Übertragung des Grundstücks B… noch des Grundstücks A… an die Beklagte. Hinsichtlich der Schenkung des Grundstücks B… scheitere ein Pflichtteilsergänzungsanspruch bereits an der Zehn-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB. Der Fristbeginn sei zwar aufgrund des Nießbrauchsvorbehalts bis zur Aufgabe dieses Rechts im Jahr 1979 hinausgeschoben worden. Das danach vereinbarte Wohnrecht an der Wohnung im ersten Obergeschoss habe die Frist aber nicht weiter aufschieben können. Im Anschluss an eine Entscheidung des OLG Bremen aus dem Jahr 2005 (NJW 2005, 1726) sei davon auszugehen, dass eine Leistung im Sinne des § 2325 Abs. 3 BGB auch dann vorliege, wenn sich der Erblasser nur an einzelnen Räumen des Hauses ein ausschließliches Wohnrecht, an weiteren Räumlichkeiten des Hauses sowie an den gemeinschaftlichen Einrichtungen des Grundstücks ein Mitbenutzungsrecht einräumen lasse und an den übrigen Räumen des Hauses keinerlei Wohn- und Nutzungsrechte behalte, da sich dann die Rechtsstellung des Erblassers mit dem Vollzug der Schenkung deutlich verschlechtere.

Bezüglich des Grundstücks A… könne zwar ein Anspruch des Klägers dem Grunde nach gegeben sein, da das Eigentum der Beklagten bis zum Tod der Erblasserin noch mit einem Nießbrauch belastet gewesen sei. Ein derartiger Anspruch scheitere daher nicht an der Zehn-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB, er bestehe aber – selbst wenn man von den eigenen Angaben des Klägers ausgehe – der Höhe nach nicht. Nach dem Niederstwertprinzip sei der Berechnung der Zeitpunkt des Schenkungsvollzuges zugrunde zu legen. Von diesem Wert (660.000,00 €) seien der Wert des Nießbrauchsrechts (119.458,24 €) und die Ausgleichszahlung der Beklagten an den Kläger in Höhe von 127.822,97 € abzuziehen. Von den so verbleibenden 412.718,79 € stünde dem Kläger ein Viertel, somit ein Betrag in Höhe von 103.179,69 € zu. Davon seien jedoch noch nach § 2326 BGB und § 2327 BGB weitere Abzüge zu Lasten des Klägers vorzunehmen. Gemäß § 2326 BGB sei der Betrag abzuziehen, der die Hälfte des gesetzlichen Erbteils übersteige. Ausgehend von einem Nachlasswert von 110.474,16 € stünde dem Kläger die Hälfte, also 55.237,08 €, zu. Daher seien von dem Ergänzungsanspruch 27.618,54 € abzuziehen, da die Hälfte des gesetzlichen Erbteils um diesen Betrag überstiegen werde (110.474,16 € : 4 = 27.618,54 €). Nach § 2327 BGB seien außerdem die Schenkungen abzuziehen, die der Kläger selbst erhalten habe. Zum einen sei ihm 1971 von der Erblasserin die Immobilie C… geschenkt worden. Die Übertragung sei auch unentgeltlich erfolgt. Die 1973 vereinbarte Leibrente habe gerade nicht eine Gegenleistung für die Grundstücksübertragung darstellen sollen, sondern ein Entgelt für die Überlassung des sich dort befindlichen Feinkostgeschäftes. Der Pflicht zur Anrechnung dieser Schenkung stehe auch § 2315 BGB nicht entgegen. Daher seien von dem Pflichtteilsergänzungsanspruch weitere 19.290,45 € – so ausgehend vom Vortrag des Klägers der Wert der Immobilie nach Abzug des kapitalisierten Nießbrauchs – abzuziehen. Schließlich sei auch noch der Verzicht der Erblasserin auf die Leibrentenzahlung in der vereinbarten vollen Höhe von zuletzt 2.045,17 € als Abzugsposten nach § 2327 BGB zu berücksichtigen. Der Kläger habe ab April 2002 nur noch 500,00 € monatlich zahlen müssen. In dem Verzicht auf den Leibrentenanspruch in Höhe von 1.545,17 € monatlich liege eine Schenkung, die sich für die Jahre 2002 bis 2006 auf insgesamt 83.439,18 € summiere. Damit überstiegen die Schenkungen, die der Kläger erhalten habe, den zu berücksichtigenden Wert der Immobilie A…

Wegen der Entscheidungsgründe im Einzelnen wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Gegen dieses ihm am 20. November 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger mit dem am 18. Dezember 2007 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18. Februar 2008 mit einem an diesem Tag eingegangenen Schriftsatz begründet.

In der Berufung verfolgt der Kläger seinen nunmehr auf Zahlung von 172.177,03 € gerichteten Antrag weiter. Das Landgericht habe den Inhalt der beiden Testamente verkannt und vor allem das zweite Testament falsch ausgelegt. Im Einzelnen beanstandet er folgende Punkte: Das ergänzende Testament vom 9. Mai 1977 enthalte mit der Anordnung, dass seine Schwester das Grundstück A… unter Auskehrung des hälftigen Verkehrswerts an ihn erhalten sollte, – entgegen der Auffassung des Landgerichts und entgegen dem Wortlaut der Regelung – keine Teilungsanordnung, sondern eine bindende wechselbezügliche Verfügung. Diese Anordnung sei als Vermächtnis bzw. als Auflage zu seinen Gunsten zu qualifizieren. Es habe dem Willen seines Vaters entsprochen, dass das Grundstück nur dann auf seine Schwester übertragen werden sollte, wenn ein hälftiger Wertausgleich an ihn erfolgt. Beim Tode des Längstlebenden habe ausdrücklich der Wert des Grundstücks hälftig zwischen ihm und seiner Schwester ausgeglichen werden sollen. Sein Vater habe eine bindende Verfügung angestrebt. Daher sei die Anordnung als Auflage oder Vermächtnis anzusehen und nicht als reine Teilungsanordnung. Gegen die Annahme einer Teilungsanordnung spreche auch, dass die Aufnahme der Bestimmung über den Ausgleich des hälftigen Grundstückswerts dann irrelevant gewesen wäre. Die wechselseitige Verfügung habe nicht durch eine vorzeitige Erfüllung der Teilungsanordnung unter Nichtbeachtung der Auflage unterlaufen werden dürfen. Mit der vorzeitigen Erfüllung der Teilungsanordnung zu Lebzeiten seiner Mutter habe sich seine Begünstigung in eine aufschiebend bedingte Auflage bzw. in ein aufschiebend bedingtes Vorausvermächtnis verwandelt. Dies habe auch seine Mutter so gesehen. Daher habe sie in dem notariellen Überlassungsvertrag mit seiner Schwester vom 7. Dezember 1994 die Regelung aufgenommen, dass er bei ihrem Tode, d.h. dem Tode seiner Mutter, eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250.000,00 DM erhalten solle. Diese Ausgleichszahlung sei allerdings viel zu gering angesetzt gewesen.

Seine Mutter habe den Überlassungsvertrag mit seiner Schwester in der Absicht geschlossen, ihn als Vertragserben bzw. als Vermächtnisnehmer oder Auflagenbegünstigten zu beeinträchtigen. Das Hausgrundstück A… habe 1994 einen Wert von mindestens 650.000,00 € (Berufungsbegründung Bl. 181 d.A.) bzw. 600.000 € (Berufungsbegründung Bl. 183) und zum Zeitpunkt des Todes seiner Mutter am 16. Oktober 2006 einen Wert von mindestens 800.000,00 € gehabt. Nach dem Testament vom 9. Mai 1977 hätte ihm die Hälfte des Verkehrswerts des Grundstücks zugestanden. In dem Vertrag vom 7. Dezember 1994 sei aber lediglich eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250.000,00 DM (= 127.822,97 Euro) vorgesehen. Seine Mutter habe an der Grundstücksübertragung auf seine Schwester keinerlei lebzeitiges Eigeninteresse gehabt. Die Beeinträchtigungsabsicht zeige sich auch daran, dass seine Mutter und seine Schwester den Grundstücksübertragungsvertrag in voller Kenntnis der beiden Testamente seiner Eltern geschlossen hätten. Seine Mutter und seine Schwester hätten daher kollusiv zu seinem Nachteil zusammengearbeitet, so dass ihm auch ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB zustehe. Sein Zahlungsanspruch ergebe sich außerdem aus §§ 2287, 2288 i.V.m. § 819 BGB.

Auch stehe ihm ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gemäß § 2325 Abs. 1 BGB zu. Die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB sei entgegen der Auffassung des Landgerichts noch nicht abgelaufen, so dass auch der Wert des verschenkten Grundstücks B… zum Nachlass hinzuzurechnen sei. Da sich seine Eltern bis 1979 den Nießbrauch an dem Grundstück und danach ein lebenslanges Wohnrecht an der Wohnung im 1. Stock vorbehalten hätten, sei der Beginn der Frist des § 2325 Abs. 3 BGB weiter hinausgeschoben worden. Die vom Landgericht herangezogene Entscheidung des OLG Bremen sei nicht überzeugend und widerspreche den Entscheidungen des BGH. Sein Pflichtteilsergänzungsanspruch belaufe sich auf 232.072,70 € (zur Berechnung im Einzelnen: Seite 7 der Berufungsbegründung vom 12. Februar 2008, Bl. 183 d.A.). Selbst wenn er sich, was von ihm nachdrücklich bestritten werde, die Beträge von 19.290,45 € für die Immobilie C… und von 83.439,18 € wegen Erlasses eines Teils einer Leibrente als Schenkungen auf den Pflichtteil anrechnen lassen müsste, verbliebe noch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 129.340,07 €.

Der Kläger beantragt, die Berufungsbeklagte zu 1) als Gesamtschuldnerin neben Frau … zu verurteilen, an den Berufungskläger 172.177,03 € zzgl. 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 16.10.2006 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise der Beklagten zu 1) als Erbin die Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlass der … vorzubehalten und die Revision zuzulassen.

Die Beklagten erwidern, dass das Landgericht die Testamente zutreffend ausgelegt habe. Ein Anspruch des Klägers aus § 2287 BGB bestehe nicht. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers handele es sich bei der Regelung im Testament vom 9. Mai 1977 bezüglich der Grundstücksübertragung auf ihre Mutter um eine Teilungsanordnung. Die Erblasser hätten nicht eine Erhöhung der Erbquote ihrer Mutter gewollt. Bei der Auszahlungsanordnung handele es sich weder um eine Auflage noch um ein Vermächtnis. Auch sei damit noch nicht die Wechselbezüglichkeit festgestellt worden. Weder aus dem Wortlaut der letztwilligen Verfügungen noch aus einer Auslegung nach dem Willen der Erblasser ergebe sich, dass ihrer Mutter eine Verpflichtung auferlegt werden sollte, ohne dass der Kläger zugleich einen eigenen Anspruch erwerben sollte. Aber auch ein Vermächtnis mit der Folge, dass der Vermächtnisanspruch aus dem Nachlass zu begleichen wäre, sei nicht gewollt gewesen. Vielmehr stelle die Regelung eine geradezu klassische Teilungsanordnung dar. Dass die Ausgleichsbestimmung nochmals ausdrücklich formuliert worden sei, sei unschädlich. Soweit der Kläger den Willen der Erblasser zu einer wechselbezüglichen Wirkung der Auflage aus der Aufnahme des Ausgleichszahlungsanspruchs in den Grundstücksübertragungsvertrag vom 7. Dezember 1994 herleite, sei dieser Schluss falsch. Es sei vielmehr genau umgekehrt: Die Erblasserin habe ihre Mutter zur Zahlung verpflichtet, weil die Erblasserin genau gewusst habe, dass eine reine Teilungsanordnung vereinbart worden sei und damit eine Verfügung über das Grundstück zu Lebzeiten möglich gewesen sei. Da dem Kläger in diesem Fall kein Ausgleichsanspruch aufgrund des Testaments zugestanden hätte, habe die Erblasserin ihre Mutter zur Zahlung der 250.000,00 DM verpflichtet. Hinzu komme, dass im Testament, das zudem von einem Notar beurkundet worden sei, ausdrücklich von einer „Teilungsanordnung“ die Rede sei. Ein abweichender Wille der Erblasser sei in dem Testament in keiner Weise auch nur angedeutet. Auch vor dem Hintergrund der in § 17 BeurkG vorgesehenen Notarspflichten sei von einer Teilungsanordnung auszugehen.

Die Erblasserin habe das Grundstück auch nicht in der Absicht, den Kläger zu beeinträchtigen, vorzeitig an ihre Mutter übertragen. Die Ausgleichszahlung sei nicht zu gering gewesen, da die Erblasserin in der Gestaltung der Höhe dieser Ausgleichszahlung frei gewesen sei. Die Erblasserin habe auch frei über das Grundstück verfügen können und sei nicht an die im Testament vorgesehene Höhe der Ausgleichszahlung gebunden gewesen. Die Angaben des Klägers zur Höhe des Werts des Grundstücks A… im Jahr 1994 und am 16. Oktober 2006 seien nicht zutreffend. Der realistische Wert des Grundstücks zur Zeit des Schenkungsvollzuges habe 800.000,00 DM betragen. Ihre Mutter habe auch nicht mit der Erblasserin kollusiv zum Nachteil des Klägers zusammengearbeitet.

Der Kläger könne sein Zahlungsbegehren auch nicht auf einen Pflichtteilsergänzungsanspruch stützen. Der Wert des verschenkten Grundstücks B… sei nicht dem Nachlass hinzuzurechnen und nicht bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu berücksichtigen. Im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH und des OLG Bremen, das diese präzisiert habe, sei hinsichtlich des vereinbarten Wohnrechts darauf abzustellen, ob der Erblasser das verschenkte Grundstück im Wesentlichen weiter nutzen könne oder nicht. Dabei sei nicht allein auf die faktische Lage abzustellen, sondern auf die rechtliche. Da ihrer Mutter als Eigentümerin eine umfangreiche Rechtsstellung zugewachsen sei und der Erblasserin nur noch ein verschwindend geringes Recht an der Grundstücksnutzung verblieben sei, habe die Erblasserin das Grundstück nicht mehr im Wesentlichen nutzen können.

Die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs durch den Kläger sei ganz überwiegend falsch. Der Kläger addiere einfach alle vorhandenen und verschenkten Vermögenswerte, dividiere diese Summe durch vier und meine in der angegebenen Höhe bestünde sein Pflichtteilsergänzungsanspruch. Jedoch liege sein Ergänzungsanspruch hinsichtlich der Schenkungen bei Null. Aus dem Nachlass habe er einen Anspruch auf die Hälfte aufgrund seines gesetzlichen Erbteils. Er könne nun nicht noch aus dem Wert des Nachlasses ein zusätzliches Viertel als Ergänzungsanspruch fordern.

Das Grundstück C… habe keinen indexierten Wert von 51.023,24 €. Im Übrigen habe der Kläger diesen Posten mit Schriftsatz vom 28. August 2007 (Seite 10) in der Weise berücksichtigt, dass er genau diesen Betrag schon als Pflichtteil erhalten habe. Daher sei insoweit von einem rechnerischen Wert von 0 € auszugehen. Im Übrigen sei nach dem Niederstwertprinzip der Wert des Grundstücks im Jahr 1971, also 19.290,45 € und nicht 51.023,24 €, heranzuziehen.

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Auch das Grundstück B… sei nicht in die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs mit einzubeziehen, da die Zehn-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB bereits 1989 abgelaufen sei. Außerdem sei nach dem Niederstwertprinzip wiederum allenfalls der Wert des Grundstücks im Jahr 1971, also 223.464,78 € (und nicht 591.072,28 €), zugrunde zu legen.

Bei dem Grundstück A… sei nicht ein Wert von 687.012,99 € zu berücksichtigen, sondern der tatsächliche Wert zur Zeit des Schenkungsvollzuges (= 800.000,00 DM = 409.033,05 €).

Von diesem Betrag seien aber erhebliche Posten in Abzug zu bringen, und zwar der Wert des kapitalisierten Nießbrauchs in Höhe von 119.458,24 € (Einzelheiten zur Berechnung: Bl. 194 d.A.) und die Ausgleichszahlung ihrer Mutter zugunsten des Klägers aufgrund des Vertrages vom 7. Dezember 1994 in Höhe von 127.822,97 €. Demnach stünde dem Kläger ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gemäß § 2325 Abs. 1 BGB in Höhe von 40.438,07 € zu. Dieser Anspruch sei aber nach § 2326 BGB um 27.618,54 € (zur Berechnung: Bl. 194 d.A.) zu kürzen, da das dem Pflichtteilsberechtigten vom Erblasser Hinterlassene über die Hälfte seines gesetzlichen Anteils hinausgehe. Eine weitere Kürzung ergebe sich aus § 2327 BGB. Dabei seien die Schenkung der Immobilie C… (Wert: 19.290,45 €, zur Berechnung: Bl. 195 d.A.) sowie die Schenkungen bezüglich der Leibrente (201.687,44 €, zur Berechnung: Bl. 195 d.A.) zu berücksichtigen. Insgesamt überstiege somit der Wert der Schenkungen, die der Kläger erhalten habe, den Wert des Grundstücks A…

Schließlich sei auch nichts zum Grund des geltend gemachten Zinsanspruchs vorgetragen worden.

Im Übrigen sei die vom Senat – nach dessen in der Sitzung bekanntgegebenen vorläufigen Einschätzung – herangezogene Entscheidung des BGH vom 23. September 1981 auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da sich die Sachverhalte grundlegend unterschieden. Die Erblasser hätten in dem Testament vom 9. Mai 1977 bezüglich des Hausgrundstücks A… unter Aufhebung der bisher allgemein geltenden wechselbezüglichen Verfügung und der Bindungswirkung unter notarieller Anleitung für dieses Grundstück gemeinschaftlich und übereinstimmend eine Teilungsanordnung getroffen. Das Grundstück habe immer der Familie der Erblasserin gehört und diese habe darüber entscheiden sollen, was mit der Immobilie geschehen sollte. Die Teilungsanordnung sei auch vor dem Hintergrund eines schlechter werdenden Verhältnisses zwischen dem Kläger und den Erblassern verfügt worden. Daher hätten die Erblasser 1977 bei der Frage der Bindungswirkung eine einschneidende Veränderung vornehmen wollen. Für das Grundstück A… sei deshalb der wechselbezügliche Verfügungscharakter aus dem Testament des Jahres 1943 aufgehoben worden. Die Teilungsanordnung habe nicht Teil einer wechselbezüglichen Erbeinsetzung sein sollen. Andernfalls hätte es des erneuten Hinweises, dass der Kläger und seine Schwester wirtschaftlich gleichgestellt werden sollten, gar nicht bedurft.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen H über den Verkehrswert des Grundstücks A… zum Zeitpunkt des Todes der Erblasserin am 16. Oktober 2006, wie dies im Einzelnen dem Beschluss vom 17. Februar 2009 zu entnehmen ist. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 13. Juli 2009 verwiesen.

Nach dem Tod der ursprünglichen Beklagten am 16. August 2009 hat der Senat mit Beschluss vom 7. Oktober 2009 auf Antrag der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 1. September 2009 das Verfahren gemäß § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO ausgesetzt.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 8.2.2010 mitgeteilt, zunächst nur die Beklagte zu 1) als Berufungsbeklagte in Anspruch nehmen zu wollen und beantragt sie zur Verhandlung und Aufnahme des Verfahrens zu laden. Das ist mit der Ladungsverfügung geschehen. Erst mit dem am 30.6.2010 eingegangenen Schriftsatz vom 29.6.2010 hat der Kläger mitgeteilt, nunmehr auch die weitere, in Australien wohnhafte Miterbin Frau … als Berufungsbeklagte zu 2) in Anspruch nehmen zu wollen und beantragt, sie zur Verhandlung und Aufnahme des Verfahrens zu laden.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig und – bis auf einen geringen Teil der verlangten Zinsen – begründet. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte zu 1) als gesamtschuldnerisch haftende Miterbin nach der am 16. August 2009 verstorbenen ursprünglichen Beklagten … auf Zahlung von 172.177,03 €.

1. Das Urteil ergeht als Teilurteil allein gegen die gemeinsam mit ihrer Schwester als Miterbin gesamtschuldnerisch haftende Beklagte zu 1). Eine Entscheidung durch Teilurteil ist möglich und auch geboten. Werden Gesamtschuldner verklagt, zwischen denen nur eine einfache Streitgenossenschaft besteht, ist ein Teilurteil im Grundsatz zulässig (BGH, Urt. v. 10.03.1988 – IX ZR 194/87, NJW 1988, 2113, Klage wegen einer Gesellschaftsschuld; OLG Hamm, Urt. v. 20.08.1995 – 25 U 90/95, NJW-RR 1996, 1083, Klage gegen die Mitglieder einer BGB-Gesellschaft; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 301, Rn. 4; MüKo/Musielak, ZPO, 3. Aufl. 2008, § 301, Rn. 4). Die beiden Beklagten werden als Miterbinnen nach … für einen ursprünglich gegen ihre Mutter gerichteten Anspruch gemäß §§ 1967, 2058 BGB als Gesamtschuldnerinnen in Anspruch genommen. Es besteht insoweit eine einfache Streitgenossenschaft. Eine Fallgestaltung, in der bei einfachen Streitgenossen ausnahmsweise eine Abhängigkeit gegeben ist, die eine getrennte Entscheidung verbietet (dazu MüKo/Musielak, a.a.O.), liegt hier nicht vor. Angesichts des Zeitablaufs und der durch die Ladung der in Australien lebenden Beklagten zu 2) zu erwartenden weiteren Verzögerung – ihre dortige Adresse ist bislang nicht geklärt – ist die Entscheidung durch Teilurteil auch geboten.

2. Dem Kläger steht gegen die Beklagte zu 1) ein Zahlungsanspruch in Höhe von 172.177,03 € aus § 2287 Abs. 1 BGB analog i.V.m. §§ 1967Abs. 1, 2058 BGB zu. Das Landgericht hat zu Unrecht einen Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB analog verneint.

Die Erblasserin hat ihrer Tochter eine Schenkung mit der Absicht gemacht, den Kläger zu beeinträchtigen, indem sie ihr mit Grundstücksübertragungsvertrag vom 7. Dezember 1994 das Hausgrundstück A… in … übereignete und dieser Vertrag eine Ausgleichszahlung an den Kläger vorsah, die deutlich niedriger war als der hälftige Wert des Grundstücks.

a) § 2287 Abs. 1 BGB ist auf bindend gewordene wechselbezügliche Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments entsprechend anzuwenden (BGH, Urt. v. 23.09.1981 – IV a ZR 185/80, BGHZ 82, 274, 276 f.; BGH, Urt. v. 26.11.1975 – IV ZR 138/74, BGHZ 66, 8, 15; Staudinger/Kanzleiter, BGB, 2006, § 2287, Rn. 2). Der Kläger und die ursprüngliche Beklagte, seine am 16. August 2009 verstorbene Schwester, waren in dem gemeinschaftlichen Testament der Erblasserin und ihres Ehemannes vom 16. August 1943 durch bindende wechselbezügliche Verfügungen als Schlusserben jeweils zur Hälfte eingesetzt worden.

Das notarielle gemeinschaftliche Testament der Erblasserin und ihres Ehemannes vom 16. August 1943 enthält wechselbezügliche Verfügungen, nämlich die jeweilige Einsetzung ihrer beiden Kinder als Schlusserben zur Hälfte im Verhältnis zu der jeweiligen Einsetzung des Ehepartners als Alleinerben nach dem Erstversterbenden. Wechselbezüglich sind Verfügungen, die ein Ehegatte nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen hätte (§ 2270 Abs. 1 BGB). Dabei kommt es darauf an, dass die Verfügung des einen Ehegatten gerade deshalb getroffen wurde, weil auch der andere Ehegatte eine bestimmte andere Verfügung getroffen hat, also nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen sollte (Staudinger/Kanzleiter, a.aO., § 2270, Rn. 4 mit Hinweis auf Prot. V, 450). Regelmäßig stehen bei einem gemeinschaftlichen Testament die jeweilige Erbeinsetzung der Kinder der Erblasser als Schlusserben und die jeweilige Einsetzung des Ehepartners zum Alleinerben nach dem Erstversterbenden im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit (BGH, Beschl. v. 16.01.2002 – IV ZB 20/01, NJW 2002, 1126, 1127). So verhält es sich auch hier. Die Einsetzung des Klägers und seiner Schwester zu gleichen Teilen als Schlusserben war daher für die Erblasserin seit dem Tode ihres Ehemannes gemäß § 2271 Abs. 2 BGB bindend.

b) Das ergänzende notarielle gemeinschaftliche Testament der Erblasser vom 9. Mai 1977 hat an dieser Wechselbezüglichkeit der Verfügungen und der Bindung der Erblasserin an sie nichts geändert. Dieses Testament stellte ausdrücklich lediglich eine Ergänzung des Testaments vom 16. August 1943 dar und ließ die Einsetzung der beiden Kinder als Schlusserben jeweils zur Hälfte unberührt. Es enthält allein eine Teilungsanordnung hinsichtlich des Hausgrundstücks A… Dieses Grundstück sollte nach dem Tode des Längstlebenden mit allen zu diesem Zeitpunkt darauf ruhenden Belastungen die Tochter der Erblasser als alleinige Eigentümerin übernehmen. Dafür sollte sie dem Kläger den halben Verkehrswert, den das Grundstück beim Tode des Längstlebenden hatte (vermindert um etwa vorhandene Belastungen) auszahlen. Wie bereits in dem Testament vom 16. August 1943 brachten die Erblasser erneut deutlich ihren Willen zum Ausdruck, dass ihre beiden Kinder wertmäßig gleichbehandelt werden sollten.

Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasser – wie von der Beklagtenseite vorgetragen – die Bindung an die wechselbezüglichen Verfügungen in dem ersten gemeinschaftlichen Testament aufheben wollten, sind nicht ersichtlich. Grundsätzlich können Ehegatten gemäß § 2271 Abs. 1 BGB zu ihren Lebzeiten wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament nach der für den Rücktritt von einem Erbvertrag geltenden Vorschrift des § 2296 gemeinsam widerrufen. Das Verhältnis des Klägers zu seinen Eltern mag sich in der Zeit, zu der das Testament von 1977 errichtet wurde, verschlechtert haben. Die Erblasser haben die wechselseitigen Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments vom 16. August 1943 aber nicht widerrufen, sondern sie haben dieses Testament lediglich um eine Teilungsanordnung zugunsten ihrer Tochter hinsichtlich des Hausgrundstücks A… ergänzt. Ausdrücklich heißt es in dem Testament vom 9. Mai 1977, dass das erste Testament aus dem Jahr 1943 ergänzt, d.h. dass sein Inhalt gerade nicht grundsätzlich geändert werden sollte. Wenn die Erblasser eine einschneidende Veränderung des Inhalts des Testaments vom 16. August 1943 hätten vornehmen wollen, hätten sie nicht den hälftigen Wertausgleich zugunsten des Klägers verfügt. Es ging ihnen allein darum, dass nach ihrem Tod über das Grundstück A… kein Streit, schon gar nicht ein Rechtsstreit, zwischen ihren beiden Kindern entstehen und dass dieses Grundstück von ihrer Tochter übernommen werden sollte. Dass sie diese Teilungsanordnung mit der Regelung des hälftigen Wertausgleichs zugunsten des Klägers kombiniert haben, zeigt, wie wichtig ihnen weiterhin die wertmäßige Gleichbehandlung ihrer Kinder war. Nicht zuletzt die Streitigkeiten zwischen den Geschwistern nach dem Tod der Erblasserin verdeutlichen, dass es durchaus Sinn machte, diesen Willen der Erblasser, der bereits dem Testament vom 16. August 1943 zugrunde lag, nochmals zu wiederholen.

Der Senat verkennt nicht, dass das Ergänzungstestament vom 9. Mai 1977 eine Teilungsanordnung nach § 2048 BGB hinsichtlich des Grundstücks A… enthält und dass eine Teilungsanordnung gemäß § 2270 Abs. 3 BGB nicht Gegenstand einer wechselseitigen Verfügung sein kann. Darauf kommt es aber hier ebenso wenig an wie auf die Frage, ob die Anordnung des hälftigen Wertausgleichs im Ergänzungstestament vom 9. Mai 1977 einen wechselbezüglichen Verfügungscharakter hat, so dass das von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten in Auftrag gegebene Rechtsgutachten vom 5. August 2010 eine andere als die hier maßgebliche Rechtsfrage betrifft. Entscheidend ist allein das Vorhandensein der wechselbezüglichen Verfügungen in dem gemeinschaftlichen Testament vom 16. August 1943, die später, auch durch das Ergänzungstestament vom 9. Mai 1977, nicht mehr widerrufen worden sind.

c) Das Vorhandensein bindend gewordener wechselbezüglicher Verfügungen führt dazu, dass § 2287 BGB analog anwendbar ist und dass der Kläger demnach grundsätzlich den Schutz dieser Norm genießt. Dies hinderte die Erblasserin allerdings nicht, trotz der Bindung an die wechselbezüglichen Verfügungen aus dem gemeinschaftlichen Testament vom 16. August 1943 über ihr Vermögen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden gemäß § 2286 BGB frei zu verfügen. Soweit aber das auf die Tochter unentgeltlich übertragene Grundstück einen Wert hatte, der den Wert des Erbteils überstieg, musste sie einen entsprechenden Ausgleich zugunsten des Klägers bestimmen. Der Senat folgt insoweit der vom BGH in seinem Urteil vom 23. September 1981 vertretenen Auffassung. In dem ersten Leitsatz zu dieser Entscheidung heißt es, dass derjenige, der durch bindend gewordenes gemeinschaftliches Testament seine beiden Söhne zu Erben eingesetzt habe, nicht gehindert sei, einem Sohn durch Teilungsanordnung mehr Grundstücke zukommen zu lassen, als dem Wert des Erbteils entspreche; Voraussetzung dafür sei aber, dass er diesem auferlege, dem anderen Sohn einen entsprechenden Ausgleich aus dem eigenen Vermögen zukommen zu lassen (BGH Urt. v. 23.09.1981 – IV a ZR 185/80, BGHZ 82, 274). Der Erblasser kann und darf demnach gemäß § 2286 BGB über sein Vermögen trotz der eingegangenen erbrechtlichen Bindungen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden grundsätzlich frei verfügen. Nur darf er dieses ihm verbliebene Verfügungsrecht nicht missbrauchen, indem er die berechtigte Erberwartung des Schlusserben durch nicht anzuerkennende Schenkungen schmälert; hingegen greift § 2287 Abs. 1 BGB nicht ein, wenn und soweit die lebzeitige Verfügung des Erblassers außerhalb des Schutzbereichs der von ihm eingegangenen Bindungen liegt und somit die berechtigte Erberwartung des Vertragserben nicht geschmälert wird (BGH, Urt. v. 23.09.1981 – IV a ZR 185/80, BGHZ 82, 274, 278).

Die Erblasserin war berechtigt, die Teilungsanordnung, die nach dem Wortlaut des Ergänzungstestaments vom 9. Mai 1977 den Zeitpunkt ihres Todes betraf, auch schon zu Lebzeiten umzusetzen und das Hausgrundstück A… auf ihre Tochter zu übertragen. Sie durfte dabei aber nicht die berechtigte Erberwartung des Klägers als Schlusserben schmälern. Nach dem Willen der Erblasser, wie er in den bindend gewordenen wechselseitigen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament vom 16. August 1943 und in der mit einer Ausgleichsregelung kombinierten Teilungsanordnung in dem Ergänzungstestament vom 9. Mai 1977 zum Ausdruck kam, sollten der Kläger und seine Schwester wirtschaftlich gleichbehandelt werden. Sie sollten je zur Hälfte Schlusserben sein und der Kläger sollte wertmäßig auch am Grundstück A… zur Hälfte teilhaben. An diese grundsätzliche Wertverteilung war die Erblasserin gebunden.

Die Schenkung des Grundstücks A… durch die Erblasserin an ihre Tochter im Jahre 1994 hat jedoch entgegen diesem in beiden Testamenten zum Ausdruck gekommenen Willen der Erblasser zu einer erheblichen Wertverschiebung zwischen den beiden Schlusserben zugunsten der Tochter geführt. Insofern hat die Erblasserin zu Lasten des Klägers eine beeinträchtigende Verfügung im Sinne des § 2287 Abs. 1 BGB analog vorgenommen. Sie konnte das Grundstück A… schon zu Lebzeiten auf ihre Tochter zu übertragen, nur hätte sie für einen Ausgleich sorgen müssen, der der in dem bindend gewordenen gemeinschaftlichen Testament vom 16. August 1943 vorgesehenen Wertverteilung entsprach. Eine davon abweichende Wertverschiebung durfte sie nicht vornehmen. Die Ausgleichsregelung im Grundstücksüberlassungsvertrag von 1994 folgte aber nicht der Erbeinsetzung des Klägers und seiner Schwester je zur Hälfte, sondern begünstigte deutlich die Schwester. In dem zwischen der Erblasserin und ihrer Tochter am 7. Dezember 1994 geschlossenen notariellen Grundstücksübertragungsvertrag über das Hausgrundstück A… wurde der Verkehrswert des Grundstücks in § 7 mit 800.000,00 DM angegeben, während in § 8 eine Ausgleichszahlung an den Kläger lediglich in Höhe von 250.000,00 DM vorgesehen war. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der im Vertrag angegebene Verkehrswert ungefähr dem tatsächlichen Verkehrswert entsprach, liegt die vorgesehene Ausgleichszahlung erheblich unter dem hälftigen Wert.

d) Die Erblasserin handelte auch mit Beeinträchtigungsabsicht. Nach der Rechtsprechung des BGH sind an dieses Merkmal nur geringe Anforderungen zu stellen. Es genügt, dass der Erblasser weiß, dass er durch die unentgeltliche Weitergabe das Erbe schmälert (BGH Urt. v. 23.09.1981 – IV a ZR 185/80, BGHZ 82, 274, 282). Im Vordergrund steht eine Missbrauchsprüfung, bei der aus den objektiven Kriterien Rückschlüsse auf die subjektive Einstellung des Erblassers gezogen werden (BGH, Urt. v. 27.11.1991 – IV ZR 164/90, BGHZ 116, 167, 176; BGH, Urt. v. 23.09.1981 – IV a ZR 185/80, BGHZ 82, 274, 282). Maßgeblich ist, ob die Schenkung ihrem Gehalt nach auf eine Korrektur der bindenden wechselbezüglichen Verfügungen angelegt war oder ob der Erblasser an der Schenkung ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse hatte (BGH, Urt. v. 27.11.1991 – IV ZR 164/90, BGHZ 116, 167, 176; MüKo/Musielak, a.a.O., § 2287, Rn. 12 f.). Ein solches ist anzunehmen, wenn nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Verfügung in Anbetracht der gegebenen Umstände und unter Berücksichtigung der Bindung an die wechselbezüglichen Verfügungen als billigenswert und gerechtfertigt erscheint. Dafür ist entscheidend, ob die Gründe des Erblassers für die Schenkung ihrer Art nach so sind, dass der Schlusserbe sie anerkennen und deshalb die sich aus der Verfügung für ihn ergebende Benachteiligung hinnehmen muss (BGH, Urt. v. 27.01.1982 – IV a ZR 240/80, BGHZ 83, 44, 45). Ein lebzeitiges Eigeninteresse ist insbesondere dann zu bejahen, wenn der Beschenkte für den Erblasser oder ihm nahestehende Personen besondere Leistungen, etwa im Bereich der Altersversorgung, erbracht hat (Palandt/Edenhofer, BGB, 69. Aufl. 2010, § 2287, Rn. 7 m.w.N.). Hingegen fehlt es an einem lebzeitigen Eigeninteresse, wenn der Erblasser ohne Änderung der bei Errichtung der letztwilligen Verfügung gegebenen Umstände aufgrund eines Sinneswandels einer anderen Person wesentliche Vermögenswerte zuwendet, nur weil diese ihm jetzt genehmer ist (BGH, Urt. v. 12.06.1980 – IV a ZR 5/80, NJW 1980, 2307, 2308; Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 2287, Rn. 7). Ein lebzeitiges Eigeninteresse der Erblasserin bestand demnach nicht. Auch konnte ihr nicht verborgen geblieben sein, dass die Ausgleichsbestimmung unzureichend war.

e) Der Anspruch des Klägers aus § 2287 Abs. 1 BGB analog geht auf Wertersatz. Der BGH hat in seiner bereits herangezogenen Entscheidung vom 23. September 1981 entschieden, dass in dem Fall, in dem ein Erblasser einen seiner bindend zu Erben eingesetzten beiden Kinder bei Lebzeiten mehr Grundstücke überträgt, als dem Wert des Erbteils entspricht, ein Anspruch des anderen Kindes aus § 2287 Abs. 1 BGB in der Regel nicht auf Herausgabe von Grundstücken oder eines Anteils daran geht, sondern nur auf Wertersatz (BGH Urt. v. 23.09.1981 – IV a ZR 185/80, BGHZ 82, 274, 279; zustimmend: Staudinger/Kanzleiter, a.a.O., § 2287, Rn. 23; AnwK-BGB/Seiler, 2. Aufl. 2007, § 2287, Rn. 70). Abweichend von der Entscheidung des BGH hält es der Senat im vorliegenden Fall für angemessener, nicht auf den Zeitpunkt der Zuwendung, sondern auf den Zeitpunkt des Erbfalles abzustellen. Dafür spricht, dass die Ausgleichsregelung im gemeinschaftlichen Testament vom 9. Mai 1977 auf den Zeitpunkt des Todes des Letztversterbenden Bezug nimmt. Die Bindung der Erblasserin durch die wechselbezüglichen Verfügungen im Testament vom 16. August 1943 bestand darin, dass sie für einen Ausgleich in Höhe des hälftigen Verkehrswerts im Zeitpunkt ihres Todes hätte sorgen müssen. Aufgrund des Beweisbeschlusses des Senats vom 17. Februar 2009 hat der Sachverständige H überzeugend und von keiner der Parteien angegriffen den Verkehrswert des Grundstücks im Zeitpunkt des Erbfalls, also am 16. Oktober 2006, mit 740.000,00 € ermittelt. Damit liegt der hälftige Verkehrswert, der dem Kläger zusteht, noch deutlich über den vom Kläger ursprünglich geforderten 300.000,00 €, von denen er bereits 127.822,97 € erhalten hat, so dass er auch noch die eingeklagten 172.177,03 € verlangen kann.

3. Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB besteht nicht. Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Klägers ist nicht ersichtlich. Die Beweislast für die schädigende Handlung, den Schaden einschließlich des Zurechnungszusammenhanges, die die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände und den Vorsatz trägt grundsätzlich der Geschädigte (Palandt/Sprau, a.a.O., § 826, Rn. 19), hier also der Kläger. Der Kläger hat aber weder Umstände vorgetragen, die das Verdikt der Sittenwidrigkeit rechtfertigten, noch ein vorsätzliches Handeln der Erblasserin dargelegt. Dabei muss sich der Vorsatz auch auf den Schaden beziehen. Dass die Erblasserin den Kläger vorsätzlich schädigen wollte, ist nicht ersichtlich. Immerhin hat sie, wenn auch nicht ausreichender Höhe, in dem Vertrag überhaupt eine Ausgleichszahlung an ihn vorgesehen. § 826 BGB greift regelmäßig nur in besonders krass gelagerten Ausnahmefällen ein; ein solcher ist hier nicht gegeben.

Soweit der Kläger seinen Anspruch aus § 826 BGB auf ein kollusives Zusammenwirken der Erblasserin und der ursprünglichen Beklagten beim Abschluss des Vertrages vom 7. Dezember 1994 stützen möchte, reicht sein Vortrag nicht aus, um diesen Vorwurf substantiiert zu belegen. Der Umstand, dass die Erblasserin (und auch die ursprüngliche Beklagte) die beiden Testamente aus den Jahren 1943 und 1977 kannten und einen Vertrag abschlossen, der von der Regelung in dem zweiten Testament abwich, stellt noch kein kollusives Verhalten dar.

4. Ob der Kläger sein Zahlungsbegehren auch auf einen Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § 2325 Abs. 1 BGB, den er hilfsweise geltend macht, stützen kann, braucht letztlich nicht entschieden zu werden. Auf der Grundlage seiner eigenen letzten Darstellung in der Berufungsbegründung (Seite 7 des Schriftsatzes vom 12.2.2008), wonach der Wert des Grundstücks A… im Jahr 1994 600.000 € und indexiert auf den Todesfall 687.012,99 € betrug, besteht ein solcher Anspruch nicht. Denn dann ist nach dem Niederstwertprinzip (§ 2325 Abs. 2 S. 2) dieser geringere Wert maßgeblich. Der Pflichtteilsergänzung unterliegt allerdings nur der Restwert der Schenkung nach Abzug des kapitalisierten Wertes des der Erblasserin vorbehaltenen Nießbrauchs (zu den maßgeblichen Grundsätzen unter Berücksichtigung der Rechtssprechung des BGH vgl. Blum/Melwitz, ZEV 2010, 77 f m.w.N. und Senat ZEV 2009, 81 ff). Die Schenkung des Grundstücks B… ist wegen § 2325 Abs. 3 BGB nicht berücksichtigungsfähig, da die Erblasser nach Aufhebung des Nießbrauchsrechts durch Vereinbarung vom 11. April 1979 bereits den erforderlichen spürbaren Vermögensverlust erlitten hatten. Zu dem fiktiven Nachlass ist gemäß § 2327 Abs. 1 Satz 1 BGB auch der mit Schreiben der Erblasserin vom 20. März 2002 gegenüber dem Kläger erklärte schenkweise Verzicht auf den größeren Teil der Leibrentenverpflichtung des Klägers hinzuzuziehen. Berücksichtigt man von dem sich so errechnenden fiktiven Pflichtteil jedoch die aufgrund Anerkenntnisses der früheren Beklagten bereits dem Kläger zugegangene Zahlung, das Geschenk der Erblasserin an den Kläger in Form des Verzichtes auf die Leibrente und den gemäß § 2326 Satz 2 BGB überschießenden Erbteil, errechnet sich kein Pflichtteilsergänzungsanspruch mehr.

5. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz kann der Kläger auf die Klagforderung erst ab Rechtshängigkeit gemäß §§ 288, 291 BGB verlangen. Trotz Rüge der Beklagten hat der Kläger nicht begründet, warum er Zinsen bereits ab dem Todestag der Erblasserin – dem 16. Oktober 2006 – verlangt.

6. Der Hilfsantrag der Beklagten zu 1) hat Erfolg. Ihr bleibt die Haftungsbeschränkung auf den Nachlass … vorbehalten. Dies ergibt sich aus § 2059 Abs. 1 Satz 1 BGB. Danach kann jeder Miterbe die Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten aus dem Vermögen, das er außer seinem Anteil am Nachlass hat, bis zur Teilung des Nachlasses verweigern. Die Geltendmachung des Rechts aus § 2059 Abs. 1 Satz 1 BGB hindert nicht die Verurteilung als Gesamtschuldnerin (RG, Urt. v. 10.07.1909 – Rep. V 43/08, RGZ 71, 371; MüKo/Ann, BGB, 5. Aufl. 2010, § 2059, Rn. 14). Der Beklagten zu 1) wird das Recht auf Haftungsbeschränkung gemäß § 780 ZPO lediglich vorbehalten. Die Einwendungen gegen die Zwangsvollstreckung in das Eigenvermögen müssen ggf. mit der Klage nach den §§ 781, 785,767 ZPO geltend gemacht werden und auch erst dort ist zu beweisen, dass der Nachlass noch ungeteilt ist (Staudinger/Marotzke, BGB, 2002, § 2059, Rn. 24 f.; MüKo/Ann, a.a.O.).

7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

8. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache, insbesondere im Hinblick auf die Anwendung des § 2287 Abs. 1 BGB, grundsätzliche Bedeutung hat.

 

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