Finanzgericht Düsseldorf
Az.: 13 K 2184/12 E
Urteil vom 03.12.2013
Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom 31.10.2012 wird dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer 2008 auf 88.373 € festgesetzt wird.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe eine Einkommensteuernachzahlung bei einer Nettolohnvereinbarung als Arbeitslohn zu berücksichtigen ist.
Die Kläger sind japanische Staatsangehörige. Der Kläger war aufgrund einer Entsendungsvereinbarung seit dem Jahr 2004 als Angestellter für die „N-GmbH“ in „E-Stadt“ tätig. Auf der Grundlage einer Nettolohnvereinbarung zahlte die Arbeitgeberin dem Kläger den vereinbarten Nettolohn aus und übernahm die auf den Nettolohn anfallenden Steuern. Kam es im Rahmen von Einkommensteuerveranlagungen der Kläger zur Erstattung von Einkommensteuer, wurden diese Erstattungsbeträge von dem Beklagten an die Arbeitgeberin abgeführt. Kam es im Rahmen von Einkommensteuerveranlagungen der Kläger zur Nachzahlung von Einkommensteuer, zahlte die Arbeitgeberin diese Nachzahlungsbeträge an den Beklagten.
Mit Einkommensteuerbescheid 2004 vom 29.3.2006 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2004 auf 32.390 € fest und erstattete überzahlte Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag von insgesamt 15.271,22 € an die Arbeitgeberin des Klägers. Den zurückgezahlten Betrag berücksichtige der Beklagte im Rahmen des Einkommensteuerbescheids 2006 vom 11.06.2008 als negative Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 15.271,22 €.
Nachdem die Kläger mitgeteilt hatten, dass sie im Jahr 2004 in Japan weitere Einkünfte erzielt hätten, die dem Progressionsvorbehalt unterlägen, erließ der Beklagte am 26.2.2008 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2004, der zu einer Nachzahlungsforderung von Abgaben von 1.219,58 € führte. Diese beglich die Arbeitgeberin im Jahr 2008 (Streitjahr).
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2008 erklärten die Kläger den Bruttoarbeitslohn des Klägers lt. Lohnsteuerkarte von 280.057 € (einschließlich einbehaltener Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag von 104.454,96 €) und steuerpflichtigen Arbeitslohn, von dem kein Steuerabzug vorgenommen wurde, von -21.705 € als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit. Der letztgenannte Betrag setzte sich wie folgt zusammen:
Erstattung gem. Einkommensteuerbescheid 2007 v. 26.11.2008
-5.615,39 €
Erstattung gem. Einkommensteuerbescheid 2006 v. 11.6.2008
-12.129,93 €
Erstattung gem. Einkommensteuerbescheid 2005 v. 26.2.2008
-5.179,57 €
Nachzahlung gem. Einkommensteuerbescheid 2004 v. 26.2.2008
1.219,58 €
Gesamt
-21.705,31 €
Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2008 mit Einkommensteuerbescheid vom 4.1.2011 auf 88.778 € fest. Dabei berücksichtigte er einen Arbeitslohn von 259.321 € – statt wie beantragt von 258.352 € –, weil er den Nachzahlungsbetrag zur Einkommensteuer 2004 auf einen Bruttobetrag von 2.189 € hochrechnete.
Den hiergegen fristgerecht eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 8.5.2012 als unbegründet zurück.
Die Kläger haben am 11.6.2012 Klage erhoben.
Der Beklagte hat am 31.10.2012 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2008 erlassen, mit dem er die Einkommensteuer weiterhin auf 88.778 € festgesetzt, aber weitere Steuerabzugsbeträge von 970,60 € (920,00 € Lohnsteuer und 50,60 € Solidaritätszuschlag) angerechnet hat.
Die Kläger machen geltend, die Einkommensteuernachzahlung für 2004 habe nicht zu einer Erhöhung des Nettolohns, sondern des Bruttolohns des Klägers geführt. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 30.7.2009 (VI R 29/06, Sammlung der Entscheidungen des –BFHE– 226, 219, Bundessteuerblatt –BStBl– II 2010, 148) entschieden, dass bei Nettolohnvereinbarungen an den Arbeitgeber abgeführte Einkommensteuererstattungen den Bruttolohn des Arbeitnehmers minderten. Die vom BFH aufgestellten Grundsätze würden gleichermaßen für Steuererstattungen wie für Steuernachzahlungen gelten. Dem Kläger sei nur der geschuldete Nettojahreslohn zugeflossen. Steuererstattungen und Steuernachzahlungen gehörten nicht dazu. Wegen des weiteren Vorbringens der Kläger wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Kläger vom 11.6.2012 und 14.9.2012.
Die Kläger beantragen, den Einkommensteuerbescheid 2008 vom 31.10.2012 dahingehend zu ändern, dass Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers von 258.352 € angesetzt werden, hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Er führt aus, die vom BFH für die Zahlung von Steuererstattungen an den Arbeitgeber aufgestellten Grundsätze könnten nicht auf die Steuernachzahlung durch den Arbeitgeber übertragen werden. Im Streitfall sei keine Saldierung von Steuererstattungen und Steuernachzahlung möglich, da es sich rechtlich um verschiedene Sachverhalte handele. Die Steuererstattungen stellten negative Einnahmen dar, wohingegen die nachgezahlte Einkommensteuer ein Sachbezug sei. Wie alle anderen Sachbezüge müsse auch die nachgezahlte Einkommensteuer mit dem Barlohn auf einen Bruttolohn hochgerechnet werden.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom 31.10.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
1. Der Beklagte hat zu Unrecht die Nachzahlung zur Einkommensteuer 2004 von 1.219,58 € auf einen Bruttobetrag von 2.189 € hochgerechnet und diesen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erfasst. Durch die Nachzahlung ist dem Kläger nur ein Bruttoarbeitslohn von 1.219,58 € zugeflossen.
a) Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit unter anderem Gehälter, Löhne und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Arbeitslohn sind gem. § 2 Abs. 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis zufließen. Einnahmen können dem Steuerpflichtigen auch dadurch zufließen, dass er Aufwendungen spart, die ein anderer – der Arbeitgeber – für ihn trägt, sofern er hierdurch objektiv bereichert ist (Gröpl in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 8 Rz. B 44). Zu dem Arbeitslohn gehören auch die Vorteile, die dem Arbeitnehmer deshalb zufließen, weil der Arbeitgeber ihn von der geschuldeten Lohnsteuer freistellt (sog. Nettolohnvereinbarung; BFH-Urteil vom 22.6.1990 VI R 162/86, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV– 1991, 156; BFH-Urteil vom 16.8.1979 VI R 13/77, BFHE 128, 467, BStBl II 1979, 771). Denn der Arbeitnehmer ist Schuldner dieser Steuer (BFH-Beschluss vom 12.12.1975 VI B 124/75, BFHE 117, 553, BStBl II 1976, 543). In der Einkommensteuerveranlagung eines Arbeitnehmers sind deshalb die um die vom Arbeitgeber übernommene Lohnsteuer erhöhten Nettobezüge als Arbeitslohn zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 26.2.1982 VI R 123/78, BFHE 135, 211, BStBl II 1982, 403; BFH-Urteil vom 16.8.1979 VI R 13/77, BFHE 128, 467, BStBl II 1979, 771).
b) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 30.7.2009 VI R 29/06, BFHE 226, 219, BStBl II 2010, 148; BFH-Urteil vom 30.7.2009 VI R 30/06, BFH/NV 2010, 191) ist ein Einkommensteuererstattungsanspruch, den der Arbeitnehmer im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung an seinen Arbeitgeber abgetreten hat, im Rahmen des Lohnsteuereinbehalts nur durch einen Abzug vom laufenden (Brutto)Arbeitslohn und nicht durch eine Verminderung des laufenden Nettolohns zu berücksichtigen. Insoweit hat der BFH ausgeführt, es handele sich bei den Steuererstattungen um Rückzahlung von überzahltem Arbeitslohn. Ob es sich um negative Einnahmen oder Werbungskosten handele, könne dahinstehen (BFH-Urteil vom 30.7.2009 VI R 29/06, BFHE 226, 219, BStBl II 2010, 148, unter II.1.c aa). Diese negativen Einnahmen oder Werbungkosten bemäßen sich nach der Höhe des Rückzahlungsbetrags, d. h. nach dem tatsächlich von der Finanzverwaltung an den Arbeitgeber ausgekehrten Erstattungsbetrag. Nur insoweit seien Einnahmen des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber zurückgeflossen und der Arbeitnehmer überhaupt belastet (BFH-Urteil vom 30.7.2009 VI R 29/06, BFHE 226, 219, BStBl II 2010, 148, unter II.1.c cc). Durch die Steuererstattungen werde nicht der laufende Arbeitslohn korrigiert, sondern vielmehr eine in der Nettolohnabrede strukturell angelegte und deshalb arbeitsvertraglich zunächst geschuldete Gehalts- bzw. Steuerüberzahlung in einem späteren Veranlagungszeitraum ausgeglichen. Insoweit fließe dem Steuerpflichtigen jedes Jahr ein Mehr an Einnahmen, als arbeitsvertraglich geschuldet, zu. Nicht zuletzt aus diesem Grund habe sich der Arbeitgeber von seinen Arbeitnehmern deren Einkommensteuererstattungsansprüche abtreten lassen (BFH-Urteil vom 30.7.2009 VI R 29/06, BFHE 226, 219, BStBl II 2010, 148, unter II.1.c dd).
c) Nach Ansicht des Senats erhöht die Nachzahlung zur Einkommensteuer 2004 den Bruttoarbeitslohn des Klägers im Streitjahr nur um den von der Arbeitgeberin gezahlten Betrag von 1.219,58 €. Diese Zahlung der Arbeitgeberin stellt bei einer Nettolohnvereinbarung keinen Sachbezug dar, für den noch Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag zu erheben wären, die nach der Berechnung des Beklagten 970,60 € ausmachen. Die vom BFH entwickelten Grundsätze zu Steuererstattungen bei einer Nettolohnvereinbarung sind – entgegen der Ansicht des Beklagten – auf den vorliegenden Streitfall übertragbar.
aa) Bei der Nachzahlung durch die Arbeitgeberin handelt es sich nicht um einen Sachbezug, für den noch zusätzlich Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag zu erheben ist. Zwar wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich in Höhe des Lohnsteuerbetrags der Zufluss von zusätzlichem Arbeitslohn, der ebenfalls dem Lohnsteuerabzug unterliegt, angenommen, wenn der Arbeitgeber zu wenig Lohnsteuer einbehalten und abgeführt hat und sich nach Aufdeckung dieses Umstands zur Übernahme der zusätzlichen Steuern entschließt (BFH-Urteil vom 10.2.1961 VI 89/60 U, BFHE 72, 376, BStBl III 1961, 139; BFH-Urteil vom 27.9.1957 VI 24/56 U, BFHE 65, 480, BStBl III 1957, 418). Die dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung zugrundeliegenden Fälle sind jedoch nicht mit dem vorliegenden Streitfall vergleichbar. In den dortigen Fällen bestand keine Nettolohnvereinbarung und der Arbeitgeber verzichtete erst nachträglich auf Rückgriffsansprüche gegen den Arbeitnehmer. Bei Bestehen einer Nettolohnvereinbarung, die sich – wie im Streitfall – ausschließlich auf die Übernahme der Lohnsteuer auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht, ist es jedoch nicht zulässig, auf die vom Arbeitgeber getragene Lohnsteuer, die bereits Teil des Bruttoarbeitslohns ist, nochmals eine Steuer zu berechnen. Denn die an die Finanzverwaltung abgeführte Lohnsteuer stellt keinen Sachbezug dar, für den noch zusätzlich Lohnsteuer zu erheben ist, sondern sie ist bereits Teil des der Besteuerung unterliegenden Bruttoarbeitslohns. Ob etwas anderes gelten würde, wenn sich die Nettolohnvereinbarung auf die Übernahme der Steuer auf andere Einkünfte erstrecken würde, musste hier nicht entschieden werden. Dementsprechend hat der Beklagte – insoweit zutreffend – auch nicht auf die im Streitjahr einbehaltenen Lohnsteuer und den Solidaritätszuschlag von 104.454,96 € nochmals eine Steuer berechnet. Ebenso wenig kommt jedoch bei der Nachzahlung zur Einkommensteuer 2004 eine nochmalige Steuerberechnung in Betracht.
bb) Im Streitfall ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass es sich bei der in Rede stehenden Nachzahlung um die teilweise Rückzahlung der im Jahr 2006 im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 2004 erhaltenen Erstattung von 15.271,22 € handelt. Wenn – der Rechtsprechung des BFH folgend – die im Jahr 2006 an die Arbeitgeberin gezahlte Erstattung von 15.271,22 € den Bruttoarbeitslohn des Klägers um diesen Erstattungsbetrag mindert, kann die teilweise Rückzahlung dieser Erstattung im Streitjahr den Bruttoarbeitslohn auch nur um den Nachzahlungsbetrag erhöhen. Weder durch die Steuererstattung im Jahr 2006 noch durch deren teilweise Rückzahlung im Streitjahr wird der laufende Arbeitslohn korrigiert. Im Falle der Steuererstattung wird eine Gehalts- bzw. Steuerüberzahlung, im Falle der Rückzahlung der Steuererstattung eine Gehalts- bzw. Steuerminderzahlung ausgeglichen. Beides ist in der zwischen dem Kläger und der Arbeitgeberin geschlossenen Nettolohnvereinbarung angelegt. Hätte der Beklagte bei dem Erlass des erstmaligen Einkommensteuerbescheids 2004 vom 29.3.2006 bereits von den erst nachträglich bekanntgewordenen, dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte gewusst, wäre es im Jahr 2006 zu einer niedrigeren Einkommensteuererstattung an die Arbeitgeberin gekommen. Diese hätte im Rahmen des Einkommensteuerbescheids 2006 als negative Einnahmen oder Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit den Bruttoarbeitslohn 2006 gemindert. Für die Höhe des Bruttoarbeitslohn ist es im Rahmen der Nettolohnvereinbarung bei unverändertem Nettolohn des Klägers unbeachtlich, ob die Arbeitgeberin die Lohnsteuer für den Jahresarbeitslohn 2004 bereits im laufenden Jahr in zutreffender Höhe einbehalten und abgeführt hat oder ob es – wie hier – wegen der Überzahlung von Lohnsteuer zunächst zu einer Einkommensteuererstattung für 2004 und später zu einer Teilrückzahlung des Erstattungsbetrags gekommen ist.
2. Der Senat berechnet die festzusetzende Einkommensteuer 2008 wie folgt:
Bruttoarbeitslohn neu (lt. Einkommensteuererklärung 2008)
258.352 €
zu versteuerndes Einkommen neu
238.990 €
zu versteuern mit Progressionsvorbehalt
84.677 €
dazu Kindergeld
3.696 €
festzusetzende Einkommensteuer
88.373 €
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
5. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die Frage, ob bei einer Nettolohnvereinbarung durch den Arbeitgeber getragene Steuernachzahlungen zu einer Erhöhung des laufenden Bruttoarbeitslohns oder des Nettolohns führen, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt.