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Entschädigungsansprüche auf Grund einer Maßnahme nach dem Infektionsschutzgesetz

LG Hannover – Az.: 8 O 4/20 – Urteil vom 20.11.2020

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger haben die Gerichtskosten und die Kosten des beklagten Landes zu je 1/13 und ihre eigenen Anwaltskosten jeweils selbst zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entschädigungsansprüche der Kläger auf Grund einer Maßnahme nach dem Infektionsschutzgesetz.

Am 27.03.2020 erließ das beklagte Land unter Berufung auf § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG die zeitlich befristete Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus (Nds. GVBl. 2020, S. 48ff.). Diese Verordnung enthielt ein in §§ 2, 3 näher geregeltes Kontaktverbot für alle Personen sowie ein in § 5 geregeltes Betriebsverbot für Restaurationsbetriebe; vergleichbare Betriebsverbote für Hotels, Kinos, Zahnarztpraxen und Escape-Rooms enthielt die Verordnung nicht.

In der Folgezeit erließ das beklagte Land auf derselben Rechtsgrundlage weitere Anschlussverordnungen, unter anderem am 17.04.2020 die Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus (Nds. GVBl. 2020, S. 74ff.). Gemäß § 1 Abs. 1 dieser Verordnung hatte jede Person physische Kontakte zu anderen Menschen, die nicht zu Angehörigen des eigenen Hausstandes gehörten, auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. § 1 Abs. 3 Nr. 3 der Verordnung bestimmte, dass u.a. Kinos und Angebote von Freizeitaktivitäten für den Publikumsverkehr geschlossen seien. § 1 Abs. 4 der Verordnung untersagte Hotelbetrieben die Beherbergung von Personen zu touristischen Zwecken. Gemäß § 3 Nr. 3 der Verordnung war die Inanspruchnahme dringend erforderlicher zahn-medizinischer Behandlungen zulässig. § 6 Abs. 1 der Verordnung erlaubte für Restaurationsbetriebe nur die Belieferung mit Speisen und Getränken sowie Außer-Haus-Verkäufe. Die genannten Bestimmungen der Verordnung traten gem. § 13 Satz 1 der Verordnung am 20.04.2020 in Kraft und mit Ablauf des 06.05.2020 außer Kraft.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Verordnung wird auf die Anlage K4 Bezug genommen.

Die Kläger behaupten, dass ihnen während des so genannten ersten Lockdowns finanzielle Einbußen entstanden seien, die jeweils ein Vielfaches der hier im Wege der Teilklage geltend gemachten 10.000 € betrage:

Die Klägerin zu 1) betreibt ein Multiplex-Kino mit mehreren Sälen und 2.123 Sitzplätzen in Hannover, die Klägerin zu 2) ein Multiplex-Kino mit mehreren Sälen und 1.789 Sitzplätzen in Braunschweig. Beide behaupten, allein schon für Mietzahlungen jeweils über 100.000 € pro Monat leisten zu müssen. Aufgrund der oben genannten Verordnung des beklagten Landes vom 17.04.2020 hätten sie ihre Kinos nicht betreiben können.

Die Klägerin zu 3) bis 8) betreiben jeweils Hotels in Niedersachsen. Sie behaupten, dass sie ihre Hotels aufgrund der oben genannten Verordnung komplett geschlossen hätten, weil es noch unwirtschaftlicher gewesen wäre, ihre Betriebe für die weiterhin erlaubten Geschäftskunden offen zu halten. Ihnen seien dadurch nutzlos aufgewendete Betriebskosten entstanden, die sich pro Monat auf ein Vielfaches von 10.000 € belaufen und sich zwischen 40.000 € (Klägerin zu 7 im April 2020) und 160.000 € (Klägerin zu 5 im April 2020) bewegt hätten.

Der Kläger zu 9) ist ein selbständiger Zahnarzt in Hannover. Er macht geltend, dass er aufgrund der oben genannten Verordnung vom 17.04.2020 Mindereinnahmen von über 10.000 € gehabt habe.

Die Klägerin zu 10) betreibt in der Innenstadt von Hannover ein Schnellrestaurant mit Außer-Haus-Verkauf. Sie behauptet, dass sie aufgrund der Verordnung vom 17.04.2020 nutzlos aufgewendete Betriebskosten in Höhe eines Vielfachen von 10.000 € pro Monat gehabt habe und der Außer-Haus-Verkauf diese auch nicht einmal annähernd habe einspielen können.

Die Klägerinnen zu 11) bis 13) betreiben jeweils so genannte Escape-Rooms, in denen die Besucher regelmäßig in Gruppen erscheinen und zur Unterhaltung gemeinsam aufwändige Rätselspiele lösen. Sie behaupten, dass sie aufgrund der oben genannten Verordnung vom 17.04.2020 komplett geschlossen gewesen wären und dass dies pro Monat zu Mindereinnahmen geführt hätte, die jeweils den Betrag von 10.000 € weit überschritten hätten.

Die Klägerinnen zu 3), 4), 6), 7), 11) und 13) haben staatliche Hilfen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Betriebsschließung erhalten.

Entschädigungsansprüche auf Grund einer Maßnahme nach dem Infektionsschutzgesetz
(Symbolfoto: Von Fabrizio Annovi/Shutterstock.com)

Die Teilklage des Klägers zu 9) zielt auf den Ausgleich aller Mindererträge, die ihm durch die oben genannte Infektionsschutzmaßnahme des beklagten Landes vom 17.04.2020 entstanden seien.

Die Teilklagen der übrigen Klägerinnen sind jeweils auf die Erstattung der Betriebsausgaben gerichtet, die ihnen durch die oben genannte Infektions-schutzmaßnahme des beklagten Landes vom 17.04.2020 nutzlos entstanden seien.

Die Kläger halten die zum Infektionsschutz getroffene Maßnahme des beklagten Landes auf der primären Eingriffsebene für rechtmäßig, da die überwiegenden Gemeinwohlgründe des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung die Beschränkung ihrer Grundrechte aus Artikel 12 und 14 Grundgesetz gerechtfertigt hätten. Sie sind jedoch der Ansicht, dass diese Eingriffe aus verfassungsrechtlichen Gründen auf sekundärer Ebene finanziell ausgeglichen werden müssten. Hierfür verweisen sie darauf, dass die wirtschaftlichen Folgen der coronabedingten Betriebsschließungen und Betriebseinschränkungen trotz staatlicher Fördermaßnahmen für viele Betriebsinhaber eine existentielle Notlage bedeuteten.

Sofern auch die gebotene verfassungskonforme Auslegung ergebe, dass das Infektionsschutzgesetz derzeit einem Ausgleichsanspruch für ihre aufgrund der Infektionsschutzmaßnahmen erlittenen finanziellen Nachteile entgegenstehe, sei es verfassungswidrig. Artikel 12, insbesondere aber Artikel 14 Grundgesetz verlangten als Kompensation für die erheblichen Eingriffe eine angemessene finanzielle Entschädigung, da es für die Kläger bei einer Güterabwägung nicht zumutbar sei, selbst kurzzeitige Betriebsschließungen entschädigungslos hinnehmen zu müssen. Werde die Privatnützigkeit des Eigentums wenn auch nur vorübergehend ganz oder teilweise entzogen, liege ein Fall des verfassungsrechtlichen Ausgleichsanspruchs vor.

Diese Entschädigung müsse vom Gesetzgeber geregelt werden, wobei kein voller Schadensersatz, aber zumindest eine Deckung der Betriebskosten und eine angemessene Vergütung des Betriebsinhabers vorzusehen sei, um Insolvenzen zu vermeiden. Dass dies zu erheblichen Belastungen für die öffentlichen Haushalte führe, sei der Preis der gewählten Strategie zur Pandemiebekämpfung, da die Grundrechte nicht kostenlos seien.

Die Kläger beantragen mit der hinsichtlich der Kläger zu 1) bis 9) am 28.09.2020 und hinsichtlich der Klägerinnen zu 10) bis 13) am 19.10.2020 zugestellten Teilklage,

1. das beklagte Land zur Zahlung von jeweils 10.000 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit an die einzelnen Kläger zu verurteilen,

hilfsweise

2. das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob das IfSG insoweit mit Artikel 12 und 14 Grundgesetz vereinbar ist, als es keine angemessene Entschädigung für die Anordnung von Betriebsschließungen und Tätigkeitsverboten gegenüber Personen und Betrieben vorsieht, die nicht unter die §§ 31, 56, 65 IfSG fallen,

sowie dem Gesetzgeber in zu bestimmender Frist aufzugeben, das IfSG insoweit um Regelungen der angemessenen Entschädigung zu ergänzen.

Das beklagte Land beantragt, die Klage abzuweisen.

Es bestreitet den Vortrag zu Grund und Höhe der behaupteten finanziellen Nachteile und verweist darauf, dass der entsprechende Klagvortrag unsubstantiiert sei. Insbesondere sei hinsichtlich des Klägers zu 9) festzustellen, dass die hierzu in der Anlage K5 vorgelegte Übersicht nur eine Umsatzveränderung ausweise und damit keinerlei Aussagekraft habe, weil aus Artikel 14 Grundgesetz allenfalls Substanz-einbußen finanziell ausgleichsfähig seien, nicht aber Erwerbschancen. Zudem enthalte die angegriffene Verordnung keine Vorschrift, die den Betrieb seiner Arztpraxis beschränkt habe. Hinsichtlich der Klägerin zu 10) fehle jeder einlassungsfähige Vortrag dazu, wie hoch die geltend gemachten nutzlosen Betriebskosten waren, da nichts zum Erlös des unstreitig weiter erlaubten und erfolgten Außer-Haus-Verkaufs vorgetragen worden sei.

Darüber hinaus verweist das beklagte Land darauf, dass die Betriebe der Kläger auch ohne die angegriffene Verordnung erhebliche Einbußen gehabt hätten, da ihre Dienstleistungen allein schon aufgrund der Pandemielage nicht oder nur in geringem Umfang nachgefragt worden wären, weil sich der Großteil der Bevölkerung ohnehin und auch ohne die angegriffene Verordnung nur auf lebensnotwendige Kontakte beschränkt habe, so dass es auch ohne explizite staatliche Schließungsanordnung zu deutlichen Umsatzrückgängen gekommen wäre.

Hinsichtlich des Hauptantrags verweist das beklagte Land unter vertiefender Ausführung auf die Entscheidung der Kammer 8 O 2/20 vom 09.07.2020.

Den Hilfsantrag hält das beklagte Land für unbegründet und führt hierzu aus, dass die angegriffene Verordnung insbesondere keine ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz darstelle. Eine solche liege nur vor, wenn die entschädigungslos hinzunehmende Opfergrenze für den betroffenen Eigentümer überschritten sei. Dies sei vorliegend schon deshalb nicht der Fall, weil es sich um eine Maßnahme von kurzer Dauer gehandelt habe.

Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 24.11.2020 hat die Klägerin zu 10) Angaben zu Einnahmen und Ausgaben in der Zeit von März bis Oktober 2020 gemacht.

Hinsichtlich des weiteren Parteivortrags wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Kläger haben keinen Zahlungsanspruch aus dem IfSG, dem allgemeinem Gefahrenabwehrrecht oder dem allgemeinen Staatshaftungsrecht (A.). Dieses Ergebnis ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (B.).

A.

I.

Der Zahlungsantrag der Klägerin zu 10) ist bereits mangels hinreichend schlüssigen Vortrags abzuweisen. Der mit ihrer Klage geltend gemachte Ersatz nutzlos aufgewendeter Betriebskosten kann nur zugesprochen werden, wenn die Betriebskosten den Erlös aus dem unstreitig erfolgten Außer-Haus-Verkauf überstiegen hätten. Hierzu hat die Klägerin zu 10) trotz entsprechenden Hinweises des Gerichts keine Angaben gemacht; der mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 24.11.2020 erfolgte Vortrag war insoweit gem. § 296a ZPO nicht zu berücksichtigen. Die von der Klägerin zu 10) angeregte Schätzung gem. § 287 ZPO kam schon deshalb nicht in Betracht, weil diese mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge und daher willkürlich wäre (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 – XII ZR 144/90 –, Rn. 7, juris m.w.N.).

II.

Die Zahlungsbegehren der übrigen Kläger sind ebenfalls abzuweisen, da die Voraussetzungen der in Frage kommenden Anspruchsgrundlagen nicht erfüllt sind.

Im Anschluss an ihre Entscheidung vom 09.07.2020, Az. 8 O 2/20, in der die Kammer bereits die Frage der staatlichen Entschädigungspflicht für infektionsschutzrechtliche Maßnahmen unter anderem auch gem. der hier streitgegenständlichen Rechtsverordnung des beklagten Landes vom 17.04.2020 geprüft hat, gilt Folgendes:

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1.

Die Kläger haben gegen das beklagte Land keinen Zahlungsanspruch aus § 56 Abs. 1 oder 1a IfSG.

Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch gem. § 56 Abs. 1 IfSG ist, dass der Anspruchsteller einen Verdienstausfall erlitten hat, weil er als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern einem infektionsschutzrechtlichen Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit oder einem infektionsschutzrechtlichen Absonderungs-gebot unterliegt. Es ist unstreitig, dass die Kläger nicht zu diesem in § 2 IfSG definierten Personenkreis gehören, so dass § 56 Abs. 1 IfSG nicht einschlägig ist.

§ 56 Abs. 1a IfSG gewährt einen Anspruch auf Erstattung von Verdienstausfall, der dadurch entsteht, dass aus Infektionsschutzgründen Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen geschlossen werden und die Sorgeberechtigten betreuungsbedürftiger Kinder daher nicht arbeiten können. Diese Tatbestands-voraussetzungen liegen hier ersichtlich nicht vor.

2.

Auch ein Anspruch der Kläger auf Zahlung von Entschädigung aus § 65 Abs. 1 IfSG besteht nicht.

Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist, dass aufgrund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 IfSG ein Gegenstand vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in seinem Wert gemindert oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht worden ist. Anspruchsberechtigt ist dabei gem. § 65 Abs. 1 Satz 1, 2. HS IfSG nur derjenige, der von der seuchenhygienischen Maßnahme als Nichtstörer betroffen ist (vgl. Erdle, Infektionsschutzgesetz, 7. Aufl., § 65 vor Ziff. 1; Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 3. Aufl., § 65 Rn. 2.).

Diese Tatbestandsvoraussetzung ist vorliegend nicht gegeben. Anspruchs-begründende Maßnahmen sind nur solche gem. § 16 oder § 17 IfSG, während die streitgegenständliche Verordnung des beklagten Landes auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützt worden ist.

Vereinzelt wird argumentiert, die Betriebsschließungsmaßnahmen hätten entgegen der ausdrücklich anderslautenden Erklärung des beklagten Landes eindeutig auf § 16 IfSG beruht, weil sie der Verhütung der Weiterverbreitung des Virus gedient hätten (Schwintowski, NJOZ 2020, 1473/1475). Dem steht jedoch bereits der insoweit unzweideutige Wortlaut des § 65 Abs. 1 IfSG entgegen (vgl. Lutz, IfSG, 2. Aufl., § 65 Rn. 2; BeckOK InfSchR/Kruse, 1. Ed. 1.7.2020, IfSG § 65 Rn. 13; Schmitz/Neubert, NVwZ 2020, 666/669; Siegel, NVzW 2020, 577/583; Reschke, DÖV 2020, 423/424; Giesberts/Gayger/Weyand, NVwZ 2020, 417/420; Winter/Thürk in Schmidt, Covid-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, § 17 Rn. 29).

Zudem entsprach die Heranziehung von § 28 IfSG als Rechtsgrundlage auch der tatsächlichen Lage, da sich die Covid-19-Krankheit zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Rechtsverordnung bereits in Deutschland ausgebreitet hatte. Die WHO hatte am 12.03.2020 den COVID-19-Ausbruch zur Pandemie erklärt und für Europa bereits mehr als 20.000 bestätigte Fälle mit knapp 1.000 Todesfällen gezählt (http://www.euro.who.int/de/health-topics/health-emergencies/coronavirus-covid-19/ news/news/2020/3/who-announces-covid-19-outbreak-a-pande-mic); am 15.04.2020 vermeldete das Robert-Koch-Institut für Deutschland bereits rund 125.000 bestätigte Fälle mit 2.969 Todesfällen (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neu-artiges_ Coronavirus/Situationsberichte/2020-04-14-de.pdf?__blob=publicationFile).

Da Covid-19 eine übertragbare Krankheit im Sinne von §§ 2 Nr. 3, 28 Abs. 1 IfSG ist (vgl. ausführlich OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Mai 2020 – 13 MN 182/20 –, Rn. 29f., juris), waren damit zahlreiche Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungs-verdächtige oder Ausscheider im Sinne von §§ 2 Nrn. 3ff, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG festgestellt, so dass das beklagte Land auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht nur zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen berechtigt, sondern sogar verpflichtet war (OVG Lüneburg, aaO, Rn. 38).

Zum Teil wird § 65 IfSG auch mit dem Argument für anwendbar gehalten, dass Verhütungsmaßnahmen nach § 16 IfSG und Bekämpfungsmaßnahmen nach § 28 IfSG nicht medizinisch exakt zu trennen seien und Maßnahmen der Infektionsprophylaxe oftmals zugleich auch der Bekämpfung der Weiterverbreitung des Virus dienten, weshalb § 65 IfSG erweiternd ausgelegt werden müsse (vgl. Rommelfanger, CoVuR 2020, 178/180).

Dieses Ineinander von Infektionsverhütungs- und Infektionsbekämpfungsmaßnahmen erscheint zunächst schlüssig, ist aber mit der gesetzlichen Systematik und dem gesetzgeberischen Willen nicht in Einklang zu bringen.

Das Infektionsschutzgesetz unterscheidet wie schon das frühere Bundes-seuchengesetz zwischen Maßnahmen zur Verhütung und Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Diese Unterscheidung zeigt sich systematisch darin, dass der 4. Abschnitt des IfSG die Verhütung übertragbarer Krankheiten zum Gegenstand hat und der 5. Abschnitt des IfSG die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten regelt. § 16 IfSG stellt dabei die Generalklausel für Verhütungsmaßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten dar, § 28 IfSG die Generalklausel für Bekämpfungsmaßnahmen (Erdle, IfSG, 7. Aufl., § 28 Ziff. 1; Gerhardt, IfSG, 3. Aufl., § 16 Rn. 1;BeckOK InfSchR/Johann/Gabriel, IfSG § 28 Rn. 1).

Zwar ist richtig, dass Maßnahmen zur Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten zugleich auch deren Weiterverbreitung verhindern. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ändert dies jedoch nichts an der grundlegenden Unterscheidung beider Begriffe. Danach gehören zu den Bekämpfungsmaßnahmen solche, die an das Auftreten einer übertragbaren Krankheit, eines Krankheitsverdachts, eines Ansteckungsverdachts oder eines Ausscheidungsverdachts anknüpfen; für diese Fälle sollte ausschließlich der 5. Abschnitt gelten. Die im 4. Abschnitt geregelten Verhütungsmaßnahmen betrafen dagegen nur Maßnahmen zur Entstehung übertragbarer Krankheiten, nicht aber die Verhinderung der Verbreitung bereits aufgetretener Krankheiten (BT-Drucks. 3/1888, S. 21f.; BT-Drucks. 8/2468, S. 1, 27). Die Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfs „Der Abgrenzung der Begriffe „Verhütung“ und Bekämpfung“ kommt eine besondere Bedeutung zu. … Verhütung bedeutet danach die Verhinderung der Entstehung übertragbarer Krankheiten, nicht aber die Verhinderung der Verbreitung bereits aufgetretener Krankheiten“ (BT-Drucks. 3/2888, S. 21f.) lässt insoweit keinen Interpretationsspielraum. Daraus folgt, dass die Rechtsgrundlagen des § 16 Abs. 1 IfSG einerseits und des § 28 Abs. 1 IfSG andererseits in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander stehen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 03. Februar 2011 – 13 LC 198/08 –, Rn. 40, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Mai 2020 – 13 MN 182/20 –, Rn. 32, juris; Itzel, DVBl. 2020, 792/793; Cornils, https://verfassungsblog.de/corona-entschaedigungsrechtlich-betrachtet; zu den ent-sprechenden und weitgehend identischen Vorgängervorschriften §§ 10 Abs. 1, 34 Abs. 1 BSeuchG siehe BVerwG, Urteil vom 16.12.1971 – I C 60/67 -, juris, Rdnr. 28).

Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 65 IfSG sind somit nicht erfüllt.

3.

Die Kläger können ihren Zahlungsanspruch auch nicht aus einer analogen Anwendung der im Infektionsschutzgesetz geregelten Entschädigungstatbestände gem. § 56 bzw. § 65 IfSG herleiten.

Voraussetzung für eine Analogie ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass im Gesetz eine planwidrige Regelungslücke besteht. Diese Lücke muss sich aus dem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem dem konkreten Gesetzgebungsverfahren zugrundeliegenden Regelungsplan ergeben. Darüber hinaus muss der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem vom Gesetzgeber geregelten Tatbestand vergleichbar sein, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie beim Erlass der herangezogenen Norm, zum gleichen Abwägungsergebnis gekommen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2010 – IX ZR 65/09 –, BGHZ 184, 101-116, Rn. 32; Urteil vom 04. Dezember 2014 – III ZR 61/14 –, Rn. 9, juris).

a)

In der Literatur wird teilweise eine derartige planwidrige Regelungslücke mit dem Argument bejaht, der Gesetzgeber sowohl des Bundesseuchengesetzes als auch des Infektionsschutzgesetzes habe bei der Schaffung der gesetzlichen Entschädigungstatbestände derartige auf § 28 IfSG gestützte kollektive Betriebs- bzw. Gewerbeuntersagungen im Rahmen einer Epidemie überhaupt nicht im Blick gehabt. Daher müsse im Wege eines Erst-Recht-Schlusses auch den von einer Bekämpfungsmaßnahme betroffenen Nichtstörern ein Ausgleich ihrer Vermögens-nachteile gewährt werden, da sie keinen Anlass für die Infektionsschutzmaßnahmen gesetzt hätten und schicksalhaft zu Geschädigten geworden seien (vgl. eine Analogie von § 56 IfSG bejahend Rommelfanger, COVuR 2020, 178/180; Dörrenbächer, JuWissBlog Nr. 55/2020, https://www.juwiss.de/55-2020/; Otto, LKV 2020, 355/357f.; eine Analogie von § 65 IfSG wohl bejahend Winter/Thürk in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, § 17 Rn. 30ff.; eine analoge Anwendbarkeit verneinend Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465/1466; Erdle, IfSG, 7. Aufl., § 56 vor Ziff. 1; Lutz, IfSG, 2. Aufl., Vorbemerkung vor §§ 56ff., Rn. 5; Rinze/Schwab, NJW 2020, 1905/1906; Eibenstein, NVwZ 2020, 930/931f.; Kümper, DÖV 2020, 904/909 m.w.N.).

b)

Sowohl die historische Betrachtung des Gesetzgeberwillens als auch die Analyse der aktuellen gesetzgeberischen Tätigkeit stehen jedoch der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke entgegen.

aa)

Wie heute das Infektionsschutzgesetz unterschied schon das Bundesseuchengesetz von 1961 klar zwischen den im 4. Abschnitt geregelten Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten (§§ 10ff. BSeuchG) und den im 5. Abschnitt geregelten Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (§§ 30ff. BSeuchG). Das Bundesseuchengesetz von 1961 enthielt darüber hinaus eine weitere Differenzierung der Bekämpfungsmaßnahmen und unterschied zwischen den in Abschnitt 5.3 geregelten Schutzmaßnahmen gegenüber bestimmten betroffenen Personen (§§ 34-42 BSeuchG) und den in Abschnitt 5.4 geregelten Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit (§ 43 BSeuchG).

Gemäß § 43 BSeuchG 1961 konnte die zuständige Behörde beim Auftreten einer übertragbaren Krankheit in epidemischer Form Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen, insbesondere Veranstaltungen in Theatern, Filmtheatern, Versammlungsräumen, Vergnügungs- oder Gaststätten und ähnlichen Einrichtungen, sowie die Abhaltung von Märkten, Messen, Tagungen, Volksfesten und Sportveranstaltungen beschränken oder verbieten und Badeanstalten schließen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit erforderlich ist. Dem Gesetzgeber war hierbei bewusst, dass derartige Maßnahmen sehr eingreifend wirken. Er sah sie jedoch für Notfälle in Epidemiezeiten als erforderlich an, wenn anderenfalls die Gefahr bestehe, dass ein größerer Personenkreis erkranke. Der Verpflichtete wurde in der Vorschrift nicht besonders genannt, da Normadressat neben dem Veranstalter oder Inhaber der Einrichtung jedermann sein könne (BT-Drucks. 3/1888, S. 27).

Entschädigungsansprüche sah das Bundesseuchengesetz von 1961 aus Billigkeitserwägungen für zwei Fälle vor. Zum einen für Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige oder Ansteckungsverdächtige, deren Erwerbstätigkeit behördlich beschränkt wurde (§ 49 BSeuchG) und zum anderen für Eigentümer, deren Gegenstände aufgrund einer Entseuchungsmaßnahme vernichtet oder beschädigt wurden (§ 57 BSeuchG). Diese Entschädigungsregeln sollten nach der Vorstellung des Gesetzgebers keine ausschließliche Regelung darstellen, allerdings die wichtigsten der nach dem Gesetz in Betracht kommenden Entschädigungsfälle regeln (BT-Druck. 3/1888, S. 27).

Hieraus folgt, dass Maßnahmen zur Epidemiebekämpfung gegenüber der Allgemeinheit – wie sie die streitgegenständliche Corona-Verordnung des beklagten Landes darstellt – gem. § 43 BSeuchG a.F. nach der Vorstellung des Gesetzgebers keine Entschädigungspflicht auslösen sollten.

Denn obgleich der Gesetzgeber die sehr eingreifende Wirkung von Maßnahmen nach § 43 BSeuchG erkannt hat und zudem aufgrund der möglicherweise immensen Reichweite einer derartigen Maßnahme und der hierdurch zu erwartenden großen Anzahl an Betroffenen nicht kalkulierbare Entschädigungsforderungen und entsprechende unübersehbare finanzielle Lasten für den Staatshaushalt denkbar gewesen wären, hat der Gesetzgeber für diese zweifellos zu den „wichtigsten Entschädigungsfällen“ gehörende Fallkonstellation Entschädigungsansprüche nicht vorgesehen. Aus dem Fehlen einer solchen expliziten Entschädigungsvorschrift folgt im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber für solche Maßnahmen gerade keine Entschädigung gewähren wollte.

Mit dem Bundesseuchengesetz von 1979 hat der Gesetzgeber die Regelung des § 43 BSeuchG aufgehoben, weil er mit der neuen Fassung von § 34 BSeuchG eine allgemeine Ermächtigungsnorm für Bekämpfungsmaßnahmen schuf und die bis dahin in § 43 BSeuchG aufgezählten Schutzmaßnahmen gegenüber der Allgemeinheit auf diese Generalnorm gestützt werden konnten (BT-Drucks. 8/2468, S. 27, 29).

Anhaltspunkte dafür, dass mit dieser Regelung auch eine Erweiterung der Entschädigungsansprüche auf die bis dahin von § 43 BSeuchG a.F. geregelten Fallkonstellationen einhergehen sollte, sind nicht ersichtlich. Die Gesetzgebungshistorie spricht vielmehr dagegen, denn der Gesetzgeber hatte 1971 eine Beschränkung der ursprünglichen Entschädigungsregelungen vorgenommen, weil er sie für so außerordentlich großzügig gehalten hatte, dass sie zu einer erheblichen finanziellen Belastung der Länder geführt hatten (BT-Drucks. 6/1568, S. 7). Vor diesem Hintergrund ist auszuschließen, dass der Bundesgesetzgeber ohne jedwede explizite Erwähnung eine Kehrtwende vom ursprünglichen Regelungsplan vornehmen und eine viel weitreichendere Ausdehnung der Entschädigungsregeln zulasten der Länderhaushalte schaffen wollte.

bb)

Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Infektionsschutzgesetzes eine Veränderung der Entschädigungsregelungen vornehmen wollte, sind nicht ersichtlich, denn § 56 IfSG und § 65 IfSG entsprechen im Wesentlichen den Vorschriften von § 49 BSeuchG und § 57 BSeuchG (BT-Drucks. 14/2530, S. 88f.). Weitergehende Änderungen, insbesondere Erweiterungen der Entschädigungsregelungen finden sich nicht. Der Gesetzgeber ging vielmehr davon aus, dass mit diesen Entschädigungsregeln des 12. Abschnitts der von der Rechtsprechung entwickelte allgemeine Aufopferungsanspruch umfassend ersetzt sei und diesem keine lückenschließende Funktion mehr zukomme (BT-Drucks. 14/2530, S. 87).

cc)

Gegen die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke spricht darüber hinaus auch die aktuelle gesetzgeberische Tätigkeit zum Infektionsschutzgesetz. Mit Gesetz vom 27.03.2020 (BGBl. I, 2020, S. 587) hat der Gesetzgeber während der bereits andauernden Corona-Pandemie den § 56 IfSG mit Absatz 1a um einen weiteren Entschädigungstatbestand ergänzt, welcher Sorgeberechtigten betreuungsbedürftiger Kinder den Verdienstausfall ersetzt, den diese aufgrund von Schließungen von Schulen oder Betreuungseinrichtungen erleiden.

Dieser Gesetzesergänzung vorausgegangen ist eine Stellungnahme des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 16.03.2020, die sich mit der Entschädigung von Nachteilen auf Grund von Verordnungen nach dem IfSG auseinandersetzt. Dabei kam der wissenschaftliche Dienst zu dem Ergebnis, dass z.B. für die Schließung von Bars auf Grund von Verordnungen zur Eindämmung des Coronavirus keine Entschädigungsansprüche im IfSG vorgesehen seien (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Az.: WD – 3000 – 069/20, https:// www.bundestag.de/resource/blob/692602/352cce5e021a097d9d87700cbb4f0409/WD-3-069-20-pdf-data.pdf).

Dem Gesetzgeber war somit bei Schaffung des neuen Entschädigungstatbestandes gem. § 56 Abs. 1a IfSG bekannt, dass es z. B. für Betriebsschließungen im Gastronomiebereich keine seuchengesetzlichen Entschädigungsansprüche gab. Zudem waren zu diesem Zeitpunkt auch schon längere und weitreichendere Schließungen in vielen Wirtschaftszweigen absehbar, denn in Bayern galt beispielsweise ab dem 18.03.2020 eine weitgehende Untersagung von Veranstaltungen, von Gastronomiebetrieben und von vielen Einzelhandelsgeschäften (vgl. https://www.bayern.de/corona-pandemie-bayern-ruft-den-katastrophenfall-aus-veranstaltungsverbote-und-betriebsuntersagungen/).

Da der Gesetzgeber in dieser Lage und trotz dieser Kenntnis mit § 56 Abs. 1a IfSG nur einen eng begrenzten Fall der Entschädigungslosigkeit beseitigt und für Betriebsschließungen aufgrund von Maßnahmen der Epidemiebekämpfung keinen Entschädigungstatbestand geschaffen hat, gibt es keinen Anknüpfungspunkt für die Annahme, dass es sich hierbei um eine planwidrige Regelungslücke handele.

Dieser Überlegung wird in der Literatur teilweise entgegengehalten, dass sich der Gesetzgeber bei Schaffung der Regelung in § 56 Abs. 1a IfSG und der im Zuge dieses Gesetzgebungsverfahrens erstellten Stellungnahme schon allein aufgrund deren nur spärlichem Umfangs von fünf Seiten allenfalls summarisch mit den Entschädigungsregelungen befasst habe, und somit der von der Kammer gezogene Rückschluss nicht möglich sei (Otto, LKV 2020, 355/358). Diese Argumentation trägt jedoch insbesondere im Hinblick auf die weitere gesetzgeberische Tätigkeit nicht. Denn der Gesetzgeber hat auch im Rahmen der Gesetzgebung zum Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BGBl. 2020 Teil I Nr. 52, 2397) im November keine Veranlassung gesehen, die Entschädigungsregelungen im IfSG entsprechend zu erweitern, obwohl die Frage zu Ausgleichszahlungen zu dieser Zeit bereits in der (Fach-)Presse und in der Rechtsprechung breit diskutiert wurde. Da im Rahmen dieses Gesetz-gebungsverfahrens Anhörungen von 32 Institutionen bzw. Verbänden und 9 Einzelsachverständigen stattgefunden haben, kann von einer unbewussten Regelungslücke aufgrund einer vom Gesetzgeber nur summarisch erfolgten Prüfung nicht die Rede sein (vgl. zur Liste der am 12.11.2020 angehörten Sachverständigen https://www.bundestag.de/resource/blob/805158/e8356a1871c427345ebaddc249c25796/SV-Liste_BevSchG-data.pdf).

Der Gesetzgeber hat demnach mit dem Bundesseuchengesetz von 1961 die wichtigsten der nach dem Gesetz in Betracht kommenden Entschädigungsfälle regeln wollen. Die auf Notfälle in Epidemiezeiten beschränkten sehr eingreifenden Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit sah er nicht als entschädigungspflichtig an. An dieser gesetzgeberischen Wertung hat sich in der Folgezeit auch unter Geltung des Infektionsschutzgesetzes nichts geändert, so dass mangels planwidriger Regelungslücke eine analoge Anwendung von § 56 oder § 65 IfSG ausscheidet.

4.

Den Klägern steht auch kein Zahlungsanspruch aus dem allgemeinen Polizeirecht gem. § 80 NPOG i.V.m. § 8 NPOG zu.

Der Tatbestand des § 80 Abs. 1 NPOG könnte nach seinem Wortlaut einschlägig sein, da die den Klägern auferlegte Betriebsschließung eine Inanspruchnahme darstellt, die sich unstreitig weder auf einen von ihnen selbst noch von ihren Betrieben ausgehenden Corona-Verdachtsfall bezieht und sie daher als Nichtstörer im Sinne von § 8 Abs. 1 NPOG angesehen werden können (dagegen auf die gefahrenabwehrrechtliche Figur des subjektiven Zweckveranlassers abstellend OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. August 2020 – 13 MN 297/20 –, Rn. 62, juris; die Eigenschaft als Nichtstörer mit anderer Begründung ebenfalls verneinend auch Kümper in Kießling, Infektionsschutzgesetz, § 65 Rn. 12, beck-online)

Voraussetzung für dessen Anwendbarkeit wäre jedoch gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 und 3 NPOG, dass das Infektionsschutzgesetz insoweit keine abschließende Regelung enthält, da Ansprüche aus § 80 NPOG nur dann in Frage kommen, wenn das Infektionsschutzgesetz als spezielles Gefahrenabwehrrecht keine Normen enthält, die die Anwendung des NPOG sperren (vgl. Saipa in Saipa/Beckermann/Reichert/ Roggenkamp/Trips, NPOG-Kommentar, 26. Ergänzungslieferung, Stand 11/19, § 80 NPOG Rn. 2 m.w.N; zur alten Rechtslage nach § 80 NGefAG siehe BGH, Urteil vom 03. Juli 1997 – III ZR 208/96 –, BGHZ 136, 172-181, Rn. 8).

a)

In der Literatur wird eine abschließende Entschädigungsregelung des Infektions-schutzgesetzes mit der Sperrwirkung für das allgemeine Polizeirecht teilweise unter Verweis auf den Willen des seuchenschutzrechtlichen Bundesgesetzgebers verneint (Giesberts/Gayger/Weyand, NVwZ 2020, 417/420f.; Rommelfanger, COVuR 2020, 178/181ff. von Usslar, VR 2020, 325/327; Eibenstein, NVwZ 2020, 930/932f.). Hierfür spricht, dass der Gesetzgeber des Bundesseuchengesetzes von 1961 dessen Entschädigungsregelungen explizit nicht als umfassend ausschließliche Regelung bezeichnet hat (BT-Drucks. 3/1888, S. 27).

b)

Für die Sperrwirkung des Infektionsschutzgesetzes gegenüber der Anwendbarkeit von § 80 NPOG ist es jedoch nicht erforderlich, dass es eine vollkommen umfassende, jeden denkbaren Entschädigungsanspruch betreffende Regelung enthält. Ausreichend ist hierfür vielmehr, wenn die Normen des Infektionsschutzgesetzes eine abschließende Regelung für die einschlägige Fallkonstellation der Inanspruchnahme von Nichtstörern treffen (vgl. BGH, Urteil vom 03. Juli 1997 – III ZR 208/96 –, BGHZ 136, 172-181, Rn. 11f.; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl., S. 527).

Dies ist vorliegend der Fall.

Das Infektionsschutzgesetz hat mit § 65 IfSG eine spezielle gesetzliche Vorschrift für die Entschädigung von Nichtstörern (vgl. BT-Drucks. 14/2530, S. 89) getroffen, die aufgrund einer Verhütungsmaßnahme nach §§ 16, 17 IfSG die Wertminderung eines Gegenstandes oder einen sonstigen nicht unwesentlichen Vermögensnachteil erlitten haben. Wenn der Gesetzgeber jedoch für eine bestimmte Fallkonstellation eine Entschädigungsregelung getroffen hat, dann spricht zunächst einmal eine Vermutung dafür, dass er eine vollständige und lückenlose, also eine abschließende Regelung treffen wollte (BGH, Urteil vom 03. Juli 1997 – III ZR 208/96 –, BGHZ 136, 172-181, Rn. 11). Um die Entschädigungsregelung nach dem Infektionsschutzgesetz anders auszulegen, nämlich dahin, dass die Entschädigung von Nichtstörern für rechtmäßige Inanspruchnahmen nicht abschließend gemeint ist, sondern durch die Entschädigungsvorschriften der allgemeinen Polizeigesetze zugunsten des Nicht-störers ergänzt werden soll, müssten greifbare Anhaltspunkte für einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers bzw. einen derart beschränkten Zweck der Entschädigungsregelung vorhanden sein (vgl. BGH, aaO, Rn. 12).

Dafür sind jedoch nach den obigen Ausführungen keine Anhaltspunkte ersichtlich. Der Gesetzgeber hat im Infektionsschutzgesetz ein inhaltlich ausdifferenziertes Entschädigungssystem für Seuchenverhütungs- und Seuchenbekämpfungs-maßnahmen geregelt. Dieses System würde weitgehend eingeebnet, wenn neben der im Infektionsschutzgesetz geregelten Entschädigung von Nichtstörern bei Verhütungsmaßnahmen auf der Grundlage des allgemeinen Polizeirechts auch Entschädigungsansprüche für Bekämpfungsmaßnahmen gewährt würden (Reschke, DÖV 2020, 423/426f.). Der Gesetzgeber wollte jedoch mit seinen speziellen seuchenhygienischen Bestimmungen die wichtigsten nach dem Gesetz in Frage kommenden Entschädigungstatbestände regeln (BT-Druck. 3/1888, S. 27) und dem allgemeinen Aufopferungsanspruch keine lückenschließende Funktion mehr zukommen lassen (BT-Drucks. 14/2530, S. 87). Da der allgemeine polizeirechtliche Entschädigungsanspruch des Nichtstörers als positivrechtliche Konkretisierung der richterrechtlich entwickelten allgemeinen Aufopferungsansprüche anzusehen ist (allgm. Ansicht, vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl., S. 527; Staudinger/ Wöstmann (2020) BGB § 839, Rn. 653), gibt es angesichts des klar formulierten gesetzgeberischen Willens keinen Anknüpfungspunkt für die Annahme, dass der Gesetzgeber des Infektionsschutzgesetzes neben der von ihm geregelten Nichtstörerentschädigung für Betroffene von Seuchenverhütungsmaßnahmen eine auf das allgemeine Polizeirecht gestützte Nichtstörerentschädigung für Betroffene von Seuchenbekämpfungsmaßnahmen zulassen wollte.

Ein Anspruch der Kläger aus § 80 Abs. 1 Satz 1 NPOG scheidet damit aufgrund der Sperrwirkung der speziellen Regeln des Infektionsschutzgesetzes aus (vgl. i.E. auch LG Heilbronn, Urteil vom 29.04.2020, I 4 O 82/20, COVuR 2020, S. 142/143; Schmitz/Neubert, NVwZ 2020, 666/669; Siegel, NVwZ 2020, 577/583; Reschke, DÖV 2020, 423/426f.; Bachmann/Rung in Kluckert, Das neue Infektionsschutzrecht, § 15 Rn. 66f; Kümper, DÖV 2020, 904/913 m.w.N.).

5.

Den Klägern steht auch kein Zahlungsanspruch aus dem Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs zu.

Ansprüche aus enteignendem Eingriff kommen nach ständiger Rechtsprechung des BGH in Frage, wenn an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen bei einem Betroffenen unmittelbar zu meist atypischen und unvorhergesehenen Eigentumsbeeinträchtigungen führen, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen (BGH, Urteil vom 29. März 1984 – III ZR 11/83 –, BGHZ 91, 20-32, Rn. 18; BGH, Urteil vom 10. Februar 2005 – III ZR 330/04 –, Rn. 12, juris).

a)

Aus Sicht der Kammer spricht viel dafür, dass die vom beklagten Land verordneten Betriebsschließungen der klägerischen Betriebe einen Eingriff in den eigentumsrechtlichen Schutzbereich von Artikel 14 Grundgesetz darstellen (vgl. Lutz, IfSG, 2. Aufl., Vorbemerkung vor §§ 56ff, Rn. 7; Shirvani, NVwZ 2020, 1457/1458; Frenz, COVuR 2020, 794/797; dagegen auf Artikel 12 Grundgesetz abstellend LG Heilbronn, Urteil vom 29.04.20, COVuR 2020, S. 142f.; VGH Kassel Beschl. v. 30.4.2020 – 8 B 1074/20.N, BeckRS 2020, 8868 Rn. 22, beck-online; Brenner, DÖV 2020, 660/663). Bei einer Maßnahme, die – wie vorliegend der Fall – den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb betrifft, bestimmt sich der grundrechtliche Schutzbereich danach, ob das Erworbene, also das Ergebnis der Betätigung, oder der Erwerb, die Betätigung selbst betroffen ist. Greift der Akt der öffentlichen Gewalt eher in die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit ein, so ist der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz berührt; begrenzt er mehr die Innehabung und Verwendung vorhandener Vermögensgüter, so kommt der Schutz des Art. 14 Grundgesetz in Betracht, denn das Recht auf Fortsetzung des Betriebs im bisherigen Umfang nach den schon getroffenen betrieblichen Maßnahmen ist eigentumsmäßig geschützt (BGH, U.v. 14. März 1996 – III ZR 224/94 –, BGHZ 132, 181-189, Rn. 17 – 20). Da die streitgegenständliche Verordnung den Klägern untersagte, ihre bereits vorhandenen Betriebe im bisherigen Umfang zu nutzen, dürfte vorliegend der Schutzbereich von Artikel 14 Grundgesetz betroffen sein.

Diese Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Klärung, da die weitere Anspruchsvoraussetzung eines dem Kläger auferlegten Sonderopfers nicht gegeben ist.

b)

Ein ausgleichspflichtiges Sonderopfer besteht, wenn ein Eingriff in eine eigentumsmäßig geschützte Rechtsposition vorliegt, durch die der Betroffene als Eigentümer unverhältnismäßig oder im Verhältnis zu anderen ungleich betroffen wird und er mit einem besonderen, den übrigen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit belastet wird (BGH, Urteil vom 18. Februar 1993 – III ZR 20/92 –, BGHZ 121, 328-347, Rn. 12; BGH, Urteil vom 14. März 2013 – III ZR 253/12 –, BGHZ 197, 43-51, Rn. 8).

aa)

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass den Klägern kein individuelles Sonderopfer auferlegt wurde, sondern ein sehr weiter Personenkreis von den Schließungsmaßnahmen betroffen war. Zum einen betrafen die Maßnahmen alle Kinos, Hotels, Escape-Room-Betreiber und Zahnärzte gleichermaßen. Zum anderen galten die Verbote nicht nur für solche Betriebe, sondern darüber hinaus für viele weitere Branchen (vgl. die exemplarische Aufzählung in § 7 Abs. 2 der Verordnung vom 17.04.2020). Eine einseitige Belastung nur der Kläger oder ihrer Berufsgruppen lag also nicht vor. Schon dieser Aspekt spricht bereits gegen die Annahme eines Sonderopfers (Reschke, DÖV 2020, 423/ 429; Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465/1467; Lutz, IfSG, 2. Aufl., Vorbemerkung vor §§ 56ff. Rn. 8; Kümper, DÖV 2020, 904/914).

Hiergegen wird in der Literatur eingewandt, dass ein Sonderopfer jedenfalls für den Fall zu bejahen sei, dass die angeordnete Betriebsschließung eine konkret existenzgefährdende bzw. existenzvernichtende Folge für den Betroffenen hat (Rommelfanger, COVuR 2020, 178/183; Schmitz/Neubert, NVwZ 2020, 666/670f.; Winter/Thürk in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise § 17 Rn. 76). Selbst wenn man dieser Auffassung folgte, führte dies jedoch vorliegend nicht zur Bejahung eines Sonderopfers, weil die Kläger nicht substantiiert behauptet haben, dass sie durch die zeitweilige Betriebsschließung bzw. Betriebseinschränkung konkret in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet worden seien. Zudem wäre hier auch zu berücksichtigen, dass die Klägerinnen zu 3), 4), 6), 7), 11) und 13) im inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang mit den verordneten Betriebsuntersagungen staatliche Hilfen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Betriebsschließung erhalten haben, welche bei der Bewertung der Eingriffsintensität miteinzubeziehen sind (vgl. OVG Münster Beschl. v. 6.4.2020 – 13 B 398/20.NE, BeckRS 2020, 5158 Rn. 63, beck-online; Papier DRiZ 2020, 180/183).

bb)

Darüber hinaus bestehen auch keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Verordnung und die Verhältnismäßigkeit der hierdurch bewirkten Eingriffe in die Rechtspositionen der Kläger.

Das OVG Lüneburg hat insoweit hinsichtlich der streitgegenständlichen Verordnung vom 17.04.2020 unter anderem Folgendes zur formellen und materiellen Rechtmäßigkeit ausgeführt (OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. April 2020 – 13 MN 105/20 –, Rn. 13 – 43, juris):

Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung ist § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG -) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) …

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsgrundlagen, insbesondere mit Blick auf die Bestimmtheit der getroffenen Regelungen und deren Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes, drängen sich dem Senat nicht auf (vgl. hierzu im Einzelnen: OVG B-Stadt, Beschl. v. 9.4.2020 – 1 B 97/20 -, juris Rn. 24 ff.; Hessischer VGH, Beschl. v. 7.4.2020 – 8 B 892/20.N -, juris Rn. 34 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 6.4.2020 – 13 B 398/20.NE -, juris Rn. 36 ff.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 30.3.2020 – 20 NE 20.632 -, juris Rn. 39 ff.; Beschl. v. 30.3.2020 – 20 CS 20.611 -, juris 17 f.).

Anstelle der nach § 32 Satz 1 IfSG ermächtigten Landesregierung war aufgrund der nach § 32 Satz 2 IfSG gestatteten und durch § 3 Nr. 1 der Verordnung zur Übertragung von Ermächtigungen aufgrund bundesgesetzlicher Vorschriften (Subdelegationsverordnung) vom 9. Dezember 2011 (Nds. GVBl. S. 487), zuletzt geändert durch Verordnung vom 17. März 2017 (Nds. GVBl. S. 65), betätigten Subdelegation das Niedersächsische Ministerium für Gesundheit, Soziales und Gleichstellung zum Erlass der Verordnung zuständig.

Gemäß Art. 45 Abs. 1 Satz 2 NV ist die Verordnung von der das Ministerium vertretenden Ministerin ausgefertigt und im Niedersächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt vom 17. April 2020, S. 74 ff., verkündet worden.

§ 13 der Verordnung bestimmt, wie von Art. 45 Abs. 3 Satz 1 NV gefordert, den Tag des Inkrafttretens.

Auch dem Art. 43 Abs. 2 Satz 1 NV (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: BVerfG, Urt. v. 6.7.1999 – 2 BvF 3/90 -, BVerfGE 101, 1 – juris Rn. 152 ff. (zu Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG); Steinbach, in: Epping/Butzer u.a., Hannoverscher Kommentar zur Niedersächsischen Verfassung, 2012, Art. 43 Rn. 20 m.w.N.) dürfte die (4.) Nieder-sächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 genügen.

Die Regelung in § 3 Nr. 9 der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 dürfte auch die materiellen Voraussetzungen des § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG erfüllen.

Nach § 32 Satz 1 IfSG dürfen unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnung entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erlassen werden.

(a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sind erfüllt.

Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.

Es wurden zahlreiche Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider (vgl. die Begriffsbestimmungen in § 2 Nrn. 3 ff. IfSG) im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG festgestellt. Die weltweite Ausbreitung von COVID-19, die offizielle Bezeichnung der durch den neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (anfangs 2019-nCoV) als Krankheitserreger ausgelösten Erkrankung, wurde am 11. März 2020 von der WHO zu einer Pandemie erklärt. Weltweit sind derzeit mehr 2.300.000 Menschen mit dem Krankheitserreger infiziert und mehr als 162.000 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben (vgl. WHO, Coronavirus disease 2019 (COVID-19), Situation Report 92, veröffentlicht unter: www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200421-sitrep-92-covid-19.pdf?sfvrsn=38e6b06d_4, Stand: 21.4.2020). Derzeit sind im Bundesgebiet mehr als 145.000 Menschen infiziert gewesen und mehr als 4.800 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben und in Niedersachsen mehr als 9.000 Menschen infiziert gewesen und mehr als 320 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben (vgl. Robert Koch Institut (RKI), COVID-19: Fallzahlen in Deutschland und weltweit, veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html, Stand: 22.4.2020).

COVID-19 ist jedenfalls eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG. … (wird ausgeführt)

Auch wenn nach derzeitigen Erkenntnissen nur ein kleiner Teil der Erkrankungen schwer verläuft, könnte eine ungebremste Erkrankungswelle aufgrund der bisher fehlenden Immunität und nicht verfügbarer Impfungen und spezifischer Therapien zu einer erheblichen Krankheitslast in Deutschland führen. Bei vielen schweren Verläufen muss mit einer im Verhältnis zu anderen schweren akuten respiratorischen Infektionen (SARI) – vermutlich sogar deutlich – längeren intensivmedizinischen Behandlung mit Beatmung/ zusätzlichem Sauerstoffbedarf gerechnet werden. Selbst gut ausgestattete Gesundheitsversorgungssysteme wie das in Deutschland können hier schnell an Kapazitätsgrenzen gelangen, wenn sich die Zahl der Erkrankten durch längere Liegedauern mit Intensivtherapie aufaddiert. Dieser Gefahr für das Gesundheitssystem und daran anknüpfend der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung kann derzeit, da weder eine Impfung noch eine spezifische Therapie in konkret absehbarer Zeit zur Verfügung stehen, nur dadurch begegnet werden, die Verbreitung der Erkrankung so gut wie möglich zu verlangsamen, die Erkrankungswelle auf einen längeren Zeitraum zu strecken und damit auch die Belastung am Gipfel leichter bewältigbar zu machen (vgl. zur aktuellen Zahl – gemeldeter – freier Krankenhausbetten mit Beatmungskapazität: DIVI Intensivregister, Tagesreport, veröffentlicht unter: www.divi.de/images/Dokumente/DIVI-IntensivRegister_Tagesreport_2020_04_21.pdf, Stand: 21.4.2020). Neben der Entwicklung von Impfstoffen und spezifischen Therapien sowie der Stärkung des Gesundheitssystems und der Erhöhung der medizinischen Behandlungskapazitäten, die indes nicht sofort und nicht unbegrenzt möglich sind, bedarf es hierzu zuvörderst der Verhinderung der Ausbreitung durch Fallfindung mit Absonderung von Erkrankten und engen Kontaktpersonen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko, des Schaffens sozialer Distanz und ähnlich wirkender bevölkerungsbezogener antiepidemischer Maßnahmen sowie des gezielten Schutzes und der Unterstützung vulnerabler Gruppen (vgl. hierzu im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: RKI, Aktuelle Daten und Informationen zu Infektionskrankheiten und Public Health, Epidemiologisches Bulletin Nr. 12/2020 v. 19.3.2020, veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/ Ausgaben/12_20.pdf?__blob=publicationFile; Risikobewertung zu COVID-19, veröffentlicht unter www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risiko-bewertung.html, Stand: 26.3.2020).

Die danach vorliegenden tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG verpflichten die zuständigen Behörden zum Handeln (gebundene Entscheidung, vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012 – BVerwG 3 C 16.11 -, BVerwGE 142, 205, 212 – juris Rn. 23).

Zugleich steht fest, dass die Maßnahmen nicht auf die Rechtsgrundlage des § 16 Abs. 1 IfSG gestützt werden können. Denn die Rechtsgrundlagen einerseits des § 16 Abs. 1 IfSG im Vierten Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes „Verhütung übertragbarer Krankheiten“ und andererseits des § 28 Abs. 1 IfSG im Fünften Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes „Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ stehen in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander; der Anwendungsbereich des § 16 Abs. 1 IfSG ist nur eröffnet, solange eine übertragbare Krankheit noch nicht aufgetreten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.1971 – BVerwG I C 60.67 -, BVerwGE 39, 190, 192 f. – juris Rn. 28 (zu §§ 10 Abs. 1, 34 Abs. 1 BSeuchG a.F.); Senatsurt. v. 3.2.2011 – 13 LC 198/08 -, juris Rn. 40).

Der Senat vermag derzeit auch keine relevanten Fehler des vom Antragsgegner bei Erlass des § 3 Nr. 9 der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 betätigten Ermessens festzustellen.

§ 28 Abs. 1 IfSG liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, a.a.O., S. 213 – juris Rn. 26 unter Hinweis auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drs. 8/2468, S. 27 f.). Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ ist folglich umfassend und eröffnet der Infektions-schutzbehörde ein möglichst breites Spektrum geeigneter Maßnahmen (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 2.4.2020 – 3 MB 8/20 -, juris Rn. 35). „Schutzmaßnahmen“ im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG können daher auch Untersagungen oder Beschränkungen von unternehmerischen Tätigkeiten in den Bereichen Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen sein (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 30.3.2020 – 20 CS 20.611 -, juris Rn. 11 ff. (Schließung von Einzelhandelsgeschäften)). Dem steht nicht entgegen, dass § 31 IfSG eine Regelung für die Untersagung beruflicher Tätigkeiten gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen, Ausscheidern und sonstigen Personen trifft. Denn diese Regelung ist gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG („insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten“) nicht abschließend. Auch die mangelnde Erwähnung der Grundrechte nach Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG in § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG steht der dargestellten Auslegung nicht entgegen. Denn das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, welches § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG zu erfüllen sucht, besteht nur, soweit im Sinne des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG „ein Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann“. Von derartigen Grundrechtseinschränkungen sind anders-artige grundrechtsrelevante Regelungen zu unterscheiden, die der Gesetzgeber in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht vorgesehenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen vornimmt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.5.1970 – 1 BvR 657/68 -, BVerfGE 28, 282, 289 – juris Rn. 26 ff. (zu Art. 5 Abs. 2 GG); Beschl. v. 12.1.1967 – 1 BvR 168/64 -, BVerfGE 21, 92, 93 – juris Rn. 4 (zu Art. 14 GG); Urt. v. 29.7.1959 – 1 BvR 394/58 -, BVerfGE 10, 89, 99 – juris Rn. 41 (zu Art. 2 Abs. 1 GG). Hierzu zählen auch die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG, der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und des Eigentumsschutzes nach Art. 14 Abs. 1 GG.

Der danach weite Kreis möglicher Schutzmaßnahmen wird durch § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG dahin begrenzt, dass die Schutzmaßnahme im konkreten Einzelfall „notwendig“ sein muss. Der Staat darf mithin nicht alle Maßnahmen und auch nicht solche Maßnahmen anordnen, die von Einzelnen in Wahrnehmung ihrer Verantwortung gegenüber sich selbst und Dritten bloß als nützlich angesehen werden. Vielmehr dürfen staatliche Behörden nur solche Maßnahmen verbindlich anordnen, die zur Erreichung infektionsschutzrechtlich legitimer Ziele objektiv notwendig sind. Diese Notwendigkeit ist während der Dauer einer angeordneten Maßnahme von der zuständigen Behörde fortlaufend zu überprüfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.4.2020 – 1 BvQ 31/20 -, juris Rn. 16).

Die in § 3 Nr. 9 der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 vorgesehene und nach Vorstehendem ihrer Art nach zulässige Beschränkung der unternehmerischen Tätigkeit im Dienstleistungsbereich ist auch in ihrem konkreten Umfang voraussichtlich nicht zu beanstanden. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die vom Antragsgegner getroffene Beschränkung zur Erreichung der mit der Anordnung verfolgten Ziele (siehe hierzu im Einzelnen oben 2.b.(3)(a)) nicht notwendig ist, sind für den Senat nicht ersichtlich.

Das auch nach einem nun bereits mehrere Wochen andauernden Infektionsgeschehen unverändert legitime Ziel der Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19, der durch den neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (anfangs 2019-nCoV) als Krankheitserreger ausgelösten Erkrankung, kann nur erreicht werden, wenn neben der Fallfindung mit Absonderung von Erkrankten und engen Kontaktpersonen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko sowie dem gezielten Schutz und der Unterstützung vulnerabler Gruppen auch „soziale“ Distanz, vornehmlich verstanden als körperliche Distanz, geschaffen und ähnlich wirkende bevölkerungsbezogene antiepidemische Maßnahmen ergriffen werden. Dies kann auch Beschränkungen des unmittelbaren Kontakts zwischen verschiedenen Personen, gleich ob im öffentlichen oder im privaten Raum, rechtfertigen. Dies betrifft insbesondere Ansammlungen zahlreicher, untereinander nicht bekannter Personen, weil bei solchen Personenansammlungen Krankheitserreger besonders leicht übertragen werden können und zudem mangels Bekanntheit der Personen untereinander die Fallfindung mit Absonderung von Erkrankten und engen Kontaktpersonen erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht wird.

Die vorgenommene Beschränkung der Nutzung von Autowaschanlagen „für die vollautomatische Reinigung privat genutzter Fahrzeuge ohne Durchführung vor- und nachgelagerter Reinigungsschritte durch die Kundinnen und Kunden“ führt auch nicht zu einer unangemessenen Belastung der Antragstellerin.

Der mit der Beschränkung fraglos verbundene Eingriff in das Grundrecht der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG manifestiert sich tatsächlich in Umsatzeinbußen. Die Antragstellerin verliert Umsätze aus einer angebotenen nicht vollautomatischen Reinigung sowie vor- und nachgelagerten Reinigungsschritten durch die Kundinnen und Kunden privat genutzter Fahrzeuge. Auch wenn die Antragstellerin die konkrete Höhe dieser Umsatzeinbußen nicht beziffern kann, da eine Abgrenzung zwischen einerseits gewerblich und dienstlich genutzten Fahrzeugen und andererseits privat genutzten Fahrzeugen aus nachvollziehbaren Gründen nicht möglich ist, geht der Senat unter Berücksichtigung der eidesstattlichen Versicherung vom 20. April 2020 (Anlage Ast 3) und der Umsatzaufstellung (Anlage Ast 2) aber davon aus, dass der weit überwiegende Teil der Einbußen auf die verordnete Beschränkung zurückzuführen ist und mit einem Umfang von mehr als 50.000 EUR/Woche erheblich ist. Dem so gewichteten Eingriff stehen aber überwiegende öffentliche Interessen gegenüber. Denn die den Eingriff bewirkende Maßnahme ist zur Gewährleistung der Gesundheit der Bevölkerung, einem auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (vgl. BVerfG, Urt. v. 30.7.2008 – 1 BvR 3262/07 u.a. -, BVerfGE 121, 317, 350 – juris Rn. 119 m.w.N.), derzeit notwendig.

Dieser rechtlichen Bewertung, die von anderen Oberverwaltungsgerichten für die jeweiligen landesrechtlichen Verordnungen geteilt worden ist (vgl. etwa OVG Magdeburg Beschl. v. 30.4.2020 – 3 R 69/20, BeckRS 2020, 12755 Rn. 34, 35, beck-online; OVG Schleswig Beschl. v. 30.4.2020 – 3 MR 15/20, BeckRS 2020, 7768 Rn. 26-30, beck-online; OVG Münster Beschl. v. 6.4.2020 – 13 B 398/20.NE, BeckRS 2020, 5158 Rn. 63, beck-online; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 30. März 2020 – 20 NE 20.632 –, Rn. 33 – 34, juris; VGH Kassel Beschl. v. 30.4.2020 – 8 B 1074/20.N, BeckRS 2020, 8868 Rn. 21-25, beck-online), schließt sich die Kammer an.

Bei der vom BGH im Rahmen der Prüfung eines Sonderopfers geforderten „wertenden Betrachtung der Kollision zwischen Gemeinwohl und Einzelinteresse“ (vgl. BGH, Urteil vom 05. März 1981 – III ZR 9/80 –, BGHZ 80, 111-118, Rn. 22) verdient der gemeinwohlorientierte Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit der Bevölkerung den Vorrang vor den Eigentümerbelangen der Kläger. Vor diesem Hintergrund stellt die angegriffene zeitweilige Betriebsuntersagung kein ausgleichspflichtiges Sonderopfer der Kläger aufgrund eines unverhältnismäßigen bzw. unzumutbaren Eingriffs in ihr Eigentumsrecht dar.

c)

Ein Anspruch der Kläger wegen enteignenden Eingriffs scheitert darüber hinaus auch an dem Umstand, dass diese Anspruchsgrundlage auf die vorliegende Fallkonstellation keine Anwendung findet. Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass das richterrechtlich entwickelte Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs nur auf einzelfallbezogene Eigentumsbeeinträchtigungen angewandt werden könne und keine geeignete Grundlage sei, um massenhaft auftretende Schäden auszugleichen. Denn die Zubilligung von Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüchen gegen den Staat für massenhaft aufgetretene Eigentumsbeschränkungen könnte weitreichende Folgen für die Staatsfinanzen haben, was nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip der Entscheidung des Parlamentsgesetzgebers vorzubehalten sei (BGH, Urteil vom 10.12.1987 – III ZR 220/86 –, BGHZ 102, 350-368, Rn. 31-33 m.w.N.; BGH, Urteil vom 10. Februar 2005 – III ZR 330/04 –, Rn. 12, juris).

Soweit in der Literatur teilweise vertreten wird, dass diese Argumentation nicht für untergesetzliche Rechtsetzungsakte wie Rechtsverordnungen oder Satzungen Anwendung findet (vgl. hierzu Winter/Thürk in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise § 17 Rn. 85; Ring in Ring/Grziwotz/Keukenschrijver, BGB, 4. Aufl., Anhang zu § 903 BGB Rn. 53;MüKoBGB/Ernst, BGB 8. Aufl., vor § 903 Rn. 94) folgt die Kammer dieser Auffassung nicht.

Die vom BGH zur Ablehnung der Haftung für legislatives Unrecht entwickelte Argumentation trifft nach hiesigem Verständnis auch auf den vorliegenden Fall zu, in dem massenhafte Ansprüche auf Grund von Rechtsverordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu erwarten wären. Die Zubilligung von Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüchen gegen den Staat für vielfach auftretende Eigentumsbeschränkungen könnte so weitreichende Folgen für die staatlichen Finanzen haben, dass hierdurch dem Haushaltsgesetzgeber die freie Entscheidungs-kompetenz aus der Hand genommen würde, wie, wofür und in welchem Umfang er in einer nationalen Krisensituation die begrenzten staatlichen Mittel einsetzt. Dies widerspräche dem Grundsatz der Gewaltenteilung, da die grundlegenden Entscheidungen über die Verwendung der staatlichen Mittel zum Kern der parlamentarischen Rechte in der Demokratie gehören (vgl. BVerfG, Urteil vom 07. September 2011 – 2 BvR 987/10 –, BVerfGE 129, 124-186, Rn. 104) und es insoweit für die Auswirkung auf den Entscheidungsspielraum des parlamentarischen Gesetzgebers unerheblich ist, welche Rechtsform der als entschädigungspflichtig angesehene staatliche Akt hat. Das richterrechtlich entwickelte Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs bietet keine geeignete Grundlage, um die generellen und typischen Folgen einer in einem formellen Gesetz enthaltenen oder auch auf einem formellen Gesetz beruhenden Inhalts- oder Schrankenbestimmung finanziell abzugelten. Denn die Gewährung von Ausgleichsansprüchen durch die Zivilgerichte würde hier im Ergebnis darauf hinauslaufen, dass das den hoheitlichen Eingriff betreffende Gesetz kraft Richterrechts um eine Klausel für Ausgleichsleistungen ergänzt wird. Eine solche Befugnis steht aber dem an Recht und Gesetz gebundenen Richter nicht zu (BGH, Urteil vom 10. Dezember 1987 – III ZR 220/86 –, BGHZ 102, 350-368, Rn. 34).

6.

Weitere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht. Der allgemeine Aufopferungsanspruch gilt nicht für hoheitliche Eingriffe in das Eigentum, sondern nur für Eingriffe in nichtvermögenswerte Rechtsgüter (Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungs-recht, 6. Aufl., S. 131; Palandt-Herrler, BGB, 79. Aufl., vor § 903 Rn. 15; Staudinger/Wöstmann (2013) BGB § 839, Rn. 500). Da die streitgegenständlichen Rechtsordnungen rechtmäßig waren, können die Kläger schließlich auch keinen Amtshaftungsanspruch gem. § 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Grundgesetz oder einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff geltend machen.

B.

Der Hilfsantrag ist unbegründet.

Eine Verfahrensaussetzung zur Einholung einer Entscheidung des BVerfG gem. Artikel 100 Abs. 1 Grundgesetz ist nicht angezeigt. Die Kammer ist bei der Auslegung des Infektionsschutzgesetzes nicht zu der Einschätzung gelangt, dass die aus dem IfSG folgende Klagabweisung ein verfassungswidriges Ergebnis ist. Es gibt keine verfassungsrechtliche Norm, die einen finanziellen Ausgleich der von den Klägern geltend gemachten finanziellen Nachteile der infektionsschutzrechtlichen Tätigkeitsbeschränkungen gebietet.

I.

Das Grundgesetz enthält keine Norm, nach der jeder finanzielle Nachteil auf Grund eines staatlichen Handelns auszugleichen wäre. Finanzielle Ausgleichsansprüche sind im Grundgesetz lediglich in Artikel 34 GG für Amtspflichtverletzungen und in Artikel 14 Abs. 3 GG für Enteignungen ausdrücklich normiert, welche beide hier auch nach Ansicht der Kläger nicht einschlägig sind.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich dabei aus dem Umstand, dass das Grundgesetz in Artikel 34 GG nur den Bestand einer in der persönlichen Haftung des Amtsträgers gründenden, verschuldensabhängigen mittelbaren Staatshaftung bei Amtspflichtverletzungen „garantiert“, dass zumindest Schadensersatz von Verfassungs wegen nur im Rahmen der herkömmlichen, durch Art. 34 GG garantierten Amtshaftung zu gewähren ist. Hieraus folgt zugleich, dass es nicht Inhalt der Grundrechts-gewährleistung ist, dass der Staat für alle auf rechtswidrigen Grundrechtseingriffen beruhenden vermögenswirksamen Nachteile haften muss (BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. November 1997 – 1 BvR 2068/93 –, Rn. 7, juris). Wenn die Grundrechte jedoch schon keinen generellen Ausgleichsanspruch für rechtswidrige Grundrechtseingriffe gewähren, muss dies für rechtmäßige Grundrechtseingriffe erst recht gelten (vgl. insoweit zu Eigentumsbeschränkungen beispielsweise MüKoBGB/Papier/Shirvani, 8. Aufl. 2020, BGB § 839 Rn. 95 m.w.N.)

II.

Ein Verfassungsgebot, nach dem die den Klägern auferlegten infektions-schutzrechtlichen Tätigkeitsbeschränkungen finanziell ausgeglichen werden müssen, ergibt sich auch nicht aus dem Gedanken der ausgleichspflichtigen Sozialbindung, wonach rechtmäßige Grundrechtseingriffe so intensiv sein können, dass sie die Grenze der entschädigungslos hinzunehmenden Sozialbindung überschreiten und einen verfassungsrechtlich begründeten Ausgleichsanspruch statuieren (vgl. Papier, DRiZ 2020, 180/183).

1.

Dieser Gedanke, der als verfassungsrechtliche Ausprägung des Aufopferungs-anspruchs verstanden werden kann (vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl., S. 130; Schenke, NJW 1991, 1777ff.), findet sich auch als obiter dictum in einer Entscheidung des BVerfG zu einer Entschädigungsregelung des Bundes-seuchengesetzes. Das BVerfG führt hier aus, dass Tätigkeitsverbote für Ansteckungsverdächtige das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG – bei längerfristigen und existenzgefährdenden Maßnahmen möglicherweise das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG – berühren und dass sie unter Umständen nur dann verhältnismäßig seien, wenn den Betroffenen eine Entschädigung gewährt werde, die nicht im freien Belieben des Gesetzgebers stünde (BVerfG, Beschluss vom 29. April 1981 – 1 BvL 11/78 –, BVerfGE 57, 107-117, Rn. 28).

Verfassungsrechtlich anerkannt ist das Rechtsinstitut der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung im Bereich von Artikel 14 GG (vgl. grundlegend die Pflichtexemplar-Entscheidung, Beschluss vom 14. Juli 1981 – 1 BvL 24/78 –, BVerfGE 58, 137-152; die Entscheidung zum rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz, Beschluss vom 02. März 1999 – 1 BvL 7/91 –, BVerfGE 100, 226-248 sowie die Entscheidung zum Atomausstiegsgesetz, Urteil vom 06. Dezember 2016 – 1 BvR 2821/11 –, BVerfGE 143, 246-396). Das BVerfG hat hiermit jenseits des Wortlauts der Verfassung Ausgleichsansprüche im Rahmen des Artikel 14 Abs. 1 S. 2 GG bejaht, um so aus seinem engen Enteignungsbegriff folgende grundrechtliche Gewährleistungs-defizite zu beheben (MüKoBGB/Papier/Shirvani, 8. Aufl. 2020, BGB § 839 Rn. 95).

Eine solche ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung liegt vor, wenn der mit der Eigentumsregelung verfolgte Gemeinwohlzweck den Eingriff zwar prinzipiell rechtfertigt, die Regelung aber ausnahmsweise, also im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung des Eigentümers führt. Um solchen Härtefällen Rechnung zu tragen, hat der Gesetzgeber zur Kompensation des Eingriffs finanzielle Ausgleichsregelungen vorzusehen, sofern es nicht möglich ist, eine unverhältnismäßige Belastung des Betroffenen durch insoweit vorrangige Übergangs-, Ausnahme- und Befreiungsregelungen zu verhindern (vgl. BVerfGE 143, 246-396, Rn. 259f. m.w.N.).

Der Gesetzgeber muss danach bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Artikel 14 Abs. 1 S. 2 GG die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Hierbei hat er sich im Einklang mit allen anderen Verfassungsnormen zu halten und ist insbesondere an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 GG gebunden (BVerfGE 58, 137-152, Rn. 42f.; BVerfGE 100, 226-248, Rn. 76).

Die Reichweite der gesetzgeberischen Regelungsbefugnis hängt dabei davon ab, ob und in welchem Ausmaß das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht (BVerfGE 58, 137-152, Rn. 42), inwieweit das Eigentum die persönliche Freiheit des Einzelnen im vermögensrechtlichen Bereich sichert (BVerfGE 100, 226-248., Rn. 77) und inwieweit der Eigentümer die den Entzug des Eigentums legitimierenden Gründe zu verantworten hat oder sie ihm jedenfalls zuzurechnen sind (BVerfGE 143, 246-396, Rn. 261).

Der Kernbereich der Eigentumsgarantie darf dabei nicht ausgehöhlt werden. Zu diesem gehört sowohl die Privatnützigkeit, also die Zuordnung des Eigentumsobjekts zu einem Rechtsträger, dem es als Grundlage privater Initiative von Nutzen sein soll, als auch die grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand; die Einschränkung darf nicht so weit gehen, dass der verbleibende Teil den Namen „Eigentum“ nicht mehr verdient (BVerfGE 100, 226-248, Rn. 76, 85).

Allerdings kann selbst die völlige, übergangs- und ersatzlose Beseitigung einer durch die Eigentumsgarantie geschützten Rechtsposition zulässig sein, da das zulässige Ausmaß des Eingriffs vom Gewicht des dahinterstehenden öffentlichen Interesses abhängt. Schließlich wird der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers auch durch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt (BVerfGE 143, 246-396, Rn. 268 – 269).

2.

Aus Sicht der Kammer ist dieses Instrument der ausgleichspflichtigen Inhalt- und Schrankenbestimmung auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Das Staatshaftungsrecht besteht aus zumeist richterrechtlich geprägten Anspruchs-grundlagen, die nicht aus einem Guss geschaffen sind und keiner systematischen Ordnung unterliegen, sondern aus sachlich und thematisch beschränkten Bedürfnissen punktuell immer nur für begrenzte entschädigungs-bedürftige Situationen entstanden sind (vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl., S. 2). Anlass und Gegenstand dieser richterrechtlichen Entwicklungen ist eher das Ziel, „punktuelle“ Schadenslagen zu kompensieren. Dies spricht dafür, das Staatshaftungsrecht allgemein und das Institut der ausgleichspflichtigen Sozialbindung im Besonderen eher restriktiv auszulegen (Brenner, DÖV 2020, 660/661; Cornils, https://verfassungsblog.de/corona-entschaedigungsrechtlich-betrachtet; Reschke, DÖV 2020, 423/429; vgl. auch Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465/1467; Gerhold/Öller/Strahl, DÖV 2020, 676/685f.; Sauer, Jus 2012, 800/803; a.A. Frenz, COVuR 2020, 794/798; skeptisch auch Kümper, DÖV 2020, 904/905).

Die Corona-Pandemie ist ein Phänomen, das die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik in gravierender Weise tangiert und zu einem gesamtgesellschaftlichen Ausnahmezustand geführt hat. Die zu ihrer Bekämpfung erlassenen Maßnahmen schränken die Bevölkerung in unterschiedlicher Weise ein. Die von den Klägern angegriffenen Tätigkeitsbeschränkungen sind keine Einzelfälle, sondern betreffen bundesweit eine Vielzahl von Betrieben verschiedener Branchen. So gibt es z.B. in Deutschland laut Bundeszahnärztekammer rund 50.000 niedergelassene Zahnärzte (https://www.bzaek.de/ueber-uns/daten-und-zahlen/mitgliederstatistik/berufliche-stellung/) und ausweislich der DEHOGA rund 222.000 Betriebe im Beherbergungs- und Gaststättengewerbe (https://www.dehoga-bundesverband.de/fileadmin/Startseite/04_ Zahlen___Fakten/07_Zahlenspiegel___Branchenberichte/Zahlenspiegel/DEHOGA_Zahlenspiegel_3._Quartal_2020.pdf). Die Kläger sind damit nicht als Einzelne von einem Sonderopfer betroffen, ihre Schadenslage ist insoweit nicht punktuell, sondern tritt betriebs- und branchenübergreifend im gesamten Bundesgebiet auf. Für die Bewältigung einer derartigen gesamtgesellschaftlichen und ökonomischen Krise ist das vom BVerfG entwickelte Institut der ausnahmsweise ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung nicht geschaffen und nicht geeignet (Brenner, DÖV 2020, 660/661; Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465/1467; Reschke, DÖV 2020, 423/429; Cornils, https://verfassungsblog.de/corona-entschaedigungsrechtlich-betrachtet).

Für die Anwendung dieses Rechtsinstituts wird argumentiert, dass der Grundrechtsschutz nicht dadurch ausgeschaltet werde, dass eine Vielzahl von Grundrechtsträgern betroffen sei und dass die Garantie der Grundrechte auch nicht unter einem allgemeinen Finanzierungsvorbehalt der öffentlichen Hand stehe (Shirvani, NVwZ 2020, 1457/1461; Frenz, COVuR 2020, 794/798).

Diese Argumente sind dem Grunde nach zweifellos zutreffend, bleiben aber auf der generellen Ebene stehen. Denn der Grundrechtsschutz der betroffenen Betriebe wurde und wird nicht ausgeschaltet, da ihnen der primäre Rechtsschutz gegen die Maßnahmen offensteht und die vergangenen Monate vielfach gezeigt haben, dass betriebsbezogene Tätigkeitsbeschränkungen von den Verwaltungsgerichten aufgeho-ben wurden (vgl. etwa Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 27. April 2020 – 20 NE 20.793 –, Rn. 1, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. Juli 2020 – 13 MN 272/20 –, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. August 2020 – 13 MN 307/20 –, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03. September 2020 – 3 R 156/20 –, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06. Oktober 2020 – 1 S 2871/20 –, juris). Zudem entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BVerfG, dass der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum bei der Inhalts- und Schrankenbestimmung gem. Artikel 14 Abs. 1 S. GG insbesondere auch durch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt wird (BVerfG, Urteil vom 06. Dezember 2016 – 1 BvR 2821/11 –, BVerfGE 143, 246-396, Rn. 268 m.w.N.).

Der Umstand, dass die dogmatischen Wurzeln der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Gleichheitssatz und Vertrauensschutzgrundsatz liegen, ist aus Sicht der Kammer ebenfalls kein Argument für eine Anwendbarkeit dieses Rechtsinstituts auf die vorliegende Konstellation (so aber Shirvani, NVwZ 2020, 1457/1460). Das Übermaßverbot und der Gleichheitssatz binden auch den inhalts- und schrankenbestimmenden Gesetzgeber. Ihre Heranziehung kann nicht zu einer generellen ausgleichspflichtigen Schrankenbestimmung führen, denn Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG ermächtigt den Gesetzgeber ohne ausdrückliches Entschädigungsgebot, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen und damit auch auf bestehende Eigentumsrechte gestaltend einzuwirken. Diese Ermächtigung dient auch dazu, die verfassungsrechtlich bestimmte Sozialpflichtigkeit des Eigentumsgebrauchs im Sinne von Art. 14 Abs. 2 GG geltend zu machen, und weist deutliche Unterschiede zur Enteignungsermächtigung des Art. 14 Abs. 3 GG auf, die eine Entschädigungsregelung ausdrücklich vorsieht. Aus diesen systematischen Zusammenhängen wird deutlich, dass Art. 14 Abs. 1 GG keine allgemeine Vermögensgarantie enthält und dass die Sozialbindung sich nicht nur auf die Eigentumsnutzungs-, sondern auch auf die damit einhergehenden Eigentumswertbeschränkungen oder -beschneidungen erstrecken soll. Diese Grundsatzentscheidung des Verfassungsgebers darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass allgemein mit Hilfe des Grundsatzes des milderen Eingriffs und der Gleichbehandlung im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG Entschädigungspflichten angenommen werden. Der sozialgestalterischen Gesetzgebung im Anwendungs-bereich des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG würden ansonsten Fesseln angelegt werden, die in der Verfassung nicht vorgesehen und die in dieser Allgemeinheit ausdrücklich nur für die Enteignung bestimmt sind (Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, 91. EL April 2020, GG Art. 14 Rn. 480f.).

Die während der Corona-Pandemie ergriffenen infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen haben zweifellos bestimmte Branchen wesentlich härter getroffen als andere Bereiche und haben für viele entsprechende Betriebe sicher auch existenz-bedrohende Auswirkungen gehabt.

Es steht für die Kammer auch nicht in Zweifel, dass der Gesetzgeber hier gefordert ist, für eine gerechte Lastenverteilung zu sorgen. Diese Lastenverteilung ist jedoch nicht durch die Zubilligung individueller Ansprüche gegen den Staat zu bewerkstelligen.

Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu in einer Entscheidung zum Lastenausgleich von Besatzungsschäden ausgeführt, dass sich aus dem Sozialstaatsprinzip die Verpflichtung ergebe, dass die staatliche Gemeinschaft in der Regel Lasten mittrage, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal, namentlich durch Eingriffe von außen, entstanden sind und mehr oder weniger zufällig nur einige Bürger oder bestimmte Gruppen getroffen haben. Hieraus folgten jedoch keine individuellen Ansprüche der Betroffenen gegen den Staat, sondern nur die Pflicht des Staates zur Vornahme einer Lastenverteilung, welche sodann konkrete Ausgleichsansprüche der einzelnen Geschädigten begründen könne (BVerfG, Beschluss vom 03. Dezember 1969 – 1 BvR 624/56 –, BVerfGE 27, 253-294, Rn. 83).

Diese Entscheidung ist auf den vorliegenden Fall übertragbar, denn auch wenn die Kriegsfolgen eine andere Qualität und einen anderen Umfang als die Folgen der Corona-Pandemie haben, handelt es sich auch vorliegend um ein schicksalhaftes Ereignis von außen mit ausgesprochen großen gesellschaftlichen und ökonomischen Auswirkungen.

Der Staat kommt dieser Pflicht auch nach, indem der Bund beispielsweise aktuell im Rahmen der so genannten Novemberhilfe finanzielle Unterstützungsleistungen für von temporären Schließungen betroffene Unternehmen im Bereich von rund 15 Milliarden Euro vorsieht (https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2020/11/ 20201125-antragstellung-fuer-abschlagszahlung-zur-novemberhilfe-startet.html) und für Corona-Unternehmenshilfen im Jahr 2021 37,5 Milliarden Euro einplant (https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/corona-november-hilfen- 1805628).

Demgegenüber ist die Gewährung subjektiver Ansprüche aus dem Institut der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Ansicht der Kammer nicht geeignet, die Lasten der durch die Gefahrenabwehrmaßnahmen entstandenen Maßnahmen gerecht zu verteilen, da der Kreis der potentiellen Anspruchsinhaber nicht überzeugend abgrenzbar und der mögliche Anspruchsumfang nicht überzeugend darstellbar ist.

Die Rechtsprechung des BVerfG hat bislang ein verfassungsrechtlich zum Ausgleich verpflichtendes Sonderopfer nur angenommen bei Inhalts- und Schranken-bestimmungen gem. Artikel 14 Abs. 1 S. 2 GG. Da sich die Auswirkungen der coronabedingten temporären Tätigkeitsbeschränkungen und Betriebsschließungen im Bereich von Artikel 14 und Artikel 12 GG in keiner Weise unterscheiden, ist kein inhaltlich überzeugender Grund ersichtlich, (nur) auf Artikel 12 GG gestützte Ansprüche abzulehnen (vgl. allgm. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl., S. 134; Limanowski, Die Haftung des Staates für Verletzungen der Berufsfreiheit, S. 134ff. m.w.N; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, 91. EL April 2020, GG Art. 14 Rn. 778, anders dagegen die Rechtsprechung des BGH, vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1996 – III ZR 224/94 –, Rn. 20, juris m.w.N.; dieser zustimmend etwa Sachs/Mann, GG, 8. Aufl., Art. 12 Rn. 177f.). Dies dürfte zu einer so großen Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten führen, dass der Anspruch auf eine Kompensation eher die Regel als die Ausnahme darstellte. Dieses liefe letztlich darauf hinaus, dem Staat die ihm vom Grundgesetz nicht zugewiesene Aufgabe einer Art Versicherungsanstalt für Lebensrisiken seiner Bürger aufzuerlegen (vgl. Dürig, JZ 1955, 521/524f; Limanowski, S. 42f; Cornils, https://verfassungsblog.de/corona-entschaedigungsrechtlich-betrachtet).

Darüber hinaus wäre fraglich, welche staatlichen Maßnahmen eine Kompensationspflicht auslösen. Auf den ersten Blick naheliegend erscheint es, insoweit nur an die Betriebe adressierte Betätigungseinschränkungen, nicht aber pandemie-bedingte Bekämpfungsmaßnahmen, die die allgemeinen Rahmenbedingungen betrieblicher Tätigkeit verschlechtern, als ausgleichsfähig anzusehen (so Shirvani, NVwZ 2020, 1457/1462, vgl. auch Kümper, DÖV 2020, 904/911 zur Voraussetzung konkret-individualisierter Maßnahmen).

Allgemeine Pandemiebekämpfungsmaßnahmen wie z.B. an die gesamte Bevölkerung adressierte Ausgehverbote oder Verbote von Freizeitveranstaltungen haben jedoch faktisch dieselbe Wirkung wie eine Schließungsverfügung. Dies zeigt sich exemplarisch an der Verordnung des beklagten Landes vom 27.03.2020, welche beispielsweise keine an Kinos, Hotels und Escape-Rooms adressierte Ge- oder Verbote enthielt, gleichwohl aber nach dem Vortrag der Klägerinnen zu 1) bis 8) und 11) bis 13) die Schließung ihrer Betriebe ökonomisch erforderlich machte.

Hier ließe sich durchaus argumentieren, dass das Entstehen der Kompensationspflicht angesichts der gleichen Eingriffsintensität nicht von der rein formellen Frage und damit dem Belieben des Verordnungsgebers abhängen könne und dürfe, wen der Verordnungsgeber zum Adressaten der Pandemiemaßnahmen macht (so wohl Frenz, COVuR 2020, 794/797,799). In diesem Fall wäre der Kreis der Anspruchsberechtigten nicht mehr sinnvoll abgrenzbar, weil z.B. auch touristische Reiseveranstalter, Bahn- und Busunternehmen, Fluglinien und Flughäfen oder auch Sportvereine in teilweise existenzbedrohender Weise von allgemeinen Pandemiebekämpfungsmaßnahmen betroffen sind.

Weiterhin müsste berücksichtigt werden, dass die betroffenen Betriebe durch die Infektionsschutzmaßnahmen nicht nur belastet werden, da die mit der Schließung verbundene Minimierung des Infektionsrisikos allen Menschen und damit auch den Betriebsinhabern und Betriebsmitarbeitenden dient.

Schließlich ist auch nicht erkennbar, nach welchen sachlichen Kriterien der Umfang eines einklagbaren Kompensationsanspruchs bestimmt werden könnte. Das BVerfG hat insoweit auf die Problematik hingewiesen, dass die entstandenen Umsatzeinbußen nicht nur auf die Schließungsgebote zurückzuführen sind, sondern auch auf die Pandemie als solche und das veränderte Ausgehverhalten der Bevölkerung (BVerfG, Beschluss vom 11. November 2020 – 1 BvR 2530/20 –, Rn. 14, juris). Dass die Pandemie als solche zu einer Selbstbeschränkung der Bevölkerung geführt hat, zeigt sich beispielsweise in einer Erhebung des Handelsverbands, wonach in den Fußgängerzonen ein durchschnittlicher Rückgang der Passantenzahlen um 43 Prozent registriert worden sei, trotz erlaubter Öffnungen z.B. die Geschäfte in Hannovers Innenstadt Umsatzeinbußen von bis zu 50% erlitten und insgesamt mit bis zu 50.000 endgültigen Geschäftsschließungen zu rechnen sei (Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 19.11.2020). Dies macht deutlich, dass aufgrund der Pandemie auch solche Wirtschaftszweige massive Einschränkungen hatten, die nicht oder nur in wesentlich geringerem Maße Adressaten von Tätigkeitsbeschränkungen waren. Für die Kammer ist nicht ersichtlich, anhand welcher Kriterien die Grenze gezogen werden könnte zwischen hinzunehmenden, allgemein pandemiebedingten Mindereinnahmen einerseits und dem darüber hinaus gehenden ausgleichspflichtigen Sonderopfer andererseits.

Vor diesem Hintergrund geht die Kammer davon aus, dass das verfassungsrechtliche Institut der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung wegen seines Ausnahmecharakters restriktiv auszulegen ist und vorliegend keine Anwendung finden kann.

3.

Zu einer Vorlagepflicht kommt es jedoch auch dann nicht, wenn die ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung vorliegend als einschlägig angesehen wird. Denn die Anwendung der vom Verfassungsgericht entwickelten Kriterien führt bei Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Kläger einerseits und den Belangen des Allgemeinwohls andererseits im vorliegenden Fall nicht zur Bejahung einer ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung.

Für die Kläger spricht dabei, dass es sich bei einer Schließungsanordnung und Betriebsuntersagung um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff handelt (vgl. für Artikel 12 GG BVerfG, Beschluss vom 11. November 2020 – 1 BvR 2530/20 –, Rn. 11, juris), der – soweit man hier Artikel 14 GG als einschlägig ansieht – auch gerade deshalb besonderes Gewicht hat, weil das Eigentum die persönliche Freiheit der Kläger im vermögensrechtlichen Bereich sichert. Zudem haben die Kläger die Gründe für die Infektionsschutzmaßnahmen nicht durch ein eigenes Verhalten zu verantworten.

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass der Spielraum des Gesetzgebers für kompensationslose Inhalts- und Schrankenbestimmungen umso weiter ist, je gewichtiger das dahinterstehende öffentliche Interesse ist und je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug steht. Dies führt im vorliegenden Fall zur Bejahung eines sehr weitgehenden staatlichen Eingriffsspielraums, denn der mit den Maßnahmen bezweckte Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und des menschlichen Lebens stellt einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang dar (BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 – 1 BvR 3262/07 –, BVerfGE 121, 317-388, Rn. 119). Ein ungehindertes Infektionsgeschehen bringt Gefahren für Leib und Leben der Menschen und die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems mit sich, weshalb der Gesetz- und Verordnungsgeber nicht nur berechtigt, sondern aus Artikel 2 Abs. 2 GG sogar verfassungsrechtlich verpflichtet war, Maßnahmen des Gesundheits- und Lebensschutzes zu ergreifen (BVerfG, Beschluss vom 11. November 2020 – 1 BvR 2530/20 –, Rn. 11, 16 juris). Zudem standen die Betriebe der Kläger insoweit auch in einem starken sozialen Bezug, als sie Teil des vom Verordnungsgeber entwickelten Gesamtkonzeptes zur Infektionsbekämpfung waren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. November 2020 – 1 BvR 2530/20 –, Rn. 16, juris).

Von maßgeblicher Bedeutung ist vorliegend, dass es sich nur um zeitlich begrenzte Maßnahmen handelt. Die Rechtsposition der Kläger wird nicht dauerhaft beschränkt, sondern nur für einen vorübergehenden Zeitraum, so dass der Kernbereich der Eigentumsgarantie in Form der Privatnützigkeit und der grundsätzlichen Verfügungs-befugnis nicht angetastet wird. Die Intensität eines Grundrechtseingriffs hängt wesentlich von seiner Wirkungsdauer ab, denn es liegt auf der Hand, dass sich z.B. Betriebsschließungen umso schwerer auswirken, je länger sie andauern (vgl. zur Bedeutung der zeitlichen Komponente bei der Bemessung der Eingriffstiefe Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, 91. EL April 2020, GG Art. 14 Rn. 551). Dies entspricht beispielsweise auch der gesetzlichen Ausgestaltung einer ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung in § 8a Abs. 5 FStrG, wonach ein Anlieger eine finanzielle Kompensation (nur) begehren kann, wenn länger andauernde Straßenarbeiten seine wirtschaftliche Existenz gefährden. Angesichts dessen gehen auch die Literaturstimmen, die das Institut der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung auf die Fälle coronabedingter Tätigkeitsbeschränkungen für anwendbar halten, davon aus, dass dies erst bei längerfristigen Maßnahmen gilt (vgl. Shirvani, NVwZ 2020, 1457/1462; Frenz, COVuR 2020, 794/797).

Für die Frage, ab wann eine staatliche Schließungsanordnung eine ausgleichspflichtige Beeinträchtigung des Betroffenen darstellt, kann dabei sinngemäß auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die der BGH unter der Geltung eines umfassenden Eigentumsbegriffs zur Abgrenzung der entschädigungslosen Sozialbindung von entschädigungspflichtigen Sonderopfern mit enteignender Wirkung entwickelt hat (vgl. Rinne/Schlick, NVwZ-Beilage II/2000, S. 3/5; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl., S. 775; BeckOK GG/Axer, 44. Ed. 1.12.2019, GG Art. 14 Rn. 104).

Im Rahmen seiner Rechtsprechung zu Betriebsbeeinträchtigungen aufgrund von Straßenbauarbeiten hat der BGH hierzu klargestellt, dass es hierbei keine starre, für alle Betroffenen gleichermaßen gültige Grenze gebe. Allerdings müssten Umsatzrückgänge aufgrund von Straßenarbeiten zumindest für einige Wochen oder gar Monate regelmäßig entschädigungslos hingenommen werden (BGH, Urteil vom 20. Dezember 1971 – III ZR 79/69 –, BGHZ 57, 359-370, Rn. 26 m.w.N., dem folgend etwa OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 22. Juli 2011 – 1 M 100/11 –, Rn. 29, juris m.w.N.; zustimmend Stahlhut in Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl., S. 808).

Die von den Klägern im vorliegenden Fall angegriffene Rechtsverordnung des beklagten Landes hatte eine Geltungsdauer von 16 Tagen. Dieser Zeitraum liegt damit in dem Bereich, den die obergerichtliche Rechtsprechung im Straßenbaurecht als regelmäßig entschädigungslos hinzunehmen ansieht. Vorliegend ist kein Anhaltspunkt ersichtlich, warum diese Maßstäbe nicht auch für hier zu entscheidende Konstellation gelten können sollten, zumal keiner der Kläger substantiiert dargelegt hat, dass die angegriffene Tätigkeitsbeschränkung für ihn eine konkret existenzbedrohende Auswir-kung gehabt hat.

III.

Eine verfassungswidrige Vorenthaltung von Ausgleichsansprüchen der Kläger folgt schließlich auch nicht aus dem Gleichheitsgrundsatz gem. Artikel 3 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten ungleich behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Welche Sachverhaltselemente so wichtig sind, dass ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, hat regelmäßig der Gesetzgeber zu entscheiden; sein Spielraum endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist (BVerfG, Beschluss vom 29. April 1981 – 1 BvL 11/78 –, BVerfGE 57, 107-117, Rn. 24).

Bei einer vergleichenden Betrachtung bestehen zwischen den nach dem IfSG anspruchsberechtigten Gruppen einerseits und den Klägern andererseits jeweils so gewichtige Unterschiede, dass ihre ungleiche Behandlung gerechtfertigt ist (a.A. Eusani, MDR 2020, 962, 965; von Usslar, VR 2020, 325/327, Rommelfanger, COVuR 2020, 178/181).

1.

Gemäß § 56 Abs. 1 IfSG erhalten Ausscheider, Ansteckungsverdächtige, Krankheitsverdächtige oder sonstige Träger von Krankheitserregern, die aus infektionsschutzrechtlichen Gründen von einem Erwerbstätigkeitsverbot oder einer Absonderungsverfügung betroffen sind, eine Verdienstausfallentschädigung. Diese Personen sind im infektionsschutzrechtlichen Sinne (Handlungs-)„Störer“ und müssten als solche nach allgemeinem Gefahrenabwehrrecht einen infolge eines Erwerbstätigkeitsverbots oder einer Absonderung erlittenen Verdienstausfall grundsätzlich entschädigungslos hinnehmen. Denn derartige Gefahrenabwehr-maßnahmen verweisen der Störer lediglich in die allgemeinen Schranken seiner Rechtsausübung, die er auch dann einhalten muss, wenn er hierdurch einen Vermögensschaden erleidet (vgl. Gerhardt, IfSG, 3. Aufl., § 56 Rn. 1; Kümper in Kießling, IfSG, § 56 Rn. 3 m.w.N.). Da die Betroffenen zur „Nichtstörung“ verpflichtet sind, verkürzen infektionsschutzrechtliche Gefahrenabwehrmaßnahmen nicht ihre Rechtssphäre, so dass es sich bei dieser Verdienstausfallentschädigung nicht um eine Ausformung des Aufopferungsgedankens handelt (Kümper in Kießling, IfSG, § 56 Rn. 3; a.A. Itzel DVBl. 2020, 792), sondern um eine Billigkeitsregelung im Sinne einer sozialen Sicherungsmaßnahme (vgl. zur ursprünglichen Regelung im BSeuchG BT-Drs. 3/1888, 27:„Die Vorschrift stellt eine Billigkeitsregelung dar… Diese Personen sind Störer im polizeirechtlichen Sinne. Da sie vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen sind wie Kranke, erscheint es angezeigt, ihnen Leistungen zu gewähren, wie sie sie als Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung im Krankheitsfalle erhalten würden.“; hieran anschließend BGH, Urteil vom 30. November 1978 – III ZR 43/77 –, Rn. 22, juris; Erdle, IfSG, 7. Aufl., § 56, S. 159; BeckOK InfSchR/Eckart/Kruse, 1. Ed. 1.7.2020 Rn. 1, IfSG § 56 Rn. 1f.).

Der im Rahmen der Corona-Pandemie neu eingeführte und zeitlich befristete § 56 Abs. 1a IfSG gewährt Sorgeberechtigten, die infolge einer infektionsschutzrechtlich bedingten Schließung von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen ihre Kinder selbst betreuen müssen, eine Entschädigung für einen hierdurch bedingten Verdienstausfall. Auch hierbei handelt es sich um eine Billigkeitsregelung, welche als Maßnahme der finanziellen Familienförderung anzusehen ist (Stöß/Putzer NJW 2020, 1465/1468; Kümper in Kießling, IfSG, § 56 Rn. 3).

Die in § 56 IfSG geregelten Ausgleichsansprüche sind damit jeweils Billigkeits-regelungen, mit denen der Gesetzgeber im Bereich der leistungsgewährenden Verwaltung jeweils einen sozialpolitischen Zweck verfolgte. In diesem Bereich hat der Gesetzgeber eine besonders große Gestaltungsfreiheit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 1964 – 1 BvL 12/62 –, BVerfGE 17, 210-224, Rn. 24; Burghart in: Leibholz/ Rinck, Grundgesetz, 81. Lieferung 09.2020, Art. 3 GG, Rn. 71f.).

Der Gesetzgeber hat mit den krankheitsverdächtigen Erwerbstätigen nach Abs. 1 und den kinderbetreuenden Erwerbstätigen nach Abs. 1a jeweils eine nach sachlichen Kriterien abgegrenzte Gruppe natürlicher Personen bestimmt, die er aus sozialpolitischen Erwägungen für besonders schutzbedürftig angesehen hat.

Absatz 1 dient der Gleichstellung zweier Gruppen von Erwerbstätigen: Wer erkrankt, ist für den Krankheitsfall in aller Regel über den Arbeitgeber bzw. die Krankenkasse sozial abgesichert. Dies gilt nicht für Menschen, denen verboten wird, ihrer Erwerbstätigkeit nachzugehen, oder die von anderen Menschen abgesondert werden, weil sie eine Infektionskrankheit übertragen oder übertragen können, ohne selbst krank zu sein. Diese Lücke füllt der Gesetzgeber mit § 56, indem er eine Entschädigung gewährt, die den Regeln der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nachgebildet ist (vgl. BeckOK InfSchR/Eckart/Kruse, 1. Ed. 1.7.2020 Rn. 1, IfSG § 56 Rn. 1). Dieser gesetzgeberische Zweck ist legitim. Hieraus folgt jedoch nicht, dass damit auch alle anderen von Infektionsschutzmaßnahmen betroffenen weiteren Gruppen in den Genuss von Ausgleichsleistungen kommen müssten.

Die Regelung in Absatz 1a stellt eine Maßnahme der Familienförderung dar, die nicht an eine unmittelbare Inanspruchnahme der Betroffenen als Störer gem. § 56 Abs. 1 IfSG oder als Nichtstörer gem. § 65 IfSG anknüpft, sondern an die mittelbaren Auswirkungen von Kita– und Schulschließungen. Aus dieser legitimen familien-politischen Zweckrichtung folgt ebenfalls keine rechtliche Notwendigkeit, alle anderen von Infektionsschutzmaßnahmen betroffenen weiteren Gruppen finanziell zu unterstützen.

Diese gesetzgeberische Wertung, diesen Personengruppen einen Verdienstausfall zu gewähren, stellt schon deshalb keine willkürliche Benachteiligung für die Kläger als Betroffene von Betriebsschließungen dar, da Letztere nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen umfassen und schon deshalb mit dem anspruchsberechtigten Personenkreis aus § 56 IfSG nicht vergleichbar sind.

2.

§ 65 IfSG gewährt „Nichtstörern“ Entschädigungsansprüche, wenn diese auf Grund von Verhütungsmaßnahmen nach den §§ 16 und 17 IfSG Schäden an Gegenständen oder sonstige erhebliche Vermögensnachteile erlitten haben.

Da die von Bekämpfungsmaßnahmen nach § 28 IfSG betroffenen Kläger ebenso schicksalhaft und ohne ihr Zutun zu Geschädigten von Infektionsschutzmaßnahmen werden, erscheint die Interessenlage bei beiden Gruppen zwar vergleichbar (Winter/ Thürk in Schmidt, COVID-19, § 18 Entschädigungsansprüche Rn. 36, beck-online; a.A. BeckOK InfSchR/Kruse, 1. Ed. 1.7.2020, IfSG § 65 Rn. 13-13.1). Gleichwohl stellt es keinen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot dar, für Bekämpfungsmaßnahmen keine Entschädigung von „Nichtstörern“ vorzusehen. Denn die Ungleichbehandlung recht-fertigt sich damit, dass mit dem Ausbruch der Krankheit sowohl die staatliche Schutzpflicht zu wirksamen Eindämmungsmaßnahmen wächst als auch die Pflicht der Betroffenen, Schutzeingriffe im nun dringenden Gemeinwohlinteresse zu dulden (vgl. Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465/1467; Kümper in Kießling, IfSG, § 65 Rn.8; Cornils, https://verfassungsblog.de/corona-entschaedigungsrechtlich-betrachtet).

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 100 Abs. 1, 709 ZPO.

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