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Fahrverbot – Absehen aufgrund beruflicher Nachteile

Oberlandesgericht Hamm

Az: 5 Ss OWi 112/08

Beschluss vom 18.03.2008


Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen vom 18. Dezember 2007 gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 11. Dezember 2007 hat der 5. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 18. 03. 2008 durch die Richterin am Oberlandesgericht – als Einzelrichterin gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG – nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft sowie nach Anhörung des Betroffenen und seines Verteidigers beschlossen:

Das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 11. Dezember 2007 wird im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Essen zurückverwiesen.

Gründe:

I.
Das Amtsgericht Essen hat den Betroffenen durch Urteil vom 11. Dezember 2007 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 540,- EUR verurteilt.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 5. Juni 2007 gegen 00.28 Uhr die Wuppertaler Straße außerhalb geschlossener Ortschaften mit einer Geschwindigkeit von 125 km/h, wobei die zulässige Geschwindigkeit 70 km/h betrug.

Gegen dieses Urteil richtet sich die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen, der die Generalstaatsanwaltschaft Hamm beigetreten ist.

II.

Die gemäß §§ 79 Abs. 3 u. 4 OWiG, 341 Abs. 1 StPO zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Rechtsbeschwerde ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden. Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft im genannten Umfang, wie das Amtsgericht im Wesentlichen aufgrund der geständigen Einlassung des Betroffenen festgestellt hat. Jedoch kann der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben. Die Erwägungen des Amtsgerichts rechtfertigen weder für sich genommen noch unter Gesamtwürdigung aller Umstände das Absehen von der Verhängung des gemäß § 4 Abs. 1 Ziffer 1, 11.3.8 der Tabelle 1 des Anhangs der BKatV i.V.m. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG indizierten Fahrverbots.

Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte oder von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04.03.2004 – 3 Ss OWi 769/03 – m.w.N.; Beschluss vom 09.03.2004 – 4 Ss OWi 145/04 -).

Nach diesen Maßstäben stellen die vom Amtsgericht angeführten Umstände weder für sich allein noch in der Gesamtschau Gründe dar, die das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in der Weise abweichend erscheinen lassen, dass ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes angemessen wäre. Berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes rechtfertigen nicht das Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots, sondern nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z.B. drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (OLG Hamm, Beschluss vom 18.03.2004 – 3 Ss OWi 11/04 – m.w.N.; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., Rdnr. 18 zu § 25 StVG m. zahlr. w. N.). Die Entscheidung über das Absehen vom Regelfahrverbot ist dabei eingehend zu begründen und mit ausreichenden Tatsachen zu belegen; eine unkritische Übernahme der Einlassung des Betroffenen ist insoweit nicht ausreichend (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18.03.2004 – 3 Ss OWi 11/04 -; OLG Hamm, NZV 1996, 118; Hentschel, a.a.O.). Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, bedarf dabei der positiven Feststellung und Darlegung der entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen, die für das Rechtsbeschwerdegericht im Einzelnen nachprüfbar sein müssen. Grundsätzlich hat jeder Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge des Fahrverbotes hinzunehmen und durch selbst veranlasste Maßnahmen, wie z.B. die teilweise Inanspruchnahme von Urlaub oder anderem auszugleichen.

Die Ausführungen des angefochtenen Urteils, aufgrund derer das Amtsgericht gegen Verdreifachung des an sich für angemessen erachteten Bußgeldes von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen hat, tragen diese Entscheidung nicht. Soweit das Amtsgericht ausführt, dass das indizierte Fahrverbot hier deshalb nicht angemessen erscheine, weil der Betroffene als Angestellter keinen Monat Urlaub nehmen könne und das Fahrverbot seinen Arbeitsplatz gefährde – der Betroffene ist seit 2001 Chauffeur und Fahrer für die Geschäftsführung und für Geschäftskunden eines Essener Unternehmens – reichen diese Ausführungen nicht aus.

Die Angabe, warum der Betroffene keinen Monat Urlaub nehmen kann, ist in keiner Weise nachvollziehbar dargetan. Das Gericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob und ggf. für welchen Zeitraum der Arbeitgeber des Betroffenen bereit ist, ihm Urlaub zu gewähren. Das Gericht darf Angaben des Betroffenen im Zusammenhang mit den Feststellungen zur Existenzgefährdung nicht ungeprüft übernehmen.

Die von dem Betroffenen vorgelegte Bescheinigung seines Arbeitgebers, nach der es dem Unternehmen im Falle eines Fahrerlaubnisentzuges nicht möglich sei, den Betroffenen weiter zu beschäftigen, da ihm keine anderweitige Tätigkeit angeboten werden könne, stellt ebenfalls keine tragfähige Begründung für das Absehen vom Fahrverbot dar. Diese Bescheinigung rechtfertigt das Absehen vom Fahrverbot schon deshalb nicht, weil es vorliegend nicht um die Frage eines Fahrerlaubnisentzuges geht, sondern lediglich um die Verhängung eines Fahrverbotes von einem Monat. Die Auswirkungen eines Fahrerlaubnisentzuges, bei dem es viele Monate oder noch länger dauern kann, bis dass eine Fahrerlaubnis wieder erteilt wird, unterscheiden sich drastisch von den Auswirkungen des zeitlich überschaubaren Fahrverbotes von einem Monat. Dass die Kündigung des Arbeitsplatzes auch für den Fall der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes gelten soll, ergibt sich aus dem Wortlaut der Bescheinigung gerade nicht.

Das Amtsgericht hat auch keinerlei – kritisch geprüfte – Umstände dargetan, aufgrund derer es zu einer entsprechenden Annahme gelangen konnte. Die Angaben des Betroffenen sind insoweit nicht ausreichend; vielmehr war das Amtsgericht gehalten, den Umständen vorliegend im Einzelnen durch eine weitergehende Beweisaufnahme, beispielsweise die zeugenschaftliche Vernehmung eines verantwortlichen Entscheidungsträgers des Arbeitgebers, nachzugehen.

Dabei wird im Rahmen der neuen Entscheidungsfindung auch zu bedenken sein, dass allein die Möglichkeit einer Kündigung ohne nähere Feststellungen zu deren Wahrscheinlichkeit und Durchsetzbarkeit ein Absehen von einem regelmäßig zu verhängenden Fahrverbot nicht zu begründen vermag ( OLG Hamm, Beschluss vom 17.11.2005- 3 Ss OWi 717/05 m.w.N.).

Überdies hat das Amtsgericht bei der Frage des Absehens vom Fahrverbot die angeführten verkehrsrechtlichen Vorbelastungen des Betroffenen, insbesondere die seit 2004 abgeurteilten fünf nicht unerheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht erwogen. Auch dies ist rechtsfehlerhaft. Verkehrsrechtlichen Vorbelastungen kann bei der Frage des Absehens vom Fahrverbot entscheidende Bedeutung zukommen. Denn der Gesichtspunkt einer nachhaltigen Existenzgefährdung muss dann zurücktreten, wenn ein Betroffener innerhalb einer überschaubaren Zeitspanne wiederholt wegen erheblicher Verstöße gegen straßenverkehrsrechtliche Bestimmungen in Erscheinung getreten ist (vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 2002, 88, 89; OLG Hamm NZV 1995, 498 f). Selbst ein tatsächlich drohender Verlust der wirtschaftlichen Existenzgrundlage führt nicht dazu, in jedem Fall von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen. Vielmehr verbleibt es auch dann bei dem Grundsatz, dass ein Verzicht auf ein Fahrverbot nur dann in Betracht kommen kann, wenn auch ohne das Fahrverbot noch wirksam auf den Betroffenen eingewirkt werden kann. Ist dies nicht der Fall, weil sich der Betroffene gegenüber verkehrsrechtlichen Ge- und Verboten vollkommen uneinsichtig zeigt, so muss ein Fahrverbot auch bei erheblichen Härten seine Berechtigung finden (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 313, 314).

Da das Absehen von der Verhängung mithin auf einer nicht tragfähigen Begründung beruht, kann das angefochtene Urteil – angesichts der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot – im gesamten Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben. Da weitere Feststellungen zur Frage der außergewöhnlichen Härte wahrscheinlich sind, kommt eine Entscheidung durch den Senat nicht in Betracht. Die Sache ist im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Essen zurückzuverweisen.

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