Zusammenfassung:
Ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Rechtsanwalt es versäumt die Kontrolle der Ausgangspost so zu organisieren, dass es ausgeschlossen ist, dass ein nicht unterschriebener Schriftsatz an das Gericht übermittelt wird? Mit dieser Frage hatte sich der BGH im anliegenden Beschluss zu befassen. Einem Rechtsanwalt war ein Schriftsatz erneut zur Unterschrift vorgelegt worden. Der Anwalt ging daher davon aus, dass, da er das Original bereits unterzeichnet hatte, lediglich die beglaubigte Abschrift zu unterzeichnen ist. Dies war indessen unzutreffend, da das Original neu unterzeichnet werden musste, nachdem die Rechtsanwaltsfachangestellte versehentlich ein Glas was über den Schriftsatz gegossen hatte. Der BGH ging von einem Anwaltsverschulden aus.
Bundesgerichtshof
Az: V ZB 161/14
Beschluss vom 17.12.2015
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 30. Juni 2014 wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 25.000 €.
Gründe
I.
Der Beklagte, der mit einem ihm am 5. März 2014 zugestellten Urteil des Landgerichts zu einer Zahlung von 25.000 € zzgl. Zinsen verurteilt worden ist, hat am 7. April 2014 (Montag) durch seine Prozessbevollmächtigte Berufung bei dem Oberlandesgericht eingelegt. Die Frist für die Berufungsbegründung ist bis zum 5. Juni 2014 verlängert worden. An diesem Tag ist bei dem Oberlandesgericht per Telefax eine nicht unterschriebene Berufungsbegründung eingegangen. Am folgenden Tag sind durch die Post eine ebenfalls nicht unterschriebene Berufungsbegründung sowie eine mit der Unterschrift der Rechtsanwältin versehene beglaubigte Abschrift eingegangen. Auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden auf die fehlenden Unterschriften hat der Beklagte am 18. Juni 2014 unter Einreichung einer unterschriebenen Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags Folgendes ausgeführt:
Seine Prozessbevollmächtigte habe die Rechtsanwaltsgehilfin H. am 5. Juni 2014 angewiesen, den fertiggestellten und unterschriebenen Schriftsatz vorab per Telefax zur Fristwahrung an das Berufungsgericht zu versenden. Danach habe die Rechtsanwaltsgehilfin die Ausfertigungen anfertigen und die von ihr zu beglaubigende Abschrift zur Unterschrift vorlegen sollen. Infolge einer Ungeschicklichkeit habe die Angestellte H. vor der Versendung ein Glas Wasser über den unterschriebenen Schriftsatz verschüttet, der dadurch völlig durchweicht worden sei. Die Angestellte habe die Berufungsbegründungsschrift deshalb nochmals ausgedruckt und zusammen mit der zu beglaubigenden Abschrift der Rechtsanwältin in einer Unterschriftenmappe vorlegen lassen, ohne diese über den Vorfall zu unterrichten. Die Rechtsanwältin habe in der Annahme, die Ausfertigung für das Gericht bereits unterschrieben zu haben, nur die beglaubigte Abschrift unterzeichnet. Nach Rückgabe der Unterschriftenmappe habe die Rechtsanwaltsgehilfin H. die Ausfertigung für das Gericht vorab per Telefax versandt und den kompletten Vorgang in den Postausgang gegeben.
Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Das Berufungsgericht meint, die beantragte Wiedereinsetzung könne nicht gewährt werden, obwohl die Prozessbevollmächtigte des Beklagten der Angestellten H. eine Einzelanweisung erteilt habe, die bei ihrer Befolgung die Frist gewahrt hätte. Ein Rechtsanwalt sei auch in der Regel nicht verpflichtet, die Erfüllung der Weisung nachzuprüfen, wenn diese keine besonderen Schwierigkeiten erkennen lasse. Hier verhalte es sich jedoch anders, weil das Büro der Prozessbevollmächtigten nicht nur die beglaubigte Abschrift, sondern auch das Original der Berufungsbegründung der Rechtsanwältin erneut zur Unterschrift vorgelegt habe. Dies hätte Anlass geboten, den Schriftsatz auf das Vorhandensein der notwendigen Unterschrift zu kontrollieren, zumal die Unterschriftenmappe keinen Hinweis darauf erhalten habe, dass die Weisung zur Vorabversendung per Telefax bereits ausgeführt worden sei. Die Prozessbevollmächtigte, die im Übrigen zur Ausgangs- und zur Fristenkontrolle in der Anwaltskanzlei keine Angaben gemacht habe, hätte deshalb nicht davon ausgehen dürfen, dass sie die ihr zur Unterschrift vorgelegte Berufungsbegründung bereits unterzeichnet habe und dass diese schon an das Berufungsgericht per Fax übermittelt worden sei.
III.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 238 Abs. 2, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO zwar statthaft; sie ist aber unzulässig, da die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 574 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2004 – XI ZB 6/04, BGHZ 161, 87, 89) nicht vorliegen. Das Berufungsgericht hat durch die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags insbesondere nicht den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert.
2. a) Zu Recht und von der Rechtsbeschwerde auch nicht angegriffen geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Prozessbevollmächtigte des Beklagten der Anwaltsgehilfin H. eine konkrete Einzelanweisung erteilt hatte, die bei ihrer Befolgung die versäumte Frist gewahrt hätte, und dass die Prozessbevollmächtigte nicht zur Nachprüfung ihrer Erledigung verpflichtet gewesen ist. Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 6. Juli 2000 – VII ZB 4/00, NJW 2000, 2823; Beschluss vom 2. Juli 2001 – II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60; Beschluss vom 30. Oktober 2008 – III ZB 54/08, NJW 2009, 296 Rn. 10).
b) Rechtsfehlerfrei sieht das Berufungsgericht die Versäumung der Frist für die Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 2 ZPO) dennoch als nicht unverschuldet an. Die Nichteinhaltung der Frist beruhte nämlich nicht allein auf der Nichtausführung der Weisung durch die Rechtsanwaltsangestellte H., sondern auch darauf, dass die Prozessbevollmächtigte die ihr in einer Unterschriftenmappe vorgelegte Ersatzausfertigung der Berufungsbegründung nicht unterzeichnet hat. Ursächlich für die Fristversäumung war nicht nur, dass die unterschriebene Erstausfertigung der Berufungsbegründung infolge des Missgeschicks der Rechtsanwaltsgehilfin nicht mehr weisungsgemäß vorab per Telefax an das Berufungsgericht übermittelt werden konnte, sondern auch die Tatsache, dass die noch innerhalb der Frist bei dem Berufungsgericht per Telefax eingegangene Ersatzausfertigung des Schriftsatzes mangels Unterschrift nicht den für die Berufungsbegründung gesetzlich bestimmten Anforderungen entsprach (§ 520 Abs. 5 i.V.m. § 130 Nr. 6 ZPO).
aa) Bei einer Fristversäumung wegen Fehlens der Unterschrift des Rechtsanwalts kann Wiedereinsetzung nur gewährt werden, wenn die Partei gemäß § 236 Abs. 2 ZPO vorträgt und glaubhaft macht, dass dies von ihrem Prozessbevollmächtigten nicht zu vertreten ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 1983 – VIII ZR 343/81, VersR 1983, 401; Beschluss vom 21. Februar 2002 – IX ZA 10/01, NJW 2002, 2180). Das Fehlen eines Verschuldens des Rechtsanwalts ist schlüssig darzulegen (BGH, Beschluss vom 14. März 2005 – II ZB 31/03, NJW-RR 2005, 793, 794). Ursächlich ist jedes Verschulden, bei dessen Fehlen die Frist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht versäumt worden wäre (BGH, Beschluss vom 18. April 2000 – XI ZB 1/00, NJW 2000, 2511, 2512). Dazu ist von der Partei ein Verfahrensablauf vorzutragen, der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt (BAG, NJW 2003, 1269, 1270).
bb) An einer solchen Darlegung fehlt es.
(1) Wird die Berufungsbegründungsfrist versäumt, weil innerhalb der laufenden Frist ein nicht unterschriebener und damit zur Einhaltung der Frist nicht geeigneter Schriftsatz bei dem Gericht eingegangen ist, ist grundsätzlich von einem dem Berufungskläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Anwaltsverschulden auszugehen (Senat, Beschluss vom 19. Februar 2009 – V ZB 168/08, juris Rn. 10; vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. März 1980 – VII ZB 1/80, VersR 1980, 765; Beschluss vom 26. Juni 1980 – VII ZB 11/80, VersR 1990, 942; Beschluss vom 16. Dezember 1982 – VII ZB 31/82, VersR 1983, 271). Es ist nämlich die Pflicht eines Rechtsanwalts, für einen mangelfreien Zustand der ausgehenden Schriftsätze zu sorgen, wozu die gemäß § 130 Nr. 6 ZPO zu leistende Unterschrift gehört (Senat, Beschluss vom 19. Februar 2009 – V ZB 168/08, juris Rn. 10).
(2) Ein Rechtsanwalt muss deshalb die von seinem Büro in einer Unterschriftenmappe zur Unterzeichnung vorgelegten Schriftsätze auf ihre Vollständigkeit überprüfen und die bei dem Gericht einzureichende Ausfertigung unterschreiben (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 1982 – VII ZB 31/82, VersR 1983, 271). Ein Rechtsanwalt muss Vorkehrungen dagegen treffen, dass diese Schriftstücke nicht versehentlich in den Postausgang geraten und ohne Unterschrift bei Gericht eingereicht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2014 – VI ZB 15/14, NJW 2014, 2961 Rn. 8).
Gemessen daran ist die auf dem Fehlen der Unterschrift beruhende Versäumung einer Rechtsmittel(begründungs)frist von einem Rechtsanwalt auch dann verschuldet, wenn er irrtümlich annimmt, dass es seiner Unterschrift auf einem ihm vorgelegten Schriftsatz nicht mehr bedürfe, weil er die für das Gericht bestimmte Ausfertigung bereits unterzeichnet habe. Ein Rechtsanwalt darf einen ihm in einer Unterschriftenmappe zur Unterzeichnung vorgelegten Schriftsatz nur dann ohne Unterschrift an das Büro zurückgeben, wenn er sich zuvor durch Nachfrage vergewissert hat, dass die (scheinbar erneute) Vorlage auf einem Büroversehen beruht. Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten hätte daher die Unterschriftenmappe nicht kommentarlos und ohne Rückfrage an das Büro zurückgehen lassen dürfen. Insofern unterscheidet sich dieser Sachverhalt von demjenigen in der von der Rechtsbeschwerde zitierten Entscheidung (BGH, Beschluss vom 20. März 2012 – VIII ZB 41/11, NJW 2012, 1737 Rn. 10), in dem die Rechtsanwaltsangestellte eine von ihr herstellte Ersatzausfertigung dem Rechtsanwalt nicht mehr zur Unterschrift vorgelegt, sondern unmittelbar an das Gericht versandt hatte.
cc) Dieses anwaltliche Versehen stünde allerdings einer Wiedereinsetzung nicht entgegen, wenn im Rahmen der Büroorganisation durch eine allgemeine Arbeitsanweisung, die an das Gericht zu übermittelnden Schriftsätze vor ihrer Absendung auf das Vorhandensein der Unterschrift des Rechtsanwalts zu prüfen, Vorsorge dafür getroffen wäre, dass bei einem normalen Verlauf der Dinge trotz des Versehens des Rechtsanwalts die Frist gewahrt worden wäre (Senat, Beschluss vom 2. Mai 1962 – V ZB 10,11/62, NJW 1962, 1248; Beschluss vom 19. Februar 2009 – V ZB 168/08, juris Rn. 11; BGH, Beschluss vom 5. März 2003 – VIII ZB 134/02, NJW-RR 2003, 1366; Beschluss vom 17. Oktober 2011 – LwZB 2/11, NJW 2012, 856 Rn. 12; Beschluss vom 15. Juli 2014 – VI ZB 15/14, NJW 2014, 2961 Rn. 9). Dass es eine solche Anweisung zur Unterschriftenkontrolle vor Versendung gegeben hat, ist jedoch nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht worden. Das Berufungsgericht vermisst insoweit zu Recht jede Darstellung zur Organisation der Ausgangskontrolle in der Kanzlei. Von dem Vorhandensein einer Unterschriftenkontrolle kann das Gericht jedoch nicht ausgehen, wenn es in diesem Punkt an den erforderlichen Angaben der eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen fehlt (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO); eines vorherigen Hinweises bedarf es nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 – V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369).
dd) Vortrag zur Organisation der Ausgangskontrolle im Büro der Prozessbevollmächtigten der Beklagten war nicht wegen der zuvor erteilten Einzelanweisung entbehrlich. Der Grundsatz, dass es nach Erteilung einer Einzelanweisung des Rechtsanwalts an seine Angestellte, deren Befolgung eine versäumte Frist gewahrt hätte, auf Vortrag zu den allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen in einer Rechtsanwaltskanzlei nicht ankommt (BGH, Beschluss vom 11. Februar 1998 – XII ZB 184/97, NJW-RR 1998, 787; Beschluss vom 18. März 1998 – XII ZB 180/96, NJW-RR 1998, 1360; Beschluss vom 6. Juli 2000 – VII ZB 4/00, NJW 2000, 2823; Beschluss vom 2. Juli 2001 – II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60; Beschluss vom 9. Dezember 2009 – XII ZB 154/09, VersR 2011, 89), gilt nur so lange, wie der Rechtsanwalt auf die Ausführung der Weisung vertrauen darf. Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten durfte nicht mehr auf die Ausführung ihrer Anweisung vertrauen, die bereits unterzeichnete Berufung sogleich zu versenden, nachdem ihr dasselbe Schriftstück (zusätzlich zu der beglaubigten Abschrift) erneut zur Unterschrift vorgelegt wurde. Diese Vorlage gab Anlass zu der Annahme, dass die Anweisung nicht befolgt worden war und machte es deshalb erforderlich, deren Erledigung zu überprüfen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über den Beschwerdewert folgt aus § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO.