Landgericht Aachen
Az: 6 S 12/09
Urteil vom 22.05.2009
Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Aachen vom 16. Dezember 2008 – 117 C 363/08 – verurteilt, an den Kläger 275,62 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Juli 2008 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor seiner Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils von ihm zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e
I.
Der Kläger macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 18. Juni 2008, der sich im Parkhaus H-Straße in Aachen zutrug, geltend. Der Kläger ist Eigentümer eines Fahrzeugs VW Mulitvan. Er hatte sein am Unfalltage ordnungsgemäß in dem vorgenannten Parkhaus abgestellt. Der Fahrer eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs kollidierte bei Zurücksetzen mit dem parkenden Fahrzeug des Klägers.
Der Kläger ließ unter dem 26. Juni 2008 ein Gutachten des KFZ-Sachverständigenbüros xxxxxx einholen. Danach beliefen sich die erforderlichen Reparaturkosten auf 1.077,16 € netto. Der Privatsachverständige legte hierbei einen bei markengebunden ortsüblichen Arbeitslohn für Karosseriearbeiten in Höhe von 98,00 € und für Lackierarbeiten in Höhe von 106,00 € sowie einen Lackiermaterialaufschlag von 40% zugrunde. Mit Schreiben vom 30. Juni 2008 forderte der Kläger die Beklagte daher unter Fristsetzung bis zum 17. Juli 2008 auf, die ihm entstandenen Schäden wie folgt zu ersetzen:
Reparaturkosten: 1.077,16 €
abzgl. Wertverbesserung netto: 154,44 €
bereinigte Reparaturkosten: 922,72 €
Gutachterkosten: 317,18 €
Kostenpauschale: 30,00 €
Gesamt: 1.269,90 €
Die Beklagte regulierte in der Folgezeit einen Betrag in Höhe von 989,84 €, der sich wie folgt zusammensetzte:
Reparaturkosten: 801,54 €
abzgl. Wertverbesserung: 154,44 €
Bereinigte Reparaturkosten: 647,10 €
Gutachterkosten: 317,18 €
Kostenpauschale: 25,56 €
Gesamt: 989,84 €
Der Kläger ist der Ansicht gewesen, die Beklagte sei verpflichtet, die von dem Privatsachverständigen ermittelten Reparaturkosten zu ersetzen.
Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 275,62 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Juli 2008 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, die unstreitig markengebundene Firma xxxxxx GmbH berechne aufgrund eines ebenfalls unstreitig zwischen ihr und der Beklagten bestehenden Vertrages für die Karosseriearbeiten lediglich 70 € je Stunde und für die Lackierarbeiten lediglich 95,00 € je Stunde. Der Lackieraufschlag sei in diesem Stundensatz zudem bereits enthalten. Mithin lasse sich das Fahrzeug des Klägers zu einem Preis in Höhe von 827,10 € fachgerecht reparieren. Sie ist der Ansicht gewesen, der Kläger müsse sich auf dieses Angebot der xxxxxx GmbH verweisen lassen.
Das Amtsgericht hat Beweis durch Einholung schriftliche Zeugenaussagen des Werkstattleiters, des Serviceleiters und des Servicemeisters der xxxxxx zur Frage der Höhe der Stundensätze erhoben. Die Zeugen haben die von der Beklagten angegeben Reparaturstundensätze bestätigt. Das Amtsgericht hat daraufhin der Klage mit Urteil vom 16. Dezember 2008, dem Kläger zugestellt am 05. Januar 2009, lediglich in Höhe eines Betrages von 25,56 € stattgegeben, da sich der Kläger auf die günstigere Reparaturmöglichkeit durch die xxxxxx GmbH verweisen lassen müsse. Hiergegen hat der Kläger am 07. Januar 2009, eingegangen am selben Tage, Berufung eingelegt. Seine Berufung hat der Kläger unter dem 03. März 2009 begründet. Das Amtsgericht hatte die Berufung im Urteil zugelassen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Aachen vom 16. Dezember 2008 zu verurteilen, an den Kläger insgesamt einen Betrag in Höhe von 275,62 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18. Juli 2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
I.
Die zulässige Berufung ist begründet.
1.
Dem Kläger steht ein weitergehender Anspruch aus § 7 Abs. 1, § 115 VVG in Höhe von 250,06 € gegen die Beklagte zu.
Unstreitig ist die Beklagte dem Kläger aufgrund des Verkehrsunfalls vom 18. Juni 2008 zum vollen Schadensersatz verpflichtet. Die von der Beklagten zu ersetzenden Nettoreparaturkosten belaufen sich jedoch entgegen der Ansicht der Beklagten nicht lediglich auf 801,54 €, sondern auf 1.077,16 €. Insoweit ist der Schadensberechnung der von dem Privatsachverständigen in seinem Gutachten vom 26. Juni 2008 ermittelte Reparaturkostenbetrag in Höhe von 1.077,16 € abzüglich der Wertverbesserung in Höhe von 154,44 € zugrunde zu legen.
Zwar steht aufgrund der Aussagen der erstinstanzlich vernommenen Zeugen fest, dass die xxxxxx GmbH aufgrund einer Vereinbarung mit der Beklagten lediglich die von dieser behaupteten Stundensätze geltend machen würde, auf diese geringeren Reparaturkosten muss sich der Kläger jedoch nicht verweisen lassen. Der Geschädigte kann als Herr des Restitutionsverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB anstelle der Wiederherstellung den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Dieser bemisst sich danach, was vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Eigentümers in der Lage des Geschädigten für die Instandsetzung des Fahrzeugs zweckmäßig und angemessen erscheint. Für das, was zur Schadensbeseitigung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlich ist, ist ein objektivierender, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten typisierender Maßstab anzulegen, wofür das Schätzgutachten eines anerkannten Kfz-Sachverständigen eine sachgerechte Grundlage ist, sofern das Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters aus gerecht zu werden (vgl. BGH NJW 1989, 3009; OLG Schleswig MDR 2001, 270). Im Rahmen des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB hat der Geschädigte Anspruch auf Ersatz derjenigen Kosten, die für die vollständige, vollwertige und fachgerechte Reparatur anfallen würden und zwar – wie sich aus § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ergibt – unabhängig davon, ob voll-, minderwertig oder überhaupt nicht repariert wird. Er ist in den durch das Wirtschaftlichkeitsgebot und das schadensrechtliche Bereicherungsverbot grundsätzlich frei in der Wahl und in der Verwendung der Mittel zur Schadensbehebung (vgl. BGH NJW 2003, 2086). Vor diesem Hintergrund ist er auch nicht dazu verpflichtet, sein Fahrzeug in einer bestimmten Werkstatt reparieren zu lassen. Diesen Grundsätzen würde es zuwiderlaufen, wenn der Geschädigte sich im Rahmen seiner zulässigen fiktiven Abrechnung auf die aufgrund einer Absprache mit dem Versicherer ortsunüblich niedrigen Stundenverrechnungssätze einer bestimmten – wenn auch markengebundenen – Werkstatt beschränken lassen müsste (vgl. LG Duisburg SP 2008, 154; LG Bonn, Urteil v. 20.05.2008, 5 S 96/08; LG Bonn, Urteil v. 02.10.2008, 8 S 95/08; LG Bochum, Urteil v. 19.10.2007, 5 S 168/07; LG Hamburg ZfS 2008, 684; LG Mainz, Urteil v. 31.05.2006, 3 S 15/06; AG Nürtingen NJW 2007, 1143; AG Aachen, Urteil v. 04.07.2008, 8 C 346/07; a.A. u.a. LG Mannheim NJW-RR 2009, 321; LG Köln, Urteil v. 16.09.2008, 11 S 388/07; LG Köln Urteil v. 29.01.2008, 11 S 1/07; LG Potsdam MJW 2008, 1392; LG Berlin NJW-RR 2007, 20; LG Heidelberg SP 2007, 288; AG Düren, Urteil v. 10.12.2008, 47 C 137/08; AG Düren, Urteil v. 06.11.2008, 42 C 201/08). Eine Berücksichtigung dieser im Einzelfall aufgrund der Person des Anspruchsgegners bestehenden günstigeren Reparaturmöglichkeit kann nämlich im Rahmen einer objektivierenden, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten typisierender Betrachtung nicht erfolgen. Hinzu kommt, dass die Höhe des zu ersetzenden Schadens dann vom Zufall abhinge. Bei Unfällen mit bei anderen Haftpflichtversicherern versicherten Haltern oder mit nicht versicherungspflichtigen Fahrzeugen erhielte der Geschädigte stets die ortsüblichen markengebundenen Reparaturkosten, während bei einem Unfall mit einem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug nur geringere Kosten ersetzt würden. Entsprechend wäre der Fall, wenn das geschädigte Fahrzeug ein Fahrzeugtyp wäre, der nicht zu denjenigen Marken gehörte, hinsichtlich derer der Versicherer über eine Verbindung zu einer markengebundenen Fachwerkstatt verfügt. Der zwischen der xxxxxx GmbH und der Beklagten geschlossene Vertrag würde dann – zumindest bei fiktiver Abrechnung – den Charakter eines Vertrages zu Lasten Dritter haben. Da der Geschädigte bei einer Abrechnung auf der Grundlage der ortsüblichen Reparaturkosten nur den Ausgleich des ihm aus Sicht eines objektiven Betrachters entstandenen Schaden erstattet erhält, liegt auch kein Verstoß gegen das Bereicherungsverbot vor.
Auch ein Verstoß gegen die Grundsätze der Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB kann dem Geschädigten hier nicht vorgeworfen werden. Zwar hat der Geschädigte im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann, jedoch würde es dem Grundanliegen des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB widersprechen, ihn über § 254 Abs. 2 BGB auf eine von dem Versicherer benannte Werkstatt zu verweisen. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ermöglicht dem Geschädigten nämlich durch eine fiktive Abrechnung der Reparaturkosten einen Schadensausgleich, ohne dass dieser gehalten ist, dem Schädiger das verletzte Rechtsgut zur Naturalrestitution anzuvertrauen. Das Recht des Geschädigten als Herrn des Restitutionsverfahrens, die Reparatur zu üblichen Konditionen in Eigenregie vornehmen zu können, würde hierdurch entwertet werden. Schließlich muss der Geschädigte aufgrund der wirtschaftlichen Verbundenheit der Werkstatt mit dem beklagten Versicherer befürchten – mag sich die Befürchtung in concreto auch nicht realisieren – dass dieser bei der Reparatur auch (nachvollziehbare) Interessen des Schädigers wahrnimmt und den Schaden möglichst gering hält (vgl. LG Bonn, Urteil v. 20.08.2008, 5 S 96/08).
2.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 2 ZPO.
Im Hinblick auf die divergierenden zweitinstanzlichen Entscheidungen ist gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, da die Frage der Verweisungsmöglichkeit durch den Versicherer von grundsätzlicher über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung ist und zudem eine einheitliche Rechtsprechung zu sichern ist.
Streitwert:
1. Instanz: 275,62 €
2. Instanz: 250,06 €