LG Berlin, Az.: 66 S 230/17
Beschluss vom 19.01.2018
In dem Rechtsstreit hat die Zivilkammer 66 des Landgerichts Berlin am 19.01.2018 beschlossen:
Es wird darauf hingewiesen, dass die Kammer beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das am 25. Juli 2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg – 19 C 49/17 – durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Gründe:
I.
Die gemäß § 522 Abs. 1 ZPO vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die Berufung zulässig ist. Die Berufung ist gemäß § 511 Abs. 1 ZPO statthaft. Die gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Mindestbeschwer ist erreicht. Die Form- und Fristvorschriften der §§ 517, 519 und 520 ZPO sind gewahrt.
II.
Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
Das Amtsgericht hat den Beklagten mit zutreffender Begründung zur Räumung und Herausgabe der von ihm innegehaltenen Wohnung verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Wie das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend und in nicht zu beanstanden- der Weise ausführt, hat die fristlose Kündigung der Klägerin vom 23. Januar 2017 das vormals zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis beendet.
1. Hinsichtlich der Kündigung vom 23. Januar 2017 bestehen keine formellen Bedenken. Sie ist gemäß § 568 Abs. 1 BGB schriftlich erfolgt und ausreichend im Sinne des § 569 Abs. 4 BGB begründet. Sofern der Beklagte in der Berufung geltend macht, dass es an einer hinreichend substantiierten Darlegung der Kündigungsgründe fehle, vermag sich die Kammer dieser Einschätzung nicht anzuschließen. Die Klägerin schildert in der Kündigung den Zustand der Mietsache umfassend und detailreich. Sie beschreibt, durch welche Substanzen an welchen Stellen der Wohnung Verunreinigungen vorgefunden wurden. Das genaue Maß der Verunreinigungen ist zur Überzeugung der Kammer ausreichend dargestellt, auch Angaben wie „grob verschmutzt“ und „schwerst verdreckt“ reichen unter Nennung der geschilderten Orte des Auftretens und der Bezeichnung der Art des Schmutzes und Unrates vollständig aus. Gleiches gilt hinsichtlich der Abmahnung vom 29. Juli 2016.
2. Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung im Sinne des § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB vorliegt. Der Beklagte hat die Rechte der Klägerin dadurch in erheblichem Maße verletzt, dass er die Wohnung durch Vernachlässigung der ihm obliegenden Sorgfalt erheblich gefährdet hat, indem er es zuließ, dass die Wohnung in seiner Obhut derartig vermüllte und verdreckte. Den von der Klägerin vorgetragenen und auf den eingereichten Fotos ersichtlichen Zustand hat der Beklagte erstinstanzlich nicht hinreichend bestritten. Der Erklärungsversuch, dass der im Badezimmer vorhandene Zustand auf von Straßenschuhen hinterlassenen Schmutz zurückzuführen sei, ist menschlich verständlich, aber gänzlich unglaubwürdig und lebensfremd.
Der Beklagte hat die im obliegende Sorgfaltspflicht verletzt, indem er die Wohnung nicht pfleglich behandelt, sondern in erheblichem Ausmaß mit Fäkalien, Schmutz, Abfall und Essensresten verdreckt hat. Hierdurch hat er die Mietsache erheblich gefährdet. Eine Gefährdung der Mietsache liegt dann vor, wenn sie durch die Sorgfaltspflichtverletzung bereits geschädigt worden ist oder wenn der Eintritt eines Schadens nach der Sachlage signifikant höher als bei einem vertragsgerechten Verhalten ist (Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Auflage, § 543 Rn. 57). Das ist vorliegend der Fall. Ferner ist die Kammer davon überzeugt, dass die Vertragsverletzung von derart hohem Gewicht ist, dass eine Kündigung gerechtfertigt ist. Anders als der Beklagte stellt sich der Kammer der Grad der unstreitig zu beiden Zeitpunkten der Besichtigung der Wohnung vorhandene Zustand als für die Klägerin nicht mehr hinnehmbar und die Substanz des Hauses und die Gesundheit der anderen Bewohner unmittelbar gefährdend dar. Nach den in der Abmahnung und der Kündigung dargestellten Zuständen war die Wohnung des Beklagten über einen langen Zeitraum nicht nur unordentlich oder reinigungsbedürftig. Vielmehr war ein Grad von Verunreinigung erreicht, der die Substanz der Mietsache bereits angegriffen hat. Dies ist – wie sich aus den in der Berufung eingereichten Fotos des Beklagten ergibt – zumindest hinsichtlich der Toilette und deren Spülung der Fall, denn selbst wenn der Beklagte nunmehr eine Reinigung veranlasst oder vorgenommen hat, sind Substanzschäden am WC-Becken und am Spülkasten noch immer sichtbar. Entscheidend ist aber, dass die unstreitig über einen langen Zeitraum vorhandenen größeren Mengen von Fäkalien und Essensresten in der Wohnung für Ungeziefer einen idealen Nährboden bilden und somit die Gefahr gegeben war, dass sich dieses über das gesamte Haus ausbreiten. Auch wenn der Beklagte dem Vorwurf des Ausdringens von üblen Gerüchen aus der Wohnung entgegengetreten ist, ist auch für die Kammer nicht denkbar, dass derart großflächig in der Wohnung verschmierte Fäkalien und offen stehende Essensreste zumindest in den Sommermonaten nicht zu einer Geruchsentwicklung bis in den Hausflur geführt haben sollen. Jedenfalls stellte der Zustand der Wohnung konkret eine Gefährdung der Bausubstanz und der Mitmieter dar.
Entgegen der Ansicht des Beklagten trifft ihn auch ein Verschulden an der beschriebenen Verschmutzung und Vermüllung der Wohnung. Ausweislich des von ihm eingereichten Attestes leidet er zwar an einer depressiven Störung. Diese tritt aber rezidivierend als schwere Episode auf. Offensichtlich gelingt es dem Beklagten in Phasen, in welchen die Depression nicht als schwere Episode vorliegt, selbst ein Schreiben an das Amtsgericht zu verfassen, um seine Verteidigungsbereitschaft anzuzeigen und die Soziale Wohnhilfe beim Bezirksamt, das Jobcenter und eine unterstützende Einrichtung für „Messies“ aufzusuchen, um sich Hilfe zu holen. Insofern geht die Kammer davon aus, dass er in leichteren Phasen seiner Erkrankung auch seine Wohnung hätte putzen und aufräumen oder sich zumindest Hilfe für die Aufgaben holen können. Besonderes Gewicht kommt seinem Fehlverhalten zu, weil er auch nach Erhalt der Abmahnung am 1. August 2016 untätig blieb, obwohl ihm die Unhaltbarkeit des Zustands seiner Wohnung, die von diesem ausgehende Gefahr und die Konsequenz des Ausspruchs einer Kündigung deutlich vor Augen geführt wurde.
3. Der Beklagte ist vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung vom 23. Januar 2017 auch für das zur Begründung der Kündigung herangezogene Fehlverhalten mit Schreiben vom 29. Juli 2016 im Sinne des § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB abgemahnt worden. Entgegen der Ansicht des Beklagten hat des Amtsgericht überzeugend festgestellt, dass die Abmahnung dem Beklagten zugegangen ist. Das Amtsgericht hat dazu Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin … .
Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Im Berufungsverfahren ist daher zu überprüfen, ob die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, ob sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wesentliche Teile des Beweisergebnisses unberücksichtigt lässt. Auch muss aus den Entscheidungsgründen erkennbar sein, dass eine sachgemäße Beweisbewertung stattgefunden hat (Schumann/Kramer: Die Berufung in Zivilsachen, 7. Auflage 2007, Rn. 441). Ein Verstoß gegen die dargestellten Grundsätze ist indes nicht ersichtlich. Die Zeugin … hat zwar bekundet, dass sie an den konkreten Tag und die Umstände der Zustellung keine Erinnerung mehr habe. Sie hat aber konkret Bezug genommen auf den von ihr selbst angefertigten Zustellungsnachweis vom 1. August 2016 und die Umstände erklärt, wie und wann die Ausfüllung dieses Zustellungsnachweises erfolgt, nämlich, dass sie das zuzustellende Schreiben anfertigt, selbst unterschreibt oder vom Geschäftsführer unterschreiben lässt, den Zustellungsnachweis (-Vordruck) ausdruckt und diesen dann am Briefkasten selbst ausfüllt bezüglich Datum und Uhrzeit. Schon aus den Umständen der Schilderung der Abläufe, der Eintragung auf dem hiesigen Zustellungsnachweis und der Angabe der Zeugin, dass sie Schreiben nicht in beschädigte oder nicht mit einem Namen des Mieters versehene Briefkästen einwerfe, konnte das Amtsgericht auf eine Zustellung im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO schließen.
Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob es eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für unwahr erachtet. Unter Beachtung der Denkund Naturgesetze, Erfahrungssätze und der gesetzlichen Beweisregeln hat der Richter im Verlauf des Rechtsstreits gewonnene Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung zu bewerten. Der Richter muss nach der objektiven Wahrheit streben, darf sie aber nicht zu der Voraussetzung seiner Entscheidung machen. Deshalb muss er sich mit einer persönlichen Gewissheit begnügen, die den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. st. Rspr.: BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, in: NJW 1970, 946; Urt. v. 28.01.2003 – VI ZR 139/02; Urt. v. 03.06.2008 – VI ZR 235/07). Bezogen auf diesen Grad von Gewissheit zeigt die Berufungsbegründung keinen tauglichen Angriff gegen die Erstellung und Würdigung der Beweise auf.
III.
Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass die fehlende Erfolgsaussicht offensichtlich ist. Insbesondere waren in der Berufung keine neuen Aspekte zu berücksichtigen. Für das Berufungsgericht haben sich keine schwierigen Rechtsfragen ergeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Eine Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt nicht vor. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
IV.
Die Kammer beabsichtigt, den Streitwert für den zweiten Rechtszug gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1, § 41 Abs. 2 Satz 1 GKG auf (324,56 Euro [Nettokaltmiete] x 12 [Monate] =) 3.894,72 Euro festzusetzen.
V.
Es ist beabsichtigt, dem Beklagten aufgrund seiner Erkrankung und der langen Dauer des Mietverhältnisses eine etwa viermonatige Räumungsfrist zu gewähren, § 721 Abs. 1 ZPO. Da der Beklagte zumindest Küche und Bad der Wohnung inzwischen einer Grundreinigung unterzogen hat, überwiegt das Interesse der Klägerin an der zeitnahen Rückerlangung der Wohnung das Interesse des Beklagten nicht. In der genannten Zeit sollte es dem Beklagten möglich sein, alternativen – möglicherweise betreuten – Wohnraum zu finden, um eine ansonsten drohende Obdachlosigkeit abzuwenden.
VI.
Der Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme und gegebenenfalls Rücknahme der Berufung binnen zwei Wochen. Es wird darauf hingewiesen, dass sich die Gerichtsgebühren bei Rücknahme der Berufung ermäßigen (Nr. 1222 KV).