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Geh- und Fahrtrecht – Ankündigung der Wahrnehmung des Fahrtrechts

OLG München – Az.: 20 U 4164/15 – Urteil vom 11.05.2016

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München II vom 14. Oktober 2015, Az. 10 O 1825/15, im Kostenausspruch und in Ziffer II abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Ausübung des im Grundbuch von M. des Amtsgerichts E. auf den Blättern …72, …73 und …74 jeweils unter laufender Nummer 3 eingetragenen Geh- und Fahrtrechts für den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Flurnummer …17/2 der Gemarkung M. nicht davon abhängig ist, dass vor der Ausübung mitgeteilt wird, welche Mitarbeiter der Klägerin mit welchen Fahrzeugen wann die Fahrt nutzen wollen, insbesondere nicht davon abhängig ist, welche Amtsbezeichnung und Funktion die Mitarbeiter der Klägerin haben und welcher Fahrzeugtyp mit welchem Kennzeichen eingesetzt werden soll.

2. Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Urteil des Landgerichts München II vom 14. Oktober 2015, Az. 10 O 1825/15, ist in Ziffer I. ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Modalitäten der Ausübung eines Geh- und Fahrtrechts.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flurnummer …17/2, Grundbuch des Amtsgerichts E. von M. Blatt 752 (K 1). Auf diesem Grundstück befindet sich das gemeindliche Wasserhaus, in dem eine Kolbenpumpe den erforderlichen Druck für die kommunale Trinkwasserversorgung sicherstellt. Die Erschließung dieses Grundstücks erfolgt über ein zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks Flurnummer …17/2 und zu Lasten des Grundstücks Flurnummer …17 aufgrund Vertrags vom 27. Februar 1964 (K 6) unter der laufenden Nummer 3 im Grundbuch auf Bl. …72, …73 und …74 eingetragenen Geh- und Fahrtrechts.

Die Beklagten sind jeweils Miteigentümer zu 1/2 eines Miteigentumsanteils von 2/6 verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung Nr. 1, eines Miteigentumsanteils von 1/6 verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung Nr. 2, sowie eines Miteigentumsanteils von 3/6 verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung Nr. 3 des dienenden Grundstücks Flurnummer …17 der Gemarkung M., Grundbuchblätter …72, …74 und …74.

Unter dem Aktenzeichen 2 C 1061/12 haben die Parteien bereits vor dem Amtsgericht Ebersberg bzw. vor dem Landgericht München II als Berufungsinstanz, Az. 2 S 3863/13, ein Verfahren über den Bestand des auch hier streitgegenständlichen Geh- und Fahrtrechts geführt. Mit rechtskräftigem Urteil vom 9. September 2014 wurden die hiesigen Beklagten verurteilt, der Klägerin die Ausübung des Geh- und Fahrtrechts zu ermöglichen. Der Verlauf des Fahrtrechts ist aus der pink gestrichelten Linie in der Anlage B 2 ersichtlich.

Die Klägerin hat vor dem Landgericht die Auffassung vertreten, dass das ins Grundbuch eingetragene Geh- und Fahrtrecht sie berechtige, mit Fahrzeugen aller Art und Gewicht ohne weitere Vorankündigung über das dienende Grundstück zu fahren. Da die Beklagten diesen Umfang des Geh- und Fahrtrechts bestritten und die Ausübung von Mitteilungen zu Person des Fahrzeugführers und Fahrzeugart abhängig gemacht hätten (Schreiben K 7, K 8, K 9), habe sie ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 ZPO an der begehrten Feststellung, dass die Ausübung nicht auf Fahrzeuge bis zu 1,5 t beschränkt sei und nicht von den gewünschten weiteren Mitteilungen abhänge.

Die Beklagten haben vorgetragen, dass die Inanspruchnahme des Geh- und Fahrtrechts schon nicht erforderlich sei, weil die Klägerin das herrschende Grundstück bewirtschaften könne, ohne über das dienende Grundstück zu fahren. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass die Fahrt ausschließlich zum Zweck der Sicherung der Trinkwasserversorgung erfolgen dürfe; eine Überfahrt etwa zum Bachaushub oder zu Mäharbeiten sei nicht zulässig. Dies ergebe sich daraus, dass in der Vereinbarung von 1964 sowohl ein Rohrleitungsrecht als auch ein Fahrtrecht eingeräumt worden sei. Da es bei Eintragung des Rechts noch keine so schweren Maschinen wie heute gegeben habe, sei mit schwerem Gerät keine Überfahrt erlaubt. Der Einsatz solchen Geräts sei auch nicht erforderlich. Die Beklagten hätten den Zufahrtsbereich aufwändig instandgesetzt, der Unterbau sei für schwere Fahrzeuge nicht geeignet, in der Fahrt liegende Rohre würden bei Ausübung des Fahrtrechts unweigerlich beschädigt. Aufgrund der mehrfachen früheren Beschädigungen und anschließend verweigerten Schadensregulierung sei es erforderlich, dass die Klägerin ihre Besuche ankündige und die Maßnahmen zeitlich und inhaltlich mit den Beklagten abstimme. Ein Feststellungsinteresse der Klägerin bestehe nicht. Die Klage sei abzuweisen.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils und die dort gestellten Anträge wird ergänzend Bezug genommen.

Mit Endurteil vom 14. Oktober 2015 hat das Landgericht nach Vernehmung der Zeugen H., K., L., B. und E. festgestellt, dass die Ausübung des Geh- und Fahrtrechts nicht auf Fahrzeuge bis zu 1,5 t beschränkt ist und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beweisaufnahme ergeben habe, dass das Geh- und Fahrtrecht in der Vergangenheit mit Fahrzeugen ausgeübt worden sei, die mehr als 1,5 t Gewicht hatten. Dies sei auch weiterhin erforderlich und von dem Gebot schonender Ausübung gedeckt. Die Gemeinde müsse allerdings die von den Beklagten gewünschten Angaben machen, da die Beklagten ein berechtigtes Interesse an der Verhinderung von Schäden hätten. Das Interesse des Eigentümers gemäß § 1020 BGB beinhalte zumindest die Ermöglichung der Durchsetzung etwaiger Schadensersatzansprüche. Auch müsse den Beklagten Gelegenheit gegeben werden, geeignete Maßnahmen zu ergreifen um Schäden zu verhindern, Gegenstände wegzuräumen oder Beweise zu sichern. Dies stelle keine allzu hohen Anforderungen an die Klägerin.

Hiergegen wenden sich die Parteien mit Berufung und Anschlussberufung. Sie begehren jeweils unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils – soweit zu ihrem Nachteil ergangen – und Entscheidung gemäß ihren erstinstanzlichen Anträgen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2016 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat vollumfänglich Erfolg, die zulässige Anschlussberufung der Beklagten war zurückzuweisen. Im Einzelnen:

1. Ein Feststellungsinteresse der Klägerin liegt vor. Die zu Lasten des Grundstücks der Beklagten und zu Gunsten desjenigen der Klägerin eingetragene Grunddienstbarkeit ist als absolutes Recht ein Rechtsverhältnis im Sinn des § 256 ZPO (Zöller, ZPO, § 256 Rn. 4). Innerhalb eines solchen Rechtsverhältnisses sind nach allgemeiner Meinung konkrete rechtliche Streitpunkte, die für die Beziehung zwischen den Parteien von Bedeutung sind und nicht anderweitig wirksam geklärt werden können, für deren Feststellung also ein rechtliches Interesse besteht, einer Klage nach § 256 Abs. 1 ZPO zugänglich (Zöller, ZPO, § 256 Rn. 3). Angesichts des bereits in einem anderen Prozess geführten und nach dessen Abschluss weiterhin unstreitig schwelenden Streits um Bestehen, Umfang und Inhalt des Geh- und Fahrtrechts, dessen Ausübung die Beklagten ausweislich der vorgelegten Schreiben (K 7, K 8, K 9) möglichst zu verhindern trachten, hat die Klägerin ein rechtliches Interesse an den begehrten Feststellungen.

2. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht festgestellt, dass die Ausübung des Geh- und Fahrtrechts nicht auf Fahrzeuge mit einem Gesamtgewicht bis 1,5 t beschränkt ist.

Aus dem Vertrag vom 27. Februar 1964 und der daraufhin erfolgten Eintragung des Geh- und Fahrtrechts im Grundbuch ergibt sich eine derartige, von den Beklagten behauptete Einschränkung nicht. Vielmehr wird im Vertrag der Eigentümer des herrschenden Grundstücks umfassend berechtigt, einen bestimmt bezeichneten Bereich des dienenden Grundstücks zu begehen und zu befahren.

Dass – wie die Beklagten meinen – das Fahrtrecht deshalb, weil in der Vertragsurkunde vom 27. Februar 1964 auch ein Rohrleitungsrecht geregelt wurde, nur der Sicherung der Trinkwasserversorgung dienen sollte und jegliches Befahren des dienenden Grundstücks zu anderen Zwecken, also etwa zur Durchführung von Mäharbeiten auf dem herrschenden Grundstück, nicht gestattet sein sollte, ergibt sich weder aus der Vereinbarung, noch der Eintragung, noch der nachfolgend gelebten Nutzung, die nach der Rechtsprechung ebenfalls Anhalt für den ursprünglichen Rechtsinhalt geben kann (Palandt, BGB, § 1018 Rn. 8 mwN). Insoweit hat die sorgfältige Beweisaufnahme des Landgerichts ergeben, dass das grundbuchlich gesicherte Recht in der Vergangenheit regelmäßig mit schweren Fahrzeugen und zu jeglichen dem Hinterliegergrundstück nutzenden Zwecken genutzt werden durfte und auch wurde.

Dass – wie die Anschlussberufung meint – das Landgericht den Umfang des Rechts fehlerhaft ermittelt hätte, ist nach Vorstehendem nicht ersichtlich.

Auch dass aufgrund des technischen Fortschritts nun eventuell schwerere Fahrzeuge als noch im Jahr 1964 zum Einsatz kommen, wirkt sich auf die Berechtigung der Klägerin nicht aus. Da der Inhalt des Geh- und Fahrtrechts vorliegend nicht abschließend fixiert wurde, erweitert er sich entsprechend der Bedürfnisse, wenn – wie hier – bei einer der Art nach gleichbleibenden Benutzung des herrschenden Grundstücks infolge technischer oder wirtschaftlicher Entwicklung der Nutzungsbedarf steigt (Palandt, BGB, § 1018 Rn. 11).

3. Ein Anspruch der Beklagten auf vorherige Ankündigung des für die Ausübung des Fahrtrechts verwendeten Fahrzeugs und der Bekanntgabe des Fahrzeugführers besteht entgegen der Beurteilung des Landgerichts nicht.

Zwar darf die Ausübung eines Geh- und Fahrtrechts nur unter Schonung der Interessen des Eigentümers des belasteten Grundstücks erfolgen, § 1020 BGB. Die vom Landgericht angenommene Verpflichtung zur vorherigen Ankündigung stellt allerdings keine Regelung des schonenden Begehens und Befahrens dar, sondern soll eine Beweissicherung des Eigentümers im Fall einer Beschädigung des Grundstücks ermöglichen. Hierauf besteht kein Anspruch der Beklagten.

Dass – wie die Beklagten behaupten – ein Sonderfall vorliege, weil es in der Vergangenheit zu mehreren nicht regulierten Schadensfällen gekommen sei und deshalb die begehrten Angaben gemacht werden müssten, ist nicht ersichtlich. Anspruchsgegner ist im Fall einer Schadensverursachung regelmäßig die Klägerin selbst und nicht einer der Fahrzeugführer. Die Bekanntgabe von dessen Person und der Art des verwendeten Fahrzeugs ist deshalb zur Sicherung von Schadensersatzansprüchen der Beklagten schon nicht erforderlich.

Da die Beklagten die Fahrt grundsätzlich freizuhalten haben und diese sogar selbst als Zufahrt nutzen, besteht auch keine Notwendigkeit, ihnen im Vorfeld der Wahrnehmung des Fahrtrechts Gelegenheit zu geben, Gegenstände von der Fahrt zu entfernen. Dass die Anwesenheit der Beklagten Schäden verhindern könnte, erschließt sich nicht. Vielmehr ist die Klägerin grundsätzlich gehalten, bei der Ausübung ihres Rechts schonend vorzugehen und keine Schäden zu verursachen, widrigenfalls sie schadensersatzpflichtig ist. Dass die Beklagten in eigener Entscheidung die Zufahrt so ausgerüstet haben, dass sie dem Befahren mit schwereren Fahrzeugen nicht standhält, kann die Ausübung des Fahrtrechts nicht hindern.

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III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Der Streitwert wurde in Anwendung des § 3 ZPO festgesetzt.

 

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