Urteil des BVerfG (Az.: 1 BvR 608/99 vom 31.03.2000)
Verfasser: Dr. Christian Gerd Kotz
1. Einleitung:
Nach § 1 Abs.1 Handwerksordnung (HwO) ist der selbstständige Betrieb eines Handwerks als stehendes Gewerbe nur den in der Handwerksrolle eingetragenen natürlichen und juristischen Personen gestattet. Nach § 7 Abs.1 HwO wird in die Handwerksrolle nur eingetragen, wer in dem von ihm zu betreibenden Handwerk oder in einem diesem verwandten Handwerk eine Meisterprüfung bestanden hat. EU-Ausländer dürfen jedoch in Deutschland auch ohne Meisterbrief und Eintragung in die Handwerksrolle selbstständig einen Betrieb führen. Sie müssen lediglich nachweisen, dass sie sechs Jahre in einem anderen EU-Staat selbstständig waren. Dieses Recht ergibt sich aus Art. 43 EG-Vertrag, indem die „Niederlassungsfreiheit für EU-Bürger“ manifestiert ist.
2. Sachverhalt:
Der 44-jährige Ernst List aus der Oberpfalz hat jetzt den oben genannten Richtlinien der deutschen Handwerksordnung den Kampf angesagt.
Seit 1986 betreibt List ein Elektroeinzelhandelsgeschäft in Nabburg, das an 5 Tagen in der Woche je 3 Stunden geöffnet ist. Er liefert die verkauften Waren aus und nimmt weiterhin Reparaturen und Installationen vor. Eines Tages stand die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl vor seiner Haustür und beschlagnahmte seine Geschäftsunterlagen. Ihm wurde vorgeworfen, ohne die erforderliche Eintragung in die Handwerksrolle eine handwerkliche Tätigkeit auszuführen.
Das Schwandorfer Amtsgericht sah die Montage von verkauften Lampen nicht als Dienstleistung, die dem Handel zuzurechnen ist, sondern als Handwerk an. Nach etwa 25 Verhandlungstagen(für schwierigere Betrugsfälle werden bis zu 5 Verhandlungstage angesetzt!) und rund 200 befragten Zeugen, alles Kunden von List, wurde er wegen unzulässigen selbstständigen Betreibens des Elektroinstallateur- sowie des Radio- und Fernsehtechnikerhandwerks als stehendes Gewerbe nach der HwO, zu einer Geldbuße von 3.000 DM verurteilt (Az.: 2 OWi 2 Js 06240/97 vom 26.10.1998). Nachdem das Bayerische Oberste Landesgericht das Urteil bestätigte (Az.: 3 ObOWi 20/99 vom 08.03.1999), zog List vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe.
3. Urteil des BVerfG: Az.: 1 BvR 608/99 vom 31.03.2000:
Auf die Verfassungsbeschwerde hat die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG die Verurteilung des Beschwerdeführers List zu einer Geldbuße in Höhe von 3.000 DM aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht Schwandorf zur erneuten Entscheidung zurückgewiesen. Das Amtsgericht Schwandorf und das Bayerische Oberste Landgericht haben bei der Feststellung, der Beschwerdeführer habe in unzulässiger Weise ein selbstständiges Gewerbe betrieben, das Grundrecht auf Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs.1 GG nicht ausreichend berücksichtigt.
Das BVerfG begründet seine Entscheidung wie folgt:
a. Die Gerichte haben nicht hinreichend abgewägt, ob es sich bei der Tätigkeit des Beschwerdeführers List tatsächlich um eine im Kernbereich handwerkliche Tätigkeit handelt, oder ob es sich um eine Tätigkeit handelt, die als Minderhandwerk (vgl. § 3 HwO unten) nicht der HwO unterfällt. Dies liegt insbesondere bei der Installation von Satellitenempfangsanlagen oder beim Anbringen verkaufter Beleuchtungskörper nahe.
b. Weiterhin hätten die Gerichte bei den Tätigkeiten des Beschwerdeführers nach den Kernbereichen „Elektroinstallateurhandwerk“ und „Radio- und Fernsehtechnikerhandwerk“ unterscheiden müssen. Dies kann vor allem eine Rolle für die Beurteilung spielen, ob die so genannte Unerheblichkeitsschwelle nach § 3 Abs.1 und 2 HwO überschritten ist.
c. Zu beanstanden ist außerdem, dass die Gerichte bei der Umsatzfeststellung nicht unterschieden haben, welche Umsätze auf handwerklicher Tätigkeit beruhen und welche dem Handel zuzurechnen sind.
§ 3 Handwerksordnung – HwO
(vom 17.9.1953, BGBl I S. 1411 BGBl III 7110-1 In der Fassung der Bekanntmachung vom 24.9.1998, BGBl I S. 3074)
(1) Ein handwerklicher Nebenbetrieb im Sinne des § 2 Nr. 2 und 3 liegt vor, wenn in ihm Waren zum Absatz an Dritte handwerksmäßig hergestellt oder Leistungen für Dritte handwerksmäßig bewirkt werden, es sei denn, dass eine solche Tätigkeit nur in unerheblichem Umfang ausgeübt wird, oder dass es sich um einen Hilfsbetrieb handelt.
(2) Eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 ist unerheblich, wenn sie während eines Jahres den durchschnittlichen Umsatz und die durchschnittliche Arbeitszeit eines ohne Hilfskräfte arbeitenden Betriebs des betreffenden Handwerkszweigs nicht übersteigt.
(3) Hilfsbetriebe im Sinne des Absatzes 1 sind unselbstständige, der wirtschaftlichen Zweckbestimmung des Hauptbetriebs dienende Handwerksbetriebe, wenn sie
1. Arbeiten für den Hauptbetrieb oder für andere dem Inhaber des Hauptbetriebs ganz oder überwiegend gehörende
Betriebe ausführen oder
2. Leistungen an Dritte bewirken, die
a) als handwerkliche Arbeiten untergeordneter Art zur gebrauchsfertigen Überlassung üblich sind oder
b) in unentgeltlichen Pflege-, Instandhaltungs- oder Instandsetzungsarbeiten bestehen oder
c) in entgeltlichen Pflege-, Instandhaltungs- oder Instandsetzungsarbeiten an solchen Gegenständen bestehen, die in dem Hauptbetrieb selbst erzeugt worden sind, sofern die Übernahme dieser Arbeiten bei der Lieferung vereinbart worden ist, oder
d) auf einer vertraglichen oder gesetzlichen Gewährleistungspflicht beruhen.
4. Ausblick:
Herr List will nun weiter gegen die deutsche Handwerksordnung vorgehen. Er hat mittlerweile einen Antrag auf die Erteilung einer Ausnahmebewilligung gestellt. Doch dies reicht ihm nicht mehr, er will nun die Eintragung in die Handwerksrolle nach „europäischem Recht“ erstreiten.
Durch das Tauziehen vor Gericht und die Vorladung seiner Kunden, hat Herr List eine Vielzahl seiner Kunden verloren. Um seine Existenz zu sichern, arbeitet Herr List inzwischen für eine Zeitarbeitsfirma und betreibt seinen Handel nur noch nebenberuflich.