LG Hamburg – Az.: 303 O 189/19 – Urteil vom 04.08.2020
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der schuldhaften Verletzung von ihr als Eigentümerin eines auf öffentlichem Grund befindlichen Straßenbaums obliegenden Verkehrssicherungspflichten sowie unter nachbarrechtlichen Gesichtspunkten auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin ist Eigentümerin des in der H. Straße in H.- U. belegenen Hausgrundstücks.
Am 16.06.2016 kam es im Untergeschoss des Mietshauses der Klägerin zu einer Überflutung mit Abwässern. Die Überflutung war ursächlich auf eine Verwurzelung der Abwasserleitung im Straßenbereich, also im Bereich der öffentlichen Kanalisation zurückzuführen. Diese Verwurzelung im Bereich der öffentlichen Kanalisation hatte zu einem Rückstau der Abwässer geführt, welcher die Überflutung im Untergeschoss des Hauses der Klägerin auslöste.
Die Klägerin beauftragte die Fa. B. S.- S. GmbH, welche das Wurzelwerk durch Freifräsung des Abwasserrohrs entfernte, so dass das Abwasser wieder abfließen konnte.
Mit inhaltlich in Bezug genommenem Schreiben vom 17.06.2016 (Anlage K 1) teilte die Klägerin der Beklagten den Sachverhalt mit und forderte diese auf, mit den erforderlichen „Wasserbeseitigungsarbeiten“ zu beginnen und den entstandenen Schaden zu beseitigen.
Die Klägerin behauptet, die Beklagte sei passivlegitimiert und führt dazu aus wie folgt: Die Beklagte werde von der Klägerin als Eigentümerin des die Rohrverstopfung verursachenden Straßenbaums und insoweit als Störer in Anspruch genommen. Wenn ein Straßenbaum durch Wurzeln kausal fremdes Eigentum beschädige, sei der Eigentümer der Flächen dem betroffenen Nachbar zum Schadensersatz verpflichtet. Der Anspruch der Klägerin ergebe sich aus der Eigentumsstörung in Form der Beeinträchtigung des ungehinderten Abflusses des Abwassers in das öffentliche Sielnetz (Klageschrift S. 3 unten sowie Replik vom 02.04.2020 S. 1 untere Hälfte bis S. 2 oben, Bl. 31 f. d. A.; Schriftsatz vom 04.06.2020 S. 1 unten bis S. 2 oben, Bl. 49 f. d. A.).
Die Beklagte sei ihrer Pflicht zur regelmäßigen Überprüfung des Wurzelwerks nicht nachgekommen. Eine solche Überprüfung sei insbesondere aus dem Grunde angezeigt gewesen, da bereits im Jahr 2010 – unstreitig – ein ähnlicher bzw. gleichgelagerter Vorfall stattgefunden habe.
Wegen der Einzelheiten der Darlegung des Hauptforderungsbetrages wird auf die Seiten vier bis sechs der Klageschrift verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Euro 35.379,69 zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2019 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von Euro 1.336,90 zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2019 zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle weiteren Schäden, die ihr aus dem Abwasserrückstau durch Verwurzelung der öffentlichen Sielleitung in dem Objekt H. Straße H.- U. entstanden sind, zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt in Abrede, der Klägerin zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet zu sein. Einem Erfolg der Klage stehe bereits die mangelnde Passivlegitimation der Beklagten entgegen. Die Unterhaltung der in Rede stehenden Sielleitungen obliege der Hamburger Stadtentwässerung, einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts, und nicht (mehr) der Beklagten. Die Beklagte bestreitet zudem das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen einer Amtspflichtverletzung in Gestalt einer schuldhaften Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, gründend auf deren Eigentümerstellung des streitgegenständlichen baumbestandenen Straßenlandes.
Vorsorglich erhebt die Beklagte auch Einwände gegen die Höhe der mit dem Klageantrag zu
1) geltend gemachten Klageforderung.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der schuldhaften Verletzung von Verkehrssicherungspflichten (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) keinen Anspruch auf Zahlung von Euro 35.379,69.
Die Klägerin geht im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass der Beklagten als Eigentümerin des baumbestandenen öffentlichen Straßenlandes gegenüber der Allgemeinheit Verkehrssicherungspflichten obliegen.
So beruht die allgemeine Verkehrssicherungspflicht auf dem Gedanken, dass derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren auszuräumen und erforderlichenfalls vor ihnen zu warnen hat, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (BGH, Urteil vom 24. August 2017, – III ZR 574/16 -). Es sind diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger des betroffenen Verkehrskreises für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren (BGH, a.a.O mit Hinweis auf BGH, Urteil vom 25. Februar 2014 – VI ZR 299/13, NJW 2014, 2104, 2105 Rn. 8). Sie erstrecken sich grundsätzlich auch auf den Schutz vor Gefahren durch Bäume (BGH, Urteil vom 6. März 2014 – III ZR 352/13, NJW 2014, 1588, 1589 Rn. 7). Der Eigentümer eines Grundstücks hat deshalb im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren dafür zu sorgen, dass von dort stehenden Bäumen keine Gefahr für andere ausgeht, der Baumbestand vielmehr so angelegt ist, dass er insbesondere im Rahmen des nach forstwissenschaftlichen Erkenntnissen Möglichen gegen Windbruch, Windwurf und gegen Umstürzen aufgrund fehlender Standfestigkeit gesichert ist (BGH, Urteil vom 1. Juli 1993 – III ZR 167/92, BGHZ 123, 102, 103; BGH, Urteile vom 21. März 2003 – V ZR 319/02, NJW 2003, 1732, 1733 und vom 2. Juli 2004 – V ZR 33/04, BGHZ 160, 18, 20). Eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt jedoch grundsätzlich nur dann vor, wenn Anzeichen verkannt oder übersehen worden sind, die nach der Erfahrung auf eine (weitere) Gefahr durch den Baum hinweisen (BGH, Urteil vom 21. Januar 1965 – III ZR 217/63, NJW 1965, 815; vom 4. März 2004 – III ZR 225/03 m.w.N.).
Deshalb hängt es von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, ob und in welchem Umfang beziehungsweise mit welcher Kontrolldichte und in welchem Kontrollintervall ein Grundstückseigentümer im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht für einen auf seinem Grundstück stehenden Baum geeignete und zumutbare Kontroll- und Überprüfungsmaßnahmen auch in Bezug auf die mögliche Verwurzelung eines Abwasserkanals durchführen muss. Dabei sind zunächst die räumliche Nähe des Baums und seiner Wurzeln zu der Abwasseranlage sowie Art beziehungsweise Gattung, Alter und Wurzelsystem (Flachwurzler, Herzwurzler, Tiefwurzler) des Baums zu berücksichtigen. Welcher Art die Kontroll- und Überprüfungsmaßnahmen sind, hängt nach allgemeinen Grundsätzen von der Zumutbarkeit für den Grundstückseigentümer im Einzelfall ab (BGH, Urteil vom 24. August 2017, – III ZR 574/16 -).
Ohne sich hiernach ergebende Hinweise auf eine Verwurzelung der Kanalisation ist der Eigentümer eines Baumgrundstücks im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht aber regelmäßig nicht gehalten, den Abwasserkanal, zu dem er zumeist gar keinen Zugang hat, selbst zu überprüfen oder den Kanalbetreiber zu einer Überprüfung aufzufordern. Etwas anderes kann allerdings unter anderem gelten, wenn der Abwasserkanal in seinem Grundstück verläuft und er auf dessen Zustand in diesem Bereich einwirken kann (BGH, Urteil vom 24. August 2017, – III ZR 574/16 -).
Vorstehende Grundsätze zugrunde gelegt, zeigt der gehaltene Parteivortrag der Klägerin eine schuldhafte Verletzung von der Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflichten nicht auf. Mangels Vortrags zu der Beklagten bekannten Hinweisen auf eine Verwurzelung der Kanalisation war die Beklagte – den Regelfall abbildend – nicht gehalten, den im Eigentum der Hamburger Stadtentwässerung befindlichen Abwasserkanal (§ 1 Abs. 2 Satz 3 SEG) selbst zu überprüfen oder die Hamburger Stadtentwässerung, die für die Herstellung, die Unterhaltung und den Betrieb der öffentlichen Abwasseranlagen (allein) zuständig ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 HmbAbwG), zu einer solchen Überprüfung aufzufordern.
Der unwidersprochen gebliebene Vortrag der Klägerin, dass bereits im Jahr 2010 ein ähnlicher Vorfall stattgefunden habe (Klageschrift S. 4 oben) bzw. es bereits im Jahr 2010 zu einer gleichartigen Störung gekommen sei (Schriftsatz der Klägerin vom 04.06.2020 S. 2 obere Hälfte, Bl. 50 d. A.), zeigt nicht auf, dass die Beklagte von diesem Vorkommnis Kenntnis erhalten hat. Eine solche Kenntniserlangung seitens der Beklagten ist weder zu vermuten oder gar offenkundig, da die öffentliche Abwasserbeseitigung allein Sache der Hamburger Stadtentwässerung und nicht (mehr) der Beklagten ist, § 2 Satz 2 HmbAbwG, § 2 Abs. 1 Satz 1 SEG.
Auch stellt sich die Frage, in welcher Weise die Beklagte bei vorliegender Personenverschiedenheit zwischen Eigentümerin des öffentlichen Straßenlandes und Abwasserbeseitigungspflichigtem der Verkehrssicherungspflicht in Hinblick auf ggfs. Schadensstiftenden Wurzelwuchs überhaupt nachkommen kann. Die Forderung, den Baumbestand – analog einer überirdischen halbjährlichen Baumbeschau – auch im Wurzelbereich im Hinblick auf sich abzeichnende oder bereits eingetretene Beschädigungen von Ver- oder Entsorgungsleitungen oder weiterer Infrastruktur einer turnusmäßigen Überprüfung zu unterziehen, würde den Pflichtenkreis des Verkehrssicherungspflichtigen – erheblich, da wirtschaftlich nicht durchführbar – überspannen.
2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte auf keinen Schadensersatzanspruch unter nachbarrechtlichen Gesichtspunkten.
Ein solcher Anspruch besteht bereits aus dem Grunde nicht, da das zum Eigentum der Beklagten zählende Wurzelwerk des auf öffentlichem Grund befindlichen Straßenbaums nicht das Eigentum der Klägerin beschädigt hat, sondern die in öffentlichem Straßenland befindliche Abwasseranlage, deren Eigentümerin die Hamburger Stadtentwässerung ist, § 1 Abs. 2 Satz 2 SEG.
3. Mangels einer Haftung der Beklagten dem Grunde nach hat auch das mit dem Klageantrag zu 2) verfolgte Feststellungsbegehren in der Sache keinen Erfolg.
4. Die Nebenforderungen – Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und unter dem Gesichtspunkt des Verzuges beanspruchte Zinsen – teilen das Schicksal der Hauptforderungen.
5. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 91 Abs. 1 ZPO (Kosten) und § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit).